Als Schlussakt des Kalten Krieges gilt das Jahr 1989: Der Runde Tisch in Polen, die "samtene Revolution" in der Tschechoslowakei, der Fall der Berliner Mauer und der Sturz des rumänischen Diktators Nicolae Ceaușescu sind nur einige Hinweise auf eine dichte Zeit des Wandels. Zur "Zäsur 1989" werden auch die Reformen unter Michail Gorbatschow, die deutsche Einheit sowie das Ende der Sowjetunion 1991 gezählt. Im Zentrum der 1989er Jahre steht also zunächst eine kurze Zäsur, die den Zeitraum von 1989 bis 1991 zum Schwerpunkt hat.
Grundlegend hat Martin Sabrow zwischen der zeitgenössischen "Erfahrungszäsur" einerseits und der retrospektiven, historiografischen "Deutungszäsur" andererseits unterschieden. Die erste reflektiert das Verhältnis von geschichtlichem Ereignis und persönlicher Wahrnehmung und bietet Orientierung in Bezug auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Die zweite diskutiert Zugänge zum Umgang mit grundlegenden, verdichteten oder beschleunigten Übergängen sowie, in ihrem abschließenden und zugleich eröffnenden Charakter, Perspektiven auf eine sinnvolle Periodisierung von Geschichte. Rückblickend bringen Narrative, also sinnstiftende Interpretationen, die Bedeutung von Zäsuren auf eine Formel. In der Zeitgeschichte ist das besonders deshalb bemerkenswert und schwierig gleichermaßen, da sich hier häufig Erfahrungs- und Deutungszäsuren überschneiden. In dem Bestreben, der "Zäsur 1989" einen solchen sinnstiftenden Namen zu geben, haben Wissenschaftler vom "Ende der Geschichte" (Francis Fukuyama), vom Abschluss des "kurzen 20. Jahrhunderts" (Eric Hobsbawm) oder vom "Jahr der Wunder" (Timothy Garton Ash) gesprochen.
All diese Formulierungen erkennen die Zeit um 1989 als historisch relevante Zäsur an. Ihnen ist überdies gemein, dass sie 1989 vorwiegend als Einschnitt wahrnehmen, der den europäischen Kontinent, eingerahmt von den beiden Großmächten UdSSR und USA, grundlegend veränderte. Während sich Forscherinnen und Forscher mittlerweile zwar zunehmend die Frage stellen, ob die "Zäsur 1989" denn auch Auswirkungen auf Westeuropa gehabt habe, sind globalgeschichtliche Arbeiten noch immer ein Randphänomen. Der Schwerpunkt liegt allerdings auch hier auf dem politikgeschichtlichen Wandel. Kurz gesagt: Die Forschung zu "1989" ist in ihrer Tendenz häufig noch zu kurzfristig oder räumlich wie thematisch zu reduziert angelegt. Zeit also, sich mit neuen Perspektiven zu beschäftigen und Europa für das Jahr 1989 nicht nur zu historisieren, sondern auch zu "provinzialisieren"? In Zeiten der Schlagworte "Globalisierung" und "Globalgeschichte" ist es nicht nur legitim, sondern dringend ratsam, die Frage zu stellen: Gibt es eine globale Relevanz der "Zäsur 1989"? Und wenn ja, wie kann man sich ihr nähern?
