Digitale vernetzte Medien und Kommunikationsangebote gehören in vielen Teilen der Welt, nicht nur in den entwickelten Ländern, zusehends zum Alltag. Immer weniger Tätigkeiten können ausgeübt werden, ohne dass diese direkt auf Medien angewiesen sind beziehungsweise mehr oder weniger indirekt mit Medien und medienvermittelten Daten, Interaktionen und Beziehungen in Verbindung stehen. In dieser mediation of everything kulminiert der langfristige, diskontinuierliche und kulturell unebene Transformationsprozess hin zur Mediatisierung.
Für die politische Kommunikation und ihre Öffentlichkeiten bringt dieser komplexe Wandlungsprozess zunächst einmal eine Fülle an unübersichtlichen und uneindeutigen Konsequenzen. Wie, unter welchen Bedingungen und mit welchen Folgen die Nutzung digitaler vernetzter Kommunikationsmedien das Formulieren, Bündeln und Durchsetzen kollektiv bindender Entscheidungen beeinflusst, ist kaum zu überblicken.
Vor diesem Hintergrund der Mediatisierung politischer Öffentlichkeiten beschäftigt sich der Beitrag mit den Kommunikationsformen selbst, die durch digitale vernetzte Medien möglich werden. Damit erweitert er die Perspektiven auf politische Kommunikation um die Dimension der medientechnisch eingerichteten und sozial ausgestalteten Plattformen und Anwendungen. Einer solchen Orientierung an den medialen Angeboten liegt die Annahme zugrunde, dass der allgemeine gesellschaftliche Prozess der Mediatisierung getragen und umgesetzt wird von Praktiken, die medienvermittelt ablaufen oder zumindest eng an Medien und ihre Funktionen gebunden sind. Entsprechend wichtig werden die medial eingerichteten Kommunikationsformen, weil sie die medienbezogenen Aktivitäten rahmen und häufig erst möglich machen.
Die neuen Generationen an sozialen Medien, deren Ausbreitung oft mit einer zunehmenden Mediatisierung in Verbindung gebracht wird, bestehen im Grunde aus Plattformen. Diese greifen einzelne, oft alltägliche Aktivitäten auf, setzen sie in ihre programmierten Anwendungen um, kombinieren sie mit anderen Funktionalitäten und popularisieren sie unter ihrem Namen. Auf diese Weise werden plattformbasiert Nachrichten ausgetauscht, Fotos gesammelt, geordnet und gezeigt, Notizen gekritzelt oder Videos geteilt und geschaut. Seit Ende der 1990er Jahre dominieren so Plattformen wie Blogger, Google, Wikipedia, Myspace, Facebook, Flickr, YouTube, Skype und Twitter die digitalisierte Netzwerkkommunikation. Inzwischen stehen manche von ihnen sogar synonym für die von ihnen ermöglichte Praxis, etwa wenn wir googeln, skypen oder twittern – ein Vorgang, für den der Begriff appliancization vorschlagen wurde.
Um im Folgenden Plattformen als kommunikative Ressourcen für mediatisierte politische Kommunikation zu erfassen, werden sie als Kommunikationsformen beschrieben und in Beziehung zu dadurch entstehenden medialen Öffentlichkeiten gesetzt. Davon ausgehend werden die sich hier einstellenden Dynamiken plattformbasierter politischer Öffentlichkeiten an zwei Beispielen, Weblogs und dem Mikroblogging-Dienst Twitter, erläutert. Zum Schluss blicken wir auf die neuen sozialen und technologischen Regeln und Mechanismen, mit denen Plattformen das Entstehen politischer Öffentlichkeiten prägen.
