1848 und 1849 erschütterten Revolutionen und Proteste ganz Europa, von Paris bis Krakau, von Kopenhagen bis Palermo.
Dass in einem so kurzen Zeitraum so viele Länder in fast jedem Winkel des Kontinents betroffen waren, wirft die Frage auf, inwieweit man 1848/49 weniger als Häufung nationaler Revolutionen betrachten sollte, sondern vielmehr als eine europäische Revolution. Dies führt wiederum zu der noch größeren Frage, ob die europäische Vergangenheit eine gemeinsame, geteilte Erfahrung ist oder ob jedes Land seine eigene Geschichte hat, eine nationale Vergangenheit mit einzigartigen Erfahrungen. Unabhängig davon, wie man die Ereignisse betrachtet, bleibt die Tatsache, dass 1848 eine Reihe miteinander verbundener Revolutionen stattfand, die – wie sich anhand ihrer Entstehung und ihres Verlaufs zeigt – ganz ähnlichen Mustern folgten. Damit bildet diese Kaskade von Revolutionen ein Vermächtnis, das für Europa auch heute noch Lehren bereithält.
Ursachen
Unabhängig von ihren jeweils eigenen Merkmalen lassen sich bei den Revolutionen von 1848 in ganz Europa die gleichen lang- und kurzfristigen Ursachen erkennen. Zu ersteren gehörten die Einschränkungen, die die konservative Ordnung in Europa mit sich brachte, das wachsende Selbstbewusstsein der Zivilgesellschaft, das Erstarken der politischen Opposition sowie soziale und wirtschaftliche Veränderungen.
Nach dem Sieg über Napoleon 1815 hatten sich die konservativen Kräfte in Europa bemüht, den allgemeinen Frieden zu wahren und gleichzeitig den revolutionären Herausforderungen des Liberalismus und Nationalismus entgegenzutreten. Monarchien waren wiederhergestellt worden, so auch in Frankreich; Polen war zwischen Russland, Österreich und Preußen aufgeteilt worden; das immer noch geteilte Italien war unter habsburgische Herrschaft gekommen; die 39 deutschen Einzelstaaten hatten sich im Deutschen Bund unter der Hegemonie Preußens und Österreichs neu geordnet; Belgien war Teil der Vereinigten Niederlande geworden und Norwegen an Schweden gegangen, dessen König fortan beide Länder in Personalunion regierte. Diese neue europäische Ordnung umfasste sowohl absolutistische als auch konstitutionelle Monarchien: Die konservativen Kräfte, die von den Erfahrungen mit der Französischen Revolution und Napoleon traumatisiert waren, legten vor allem Wert darauf, radikale und revolutionäre Veränderungen zu verhindern, weil sie befürchteten, dass die daraus resultierende Instabilität ganz Europa erfassen könnte. Tatsächlich besaß diese konservative Ordnung sogar eine gewisse Flexibilität: Sie überstand eine erste Revolutionswelle in den frühen 1830er Jahren, bei der in Frankreich eine Monarchie durch eine andere ersetzt wurde, Belgien seine Unabhängigkeit errang und Griechenland sich nach fast zehn Jahren Krieg aus dem Osmanischen Reich lösen konnte. Gleichzeitig wurden Revolutionen in Italien und Polen niedergeschlagen. Die konservative Ordnung hatte jedoch auch ihre Grenzen, wie ihre repressive Natur zeigt: In ganz Europa bestanden strenge Zensurvorschriften und Einschränkungen für politische Aktivitäten. Das liberale Streben nach einer Verfassung, nach größeren politischen Freiheiten und nach nationaler Unabhängigkeit und Einheit wurde unterdrückt.
Eine weitere langfristige und weitgehend europäische Ursache der Revolutionen von 1848 war das Wachstum der Zivilgesellschaft, angetrieben von den Forderungen einer immer größer werdenden Öffentlichkeit, die sich aus der gebildeten Mittelschicht zusammensetzte, aber auch aus Handwerkern und Arbeitern mit Zugang zu Kultur in Form von Zeitungen, Büchern, Theater, Oper, Kultur- und Sportvereinen sowie wissenschaftlichen Gesellschaften. Diese kritische Öffentlichkeit war zunehmend frustriert über die strenge Zensur, den Mangel an politischer Freiheit und die fehlende Möglichkeit, ihrem überbordenden Patriotismus Ausdruck zu verleihen. Aus diesen Missständen nährte sich die Opposition. Den meisten Liberalen wäre es vermutlich lieber gewesen, ihre konstitutionellen Ziele mittels friedlicher Reformen zu erreichen, andere waren jedoch auch zu radikaleren Aktionen bereit, vor allem, wenn legale, friedliche Maßnahmen durch die Regierung beschnitten wurden. So sah etwa Giuseppe Mazzini in Italien, wo abweichende Meinungen unterdrückt wurden, keine andere Möglichkeit als den Aufstand, weshalb er 1831 die Organisation La Giovine Italia (Junges Italien) gründete, die sich der Revolution und dem Kampf für eine freie italienische Republik verschrieb.
