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Ursprung und Gehalt von Mythen über Geheimdienste | Überwachen | bpb.de

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Ursprung und Gehalt von Mythen über Geheimdienste

Eva Jobs

/ 12 Minuten zu lesen

"Semper occultus"

"Die Wahrheit wird euch frei machen"

Widersprüchlicher könnten diese (inoffiziellen) Leitsprüche nicht sein, die sich zwei der größten und legendärsten Nachrichtendienste der Welt gegeben haben. Der erste klingt nach geheimer Bruderschaft und ist das Motto des britischen MI6; der zweite ist ein Bibelzitat (Joh 8, 32), das ein hehres Ziel preist und das sich die US-amerikanische CIA auf die Fahnen geschrieben hat. Nicht erst seit den Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden über die umfassenden Überwachungs- und Abhöraktivitäten US-amerikanischer Nachrichtendienste auch in Deutschland sind Interesse wie auch Verunsicherung über die Tätigkeit solcher Einrichtungen groß. Weit verbreitete Vorstellungen reichen von der Annahme einer lückenlosen Kontrolle jedes Bürgers über die Unterstellung krimineller Vorgehensweisen bis hin zur Leugnung jeglicher Relevanz geheimer Nachrichtendienste. Darüber hinaus setzt sich das Bild vieler Menschen aus Versatzstücken fiktiver Helden wie James Bond, George Smiley und Carrie Mathison auf der einen Seite und dem in zahllosen Filmen transportierten Gegensatz zwischen dem "guten Westen" und dem "bösen Osten" zusammen. Abgesehen davon kursieren Stereotype über das äußere Erscheinungsbild realer Agenten: Schlapphüte, Trenchcoats und ein Höchstmaß an Unauffälligkeit werden gern unterstellt.

Besonders in Deutschland ist das Image der Nachrichtendienste und ihrer Mitarbeiter seit jeher eher negativ konnotiert. Dafür ist nicht zuletzt das oppressive Vorgehen des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR verantwortlich. Es verkörperte zwar bis auf die Abteilung HVA (Hauptverwaltung Aufklärung; Auslandsaufklärung) viel mehr eine Geheimpolizei als einen Geheimdienst, war aber dennoch vor allem für seine Überwachungspraktiken und das Heer an Spitzeln berüchtigt. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts galt in Preußen die Devise: "Der Deutsche spioniert nicht." Geheimdienstliche Aktivitäten wie Spionage und Propaganda standen in dem Ruf, unehrenhaft zu sein und kein probates Mittel für Politik oder Militär darzustellen. In Großbritannien und den USA dagegen genossen die Dienste zumindest bis in die Anfangszeit des Vietnamkrieges (1955–1975) hinein Respekt als dem Gemeinwohl dienende Behörden und ihre Angestellten als findige und intelligente Patrioten. Die Welt der Nachrichtendienste wurde in erster Linie als eine von Spannung, Gefahr und dem Kampf für "die gerechte Sache" geprägte wahrgenommen.

Die Grenzen zwischen Fiktion und Realität erscheinen noch immer fließend – auch weil nicht wenige Autoren erfolgreicher Spionageromane selbst in besagtem Metier tätig waren und so eine größere Glaubwürdigkeit ausstrahlen. Man denke nur an Ian Fleming, John le Carré oder Graham Greene, die durch ihre persönlichen Erfahrungen exklusive Einblicke in einen bis dahin arkanen Bereich zu liefern schienen. Gerade le Carré stellte für seinen Roman "Der Spion, der aus der Kälte kam" aber unlängst klar: "(O)ffenbar waren (meine Dienstherren, Anm. E.J.), wenn auch zähneknirschend, zu dem völlig richtigen Schluss gelangt, dass das Buch von der ersten bis zur letzten Seite erfunden war, dass es keinerlei persönliche Erfahrung widerspiegelte (…). Das war jedoch nicht die Auffassung der Weltpresse, die meinen Roman einstimmig als authentisch, ja, mehr noch, als eine Art Insider-Enthüllungsstory feierte – sodass ich nur stillhalten und überwältigt zuschauen konnte, wie mein Buch an die Spitze der Bestsellerlisten kletterte (…), während ein Experte nach dem anderen es für echt befand (…) und je mehr ich es abstritt, desto mehr Nahrung gab ich dem Mythos."