Kommunikationsformen und ihre Öffentlichkeiten
Die für digitale vernetzte Kommunikation konstitutiven Plattformen, Anwendungen (Apps) und Dienste eröffnen mit ihrem jeweils spezifischen technologischen Aufbau und ihren institutionellen Bedingungen gewisse Nutzungsweisen, während sie andere begrenzen. So können soziale Netzwerkplattformen wie Facebook von Multimediaplattformen für nutzergenerierte Inhalte, etwa für Videos auf YouTube, für Fotos auf Tumblr, Pinterest oder Flickr und für Audiodateien auf Last.fm, unterschieden werden. Davon zu trennen sind Werkzeuge zum Veröffentlichen von Botschaften (personal publishing), also Weblogs, Mikroblogging-Dienste wie Weibo, Podcasts oder Videocasts und diese wiederum sind anders als Anwendungen zum instant messaging (Nachrichtensofortversand) wie WhatsApp, zum produktiven Kooperieren wie Wikis sowie Tools des Informationsmanagements wie Feed-Reader beziehungsweise -Aggregatoren, Verschlagwortungssysteme und Social-News-Dienste, beispielsweise Digg oder Reddit. Erweitern ließen sich solche Kategorien zudem um Plattformen zum Handeln von Waren wie Amazon oder Ebay, um Plattformen zum Spielen von Online-Rollenspielen wie World of Warcraft und von Social Network Games wie FarmVille sowie um Plattformen, mit denen alle diese Dienste suchend erschlossen werden können, wie Google, Yahoo oder Baidu.
Jede Aufstellung solcher Familien von Plattformen gibt immer nur ein momentanes Bild und muss fortwährend revidiert werden. Das Ausgestalten der einzelnen Anwendungen und des gesamten Spektrums an Plattformen ergibt sich dabei stets aus dem Zusammenspiel zwischen technologischen Innovationen wie dem Design der Funktionalitäten und Bedienoberflächen, institutionellen Neuerungen, die sich zum Beispiel als Änderungen der AGBs oder der Privatsphäreeinstellungen festmachen, und Handlungsweisen, mit denen die Nutzer sich die kommunikativen Optionen aneignen. Nimmt man diesen Gedanken auf, dann sind Plattformen verstanden als Kommunikationsformen mediale Ermöglichungen, die sich entlang technischer Parameter und sozialer Nutzungsweisen herausbilden und weiterentwickeln. Sie bedingen die medienbezogenen und plattformzentrierten Aktivitäten, legen bestimmte Verwendungsweisen nahe, während andere erschwert werden. Als Kommunikationsformen können die Plattformen entlang von drei Aspekten erfasst werden.
Kommunikationsformen unterscheiden sich im Blick auf die angebotenen Modi, also die gebrauchten Zeichentypen von Text, Bild, Grafik, Farbe, Design, Layout, Tabellen, Ton oder audiovisuellen Materialien, wobei als wesentliches Merkmal digitaler Netzwerkkommunikation häufig die vielfältigen Kombinationen von Modi, ihre Multimodalität sozusagen, hervorgehoben wird.
Die Einteilung von Kommunikationsformen kann berücksichtigen, inwiefern sie in ihren kommunikationsstrukturellen Gegebenheiten, also der Zahl an Kommunikationspartnern, der Form der Adressierung sowie dem Grad an Wechselseitigkeit und gegenseitiger Wahrnehmung, verschieden sind. Hinsichtlich digitaler vernetzter Kommunikation wurde dabei besonders die gesteigerte Interaktivität im Vergleich zur Massenkommunikation betont.
Die zeitliche Dimension von Kommunikationsformen kann entsprechend der Synchronizität des kommunikativen Austauschs und der Flüchtigkeit beziehungsweise Dauerhaftigkeit der Botschaften und Inhalte einbezogen werden. Hierbei wird für digitale Netzwerkkommunikation die Persistenz und Sichtbarkeit dauerhaft verfügbarer Nachrichten, ihre Durchsuchbarkeit und die Skalierbarkeit der Reichweite plattformbasierter Kommunikation betont, etwa wenn ein Amateurvideo millionenfach angeklickt oder eine Facebook-Einladung von Tausenden angenommen wird.
