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Zwischen Diffamierung und Anerkennung: Zum Umgang mit dem 20. Juli 1944 in der frühen Bundesrepublik | Widerstand | bpb.de

Widerstand Editorial Was ist Widerstand? Widerstand im Nationalsozialismus – eine aktuelle Botschaft? Der 20. Juli 1944 in der frühen Bundesrepublik Widerstand und Selbstbehauptung von Juden im NS Widerstand und Genozid: Der Krieg des Deutschen Reiches gegen die Herero Der lange Weg des ANC: Aus dem Widerstand zur Staatspartei Widerstand und Opposition gegen den Sowjetkommunismus in Ostmitteleuropa

Zwischen Diffamierung und Anerkennung: Zum Umgang mit dem 20. Juli 1944 in der frühen Bundesrepublik

Johannes Tuchel

/ 16 Minuten zu lesen

70 Jahre nach dem Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 ist die Erinnerung an diese Ereignisse und ihre Akteurinnen und Akteure fester Bestandteil der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland. Er erinnert uns daran, dass es auch unter den Bedingungen der totalitären Diktatur des Nationalsozialismus möglich war, sich eben nicht widerspruchslos anzupassen, sondern seine Handlungsspielräume zu nutzen und sich konsequent der verbrecherischen Diktatur entgegenzustellen.

Doch was heute in der Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus als selbstverständlich erscheint, ist in Wirklichkeit das Ergebnis eines langen und vielfach widersprüchlichen Prozesses. Die Erinnerung an die Breite und Vielfalt des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus musste mühsam durchgesetzt werden. Vieles wurde dabei ignoriert, verdrängt, vergessen.

Mit der Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus sollten in beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften auch politische Ziele begründet werden. Sie ist daher nicht zu trennen von der Geschichte der beiden deutschen Staaten zwischen 1949 und 1989 und dem damit verbundenen Systemgegensatz.

Die Wege zur Anerkennung des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus im Nachkriegsdeutschland waren lang; längst nicht alle Formen und Aktionen des Widerstandes wurden akzeptiert, viele von ihnen waren lange Zeit heftig umstritten oder blieben gar vollkommen unbekannt. Dies soll im Folgenden für die 1950er Jahre an einigen Beispielen verdeutlicht werden.

Weiterwirkende Vorurteile

Grundsätzlich wurde der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in den westlichen Besatzungszonen in der unmittelbaren Nachkriegszeit in einer noch direkt vom NS-Regime geprägten Gesellschaft mit nur wenigen Ausnahmen negativ bewertet. Es war das Odium des "Verrats", das die Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer lange Zeit umgab. Hierunter hatten nicht nur die unmittelbar Beteiligten selbst zu leiden, sondern auch die Familienangehörigen der Menschen, die von der nationalsozialistischen Unrechtsjustiz ermordet worden waren.

In den ersten Jahren nach 1945 gab es nur wenige öffentliche Gedenkfeiern, in der veröffentlichten Meinung gab es nur einige zaghafte Schilderungen und lediglich die Widerstandskämpfer und -kämpferinnen selbst oder ihre Angehörigen versuchten, die Erinnerung an die Toten aufrechtzuerhalten. Viele Widerstandskämpfer wurden auch nach der Befreiung vom Nationalsozialismus als "Verräter" angesehen und auch offen als solche bezeichnet. Daran änderte auch eine "Ehrenerklärung" der Bundesregierung nichts, die Bundesminister Jakob Kaiser im Oktober 1951 abgab, und die sich explizit gegen derartige Verratsvorwürfe richtete.

Ein zweiter politischer Faktor, die Diskussion um einen deutschen "Wehrbeitrag", kam zu Beginn der 1950er Jahre hinzu. Der Vorsitzende des neugegründeten Verbandes Deutscher Soldaten in Bayern, Oberst a.D. Ludwig Gümbel, erklärte etwa im Oktober 1951, dass für die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 kein Platz in einer neuen deutschen Armee sei. "Wir meinen, daß ihre Rückkehr sich in einer Gefährdung des soldatischen Geistes, ohne den jeder Wehrbeitrag undenkbar ist, auswirken muß und wird."