Dabei sollte es nicht darum gehen, eine universell gültige Zäsur zu konstruieren, deren Ursprung in der altbekannten Vorstellung einer nachholenden Modernisierung nach dem Maßstab eines westlich definierten Entwicklungsparadigmas liegt. Auch kann es kein Ziel sein, allein mit der räumlich weiten Quantität bedeutsamer Ereignisse die Globalität einer Zäsur zu begründen. Stattdessen versteht sich die globalgeschichtliche Perspektive als "Ansatz, der die synchrone, aber polyzentrische Verflechtung verschiedener Modernen in den Mittelpunkt rückt" und dabei die Dominanz der nationalen Kategorie zu überwinden sucht. Ist die "Zäsur 1989" also eine "Schlussszene, die die nationale wie globale Geschichte neu justierte"? Im folgenden Beitrag konzentriere ich mich nicht auf mögliche Wandlungsursachen, sondern auf 1989 als Ausgangspunkt für Veränderungen von möglicherweise globaler Reichweite. Drei Fragen sollen dabei im Vordergrund stehen: Was passierte in der Welt um 1989 (Ereignisse)? Wie lassen sich diese Ereignisse im Rahmen der "Zäsur 1989" deuten (Narrative)? Und: Inwiefern lassen sich hier globale Wechselwirkungen in den Blick nehmen (Perspektiven)?
Jahr der Polyvalenz
Zu den prominentesten Ereignissen außerhalb Europas um das Jahr 1989 zählen sicherlich die Freilassung Nelson Mandelas aus seiner fast drei Jahrzehnte andauernden Haft und das verkündete Ende der Apartheid in Südafrika, aber auch das Massaker an studentischen Demonstrantinnen und Demonstranten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. In China stärkte die Führung der kommunistischem Partei ihren Einfluss in der Folge der Ereignisse von Tian’anmen. In Afrika kam es dagegen zu Unabhängigkeiten (Namibia) und zum Truppenabzug (Angola). Sierra Leone allerdings, Algerien, Liberia oder Ruanda belasteten in den Folgejahren teils unerwartete Gewaltausbrüche.
Diese Beispiele zeigen bereits die Uneinheitlichkeit der globalen Entwicklungen auf. Deutlich wird dies auch mit Blick auf Mittel- und Südamerika: Der gewaltvolle Caracazo-Aufstand in Venezuela und der US-amerikanische Militäreinsatz in Panama standen den ersten freien Wahlen in Chile nach Jahrzehnten der Diktatur und dem Ende des Contra-Krieges in Nicaragua gegenüber. Ein Militärputsch entmachtete den paraguayischen Diktator Alfredo Stroessner, wohingegen der argentinische Präsident Raúl Alfonsín aufgrund von Inflation und Wirtschaftskrise zurücktrat.
So auch in anderen Weltregionen: Auf den Abzug der sowjetischen Truppen in Afghanistan folgte keine Befriedung, sondern innere Konflikte sowie "ein Ringen zwischen den Nachbarstaaten um Einfluss und Vorherrschaft", wie etwa von Iran, Pakistan oder Usbekistan. Das militärische Eingreifen der USA und ihrer Verbündeten machte aus der vom Westen zunächst wenig beachteten südlichen Peripherie der ehemaligen Sowjetunion mittlerweile ein globales Konfliktzentrum. Die Destabilisierung der Region wurde durch den Aufstieg der Taliban, durch die Gründung von al-Qaida und nicht zuletzt durch den Kaschmir-Aufstand verstärkt. Pakistans Zukunft stand im Zeichen der neuen Premierministerin Benazir Bhutto und die des Irans unter dem Eindruck des Todes von Staatsoberhaupt Ruhollah Khomeini, als 1990 in dessen Nachbarland Irak der zweite Golfkrieg ausbrach.
Deutungen der "Zäsur 1989"
1989 war ein Jahr der Bewegung, aber auch eines der Widersprüche. Der Blick über den Rand Europas hinaus zeigt die Komplexität dieser Zeit. Narrative wie das der "demokratischen Revolution" dagegen sind eingängig – ihre Anziehungskraft ist groß und ihre Übernahme als globale Meistererzählung für die "Zäsur 1989" verlockend. Wie aber verhalten sich solche gefestigten Deutungen, die vom Ende der bipolaren Weltordnung und offener Grenzen über Demokratisierung, Liberalisierung und Globalisierung bis hin zur Vorstellung eines friedlichen Umbruchs reichen, zu Entwicklungen außerhalb Europas?