Die sozialen und wirtschaftlichen Umbrüche, die sich hauptsächlich in Form von Armut auf dem Land und in den Städten manifestierten, waren ein weiterer langfristiger Auslöser der Revolution. Das Elend war in erster Linie darauf zurückzuführen, dass die Bevölkerung in Ost- und Mitteleuropa seit Mitte des 18. Jahrhunderts stark angestiegen war, es aber kein nachhaltiges Wirtschaftswachstum gab, das ihnen Arbeit ermöglicht hätte, um sich zu ernähren. Das verarbeitende Gewerbe profitierte von der Nutzung der Kohle und Dampfmaschinen und neuen, kostengünstigen Produktionsformen. Doch vor 1850 überstieg die Produktion von Industriegütern die Kaufkraft der europäischen Verbraucher, sodass die Wirtschaft starke Auf- und Abschwünge durchlief. Diese Rezessionen zogen Mitte bis Ende der 1840er Jahre eine katastrophal hohe Arbeitslosigkeit nach sich. Eine weitere Folge war der Ruin vieler traditioneller, in kleinem Maßstab produzierender Betriebe und Handwerker. Die verarbeitende Industrie bot zwar höhere Einkommen als die Landwirtschaft, doch in den Städten mangelte es an Wohnraum und Infrastruktur, um die wachsende städtische Bevölkerung zu versorgen. In den 1840er Jahren schien die Kapazität der Landwirtschaft, die wachsende Bevölkerung zu ernähren, in vielen Teilen Europas an ihre Grenzen zu stoßen. Ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung lebte in Elend und bitterer Armut. Entsprechend begannen einige radikale Denker, nicht nur über neue Verfassungen, sondern auch über weitreichende soziale Veränderungen durch Reformen oder Revolutionen nachzudenken. Ihre Ideen für mehr wirtschaftliche Gleichheit wurden als "sozialistisch" bezeichnet, weil sie der Lösung der "sozialen Frage" und der Bekämpfung der Armut Vorrang vor dem Streben nach politischen Rechten, Verfassungen und Demokratie einräumten.
Zu den kurzfristigen Ursachen der Revolutionen von 1848 zählt vor allem die soziale Krise Mitte der 1840er Jahre. Nicht umsonst gingen diese Jahre als "Hungerjahre" oder im Englischen als hungry forties in die Geschichte ein: Die Hungersnot war die Folge der gravierendsten Wirtschaftskrise des 19. Jahrhunderts. Eine Pilzerkrankung vernichtete die Kartoffelernten in Europa, indem sie die Kartoffeln, ein Grundnahrungsmittel der arbeitenden Bevölkerung, ungenießbar machte. In Irland kam es zu einer furchtbaren Hungersnot, doch die Auswirkungen der Kartoffelfäule waren auch in anderen Ländern zu spüren und wurden 1846 noch zusätzlich durch den Ausfall der Weizen- und Roggenernten verschärft. Die Todeszahlen stiegen, und es kam zu Unruhen. Vor allem im Deutschen Bund protestierten die Armen bei sogenannten Hungermärschen. Mit den steigenden Lebensmittelpreisen brach das verarbeitende Gewerbe in Europa zusammen, da sich die Menschen den Kauf von Industriegütern nicht mehr leisten konnten. Unternehmen mussten schließen, Arbeiter und Handwerker wurden entlassen und die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft an. Die massive Krise offenbarte, dass die konservativen Kräfte kaum in der Lage und auch nicht sonderlich bereit waren, etwas gegen die Probleme zu unternehmen. Zudem waren die Regierungen in politischer wie militärischer Hinsicht geschwächt, weil aufgrund der Wirtschaftskrise die Steuereinnahmen wegbrachen. Die liberale Opposition nutzte ihre Chance und drängte energisch auf politische Reformen, wobei viele immer noch hofften, einen gewaltsamen Zusammenstoß mit der Obrigkeit zu vermeiden. Doch die Regierungen waren nur selten zu Zugeständnissen bereit, weil sie fürchteten, dass politische Veränderungen im Chaos enden würden.