Einer der Männer, die am 20. Juli 1944 von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels mit der Niederschlagung des Umsturzversuchs beauftragt wurden, Oberst Otto Ernst Remer, der sich bis zu seinem Tode in den 1990er Jahren als Nationalsozialist verstand, hatte schon im Mai 1951 erklärt, dass die "Widerstandskämpfer vom 20. Juli 1944 in starkem Maße Landesverräter gewesen (wären), die vom Ausland bezahlt worden seien. Diese Landesverräter würden sich eines Tages vor einem deutschen Gericht zu verantworten haben. Es werde einmal die Zeit kommen, in der man schamhaft verschweige, daß man zum 20. Juli gehört habe. Es habe eine ganze Reihe von Widerstandskämpfern gegeben, die sich gegenseitig verraten hätten, als die Dinge schief gegangen seien. Diese nähmen heute große Staatspensionen in Empfang."

Für diese Diffamierungen wurde Remer im März 1952 dann allerdings wegen übler Nachrede in Tateinheit mit Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Haftstrafe von drei Monaten, der ersten seiner vielen Strafen, verurteilt. Es wäre jedoch nicht zu dem Verfahren gegen ihn gekommen, wenn sich nicht der unvergessene Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, zu dieser Zeit noch in Braunschweig tätig, besonders engagiert hätte.

Im Zentrum der Bemühungen Bauers stand die höhere Akzeptanz für den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944, nicht aber für die gesamte Breite der gegen den Nationalsozialismus gerichteten Aktivitäten. Er führte – so die Historikerin Claudia Fröhlich – "einen strategischen – auf den 20. Juli begrenzten – Prozess. Nur so schien seine weit reichende Entlegitimierung sowie Stigmatisierung als Verrat durch die westdeutsche Judikatur zu durchbrechen zu sein."

Dies Vorhaben gelang, im Urteil erkannte das Gericht das Handeln der am Umsturzversuch des 20. Juli 1944 Beteiligten als rechtmäßigen Widerstand gegen das NS-Unrechtsregime an.

Enger Widerstandsbegriff

Um die nachträgliche Legitimierung des Widerstandsrechts zu erreichen, hatte Bauer ausdrücklich darauf verzichtet, andere Widerstandsgruppen in das Verfahren einzubeziehen, ja sogar Familienangehörige der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" aufgefordert, eigene Strafanträge gegen Remer zurückzuziehen. Die Rote Kapelle, bis weit in die 1980er Jahre vollkommen zu Unrecht als "kommunistische Spionagegruppe" diffamiert, wurde weder im Remer-Prozess noch in der öffentlichen Meinung der Bundesrepublik als Teil des Widerstands gegen den Nationalsozialismus akzeptiert.

Im Gefolge des Kalten Krieges verhärtete sich dieses Bild bis zur Unkenntlichkeit der tatsächlichen Widerstandsaktivität der Gruppe. In Gerhard Ritters Goerdeler-Biografie hieß es etwa: "Ihre geistigen Führer (…) gehörten zu jenen Edelkommunisten, die nicht nur der Haß gegen Hitler, sondern auch eine höchst individuelle geistige Entwicklung in das kommunistische Lager geführt hatten (…). Was auch immer die Motive waren; praktisch haben sie sich bedingungslos dem Landesfeind als höchst gefährliche Werkzeuge zur Verfügung gestellt."

So wundert es nicht, dass die Staatsanwaltschaft Lüneburg ein Ermittlungsverfahren gegen den Hauptankläger in den Verfahren gegen die Rote Kapelle 1942/1943, Manfred Roeder, ergebnislos einstellte. Roeder war an über 40 Todesurteilen beteiligt gewesen. Die Lüneburger Staatsanwaltschaft stellte aber nicht nur Ermittlungsverfahren ein, sondern übernahm bereitwillig das von der NS-Justiz entworfene Bild des "kommunistischen Spionageringes" und untermauerte es durch die herangezogenen Aussagen ehemaliger Mitarbeiter von Gestapo und Reichskriegsgericht noch weiter.