Nach dem Ende des Kalten Krieges entstanden zunächst euphorische Erwartungen an eine neue Weltordnung. Deutlich machte dies der US-amerikanische Präsident George Bush, der 1990 vor den Vereinten Nationen seine Vision von einer freien Welt verkündete. Gleichzeitig wurden Stimmen laut, die von einer unipolaren Weltordnung unter der nun einzig verbliebenen Supermacht, den Vereinigten Staaten, sprachen. Die Vereinigung Europas – in der Folgezeit sogar unter dem Dach der gerade gegründeten Europäischen Union (EU) – sowie die weltweiten politischen und ökonomischen Transformationen nach westlichem Modell verstärkten das Bild einer globalen Vereinheitlichung. Wie bereits jenes der zweigeteilten Welt eine Reduktion der zeitgenössischen Wirklichkeit darstellte, so entwickelte sich aus diesem Erfahrungsraum heraus ein an dieser Zweiteilung ausgerichteter Erwartungshorizont. Das bedeutete freilich nicht, dass nun ein Ganzes entstand: Gerade weil die Umbrüche um 1989 so unerwartet kamen, führte das in der Folge auch zu Verunsicherungen. Was häufig unter dem Schlagwort der Liberalisierung zusammengefasst wurde – Meinungsfreiheit, Freizügigkeit, Marktwirtschaft und demokratischer Pluralismus – überforderte viele gerade aufgrund der Offenheit der neuen Situation. Der Politikwissenschaftler John Mearsheimer kündigte bereits 1990 an, dass wir die Gewissheiten des Kalten Krieges bald vermissen würden. Das "Verunsicherungspotential", das die "Zäsur 1989" in sich trug, zeigte sich rasch nach dem Abschwellen der ersten Begeisterung über die demokratischen Erhebungen und ließ die neue Weltordnung als "chaotic disorder" erscheinen. Rasch wurde deutlich, dass man nun mit noch nicht abzusehenden Dynamiken umzugehen hatte. Neue Zentren und neue Peripherien entstanden, andere rückten nun, da die Vorstellung einer zweigeteilten Welt sie nicht mehr überdeckte, wieder ins Blickfeld.
Im Bewusstsein über die Offenheit der Situation zeigte sich rasch das Bedürfnis nach neuen Definitionen und Grenzziehungen in der Welt. Diese vollzogen sich – parallel zur Umsetzung der Freizügigkeit innerhalb Europas – in zweierlei Hinsicht: Erstens entstanden neue Zäune und Mauern, vor allem entlang der EU-Außengrenze sowie zwischen den USA und Mexiko. Gemeinsam mit einer protektionistischen Handels- und Migrationspolitik erschufen sie gated communities, in welchen sich die wohlhabenden Industriestaaten vor ökonomischen, sozialen und politischen Bedrohungen der restlichen Welt zu schützen versuchten. Infolge dessen verschoben sich auch globale Fluchtwege, was wiederum Auswirkungen auf die Wahrnehmung von Migration und Fremdheit in Transitstaaten und Aufnahmegesellschaften hatte. Alte Mauern blieben überdies bestehen: Korea ist bis heute – trotz des 1991 geschlossenen Nichtangriffspaktes – ein geteiltes Land, und auch dem Nahostkonflikt verschaffte das Ende des Kalten Krieges keine neuen Lösungswege. Zweitens verstärkten sich durch den Wegfall der kommunistischen Alternative weltweit kulturelle Grenzwahrnehmungen: Der Historiker Frank Bösch diagnostizierte bereits für die späten 1970er Jahre eine "Rückkehr der Religion" auch in ihrer politischen Bedeutung; nun avancierte der Islam ab den frühen 1990er Jahren – gestützt durch die einprägsame Formel vom "Clash of Civilizations" (Samuel Huntington) – zur vermeintlichen Gegenideologie einer sich als frei und demokratisch verstehenden westlichen Welt. Diskussionen um den Universalismus der Menschenrechte trafen auf kulturrelativistische Positionen. Gleichzeitig mit der Hinwendung verschiedener afrikanischer Staaten, etwa Sudans oder Somalias, zum politischen Islam, begaben sich der "alte Westen" und das "neue Europa" nach 1989 auf die Suche nach einer kulturellen und religiösen Identität, die im Innern integrierend und nach außen abgrenzend wirken sollte. Der Anschlag auf das New Yorker World Trade Center am 11. September 2001 verfestigte diese neue Weltenteilung weiter, die auch als westliche Suche nach einem neuen Antagonisten gedeutet werden kann.