Verlauf
Trotz der individuellen Entwicklung in den einzelnen Ländern kamen die Revolutionen von 1848/49 unter ähnlichen Umständen zustande und bildeten aufgrund ihrer Verbindungen untereinander eine revolutionäre Kaskade. Sie erfolgten in einem relativ kurzen Zeitraum und nahmen einen weitgehend ähnlichen Verlauf: Auf die Entwicklung revolutionärer Situationen folgten Liberalisierung, dann Polarisierung, dann Reaktion und nach einem radikalen Wiederaufleben schließlich die endgültige Niederlage.
Revolutionäre Situation
Jede Revolution in Europa entstand zunächst aus einer revolutionären Situation heraus. Damit meine ich das Zusammentreffen von Faktoren, die eine potenziell transformative Konfrontation zwischen Obrigkeit und Opposition wahrscheinlich machten. 1848 waren diese Faktoren die soziale Krise, die Unfähigkeit der konservativen Regime, ihr zu begegnen, der Zusammenbruch des Vertrauens in die alte Ordnung, die Mobilisierung der liberalen Gegner und die Weigerung der Regierungen, rechtzeitig Zugeständnisse zu machen. Die soziale und wirtschaftliche Notlage sorgte dafür, dass Angehörige der Arbeiterklasse auf die Straße gingen, um den Forderungen nach einer verantwortungsvolleren Regierung und nach einer Verfassungsänderung Nachdruck zu verleihen. Darüber hinaus konnten sich Nachrichten über eine Revolution mithilfe der Eisenbahn und des wachsenden europäischen Schienennetzes, der Dampfschifffahrt auf Flüssen und entlang der Küsten und der zunehmenden Zahl von Zeitungen schnell verbreiten und den Menschen auch in anderen Ländern vor Augen führen, dass ein Wandel möglich war.
Die ersten Revolutionen fanden im Januar und Februar 1848 in Süd- und Mittelitalien statt. Von besonderer Wirkung waren jedoch der Sturz der französischen Monarchie und die Ausrufung der Zweiten Republik in Paris am 24. Februar sowie die Absetzung Metternichs als Staatskanzler in Wien am 13. März, da sie weitere Proteste in anderen Ländern nach sich zogen. Paris war allein schon aufgrund der inspirierenden Erinnerungen an die Revolution von 1789 wichtig. Wien war entscheidend, weil Metternich als maßgeblicher Architekt der konservativen politischen Ordnung galt. Wenn in Wien, der Hauptstadt eines multinationalen Reiches mitten in Europa, ein politischer Wandel in Gang kam, dann musste er auch in anderen Ländern möglich sein. Durch die Revolution in Wien schien auch wieder ein neues, geeintes deutsches Reich möglich. Während revolutionäre Situationen in den deutschen Mittelstaaten häufig durch Ereignisse in Paris ausgelöst wurden, war es in Preußen die Nachricht vom Umsturz in Wien, die den politischen Druck in Berlin erhöhte, bis er sich schließlich am 18. März in einer Revolution entlud.
Der endgültige Auslöser in einer revolutionären Situation war in der Regel ein konkreter Vorfall, etwa in Paris eine von nervösen Soldaten abgefeuerte Salve, ebenfalls in Paris, aber auch in Berlin, ein von einem Kavalleriepferd niedergerittener Demonstrant, in Neapel und Venedig die Verhaftung oder tatsächlich auch die Freilassung populärer Oppositionsführer oder in Wien ein Befehl an bedrängte Truppen, gegen Protestierende vorzugehen. Liberale aus der Mittelschicht sahen sich dann oft von einer Flut des Volkszorns mitgerissen, wenn ausgehungerte Arbeiter zu den Waffen griffen, Barrikaden errichteten und sich den Regierungstruppen widersetzten.