Auch in Entschädigungsverfahren, auf die noch einzugehen sein wird, war immer wieder ein sehr eng gefasster Begriff des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus zu erkennen. Jenen Menschen etwa, die wir heute wegen ihrer Hilfe für von der Deportation bedrohte Juden als "Stille Helden" ehren, wurde in den 1950er Jahre die Anerkennung versagt: "Deshalb ist auch der Verkehr mit jüdischen Menschen, der Abschluss von Geschäften mit ihnen oder in ihrem Interesse wie auch die ihnen gewährte persönliche Hilfeleistung und Beratung, sei es im Rahmen des Berufs, sei es auf Grund persönlicher Freundschaft, kein Widerstand gegen den Nationalsozialismus, da solche Taten nicht geeignet sind, ein Regime zu unterhöhlen." Mit anderen Worten: Menschen, die verfolgten Juden geholfen hatten, stand weder eine Entschädigungszahlung noch eine laufende Renten- oder Beihilfenzahlung zu.

Ausgrenzungsmechanismen, die zum Teil weit vor 1933 zurückgreifen, wurden in der jungen Demokratie der Bundesrepublik weitergegeben und blieben wirksam. Im Osten wie im Westen wurde die Anerkennung als politisch Verfolgter vielfach nicht mit dem Verhalten vor, sondern nach 1945 verbunden: Ein Berliner Sozialdemokrat, 1933 inhaftiert, 1936 erneut verhaftet, zu mehr als zwei Jahren Zuchthaus verurteilt, zu den berüchtigten Strafeinheiten 999 eingezogen, erst 1946 aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und in die SED eingetreten, später aus ihr ausgeschlossen, wurde 1952 in West-Berlin als politisch Verfolgter anerkannt. Im November 1955 erhielt er die Mitteilung, dass die Anerkennung zurückgezogen werde, "weil Sie als Anhänger eines totalitären Systems betrachtet werden müssen. Ihre Versicherung, daß Sie aus der SED ausgeschlossen wurden, ist nicht durch überzeugende Unterlagen nachgewiesen worden."

Was aber ändert ein Parteibeitritt in die SED 1946 an der Tatsache der politischen Verfolgung vor 1945? Hatten sich nicht gerade Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfer aus allen weltanschaulichen Richtungen dafür eingesetzt, dass die Diktatur des Nationalsozialismus beseitigt werde und eine gleichberechtigte politische Auseinandersetzung wieder möglich werden könne?

Versagen der Justiz

Wie sah es in den ersten Jahren der Bundesrepublik mit der Strafverfolgung gegen jene Gestapo-Beamten und Richter aus, die Widerstandskämpfer nach dem 20. Juli 1944 gefoltert hatten oder an den justizförmigen Tötungen des "Volksgerichtshofes" teilgenommen hatten?

Der frühere SS-Standartenführer und Jurist Walther Huppenkothen hatte als "Anklagevertreter" im April 1945 an den "Standgerichtsverfahren" im KZ Sachsenhausen gegen Hans von Dohnanyi und im KZ Flossenbürg gegen Wilhelm Canaris, Dietrich Bonhoeffer, Hans Oster und andere teilgenommen. Das Verfahren ging über mehrere Instanzen. Letztinstanzlich urteilte der Bundesgerichtshof 1956.

Günter Hirsch, Präsident des Bundesgerichtshofes, analysierte dies 2003 kritisch: "Der Bundesgerichtshof (…) hob 1956 diese Verurteilungen auf und sprach die Angeklagten von dem Vorwurf frei, durch die Standgerichtsverfahren Beihilfe zum Mord geleistet zu haben. In der Begründung behandelte der Bundesgerichtshof das SS-Standgericht als ordnungsgemäßes Gericht, das offenkundige Scheinverfahren als ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren und das Urteil als dem damaligen Recht entsprechend. Die Begründung ist ein Schlag ins Gesicht. Den Widerstandskämpfern wird attestiert, sie hätten ‚nach den damals geltenden und in ihrer rechtlichen Wirksamkeit an sich nicht bestreitbaren Gesetzen‘ Landes- und Hochverrat begangen. Den SS-Richtern könne nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sie die Frage der Rechtfertigung des Verhaltens der Angeklagten nicht geprüft hätten."

Zu Recht stellte Hirsch fest, dass die Folgen dieses Urteils und der "ungesühnt gelassenen Justizmorde" verheerend gewesen seien. Fast alle Ermittlungsverfahren gegen Richter und Staatsanwälte wurden eingestellt, erst Jahrzehnte später begann ein neues – ebenfalls erfolgloses – Ermittlungsverfahren gegen Richter und Staatsanwälte des "Volksgerichtshofes".