Nach dem Ende der Sowjetunion schlug sich der weltweite Aufstieg des Neoliberalismus zum obersten ökonomischen Prinzip auf allen Kontinenten nieder. Der Sieg der "freien Welt" eröffnete politisch-moralisch legitimierte Handlungsstrategien zum Ausbau des Kapitalismus und seiner Ausweitung besonders auf die südlichen Weltregionen. Gestärkt wurde dies beispielsweise im Washington Consensus, der 1990 in Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Welthandelsorganisation (WHO) und der US-Regierung die ökonomische Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung in Ländern vorgab, deren Wirtschaft vornehmlich durch ihre Schuldenlast gebremst war. Die "Vorstellung von einer anderen Gesellschaft", so erklärte der Historiker François Furet mit Blick auf den Bedeutungsverlust des Kommunismus, sei nach der Zäsur 1989 "praktisch undenkbar geworden". Die Folgen dieser Anpassungspolitik dagegen sind hoch umstritten; die weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrisen der vergangenen Jahre führen außerdem zur Sorge um einen Legitimationsverlust demokratischer Ordnungen. Solche Entwicklungen verdeutlichten auch das Spannungsverhältnis von nationaler Wirtschaftspolitik und globalisierten Märkten. Bereits vor der "Zäsur 1989" bestehende Prozesse erfuhren so eine Beschleunigung, Ausweitung oder größere Sichtbarkeit und der Begriff der "Globalisierung" eine neue Schubkraft. Globale Herausforderungen wie etwa der Klimawandel oder die Knappheit der Ressourcen, aber auch grenzüberschreitende Dynamiken der Massenkultur, des Konsums oder der Kommunikation erhielten eine neue räumliche Dimension. Dennoch sollte die Bedeutung der "Zäsur 1989" hier nicht überbewertet werden: Während seit den späten 1970er Jahren verschiedene solcher Trends transnational wirkten und "die beschleunigte ‚Globalisierung‘ verstärkt wahrnehmbar machten", entstanden nach 1989 vor allem neue Räume und Akteure, die aber wiederum regionalspezifische und teils gegenläufige Dynamiken provozierten.
1989 war ein Jahr der Demokratisierung und Redemokratisierung – aber wie und nach welchem Vorbild? Um 1989 setzten weltweit vielschichtige Reformprozesse ein, doch anstatt eines Modells nach westlich-liberalem Vorbild erwuchsen verschiedene Demokratietypen. Ihr qualitativer Gehalt ließ sich nicht allein an freien Wahlen festmachen. Diktaturen vererbten häufig Elitennetzwerke und Korruption. Dabei entstanden "hybride Regime", die kompetitiv ausgelegt, aber von autoritärer Grundstruktur gezeichnet waren. Statt zu einer flächendeckenden Demokratisierungswelle kam es zudem auch zu Destabilisierungen in scheinbar gefestigten Regionen. In einigen afrikanischen Staaten gingen Demokratisierungsprozesse mit einer Stärkung der sozialen Ungleichheit unter dem Deckmantel einer Re-Traditionalisierung einher. Zuletzt verstärkten sich die bereits vorhandenen Diskussionen im Zuge des "Arabischen Frühlings" um die Frage, ob Demokratisierungen, die nicht mit einer "Verwestlichung" einhergingen, erfolgreich sein könnten. Angesichts dieser Entwicklungen und neuer daraus entstehender Spannungen sprach der US-amerikanische Politikberater Robert Kagan bereits 2008 in Abgrenzung zu Fukuyamas These von einem "Return of History" und der Journalist Josef Joffe jüngst von einer "Rückkehr der Autoritären" nach dem vermeintlichen "Ende der Geschichte" von 1989.