Für die Teilhabe an politischer Kommunikation wurden die positiven Konsequenzen der neuen Kommunikationsformen und der ihnen zugeschriebenen Ermöglichungen häufig als Erweiterung von Öffentlichkeiten, als Förderung alternativer demokratischer Willensbildung und als Steigerung partizipativer Mitbestimmung beschrieben.
Einfache und komplexe Öffentlichkeiten: Blogs und Twitter
Dieses Zusammenspiel aus technologischer Strukturierung durch die Angebote und Aneignung in den Nutzungspraktiken sowie mögliche Implikationen für politische Kommunikation und Öffentlichkeiten lässt sich instruktiv an Blogs und Twitter studieren.
Blogs haben sich nach 2000 als eine online-basierte Kommunikationsform entwickelt, in der Inhalte publiziert und in umgekehrt chronologischer Reihenfolge dargestellt werden. Dabei wurden einige Funktionen etabliert, die heute auch die Kommunikation auf sozialen Netzwerkplattformen und in anderen Kommunikationsformen strukturieren und die für den Wandel politischer Öffentlichkeiten relevant sind. Entsprechend ihrer Merkmale als Kommunikationsform lassen sich Blogs als technologische Infrastruktur beschreiben, die erstens die Veröffentlichung von multimodalen Inhalten, insbesondere von Texten, Weblinks, Bildern, Audio- und Videodateien, einfach und kostengünstig ermöglicht.
Blogs verfügen zweitens in der Regel über eine Kommentarfunktion, Links und sogenannte Trackbacks, die alle die Struktur der Kommunikation nachhaltig beeinflussen. Denn während der kommunikative Kreislauf von Produktion, Zirkulation und Rezeption bei traditionellen Massenmedien zwischen Redaktionssystem, medialer Darstellung in gedruckter oder gesendeter Form und interpersonaler Anschlusskommunikation getrennte Stationen durchläuft, fallen in Blogs diese Stufen weitgehend zusammen. Blogautoren und -leser werden durch die Kommentarfunktion und andere Feedbackoptionen enger kommunikativ verbunden, und während Hyperlinks im Web häufig nur einseitig von einer Website zur anderen operieren, haben Blogs mit Trackbacks eine Vernetzungsweise etabliert, mit der Verlinkungen auch in der Gegenrichtung nachzuverfolgen sind. Verweist also ein Beitrag auf einen anderen, so sendet jener eine kurze Benachrichtigung (Ping). So ermöglichen Blogs in höherem Maße als herkömmliche Webseiten Anschlusskommunikation. Wechselseitige Bezugnahme, die für die Herstellung von Öffentlichkeit zentral ist, wird außerdem durch Trackbacks unterstützt, indem sie Verknüpfungen beidseitig nachvollziehbar machen.
Drittens strukturieren Blogs in zeitlicher Hinsicht Kommunikation, da sie immer den neuesten Beitrag prominent oben anzeigen. Die einzelnen Artikel sind aber direkt über eine feste URL adressierbar (Permalink) und bleiben so als Bezugspunkte für Anschlusskommunikationen verfügbar. Zudem haben Blogs RSS-Feeds (really simple syndication) populär gemacht. Dies ist eine softwareseitig implementierte Option, welche die Inhalte unabhängig von der Darstellung zur Verfügung stellt und es Nutzern ermöglicht, ein Blog sozusagen zu abonnieren und sich automatisch über neue Einträge informieren zu lassen. Isolierte Nutzungsepisoden auf verstreuten Webseiten werden damit in Alltagsroutinen der Rezeption bekannter Angebote überführt.