Möglich wären aber Ermittlungsverfahren gegen die Angehörigen der Gestapo-"Sonderkommission 20. Juli 1944" gewesen. Einige von ihnen, etwa Huppenkothens Mitarbeiter Franz Xaver Sonderegger, wurden zwar von Spruchgerichten in der Britischen Zone zu Haftstrafen verurteilt, aber meist schon vor dem Strafende entlassen. Obwohl es mit einem 1947 veröffentlichten Bericht eines Angehörigen der Sonderkommission genügend Ansätze für ein Ermittlungsverfahren gegen die über 400 Angehörigen der "Sonderkommission 20. Juli 1944" durch die zuständige Berliner Staatsanwaltschaft gegeben hätte, geschah nichts. Es sollte nie systematische Ermittlungen gegen die früheren Angehörigen der "Sonderkommission 20. Juli 1944" geben.

Ebenso wie die Morde am 9. April an Hans von Dohnanyi im KZ Sachsenhausen und den Widerstandskämpfern im KZ Flossenbürg blieben auch die Morde an 18 Regimegegnern in der Nähe des Zellengefängnisses Lehrter Straße noch zwischen dem 22. und 24. April 1945 ungesühnt. Gegen die Mörder von Rüdiger Schleicher, Klaus Bonhoeffer, Albrecht Haushofer, Albrecht Graf von Bernstorff und Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg – um nur einige zu nennen –, wurde nicht einmal ermittelt. Der Tatort war eindeutig, Tatzeit und Tatumstände lagen klar auf der Hand, aber die Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft begannen erst 1960, wurden jahrelang verschleppt und schließlich 1969 eingestellt.

Entschädigung, "Wiedergutmachung" und Geltung von NS-Unrechtsurteilen

Die von Otto Ernst Remer 1951 behaupteten "Staatspensionen" gab es zu dieser Zeit – leider – nicht. Wie die Realität der Angehörigen der Widerstandskämpfer aussah, zeigte eine kleine Zeitungsmeldung vom 21. Juli 1951: Die Oberfinanzdirektion München verfügte, dass ein Unterhaltsgeld in Höhe von 160 DM im Monat an die Witwe des nach dem 20. Juli 1944 vom "Volksgerichtshof" zum Tode verurteilten und hingerichteten Obersten Rudolf Graf von Marogna-Redwitz nicht mehr weitergezahlt werde, da "wegen Hoch- und Landesverrat verurteilte frühere Wehrmachtangehörige" keinerlei Anrecht auf irgendwelche Pensionen oder Renten hätten.

Einer anderen Witwe eines am 20. Juli 1944 Beteiligten, der danach den Freitod gewählt hatte, wurde eine Rentenzahlung mit folgender Begründung verweigert: "Ihr Mann hat überhaupt kein nationalsozialistisches Unrecht erlitten, er hat sich vielmehr selbst erschossen und ein erledigendes nationalsozialistisches Unrecht nicht abgewartet." Erst nach einem neunjährigen Rechtsstreit erhielt die Witwe von Generalmajor Helmuth Stieff 1960 eine Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Kriegsopferversorgung. Das Bundessozialgericht urteilte, dass Stieff "offensichtliches Unrecht" angetan worden war und entschied im Gegensatz zu den Vorinstanzen zu Gunsten von Ili Stieff. Die Liste dieser Beispiele ließe sich fortsetzen.

Renten- und Pensionszahlungen sowie Wiedergutmachungsleistungen setzten vielfach erst spät in den 1950er Jahren ein. Ohne die – seit 1951 mit Bundesmitteln unterstützte – "Stiftung Hilfswerk 20. Juli 1944" hätten viele Familienangehörige von Widerstandskämpfern des 20. Juli 1944 in großer materieller Not gelebt. Zu einer gesetzlichen Regelung der Ansprüche der Hinterbliebenen konnte sich die Bundesregierung aber nie entschließen.

Die oben dargestellte Begründung im Fall von Rudolf Graf von Marogna-Redwitz verweist auf einen anderen Aspekt der Weitergeltung nationalsozialistischen Unrechts: Alle Unrechtsurteile des "Volksgerichtshofs", der Sondergerichte und der Militärjustiz galten weiter und waren teilweise noch bis in die 1980er Jahre im Bundeszentralregister eingetragen. Eine Aufhebung eines Urteils konnte zwar im Einzelfall beantragt werden, die Staatsanwaltschaft musste dann prüfen und gegenüber dem zuständigen Gericht ausführlich die Empfehlung zur Aufhebung des Urteils begründen. Dies blieb bis in die 1990er Jahre so, erst mit dem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege von 1998 wurden die Urteile des "Volksgerichtshofs" grundsätzlich annulliert, und erst 2009 erfolgte die grundsätzliche Aufhebung von Urteilen, die wegen "Kriegsverrats" gesprochen worden waren.