Die auf den weitgehend gewaltfreien Systemwechseln Mittel- und Osteuropas beruhende Vorstellung der friedlichen "Zäsur 1989" trifft von allen dominierenden Narrativen am wenigsten zu, wenn man den Blick räumlich wie zeitlich weitet. Das Ende des Kommunismus bedeutete kein Ende der Gewalt. Belege hierfür finden sich bereits in Europa – vom gewaltsamen Diktatorensturz in Rumänien und den Jugoslawienkriegen, den Anschlägen der IRA in England oder rassistisch motivierten Gewalttaten im gerade vereinten Deutschland bis hin zum Tschetschenienkrieg in den 1990er Jahren. Über die genannten Bürgerkriege und militärischen Interventionen außerhalb Europas hinaus wäre es zudem lohnenswert, mögliche strukturelle Zusammenhänge zwischen neuen Formen der Zwangsmigration (Menschenhandel, Prostitution) und dem Fall des Eisernen Vorhangs zu untersuchen.
Perspektiven und Zugänge
Globale Phänomene sind weder homogen, noch müssen sie "die ganze Welt flächendeckend erfassen", sondern sie entstehen in Wechselwirkung lokaler Prozesse und ihrer überregionalen Vernetzung. Hier gilt es also zunächst, einige Einschränkungen vorzunehmen: Bereits bestehende Prozesse der Technologisierung, der ökonomischen Globalisierung oder der Massenkommunikation verstärkten sich teilweise durch die "Zäsur 1989", teilweise vergrößerten sie ihren Wirkungsradius oder erfuhren eine neue Interpretation. Reformprozesse – wie etwa in Polen, der UdSSR, aber auch die transición in Südamerika hatten zudem schon deutlich vor 1989 begonnen. In manchen dieser Länder waren zudem innere Spannungen ausschlaggebender als überregionale Vernetzungen. Andere Regionen waren kaum oder gar nicht von der "Zäsur 1989" betroffen. Auch stellt sich die Frage, ob imperiale Ordnungen nach 1989 nicht eher Kontinuitäten als Brüche aufzeigten, oder inwiefern Gegentendenzen zu Globalisierungsprozessen aufkamen. Aus welchen Perspektiven heraus ließe sich also ein "globales 1989" untersuchen?
Ein möglicher Zugang sind direkte Bezugnahmen, die etwa verstärkend oder legitimierend wirkten. So erleichterte das Ende des Kalten Krieges dem südafrikanischen Präsidenten Frederik Willem de Klerk, sich dem ANC und Nelson Mandela zu öffnen. Für den Historiker Andreas Eckert stellte die Entlassung Mandelas im Februar 1990 einen "Moment von globaler Bedeutung" dar – das Ende des Kalten Krieges sei aber nur einer der Faktoren für den Wandel des südafrikanischen Regimes und weniger bedeutend als etwa der Soweto-Aufstand von 1976 gewesen. Mandelas Freiheit wurde allerdings weltweit wahrgenommen, und es wäre lohnenswert zu untersuchen, inwiefern Freiheits- und Gerechtigkeitsvorstellungen in anderen Regionen hiervon inspiriert wurden. Die Bedeutung des Massakers von Tian’anmen im Juni 1989 für die SED-Führung und die Oppositionsbewegung in der DDR hat Bernd Schäfer aufgezeigt. Demnach trug die Wahrnehmung der "chinesischen Lösung" zu Solidaritätsaktionen und "zur weiteren Delegitimierung der amtierenden DDR-Führung" bei. Bezüge werden überdies immer wieder zwischen der deutschen und der koreanischen Teilungsgeschichte diskutiert und dienen dem Erfahrungsaustausch wie auch der geschichtspolitischen Selbstpositionierung. War auch der Kaschmir-Aufstand im Wissen um die Ereignisse in Berlin oder Rumänien motiviert? Der Journalist Muzamil Jaleel bezeichnete die Line of Control zwischen Indien und Pakistan als "so etwas wie de(n) Eiserne(n) Vorhang des südlichen Asien"; hier wie auch in China seien die Fernsehbilder aus Europa 1989 verfolgt worden. Es kann also möglich gewesen sein, dass über weite Entfernungen hinweg "das Bewusstsein der Zeitgenossen, einen epochalen Umschwung zu erleben, selbst zum Katalysator des Wandels" wurde und die Ereignisse in Mittel- und Osteuropa wie auch das retrospektive Herstellen solcher Vergleiche das Selbstverständnis in anderen Weltregionen beeinflussten.