Die hybride Erscheinungsform von Nachrichtendiensten im öffentlichen Bewusstsein prädestiniert sie für die moderne Mythenbildung. Gerade weil das gesicherte Wissen rar ist und immer neue Einflüsse aus dem journalistischen wie dem fiktiven Bereich das ohnehin vage Bild verändern, schafft die Öffentlichkeit einen klassischen modernen Mythos nach Barthes’ Definition: "Der Mythos ist eine Rede. (…) Der Mythos ist ein System der Kommunikation, eine Botschaft. Man ersieht daraus, dass der Mythos kein Objekt, kein Begriff und keine Idee sein kann; er ist eine Weise des Bedeutens, eine Form."

Doch was sind geheime Nachrichtendienste, was leisten sie, und warum üben sie auf so viele Menschen eine Mischung aus Faszination und Bedrohung aus? Abgesehen von unterschiedlichen nationalen Gesetzen herrscht bereits Unklarheit über das legitime Aufgabenfeld und die Struktur von Nachrichtendiensten in Demokratien, daher folgt an dieser Stelle eine knappe Definition. Geheimdienste, in ihrer offiziellen Bezeichnung Nachrichtendienste, sind zivile oder militärische Behörden, die auf nationaler oder auch bundesstaatlicher Ebene relevante Informationen zur Sicherheits-, Außen- und Innenpolitik (gegebenenfalls auch Wirtschaftspolitik) sammeln, interpretieren und weiterleiten. Annähernd jeder Staat der Welt verfügt über mindestens einen Geheimdienst. Aufgabenzuschnitt und Kompetenzen der einzelnen Einrichtungen können sehr unterschiedlich sein; das in demokratischen Staaten geltende Ideal einer umfassenden parlamentarischen Kontrolle wird zwar angestrebt, aber selten erreicht. In Deutschland ist der Bundesnachrichtendienst (BND) mit den Aufgaben im Ausland betraut, das Bundesamt und die 16 Landesämter für Verfassungsschutz (BfV und LfV) agieren zentral beziehungsweise föderal innerhalb der Bundesrepublik, während das Amt für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) diese Aufgaben für die Bundeswehr übernimmt.

Die groben Kategorien bilden also die Unterscheidungen zwischen militärischen und zivilen Diensten sowie die Einsatzgebiete im In- beziehungsweise Ausland. Besonders bekannte und auch deswegen mythenumrankte internationale Nachrichtendienste stellen die US-amerikanische Central Intelligence Agency (CIA; Auslandsnachrichtendienst, zivil), der israelische Mossad (Auslandsnachrichtendienst, zivil) und die Section 6 des britischen Secret Intelligence Service (MI6; Auslandsnachrichtendienst, militärisch) dar. Das FBI (Federal Bureau of Investigation) zählt ebenfalls zu den prominenteren Diensten; es erfüllt die Funktion einer Bundespolizei auf dem gesamten Staatsgebiet der USA, die sich auch nachrichtendienstlicher Methoden bedient.

Die Hauptaufgabengebiete, die in unterschiedlicher Zusammenstellung von den Diensten bearbeitet werden, umfassen: OSINT (open source intelligence, das heißt die Gewinnung von Informationen durch öffentliche und frei zugängliche Kanäle wie Medien; diese liefern bis zu 95 Prozent der Informationen), HUMINT (human intelligence, Informationsbeschaffung mittels menschlicher Quellen), SIGINT (signals intelligence, elektronische Datenerfassung) und IMINT (imagery intelligence, Satelliten- und Luftbilder). Darüber hinaus existieren Abteilungen zur Spionageabwehr von Diensten anderer Staaten (counter espionage, CE) und unterschiedliche Arbeitsgruppen nach thematischen Gesichtspunkten (wie Organisierte Kriminalität, Terror, Drogen).

Historischer Kontext

Obwohl Geheimdienste kein Phänomen der Moderne sind und sogar bisweilen als "zweitältestes Gewerbe der Welt" beschrieben werden, haben sich Aufmerksamkeit und Interesse einer größeren Öffentlichkeit erst ab dem Ende des 19. Jahrhunderts gesteigert, um einen vorläufigen Höhepunkt während des Kalten Krieges zu erreichen. Für diese Entwicklung gibt es gleich mehrere Gründe: Zum einen wirkte sich der voranschreitende Prozess der zunehmenden Demokratisierung auf die Verlagerung der geheimen Sphären des Politischen aus. Nicht mehr auf individuell persönlichem Vertrauen basierende Geheimdiplomatie, sondern zunehmend professionalisierte und institutionalisierte Einrichtungen übernahmen die vertrauliche Korrespondenz, das Einholen von Informationen und gezielte Propagandaaktivitäten. Seit dem 18. Jahrhundert existierten beispielsweise in Österreich und Frankreich Abteilungen wie die "Geheime Ziffernkanzlei" und das "Cabinet Noir", die sich in großem Umfang organisiert mit Briefspionage befassten. Auch die Medienlandschaft änderte sich: Zeitungen verbreiteten nun Nachrichten, die zuvor einem kleinen Kreis vorbehalten waren; Politik wurde nach und nach zum Thema der Allgemeinheit.