Konkret hieß dies, dass die meisten der Todesurteile, die der "Volksgerichtshof" gegen die Beteiligten am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 gesprochen hatte, bis zum 1. September 1998 noch Rechtskraft besaßen. In den 1950er Jahren war dies nicht einmal als Problem erkannt worden.

Öffentliche Erinnerung

1952 legte Luise Olbricht, Witwe des am 20. Juli 1944 erschossenen Generals Friedrich Olbricht, den Grundstein für das Ehrenmal zur Erinnerung an die Opfer des Umsturzversuches im Berliner Bendlerblock. Es ist bezeichnend, dass die Anregung dafür von den Hinterbliebenen und nicht von staatlicher Seite kam. Seither finden jährlich am 20. Juli Gedenkfeiern statt; erst in den 1980er Jahren jedoch sollte der 20. Juli zu einem Gedenktag für die gesamte Breite und Vielfalt der Regimegegnerschaft werden.

Umfassende öffentliche Würdigungen des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus gibt es erst seit 1953/1954, besonders markant durch den Berliner Regierenden Bürgermeister Ernst Reuter und Bundespräsident Theodor Heuss. Bei den zunehmenden Ehrenfeiern durch Angehörige der politischen Eliten der Bundesrepublik war der Volksaufstand in der DDR am 17. Juni 1953 in den 1950er Jahren ein immer wieder genutztes Argument. Damit konnte auf die Legitimität des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 hingewiesen werden. Typisch ist dafür die Rede Ernst Reuters vom 19. Juli 1953: "Der Bogen vom 20. Juli 1944 spannt sich heute, ob wir wollen oder nicht, zu dem großen Tage des 17. Juni 1953, zu jenem Tag, an dem sich ein gepeinigtes und gemartertes Volk in Aufruhr gegen seine Unterdrücker und gegen seine Bedränger erhob und der Welt den festen Willen zeigte, dass wir Deutschen frei sein und als ein freies Volk unser Haupt zum Himmel erheben wollen. Wir wissen, dass dieser 17. Juni wie einst der 20. Juli nur ein Anfang war. Aber ich glaube, es ist gut, es ist richtig, wenn wir auch an diesem Tage den Bogen vom 20. Juli zu den Ereignissen schlagen, die uns heute innerlich bewegen."

Auch Bundespräsident Theodor Heuss, der sich noch 1950 der Bitte versagt hatte, im Rundfunk Worte der Würdigung und des Gedenkens an den 20. Juli 1944 zu sprechen, äußerte sich in seinen Reden zu den Jahrestagen klar und eindeutig zum Erbe des Widerstandes, so etwa 1954: "Die Scham, in die Hitler uns Deutsche gezwungen hatte, wurde durch ihr Blut vom besudelten deutschen Namen wieder weggewischt. Das Vermächtnis ist noch in Wirksamkeit, die Verpflichtung ist noch nicht eingelöst."

In der deutschen Bevölkerung allerdings war der Widerstand gegen den Nationalsozialismus überwiegend noch nicht akzeptiert. So beurteilten 1951 nur 43 Prozent der Männer und 38 Prozent der Frauen die "Männer vom 20. Juli" positiv. Im Sommer 1956 lehnte es eine überwiegende Mehrheit der Bevölkerung (54 Prozent der Männer und 44 Prozent der Frauen) ab, eine Schule nach dem Hitler-Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg oder nach dem zivilen Kopf des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944, Carl Friedrich Goerdeler, zu benennen. Nur 18 Prozent der Befragten sprachen sich dafür aus.