Ein weiteres Beispiel stellt der Umgang mit postdiktatorischen und postkommunistischen Vergangenheiten, im Austausch besonders zwischen Südamerika, Afrika und Europa seit den späten 1980er Jahren, dar. Unterschiedliche Umgangsweisen mit Diktaturerfahrungen, beispielsweise durch die Bildung von Wahrheitskommissionen, dienten als transnationale Referenzpunkte in der globalen Entwicklung der transitional justice. Daraus folgte auch eine wechselseitige Beeinflussung nationaler vergangenheitspolitischer Diskurse. Hier eröffnete das Ende des Kalten Krieges auch Handlungsspielräume. Das zeigte sich ebenfalls im neuen Selbstverständnis der Vereinten Nationen, als Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali die historische Chance nutzte und in seiner "Agenda für den Frieden" 1992 mit dem Argument des überwundenen Kalten Krieges "die absolute und exklusive Souveränität" von Staaten für beendet erklärte.
Trotz solcher direkter Bezugnahmen wäre es verkürzt zu behaupten, der Fall der Berliner Mauer habe direkt oder gar ursächlich zu signifikanten weltweiten Veränderungen geführt. Stattdessen gilt es, indirekte und langfristige Wechselwirkungen in den Blick zu nehmen, die bis heute präsent sein können. Wenn man sich also einem "globalen 1989" nähern möchte, so bietet es sich an, die Zäsur nicht als punktuellen Einschnitt, sondern als langen Übergang zu begreifen, der auch Abweichungen und nicht beabsichtigte Folgen mit sich brachte. Der Historiker Karl Schlögel hat das Jahr 1989 als "Marke" beschrieben, "um die herum ein spezifischer historischer Raum zusammenbrach und sich ein ganz neuer zu bilden begann". Dazu gehörte beispielsweise die Verschiebung geopolitischer Interessen der westlichen Industriestaaten an den im Kalten Krieg umkämpften Einflusssphären und eine Neuorientierung der dort gelegenen Staaten jenseits der Kategorien von "West" und "Ost". Das Ausspielen von west-östlichen Konfliktlinien in Afrika endete, und damit wandelte sich auch das Verhalten der betroffenen Staaten gegenüber der "westlichen Welt". Das chinesische Engagement in Afrika und auf der arabischen Halbinsel beeinflusst mittlerweile auch die europäische Politik in diesen Regionen. Ziele, Strategien und Handlungsfelder internationaler Bündnisse wie der NATO mussten neu verhandelt werden. Solche wie auch die oben genannten politischen und ökonomischen Reformen nach der "Zäsur 1989" sollten verstärkt unter dem Aspekt der globalen Vernetzung in den Blick genommen werden. Sie stehen nicht zuletzt im Spannungsfeld der Beständigkeit von mental maps, also wahrgenommener Welt- und Raumordnungen. So zeigt sich 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs: Der Kalte Krieg prägt noch immer Weltvorstellungen und Argumentationsmuster, was aktuell durch die Diskussionen um die Position der Ukraine zwischen Europäischer Union und Russland deutlich wird.