Zum anderen offenbarte sich spätestens seit den Napoleonischen Feldzügen die kriegswichtige Ressource der Information (über den Gegner, über das Terrain, über geheime Strategien) als unerlässlich, frei nach Bonapartes berühmtem Ausspruch: "Ein Spion am rechten Ort ersetzt 20000 Mann an der Front." Der ab 1835 als "The Great Game" bekannt gewordene Konflikt zwischen Großbritannien und Russland um die Vorherrschaft in Zentralasien gilt weithin als erstes großes Betätigungsfeld institutionalisierter Spionage, die auch erstmals literarisch und damit noch öffentlichkeitswirksamer ihren Niederschlag fand.

Mit dem Ersten Weltkrieg erlebte das Nachrichtendienstwesen weiteren Aufschwung: Im Deutschen Kaiserreich wurde beispielsweise die bestehende Sektion der Spionageabwehr zur Abteilung aufgewertet und sowohl personell als auch in ihren Kompetenzen erheblich ausgebaut – trotz der Parole der Unehrenhaftigkeit von Spionage. Ähnlich rüsteten Großbritannien, Russland und weitere Staaten auf diesem Gebiet auf. Die Sicherheitspolitik ganz Europas basierte längst nicht mehr auf den Vereinbarungen des Wiener Kongresses im Jahr 1815, sondern vielmehr auf konkurrierenden und nicht immer stabilen Bündnissen. Diese waren für die jeweils anderen Staaten stets Risikofaktoren und aus dieser Bedrohungslage heraus investierte in erster Linie das Militär in entsprechende Abteilungen, aber auch direkt in Doppel-, Drei- und sogar Vierfachagenten.

Parallel dazu wuchs die fiktive Beschäftigung mit Geheimdiensten. Bereits im Vorfeld des Ersten Weltkrieges begründete der Bestseller "The Riddle of the Sands" (1903) von Robert Erskine Childers das Genre des Spionageromans, der literaturwissenschaftlich klar vom Kriminalroman abgegrenzt wird. Als weitere frühe Werke dieser neuen Gattung gelten etwa "The Thirty-Nine Steps" (1915) von John Buchan, aber auch einzelne Geschichten um den Protagonisten Sherlock Holmes von Sir Arthur Conan Doyle ("His Last Bow", 1917). Bis in die Zwischenkriegszeit dominierten britische Autoren den Markt; die Romane behandelten vornehmlich die Gefahr einer Invasion (durch Russland) sowie die distinkte Trennung zwischen einem "zivilisierten" Westeuropa und dem "barbarischen" Osten. Den Vorwurf der politischen Propaganda müssen sich zahlreiche dieser Werke gefallen lassen, wenngleich sich vereinzelt auch gesellschaftskritische Stimmen finden.

In Deutschland hielt sich die Begeisterung für Spionagegeschichten bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Grenzen; Übersetzungen englischsprachiger Bücher wurden zwar verkauft, positiv besetzte deutsche Protagonisten waren allerdings rar. Während des Zweiten Weltkrieges, als sich Nachrichtendienste global etabliert hatten und auch messbare und zur Veröffentlichung geeignete Erfolge vorweisen konnten (etwa die Entschlüsselung der Enigma), erweiterte sich das literarische Feld auf die USA und Frankreich. Trotzdem dürfte zu dieser Zeit der Brite Eric Ambler ("Epitaph for a Spy", 1938; "The Mask of Dimitrios", 1939) der meistverkaufte Autor innerhalb der "Spy Fiction" gewesen sein.

Verschmelzung von Realität und Fiktion

Mit dem Kalten Krieg und der größeren Verbreitung von Unterhaltungsfernsehen im Westen brach jene Zeit an, die bis heute zumindest für viele Deutsche, Briten und US-Amerikaner das Bild von Nachrichtendiensten prägt. Die gefühlte Bedrohung durch die Sowjetunion, das spärliche verlässliche Wissen um die politische Lage und das Gefühl, Spielball zwischen undurchschaubaren weltpolitischen Entwicklungen zu sein, förderten sowohl Angst als auch Interesse vieler Menschen. Die Bewertung der Arbeit von Nachrichtendiensten entfernte sich immer stärker von nüchterner Analyse hin zu Spekulationen, Gerüchten und Verschwörungstheorien.