Der Anteil der positiven Beurteilung des 20. Juli 1944 sollte sich auch in den folgenden Jahrzehnten nur unwesentlich ändern. Eine Umfrage vom Frühjahr 1970 machte deutlich, dass 39 Prozent die "Männer vom 20. Juli" positiv beurteilten (gegenüber 40 Prozent im Jahr 1951) und nur noch 7 Prozent sie ablehnten (gegenüber 30 Prozent im Jahr 1951). Stark angestiegen war der Kreis derer, die nichts über die Ereignisse des 20. Juli 1944 wussten (37 Prozent gegenüber 11 Prozent im Jahr 1951). 1985 veränderte das Umfrageinstitut zwar seine Bewertungsmethode, aber es bezog in seine Ergebnisse nur noch diejenigen ein, die über die Ereignisse des 20. Juli 1944 "richtige oder ungefähr richtige Angaben" machen konnten. Gegenüber 1971 war die Bewertung fast unverändert, lediglich die negativen Bewertungen gingen geringfügig zurück. Erst im Jahr 2004 gab es in einer repräsentativen Befragung der deutschen Bevölkerung erstmals eine überwiegend positive Bewertung des 20. Juli 1944.

Diese Wahrnehmung in der Bevölkerung muss immer mit beachtet werden, wenn man sich mit der Entwicklung der Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus befasst. Es musste immer aus der Defensive heraus argumentiert werden. Nur ein Beispiel sei hier herausgehoben: In einem Vortrag erklärte der Publizist Rudolf Pechel 1958 in Berlin, dass "eine Zugehörigkeit zum Widerstand gegen Hitler (…) heute in keinem Bundesministerium eine Empfehlung sei". Er wies darauf hin, dass Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß und keiner der Offiziere des Bundesministeriums der Verteidigung 1957 an der Weihe einer Kapelle für die Brüder Stauffenberg teilgenommen hätten. "Der Einfluss der Überlebenden des Widerstandes ist heute in Deutschland gering (…) Intellektuelle Rollkommandos mit notorischen Denunzianten und Rufmördern an der Spitze können sich heute in Verunglimpfungen der Widerstandskämpfer versuchen, ohne dass ihnen etwas geschieht." Pechel beschrieb damit anschaulich das Klima der späten 1950er Jahre.

Zum 15. Jahrestag des 20. Juli 1944 im Jahr 1959 gab es schließlich einen Tagesbefehl des ersten Generalinspekteurs der Bundeswehr, Adolf Heusinger, in dem dieser erstmals den 20. Juli 1944 als "Vorbild" darstellte. Doch erst im Jahrzehnt danach sollte sich die positive Bezugnahme auf den 20. Juli 1944 in der Bundeswehr durchsetzen. Der frühere bayerische Justizminister Josef Müller, der selbst im KZ gesessen hatte, zog am 19. Juli 1959 ein bitteres Fazit der Gedenkveranstaltungen. Er sah "fast immer das gleiche Bild: Wir waren unter uns. Die Redner sprachen zu Erfahrenen, nicht aber zu Menschen, die erfahren wollten. Hier standen Frauen und Männer, deren Gewissen bereits entschieden hatte, nicht aber jene, die sich sogar weigerten und bis heute weigern, zumindest ihr Wissen um das Geschehen jener Zeit zu vervollständigen. War das unvermeidbar, oder könnte das auch anders sein?"

Zu einem gesetzlichen Feiertag zur Erinnerung an den Widerstand gegen den Nationalsozialismus hat man sich jedoch nie entschließen können. 1960 kam es zu einer eher peinlichen Entscheidung: Die Regierung Adenauer konnte sich trotz heftiger Kritik der sozialdemokratischen Opposition nicht einmal dazu durchringen, eine bundesweite Beflaggung der Bundesgebäude am 20. Juli anzuordnen. Es gebe schon zu viele Tage, an denen geflaggt werde. "Die Frage, welcher davon würdiger sei als der 20. Juli", kommentierte die "Frankfurter Rundschau" sarkastisch, "dürfte kaum befriedigend beantwortet werden. Die Bonner Entscheidung paßt aber zu der geistigen und politischen Entwicklung der Bundesrepublik. Das Attentat ist mißlungen, der Widerstand eine unangenehme Erinnerung für viele längst wieder wichtige Männer. Fahnen wehen bei weniger eindeutigem Anlaß." Und selbst der "Rheinische Merkur" fragte: "Hat man etwa Angst davor, daß die Ehrung der Männer vom 20. Juli die Grundlagen der staatlichen und besonders der militärischen Autorität zerstören könne, weil das doch Verschwörer, Eidbrecher und Revolutionäre waren?"