1989 als Moment der Irritation
Die zeitgenössischen Erwartungen an eine gemeinsame, freie Welt stellten sich nach 1989 rasch als Illusion heraus. Festzustellen bleibt: "The post-1989 world has left us ambiguous legacies and no master narratives." Wie aber hat sich die Welt nach 1989 entwickelt? Die Meinungen sind eher kritisch: Im globalen Maßstab habe seit 1989 – trotz aller Veränderungen von regional unterschiedlicher Tiefe und Tragweite – das Kontinuierliche gegenüber qualitativen Veränderungen überwogen. Wenn jedoch weltweite Tendenzen festgestellt werden, überwiegt der skeptische Blick: Aus der Demokratisierungswelle seien eine demokratische Legitimationskrise und der Aufstieg autoritärer Regime, aus der Globalisierung der Märkte eine weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise entstanden; der Vereinigung Europas stehen mittlerweile neue Bedrohungen gegenüber.
Ist dies nun, nachdem sich die Euphorie und der Optimismus einer nachrevolutionären Zeit gelegt haben, die Zeit der großen Desillusionierung und Enttäuschung? Keinesfalls sollte hier der Rückschluss gezogen werden, alle gegenwärtigen Krisenphänomene seien der "Zäsur 1989" und den damals verpassten Chancen zuzuschreiben. Gleichfalls wäre es verfehlt, die gegenwartsnahe Zeitgeschichte im Sinne einer Ausweitung des Krisennarrativs der 1970er Jahre auf die 1990er Jahre zu deuten. Aber skeptische Einschätzungen demonstrieren auch einen nüchternen Blick auf die globalen Entwicklungen des vergangenen Vierteljahrhunderts, der sich von der mitreißenden Kraft der "demokratischen Revolution" zu distanzieren vermag und das Augenmerk auf komplexe historische Prozesse anstatt auf ein einzelnes Jahr lenkt.
Für eine solche differenzierte Einschätzung bedarf es der Historisierung der "Zäsur 1989" in ihrem breiten räumlichen, thematischen und zeitlichen Kontext. Nur so stellt sich die Zäsurgeschichte 1989 mit ihren Kontingenzen, Widersprüchen und Uneindeutigkeiten genau als das dar, was Zeitgeschichte ausmacht: einen komplexen und vieldeutigen Prozess, um dessen Deutung weiterhin gestritten wird. In der zeitgenössischen Erfahrung gerieten 1989 feste Weltbilder ins Wanken. Gerade aufgrund der unerwarteten Beschleunigung und Verdichtung kann die "Zäsur 1989" aber auch für die Historiografie ein produktives Moment der Irritation darstellen, um vermeintliche Zwangsläufigkeiten und die verlockend klare Zweideutigkeit des Kalten Krieges zu überdenken. 1989 stellte eingeschliffene Wahrnehmungen, feste Grenzziehungen und scheinbare Selbstverständlichkeiten in Frage. Heute bietet die Zäsur die Chance, mehrdeutige Prozesse sichtbar zu machen, das Auftreten neuer Phänomene und Gegenkonzepte in ihren strukturellen Vorbedingungen zu untersuchen und – gerade im globalen Blick – Perspektiven aufzubrechen, ohne sie freilich unter der Sogwirkung der "Zäsur 1989" zu überdeuten. Erkenntnisse solcher Untersuchungen könnten wiederum positiv auf verfestigte nationale und europäische Sichtweisen rückwirken und neue Fragen an eine Zäsur stellen, die noch lange nicht "ausgeforscht" ist – weder in Europa noch darüber hinaus.