Um die Revolutionen von 1848/49 ist es ruhig geworden. Eine französische Überblicksdarstellung sprach 2009 von einer "vergessenen Revolution".
Auf dem historischen Buchmarkt zeigt sich ein ähnliches "Weiter so". Von einigen einschlägigen Forschungsmonografien und -handbüchern erscheinen überarbeitete Neuausgaben,
Im Folgenden soll der aktuelle Stand der deutschsprachigen Forschung vor dem Hintergrund ihrer langfristigen Entwicklung erörtert werden. Weniger als um bibliografische Vollständigkeit geht es darum, die sich wandelnden Fragen hervorzuheben, die in den vergangenen 175 Jahren an die Revolutionen von 1848/49 gestellt wurden.
Postrevolutionäre Deutungskämpfe
Die publizistischen Auseinandersetzungen, die das Revolutionsgeschehen 1848/49 begleitet hatten, gingen unmittelbar in die geschichtspolitischen Debatten der postrevolutionären Ära über. Den deutschen Obrigkeiten galt 1848/49 als "tolles Jahr", dessen Entgleisungen schnellstmöglich rückgängig gemacht werden mussten. Ihnen standen allerdings die Achtundvierziger selbst gegenüber, die durch die Publikation von Memoiren oder historischen Retrospektiven um ihren Ruf kämpften.
Neben der Legitimität der revolutionären Ziele und Taten stand in diesen Debatten die Frage nach den Ursachen des Scheiterns im Vordergrund. Auf linker Seite des politischen Spektrums orientierte man sich langfristig an der von Karl Marx und Friedrich Engels vertretenen Sicht, dass die revolutionäre Energie der Massen in der Zaghaftigkeit des Bürgertums versandet sei. Vor allem die Frankfurter Nationalversammlung erschien ihnen als "bloßer Debattierklub (…) bestehend aus einer Ansammlung leichtgläubiger Tröpfe, die sich von den Regierungen als parlamentarische Marionetten mißbrauchen ließen".
Links wie rechts ging man also gleichermaßen davon aus, dass die Revolution in einer Politik der bloßen Worte erstickt sei, der nun endlich eine Politik der Taten folgen müsse. Als Johannes Scherr, der 1848 selbst als Abgeordneter im Württembergischen Landtag aktiv gewesen war und es inzwischen zum Geschichtsprofessor in Zürich gebracht hatte, 1868 seine Revolutionsdarstellung im Untertitel als "Komödie der Weltgeschichte" bezeichnete, traf er den Ton vieler Zeitgenossen.
Abgesehen von den unterschiedlichen politischen Perspektiven wurden die frühen Debatten um die Bedeutung von 1848 maßgeblich vom repressiven Klima in den postrevolutionären Staaten bedingt, deren Zensur die Verbreitung von vielfach im Exil verfassten revolutionsfreundlichen Deutungen zwar nicht grundsätzlich verhindern, aber doch erheblich erschweren konnte. Das galt zumal für die akademische Geschichtswissenschaft. Die ehemaligen Paulskirchenabgeordneten Wilhelm Zimmermann und Karl Hagen wurden wegen ihrer allzu "differenzierten" Revolutionsgeschichten aus dem Dienst der Universitäten Stuttgart respektive Heidelberg entlassen.
Das Kaiserreich als Gegenmodell
Nach der Reichsgründung wirkten diese Tendenzen weiter. Vereinzelte Alt-Achtundvierziger, wie der ehemalige Präsident der Frankfurter Nationalversammlung Eduard von Simson, sahen ihre früheren Ziele im Bismarck'schen Reich verwirklicht. Mehrheitlich wurde das Kaiserreich jedoch als endgültige Beseitigung der revolutionären Verirrungen und Illusionen betrachtet. Nach den erfolgreichen Einigungskriegen und der Reichsgründung von oben erschien Bismarcks zynischer Kommentar zum "Fehler von 1848 und 1849", dass die großen Fragen der Zeit nun einmal "nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse", sondern durch "Eisen und Blut" entschieden würden, plausibel.