Fazit

Widerstand gegen den Nationalsozialismus war immer die Haltung einer kleinen Minderheit, von einzelnen und oft sehr einsamen Menschen, von kleinen Kreisen und Gruppen. Auch diejenigen, die am Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 beteiligt waren und überlebten, blieben ebenso wie die Familienangehörigen der Ermordeten oftmals auch nach 1945 einsam und wurden in der Gesellschaft der entstehenden Bundesrepublik nicht akzeptiert, sondern vielfach diffamiert und mit dem Odium des "Verrats" belegt und ausgegrenzt.

Dies zeigt sich sowohl in der mangelhaften juristischen Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts gegenüber den Widerstandskämpfern, als auch an den nicht oder unzureichend geführten Ermittlungsverfahren gegen Gestapo-Beamte und Richter, die an Justizmorden im Nationalsozialismus beteiligt gewesen waren. Erst nach dem 17. Juni 1953 begann sich die politische Bewertung des 20. Juli positiv zu wandeln; dennoch war es ein langer und komplizierter Prozess, bis auch in der Öffentlichkeit die Bedeutung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus für die politische Kultur der Bundesrepublik Deutschland akzeptiert wurde.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Peter Steinbach, Widerstand im Widerstreit. Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Erinnerung der Deutschen, Paderborn 2001²; Gerd R. Ueberschär, Für ein anderes Deutschland. Der deutsche Widerstand gegen den NS-Staat 1933–1945, Darmstadt 2005, S. 240f.; Johannes Tuchel (Hrsg.), Der vergessene Widerstand. Zu Realgeschichte und Wahrnehmung des Kampfes gegen die NS-Diktatur, Göttingen 2005.

  2. Vgl. etwa Joachim Perels, Der Umgang mit Tätern und Widerstandskämpfern nach 1945, in: Kritische Justiz, 30 (1997), S. 357ff.

  3. Vgl. Jürgen Danyel (Hrsg.), Die geteilte Vergangenheit. Zum Umgang mit Nationalsozialismus und Widerstand in beiden deutschen Staaten, Berlin 1995; Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Der 20. Juli. Das "andere Deutschland" in der Vergangenheitspolitik nach 1945, Berlin 1998; Annette Leo/Peter Reif-Spirek (Hrsg.), Helden, Täter und Verräter. Studien zum Antifaschismus, Berlin 1999; dies. (Hrsg.), Vielstimmiges Schweigen. Neue Studien zum DDR-Antifaschismus, Berlin 2001.

  4. Zum Widerstandsbegriff vgl. Peter Hüttenberger, Dimensionen des Widerstandsbegriffs, in: Peter Steinbach (Hrsg.), Widerstand. Ein Problem zwischen Theorie und Geschichte, Köln 1987, S. 80–95; Franciszek Ryszka, Widerstand: Ein wertfreier oder ein wertbezogener Begriff?, in: Jürgen Schmädeke/Peter Steinbach (Hrsg.), Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Die deutsche Gesellschaft und der Widerstand gegen Hitler, München–Zürich 1985, S. 1107ff.

  5. Vgl. die eindrucksvollen Interviews in: Eva Madelung/Joachim Scholtyseck, Heldenkinder, Verräterkinder. Wenn die Eltern im Widerstand waren, München 2007.

  6. Vgl. Felicitas von Aretin, Die Enkel des 20. Juli 1944, Leipzig 2004, S. 36ff.; sowie allgemein Regina Holler, 20. Juli 1944. Vermächtnis oder Alibi? Wie Historiker, Politiker und Journalisten mit dem deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus umgehen. Eine Untersuchung der wissenschaftlichen Literatur, der offiziellen Reden und der Zeitungsberichterstattung in Nordrhein-Westfalen von 1945–1986, München u.a. 1994.

  7. Süddeutsche Zeitung vom 1.10.1951.

  8. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 5.5.1951.

  9. Vgl. Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, München 2001, S. 97ff.

  10. Claudia Fröhlich, Zum Umgang mit dem Widerstand gegen den Nationalsozialismus in der Bundesrepublik. Phasen und Themen der Judikatur zum 20. Juli 1944, in: J. Tuchel (Anm. 1), S. 220.