Liberalisierung
Darauf folgte eine hoffnungsvolle Phase, der sogenannte Völkerfrühling, in dem die überrumpelten Monarchen liberale Minister ernannten, Verfassungen, politische Rechte und Freiheiten versprachen und die nationale Freiheit und Einheit in Aussicht stellten. Die Leibeigenschaft wurde, wo sie noch existierte, abgeschafft – so in Teilen des Habsburgerreiches, etwa in Ungarn und Galizien in der heutigen Westukraine. Dieser "Völkerfrühling" war jedoch nur von kurzer Dauer und verlief nicht ohne Konflikte. Unter den Revolutionären kam es zu tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten über die politische Ordnung, die sie schaffen wollten, und über die Bewältigung der sozialen Krise.
Polarisierung
Das dritte Merkmal der Revolutionen von 1848 ist daher die Zerstrittenheit der Revolutionäre, die sich über das Ausmaß des demokratischen Wandels und der sozialen Reformen uneinig waren und auch in der Frage der nationalen Bestrebungen unterschiedliche Haltungen vertraten. Diese Polarisierung wurde von den Monarchen und Konservativen rücksichtslos ausgenutzt, um die ersten Errungenschaften der Revolutionen wieder rückgängig zu machen. Die meisten Liberalen waren Anhänger der konstitutionellen Monarchie und neigten dazu, nur denjenigen, die über Eigentum, einen Beruf oder eine Ausbildung verfügten, das Wahlrecht zu geben. Frauen erhielten nirgendwo das Wahlrecht. Radikalere Revolutionäre wollten eine demokratischere Verfassung und in Italien und Deutschland eine geeinte Republik anstelle einer Föderation von Monarchien. In Italien misstrauten die Republikaner den Monarchisten, die bereit waren, den Sieg gegen Österreich mit der militärischen Hilfe der Könige von Sardinien-Piemont und von Neapel zu sichern. In Baden stellten die Republikaner im April eine Armee auf, wurden jedoch von Bundestruppen geschlagen.
Auch hinsichtlich der sozialen Frage gab es große Meinungsverschiedenheiten unter den Revolutionären. Liberale Regierungen sorgten zwar für staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, etwa die Pariser Nationalwerkstätten (ateliers nationaux) in Frankreich, um die unmittelbaren Auswirkungen der Arbeitslosigkeit zu lindern, glaubten aber letztendlich, dass der Wohlstand auch ohne umfassende staatliche Eingriffe zurückkehren werde. Für die Sozialisten hingegen konnte die Armut nur durch weitreichende soziale Reformen beseitigt werden: Entsprechend forderten die linksgerichteten Revolutionäre in Frankreich eine "demokratische und soziale Republik". In ganz Europa schlossen sich Handwerker und Arbeiter, darunter gelegentlich auch Frauen, in politischen Clubs zusammen und gründeten Gewerkschaften. Die Mobilisierung der Arbeiterschaft beunruhigte die Besitzenden, die eine soziale Revolution befürchteten. So kam es 1848 auch zu einer starken sozialen und politischen Polarisierung, weshalb der wohlhabende Teil der Bevölkerung wieder vermehrt Monarchie und Armee als Garanten für Ruhe und Ordnung betrachtete. Als die Nationalversammlung in Frankreich die Nationalwerkstätten als Horte der sozialistischen Agitation wieder schließen ließ und Tausende von Arbeitern und ihre Familien von Verarmung bedroht waren, führte das zu besonders gewalttätigen Ausschreitungen. Das tragische Ergebnis war der Juniaufstand, bei dem revoltierende Arbeiter in Paris auf die Barrikaden gingen. Der Aufstand wurde von Regierungstruppen brutal niedergeschlagen, mindestens 2400 Menschen verloren dabei ihr Leben. Auch in Berlin und Wien gab es Tote bei Unruhen.