Die Folge war, wenn nicht gar eine Verdrängung, so doch ein eher herablassender Umgang mit der revolutionären Vergangenheit. Als der Leiter der Preußischen Staatsarchive, Heinrich von Sybel, der Revolution einen etwa 200-seitigen Abschnitt seiner siebenbändigen Geschichte der Reichsgründung widmete, betonte er ihre Irrtümer und Widersprüche, die in ihrem "jämmerlichen" Scheitern gegipfelt seien. Allerdings gestand er der Frankfurter Nationalversammlung zu, den ersten "Samen einer großen Zukunft" ausgeworfen zu haben, der im Nationalstaat seine Erfüllung gefunden habe.
"Die deutsche Revolution hat ihren Historiker noch nicht gefunden", stellte der Leipziger Ordinarius Erich Marcks im Jubiläumsjahr 1898 fest. Er beobachtete, dass die Revolutionsjahre auf jüngere Zeitgenossen inzwischen den "Eindruck von etwas entschieden Fremdem" machten. Allerdings begrüßte der Neo-Rankeaner diese Distanz als Chance. Er forderte, die Revolution endlich "nicht mehr als einen Teil der Gegenwart zu behandeln, dessen Tugenden oder Fehler wir eben heraussuchen um sie für uns selber noch nutzbar oder um sie unschädlich zu machen; sondern als Vergangenheit".
Historiografische Kontroversen seit der Weimarer Republik
Eine genuin historische Auseinandersetzung mit den Revolutionen, die über die unmittelbaren zeitgenössischen Deutungskämpfe hinausging, setzte erst in der Weimarer Republik ein. Auch hier blieb die aktuelle politische Konstellation entscheidend für die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Revolution. Im Kontext von 1918/19 waren Rückbezüge auf die Ereignisse von 1848/49 kurzfristig wieder brisant geworden. Während sich daraus für Teile der Weimarer Linken ein durchaus positives Revolutionsgedächtnis ergab, bildete die Verkopplung von 1918/19 und 1848/49 auf rechter Seite eher einen weiteren Anlass, die beiden Revolutionen gleichermaßen abzulehnen. Nicht zuletzt auch in der konservativ geprägten Geschichtswissenschaft blieb eine klassische Sicht dominant, die auf nationalstaatliche und außenpolitische Themen fokussiert war und der idealistischen Professorenpolitik der Paulskirche die machtstaatliche Realpolitik der Fürsten gegenüberstellte.
Neue Impulse kamen von Außenseitern wie dem Frankfurter Archivar Ludwig Bergsträsser und dem Marcks-Schüler Veit Valentin, dessen Lehrbefugnis an der Universität Freiburg wegen eines Konflikts mit dem Alldeutschen Verband aberkannt worden war. Besonders Valentins "Geschichte der Deutschen Revolution von 1848–49" gilt bis heute als entscheidendes Grundlagenwerk.
Nach dem Zweiten Weltkrieg ordnete sich die Forschung im Rahmen des Jubiläumsjahres 1948 zunächst wieder in altbekannte Bahnen ein. Namhafte Historiker wie Friedrich Meinecke legten den Akzent auf den Kampf um die liberalen Grundrechte, die sie in der Nachkriegsordnung endlich verwirklicht sahen.
Schon in der unmittelbaren Nachkriegszeit zeichneten sich damit zwei Debatten ab, die in der Folge verstärkt in den Fokus rücken würden. Einerseits erschien vor dem Hintergrund der jüngeren Vergangenheit die schon von Heinrich Mann popularisierte Vorstellung, dass die gescheiterte Revolution dem liberalen Bürgertum im deutschen Raum das Genick gebrochen und einem servilen Untertanengeist den Weg freigeräumt habe, als entscheidender Moment in der Vorgeschichte des deutschen Untergangs. Britische Historiker wie Lewis Namier und A.J.P. Taylor betrachteten 1848 als Moment, in dem die deutsche Geschichte "reached its turning-point and failed to turn": "it recapitulated Germany's past and anticipated Germany's future. Echoes of the Holy Roman Empire merged into a prelude of the Nazi 'New Order'."