  11. Vgl. ebd., S. 230.

  12. Gerhard A. Ritter, Carl Goerdeler und die deutsche Widerstandsbewegung, Stuttgart 1956, S. 106f.

  13. Landesarchiv Berlin, B Rep 078, Zug. Nr. 6026, UH 245, Akte Hedwig Porschütz, Ablehnung der Anerkennung als politisch Verfolgte vom 3.2.1959, abgedruckt in: Johannes Tuchel, Hedwig Porschütz. Die Geschichte ihrer Hilfsaktionen für verfolgte Juden und ihrer Diffamierung nach 1945, Berlin 2010, S. 85.

  14. Vgl. Dennis Riffel, Unbesungene Helden. Die Ehrungsinitiative des Berliner Senats 1958 bis 1966, Berlin 2007, S. 32ff.

  15. Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Unterlagen Robert Zeiler.

  16. Günter Hirsch, Ansprache, in: Jutta Limbach et al., Erinnerung an Hans von Dohnanyi, Berlin 2003, S. 14f.

  17. Vgl. Bernhard Jahntz/Volker Kähne, Der Volksgerichtshof. Darstellung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin gegen ehemalige Richter und Staatsanwälte am Volksgerichtshof, Berlin 1986.

  18. Vgl. Aufzeichnungen des SS-Obersturmbannführers Dr. Georg Kiesel (Kießel), in: Nordwestdeutsche Hefte, 2 (1947) 2, S. 5ff.

  19. Vgl. Johannes Tuchel: "… und ihrer aller wartete der Strick." Das Zellengefängnis Lehrter Straße 3 nach dem 20. Juli 1944, Berlin 2014, S. 286ff.

  20. Süddeutsche Zeitung vom 18./19.7.1953.

  21. Frankfurter Rundschau vom 21.7.1960.

  22. Vgl. F. von Aretin (Anm. 6), S. 52ff.

  23. BGBl. I S. 2501.

  24. Die ausführlichste Dokumentation der Gedenkfeiern und -reden zwischen 1952 und 2013 findet sich unter Externer Link: http://www.20-juli-44.de (6.6.2014).

  25. Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, Die Stimmung im Bundesgebiet August 1951, Allensbach 1951, S. 5.

  26. Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, Jahrbuch der öffentlichen Meinung, Bd. 1: 1947–1955, Allensbach 1956, S. 145.

  27. Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, Der 20. Juli 1944. Ergebnisse einer Bevölkerungs-Umfrage über das Attentat auf Hitler, Allensbach 1970, S. 2.

  28. Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach, Der Widerstand im Dritten Reich. Wissen und Urteil der Bevölkerung vor und nach dem 40. Jahrestag des 20. Juli 1944, Allensbach 1985, Tabelle 20.

  29. Vgl. Die Umfrageergebnisse in: Der Spiegel, Nr. 29 vom 12.7.2004, S. 44.

  30. Vgl. Peter Steinbach, "Stachel im Fleisch der deutschen Nachkriegsgesellschaft". Die Deutschen und der Widerstand, in: APuZ, (1994) 28, S. 3–14.

  31. Die Rollkommandos der Rufmörder, in: Der Telegraf, 12.11.1958, Ausgabe A.

  32. Vgl. Loretana de Libero, Trentzsch, die Bundeswehr und das Attentat auf Hitler, in: Helmut R. Hammerich/Rudolf Schlaffer (Hrsg.), Militärische Aufbaugenerationen der Bundeswehr 1955 bis 1970. Ausgewählte Biografien, München 2011, S. 181ff.; Claus von Rosen (Hrsg.), Wolf Graf Baudissin. Der Widerstand. "… um nie wieder in die ausweglose Lage zu geraten …". Ansprachen – Reden – An- und Abmerkungen aus Anlass des 20. Juli 1944, Berlin 2014.

  33. Vermächtnis ist der Sinn der Tat, nicht deren Ausgang. Gedenkrede des bayerischen Ministers für Justiz a.D. Josef Müller am 20.7.1959 im Ehrenhof des Bendlerblocks in der Stauffenbergstraße, Berlin, Externer Link: http://www.20-juli-44.de (6.6.2014).

  34. Frankfurter Rundschau vom 19.7.1960.

  35. Rheinischer Merkur vom 22.7.1960.

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Dr. phil., geb. 1957; apl. Professor am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin; Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Stauffenbergstraße 13–14, 10785 Berlin. E-Mail Link: tuchel@gdw-berlin.de