So schockierend diese Ereignisse auch waren, die größte Gewalt ging von nationalen Konflikten aus. Die Liberalen vertraten zwar die Idee der Selbstbestimmung, doch ihre territorialen Ansprüche kollidierten fast überall in Europa mit den Ansprüchen anderer Nationalitäten. So unterstützten etwa liberale Regierungen in den deutschen Staaten territoriale Konflikte mit den Dänen über Schleswig-Holstein sowie mit den Polen im Großherzogtum Posen und gerieten mit ihren tschechischen Mitstreitern aufgrund der Einbeziehung Böhmens in ihre Vorstellung eines geeinten "deutschen" Staates aneinander. Ungarische Liberale kämpften gegen Slowaken, Rumänen, Kroaten und Serben, die versuchten, ihre Position innerhalb des Königreiches Ungarn zu stärken. Diese Konflikte waren besonders heftig, wenn ethnische und soziale Trennlinien aufeinandertrafen – wenn zum Beispiel die Bauern einer Nationalität angehörten und die Grundbesitzer einer anderen, wie in Siebenbürgen, wo die Bauern rumänisch-, die Grundbesitzer aber ungarisch- oder deutschsprachig waren. Die nationalen Konflikte ermöglichten es den Konservativen, sich gegenseitig zu unterstützen und so die Revolutionen zu schwächen: Der kaiserliche Hof in Wien unterstützte rumänische, serbische und slowakische Aufstände gegen die ungarischen Liberalen und förderte im September 1848 eine großangelegte kroatische Invasion in Ungarn. Nationale Feindseligkeiten spalteten die Revolutionen von 1848.
Konservative Reaktion
Doch auch die konservative Reaktion war von sich aus stark. Abgesehen von Frankreich, wo der König abgesetzt wurde, markierten die Revolutionen nur eine vorübergehende Niederlage der europäischen Monarchien. Die Königshöfe konnten immer noch auf eine bedeutende Unterstützung in der Bevölkerung zählen. So hatten sich etwa die europäischen Bauern zunächst auf die Seite der Revolutionäre gestellt, aber da ihnen diese Unterstützung kaum Vorteile gebracht hatte, kehrten sie zu ihren alten Loyalitäten zurück und sahen in ihrem Monarchen wieder ihren Schutzherrn, der sich gegenüber ihren Grundherren für ihre Rechte einsetzte. In den Teilen des Habsburgerreiches, in denen die Leibeigenschaft abgeschafft wurde, erfolgte die Proklamation geschickt im Namen des Kaisers. In den Ländern, in denen die Bauern das Wahlrecht erhielten, also in Österreich, Preußen und Frankreich, unterstützten sie in der Regel konservative Kandidaten gegen die Liberalen. In Frankreich verhalfen sie Louis-Napoléon Bonaparte bei den Präsidentschaftswahlen im Dezember 1848 zu einem Erdrutschsieg, auf dessen Grundlage er Ende 1851 die Republik stürzen und als Napoleon III. das Zweite Kaiserreich errichten konnte. Und wie die Liberalen nutzten auch die Konservativen die Organe der Zivilgesellschaft, gründeten eigene Vereinigungen und verbreiteten ihre Ideen in Zeitungen, Pamphleten und Bildern. Die Kirchen drängten ihre Mitglieder in der Regel dazu, sich gegen die Liberalen zu stellen. In Deutschland entstand ein Netzwerk aus konservativen Kirchen- und Vaterlandsvereinen. Preußische Adlige gaben eine eigene Zeitung heraus, die "Kreuzzeitung", die weite Verbreitung fand, während in Österreich Vereine von sogenannten Verfassungsfreunden gegründet wurden, um die revolutionäre Propaganda zu widerlegen. In Frankreich war Louis-Napoléon ein Meister der Selbstdarstellung, gleichzeitig war die breite Öffentlichkeit der Revolution überdrüssig und hatte Angst vor weiteren Unruhen. Die Monarchen behielten im Allgemeinen auch die Kontrolle über das Militär und hatten weiterhin die Möglichkeit, Minister zu ernennen. Eine wichtige Ausnahme bildete Ungarn, wo die Liberalen über eine starke Armee verfügten und die kroatische Invasion abwehren konnten. In den anderen Teilen des Habsburgerreiches sowie in Deutschland und Italien schlug das Militär die Revolutionen jedoch im Namen der alten Ordnung nieder.
Radikales Wiederaufleben und Ende
Obwohl die meisten liberalen Regime Ende 1848 besiegt waren, kam es zu einer zweiten Welle des revolutionären Widerstands, die von Radikalen angeführt wurde. Mit Radikalen sind die linksgerichteten Republikaner in Frankreich und Italien gemeint, wo eine Römische Republik ausgerufen wurde, außerdem in Deutschland, vor allem in Baden, das kurzzeitig zur Republik wurde, sowie in Ungarn, das für seine Unabhängigkeit kämpfte. Allerdings wurde das entschlossene radikale Aufbegehren noch im Oktober 1849 niedergeschlagen, und 1850 befand sich Europa wieder unter der Kontrolle der konservativen Kräfte – mit einer postrevolutionären Ordnung, die in vielerlei Hinsicht autoritärer war als jene zuvor.