Die auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs wachsende Furcht vor einem dritten, möglicherweise nuklearen Weltkrieg beförderte sowohl die Bemühungen der Politik, alle denkbaren Mittel zugunsten eines Informationsvorsprungs einzusetzen, als auch die Schreckensfantasien der Bürgerinnen und Bürger. Die universelle und ultimative Bedrohung sollte nicht nur die militärische Aufrüstung, sondern auch die nachrichtendienstliche rechtfertigen, wobei Letztere kaum offen kommuniziert wurde. Auch und gerade aus diesem Grund wuchsen die Befürchtungen, die von absoluter Kontrolle und Überwachung bis zum Versagen der jeweils "eigenen" Dienste führten.

Ein durch fehlende Kenntnis und verweigerte Transparenz entstehendes Vakuum an Wissen wird nicht selten mit imaginierten Handlungen und Möglichkeiten, mit Spekulationen und Plausibilitäten zu kompensieren versucht. Besonders die spärliche Informationslage über Geheimdienste, welche häufig, wenn überhaupt, mit negativen Schlagzeilen ins Bewusstsein dringen, bietet demnach ein weites Betätigungsfeld. Man denke an die US-amerikanische Invasion in der kubanischen Schweinebucht 1961 oder den bis zur Ausführung unentdeckten innerdeutschen Mauerbau im selben Jahr, die 1986 bekannt gewordene Iran-Contra-Affäre oder die Anschläge des 11. September 2001 – immer wieder sorgen Ereignisse, in die Nachrichtendienste verwickelt sind oder zu sein scheinen für Aufmerksamkeit und Besorgnis. Häufig ist es journalistische Arbeit, die Bruchstücke konkreter Tätigkeiten zutage treten lässt, die wiederum Spekulationen Vorschub leisten. Oder aber es können tatsächliche Verbrechen, illegale Aktionen und politische Komplotte aufgedeckt werden wie beispielsweise solche, welche die CIA in den 1960er und 1970er Jahren begangen und geplant hat, die aber erst ab 1975 durch das Church-Komitee teilweise ans Licht kamen.

Je schwieriger der Enthüllungsprozess und seine Veröffentlichung sind, desto größer wird die Angst vor weiteren unentdeckten Skandalen, "Mitwissern" und "Mitverschwörern" aus Politik, Wirtschaft und Militär. Mit ergebener Resignation scheinen viele eine Art Allmacht anzunehmen und sich in die Unausweichlichkeit zu fügen. Allerdings versüßen erfundene Horrorgeschichten oder halbwahre Gerüchte diese pessimistische Weltsicht erheblich. Die Vergeblichkeit vieler Aufklärungsversuche, die nur teilweise plausibel mit Anforderungen staatlichen Geheimschutzes erklärt werden kann, heizt Debatten und Spekulationen erst recht an. Die Folge ist, dass der Nachrichtendienst schlechthin als undurchschaubare Institution mit scheinbar unbegrenztem finanziellen, politischen und moralischen Handlungsraum die Vorstellung vieler Menschen dominiert. Und an dieser Stelle bedienen Fiktion und Kreativität ein Bedürfnis. John le Carré formuliert es so: "Wir leben in einer Welt virtueller Nachrichten. Und so gesehen fällt Autoren und Filmemachern die Verantwortung zu, diese Informationslücke zu füllen."

Tatsächlich erscheinen in kontinuierlich steigender Anzahl Romane und Kinofilme (oft Verfilmungen), aber auch Fernsehserien, Comics sowie Video- und Computerspiele, die sich mit Nachrichtendiensten, Agenten und Spionage beschäftigen. Handlungen und/oder Protagonisten sind nicht selten an "wahre Begebenheiten" oder reale Personen angelehnt, spiegeln den Zeitgeist (über Technik, Mode und politische Situation) wider und folgen einem klaren Spannungsbogen. Allein mittlerweile 23 James-Bond-Filme, eine Reihe über Jason Bourne, die Mission-Impossible-Serie, "Topaz", "The Day of the Jackal", "Syriana" oder "Argo" stellen nur eine kleine Auswahl der schier unüberschaubaren Fülle von erfolgreichen Geschichten und Protagonisten aus dem Umfeld der Nachrichtendienste dar. Trotz der offensichtlichen Fiktionalität prägt das hier erdachte Bild die grundsätzliche Vorstellung der Realität stärker als in den meisten anderen Genres. Für diesen Bereich fehlt schlicht der Abgleich, wie er etwa für Polizei oder Militär aus Alltagserfahrungen heraus möglich ist.