Andererseits lag ein neuer Schwerpunkt auf den inneren Widersprüchen der Revolution. Schon zuvor waren die Gegensätze zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft sowie zwischen Barrikadenkampf und Parlamentarismus als zentral für die Revolutionsdynamik betrachtet worden. Im beginnenden Kalten Krieg erhielten solche Gegensätze aber eine neue, geopolitische Dimension. Wie es Hans Rothfels ausdrückte: "the antithesis of Frankfort-Berlin has (…) taken on a world-wide meaning".
Als die Geschichtswissenschaften in DDR und Bundesrepublik weitgehend eigene Wege gingen, schlug sich die Systemkonkurrenz zeitweilig in einer Art historiografischer Arbeitsteilung nieder. Während in der DDR das Herz der Revolution auf der Straße, in den Barrikadenkämpfen in Berlin im März 1848, im Heckerzug in Baden und in den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Leipzig und Dresden im Jahr 1849 verortet wurde, lag der Fokus der bundesrepublikanischen Geschichtswissenschaft auf der Frankfurter Nationalversammlung und den verfassungsrechtlichen Traditionslinien, die von der Reichsverfassung vom 28. März 1849 zum Grundgesetz der Bundesrepublik von 1949 führten.
Diese Situation wandelte sich jedoch mit dem Aufstieg der Historischen Sozialwissenschaft ab den 1970er Jahren. Unter dem Schlagwort der "Gesellschaftsgeschichte" wurden die strukturgeschichtlichen Impulse der Weimarer Zeit wieder aufgegriffen. Daraus ergab sich eine verstärkte Berücksichtigung der sozialen und wirtschaftlichen Hintergründe der Revolution, während statistische Untersuchungen eine präzisere Sicht auf das Spektrum revolutionärer Akteure ermöglichten. Organisations- und mediengeschichtliche Ansätze nahmen die Eigendynamik von Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft in den Blick.
Über die theoretischen und methodischen Innovationen hinaus hatte die Revolution von 1848/49 für die Historische Sozialwissenschaft auch thematisch eine Schlüsselstellung, insofern sie es sich zur Aufgabe ihrer "kritischen" Geschichtsschreibung machte, die strukturellen Ursachen der deutschen Katastrophe ausfindig zu machen. Die Frage nach dem deutschen "Sonderweg" griff dabei auf ältere Deutungen zurück, stand als neues Schlagwort in den 1980er und 1990er Jahren aber an der Basis einer intensivierten Auseinandersetzung mit den langfristigen Kontinuitäten der deutschen Geschichte.
Die Impulse der sozialhistorischen Revolutionsgeschichte wurden in den folgenden Jahrzehnten weiter vertieft, aber auch kritisch erweitert. Im Rahmen der kulturgeschichtlichen Wende wurde eine stärkere Berücksichtigung des Sprachgebrauchs, der Ikonografie und der symbolischen Praktiken der Revolution eingefordert.
1998/99 und danach
Zumindest quantitativ erreichte die Aufmerksamkeit für 1848 in den Jahren 1998/99 einen Höhepunkt. Die Revolutionsforschung wurde zum Schlachtfeld, auf dem die Grabenkämpfe zwischen der klassischen Verfassungsgeschichte, der Historischen Sozialwissenschaft und der neueren Kulturgeschichte ausgefochten wurden. Neben dem runden Jubiläum trug zur öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema auch die geschichtspolitische Lage Deutschlands nach der Wiedervereinigung bei, in der eine Rückbesinnung auf die langfristige Demokratiegeschichte im deutschen Raum mit der Suche nach gemeinsamen, in Ost wie West gleichermaßen anknüpfungsfähigen Gedächtnisorten verbunden wurde.