Vermächtnis
Das Vermächtnis der europäischen Revolution von 1848/49 zeigt sich in globaler, nationaler und europäischer Hinsicht. Global, weil in einigen europäischen Kolonien in Übersee, vor allem in den französischen Kolonien, die Sklaverei abgeschafft wurde – eine Inspiration für den Abolitionismus in den Vereinigten Staaten unmittelbar vor dem Bürgerkrieg. Politische Flüchtlinge aus Europa brachten zudem radikale Ideen mit ins US-amerikanische Exil, die Einfluss auf die dortige Politik hatten. Darüber hinaus standen die europäischen Revolutionen Pate für die gescheiterte Praieira-Revolte in Brasilien, einen Aufstand gegen die Macht der Eliten in den Jahren 1848/49. Insgesamt betrachtet, helfen uns die Revolutionen von 1848/49, die Dynamik späterer revolutionärer Kaskaden in der ganzen Welt zu verstehen, etwa der Revolutionen 1989 in Europa, der "Farbrevolutionen" ab den frühen 2000er Jahren oder des "Arabischen Frühlings" 2011.
Auf nationaler Ebene liefern die Ereignisse von 1848/49 späteren politischen Bewegungen einen großen Fundus an historischen Erinnerungen, Märtyrern und Symbolen. Nach dem Zweiten Weltkrieg sahen die kommunistischen Regierungen in Mittel- und Osteuropa in den Revolutionen von 1848/49 ein revolutionäres Erbe, aus dem sie ihre Legitimation zu ziehen versuchten. Doch 1848/49 beinhaltet auch Erinnerungen an Liberalismus und Demokratie, die für die modernen Demokratien in der Auseinandersetzung mit dem Erbe des Totalitarismus des 20. Jahrhunderts sowohl nach 1945 als auch nach der Revolution von 1989 ein nützliches Vorläufermodell boten, auf das man sich beziehen konnte. Der soziale Konflikt von 1848 hatte zudem ein lange bestehendes Problem zum Ausdruck gebracht, mit dem alle modernen Demokratien umgehen müssen: Wie wahrt man das Gleichgewicht zwischen kollektiver sozialer Gerechtigkeit einerseits und individueller persönlicher Freiheit andererseits?
Es gab jedoch auch ein europäisches Vermächtnis, das an Giuseppe Mazzinis Vision von Europa als einer friedlichen Bruderschaft freier Völker erinnerte. Die revolutionäre Kaskade von 1848/49 schien zu zeigen, dass alle europäischen Liberalen die gleichen Ziele verfolgten. Revolutionäre im einen Land sprachen Revolutionären in anderen Ländern ihre Unterstützung aus oder baten einander um Hilfe. Doch in der Praxis brachten die Revolutionen auch eine andere, negative Eigenschaft ans Licht: Zwischen den Liberalen verschiedener Länder kam es immer wieder zu Konflikten wegen umstrittener Gebiete. In einigen Ländern brachen im Kampf um die Rechte nationaler Minderheiten Bürgerkriege aus. Daher ist das wahre europäische Vermächtnis der Revolutionen von 1848/49 vielleicht weniger in der "Bruderschaft der Völker" zu suchen, sondern gleich in dreifacher Hinsicht als Warnung der Geschichte zu verstehen. Erstens zeigt sich darin, wie selbst die lobenswertesten liberalen Ziele scheitern können, wenn sie mit einem kompromisslosen Nationalismus verbunden sind, der den Bestrebungen anderer Völker wenig Raum lässt. Zweitens kann man daraus schließen, dass in Demokratien, die mit akuten Krisen konfrontiert sind, Menschen aus Angst vor sozialen Umwälzungen dazu verleitet werden können, Zuflucht in autoritären Lösungen zu suchen. Und drittens erinnert 1848/49 an die Herausforderung, eine europäische Ordnung zu schaffen, die zum einen den Ambitionen und Hoffnungen der verschiedenen Völker gerecht wird und zum anderen in der Lage ist, Streitigkeiten zwischen ihnen friedlich beizulegen – und dabei Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Die Geschichte Europas der vergangenen 175 Jahre liefert also gute Gründe, sich eingehender mit dem Erbe der Europäischen Revolution von 1848/49 zu befassen.
Aus dem Englischen von Heike Schlatterer, Pforzheim