Muster und Stereotype

Ein Großteil dieser Bücher, Filme und Serien besitzt eine bestechende Gemeinsamkeit: die gebrochen-heroische männliche Hauptrolle. Neben dem häufig betonten Antagonismus von Gut und Böse stellt dieses Muster eine Konstante der Spy Fiction dar. Männlichkeit wird häufig in einer archaisch anmutenden Weise interpretiert beziehungsweise in hierarchischen Geschlechterrollen präsentiert. Selbst wenn der Protagonist kein so ausgesuchter Gentleman wie James Bond, sondern grober oder weniger selbstsicher gestrickt ist, weist er doch meist folgende Züge auf: hohe Intelligenz und Risikobereitschaft, körperliche Fitness und technisches Verständnis, gepaart mit sozial-emotionalen Defiziten, Bindungsangst und einem Mangel an Empathie (letztere Eigenschaften werden meist mit dem Schutz der unbeteiligten Zivilisten erklärt). Loyalitäten bestehen, wenn überhaupt und wenn nicht gerade der einsame Rächer oder Ritter unterwegs ist, nur gegenüber dem Arbeitgeber ("für Vaterland und Krone") oder einigen wenigen Mitmenschen. Eben diese exzeptionelle, aus dem gewöhnlichen Leben gehobene Rolle unterstreicht und formt die Wahrnehmung von Agenten.

Zudem sind die fiktiven Spione meist mit umfassenden Ressourcen und Befugnissen ausgestattet – auch hier wird die Diskrepanz zu einer realen staatlichen Behörde offensichtlich. Tauchen in seltenen Fällen Protagonistinnen auf, verkörpern sie zumeist eine Verbindung aus Mut, Intelligenz, extremem Sexappeal und (körperlichem) Durchsetzungsvermögen, treten aber selten durch charakterliche Tiefe in Erscheinung. Mata Hari, deren Erfolg als Agentin jahrzehntelang gnadenlos überschätzt wurde und deren Leben und Wirken unter anderem mit Greta Garbo verfilmt wurde, kann als klassischer Fall eines Mythos bezeichnet werden.

Als weiteres Muster zieht sich der Antagonismus von Gut und Böse durch einen Großteil der Geschichten. Wenngleich sich die Stereotype von der Blockkonfrontation hin zum Kampf gegen Terrorismus und verbrecherische Organisationen beziehungsweise Individuen gewandelt haben, stehen die Nachrichtendienste immer noch meistens auf der "guten", heldenhaften Seite.

Doch mit der zunehmenden Kritik an aufgedeckten Praktiken vieler Dienste – etwa Projekte wie Prism und Tempora der NSA (National Security Agency) und GCHQ (Government Communications Headquarters) – sind nur die jüngsten Beispiele, ändert sich auch die Stoßrichtung der fiktionalen Rezeption: Der Bürger auf der Suche nach "befreiender Wahrheit" oder Aufklärung sieht sich (wie im Film "Der Staatsfeind Nr. 1") beinahe allmächtigen, außer Kontrolle geratenen Apparaten gegenüber, die rechtsstaatliche Prinzipien über Bord geworfen zu haben scheinen und reinen Selbstzwecken dienen. Nicht mehr die große Weltpolitik, sondern die einzelne Privatperson steht nun im Fokus.

Zwar ist nicht jede alarmierend klingende Schlagzeile auch wirklich inhaltlich skandalös – etwa, dass ein Geheimdienst die meisten Informationen aus frei zugänglichen Quellen sammelt. Dennoch wachsen Misstrauen und Wut über die eigene Machtlosigkeit. Im Idealfall erleben Datenschutz und Privatsphäre als Bürgerrechte eine neue Wertschätzung; zumindest werden sie wieder diskutiert – und sei es nur, weil der Mythos von George Orwells Dystopie "1984" immer mehr an Aktualität und Realität zu gewinnen scheint.

M.A., geb. 1981; Doktorandin am Fachbereich Neuere und Neueste Geschichte, Philipps-Universität Marburg, Arbeitstitel der Dissertation: "Geheimnis, Verrat und Vertrauen. Nachrichtendienstliche Kooperation und ihre Bedeutung für die deutsch-amerikanischen Sicherheitsbeziehungen, 1950–1968". E-Mail Link: eva2n@hotmail.com