Die Masse an neuen Publikationen stellte die Vielfalt unterschiedlicher Ansätze unter Beweis. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf den Räumen der Revolution und ihren Verbindungen untereinander. Einerseits wurden die Eigenlogiken unterschiedlicher revolutionärer Arenen – vom Wahllokal zur Barrikade und vom Plenarsaal zum Wirtshaus – vertiefend berücksichtigt. Andererseits wurde nach Verbindungen zwischen den lokalen, regionalen, nationalen und übernationalen Perspektiven gesucht. Erstmals gelang es, lokalhistorische Initiativen stärker mit der eher national orientierten Perspektive der akademischen Geschichtswissenschaft zu verknüpfen. Gleichzeitig wurde die nationalgeschichtliche Engführung der Revolutionsgeschichte problematisiert und die Frage aufgeworfen, ob von einer Vielzahl von Revolutionen im europäischen Raum oder vielmehr von einer übergreifenden europäischen Revolutionsdynamik gesprochen werden müsse. In Ermangelung genauerer Erkenntnisse über die Verflechtungen zwischen den verschiedenen europäischen Revolutionsschauplätzen blieb diese Debatte zu diesem Zeitpunkt jedoch relativ abstrakt.
Wie die Hochkonjunktur der Jahre 1998/99 hatte auch das nachlassende Interesse an den Revolutionen von 1848/49 danach teilweise innerwissenschaftliche Gründe. Der gigantische Forschungsboom der Jahrtausendwende erwies sich jetzt in mancher Hinsicht als Hürde. Viele Themen galten als "ausgeforscht", die Ergebnisse in monumentalen Werken "kanonisiert"
Natürlich kam die Forschung nicht vollends zum Erliegen. Auch in den vergangenen Jahrzehnten erschien eine Vielzahl neuer Publikationen, die die Forschung punktuell weiterentwickelten, auch wenn ihnen nicht immer die gebührende Aufmerksamkeit zuteilwurde. Besonders in Dissertationen wurden dabei durchaus eklatante Forschungslücken beseitigt.
Dies galt etwa für die biografischen Arbeiten, die über die bekannten Schlüsselfiguren hinaus inzwischen auch Persönlichkeiten der zweiten und dritten Reihe in den Blick nehmen und so zu einem differenzierteren Verständnis revolutionärer Erfahrungs- und Handlungsräume
beitragen.
Und heute?
Zum Zeitpunkt der Niederschrift dieser Zeilen, vor Anfang des Jubiläums, lassen sich die von ihm ausgehenden Impulse schwer vorhersagen. Doch zeichnen sich aktuell zumindest zwei Tendenzen ab, die mit ziemlicher Sicherheit größere Aufmerksamkeit generieren werden.
Die räumliche Blickerweiterung geht dabei auch mit neuen Periodisierungen einher. Neuere Arbeiten verorten die Revolutionen von 1848/49 stärker als zuvor im Revolutionszeitalter ab 1789 oder sogar 1776 – wodurch Verbindungen zu einem international hochdynamischen Forschungsfeld entstehen.
Der zweite erwartbare Schwerpunkt ist nicht eigentlich neu, sondern bildet eine Weiterführung der Debatten, die in der Bundesrepublik spätestens in den 1970er Jahren einsetzten, als Bundespräsident Gustav Heinemann mit der Einrichtung einer Gedenkstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt deutlich machen wollte, "daß unsere heutige Verfassung durchaus eigenständige Wurzeln hat und nicht nur eine Auflage der Sieger von 1945 ist".
Auch wenn solche Erzählungen keineswegs unkritisch oder gar naiv daherkommen, liegt ihr Schwerpunkt doch in der Würdigung der Errungenschaften, die von der Revolution trotz ihres Scheiterns geblieben sind. Dieselbe Qualität, die sie für ein breites Publikum leicht verdaulich und für eine staatliche Gedächtnispolitik anschlussfähig macht, fordert aber auch immer wieder skeptische Gegenstimmen heraus. So hat etwa Manfred Hettling nach dem großen Jubiläumsjahr 1998/99 darauf hingewiesen, dass die Suche nach demokratischen Traditionen nicht ohne thematische Engführungen auskommt. Nicht nur, weil dabei aus dem komplexen Zusammenhang der Revolution nur ausgewählte, aktuell schmackhafte Elemente hervorgehoben werden, sondern auch, weil so die Zeit zwischen Vorgeschichte und Gegenwart auf bloße Zwischenstationen reduziert wird.