Blogs unterstützen mit diesen Ausprägungen als Kommunikationsform das Konstituieren neuer Formen von Öffentlichkeit. Dabei haben bereits frühe Studien zur Aneignung von Blogs gezeigt, dass sie weniger zur Kommentierung der aktuellen politischen Großwetterlage oder gesamtgesellschaftlicher Diskurse gebraucht werden, sondern eher zur medialen Artikulation von Alltag: Berichte aus dem Privatleben, Fotos, Kommentierung von Webseiten, Büchern, Spielen oder Filmen sowie berufsbezogene Inhalte dominieren die Blognutzung.
Die Mediatisierung von bloßen Alltagsgesprächen hat insbesondere in der Frühphase von Blogs wiederholt dazu geführt, dass sie als irrelevant für politische Kommunikation abgetan wurden, weil die vermeintliche Banalität der kommunizierten Themen und der kleine Kreis des Publikums wenig zu den ausgerufenen revolutionären Effekten neuer Medien für öffentliche Deliberation und kritischen Diskurs zu passen schienen. Aus zwei Gründen hat sich diese Ernüchterung aber als verfrüht erwiesen. Erstens weisen auch die kleinen blogbasierten Encounter-Öffentlichkeiten veritable demokratietheoretische Funktionen auf, gerade wenn sich das Interesse auf die "jeweilige alltagsweltliche Relevanz und damit letztlich die gesellschaftliche Wirkung von Wirklichkeitskonstruktionen, gesellschaftlichen Normen und kulturellen Zielen"
In den vergangenen Jahren gehen diese unter Umständen von Weblogs angestoßenen Dynamiken wesentlich stärker von Plattformen wie Facebook oder Twitter aus, während Blogs an Popularität verlieren.
Ein Beispiel für die dadurch ermöglichten "ad-hoc publics"
Plattformen intensivieren auf diese Weise die Mediatisierung persönlicher Öffentlichkeiten und die Dynamisierung politischer Kommunikationsarenen. Botschaften wandern zwischen Öffentlichkeiten hin und her, von indivuellen Äußerungen zu persönlichen Gesprächen und thematischen oder ereignisbezogenen Ad-hoc-Öffentlichkeiten – und in wenigen Ausnahmefällen zu gesellschaftlichen Debatten. Dazu ist es notwendig, dass diese neu entstehenden komplexen Öffentlichkeiten kohärente Kommunikationsräume bilden, als Vermittlungssysteme der Selektion, Verarbeitung und Verbreitung von Kommunikation fungieren und so Massenmedien funktional ergänzen. Für Weblogs finden sich dahingehende Entwicklungen in der Aggregation von Rang- und Themenlisten sowie der Herausbildung einer Gruppe sehr populärer Blogs, die häufig kollektiv betrieben werden. Twitter wiederum sorgt durch das öffentliche Ranking von Popularität ebenfalls für die Organisation von Aufmerksamkeit und kommunikativem Einfluss.
Ausblick: Plattformpolitik
Die Verschiebung von einfachen Öffentlichkeiten in die von Plattformen dominierte digital vernetzte Kommunikationssphäre steigert die Chance öffentlicher Anschlusskommunikation. Weblog-Netwerke und Twitter vermitteln und verknüpfen Gespräche zu größeren Kommunikationszusammenhängen. Sie ermöglichen so das Teilen und Diskutieren von zunächst individuellen Erlebnissen und Erfahrungen als kollektive Überzeugungen und damit das Herausbilden von gesellschaftlichen Themen und Problemen. In der Konsequenz wurde zum einen die Förderung widerständiger Diskurse, zum anderen die Gefährdung des journalistischen Deutungsmonopols proklamiert.
In der Tat können die von einfachen mediatisierten Öffentlichkeiten ausgehenden Debatten als alternative Angebote der Berichterstattung und Wirklichkeitsbeschreibung gesellschaftlich wirkungsvoll werden und neben professionelle Nachrichten treten. Zugleich aber wird deutlich, dass diese Dynamiken wesentlich von der technischen und rechtlichen Ausgestaltung der Plattformen abhängen. Diese "politics of platforms"