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Zur innenpolitischen Rolle des Auslandsnachrichtendienstes in der Ära Adenauer

Klaus-Dietmar Henke

/ 12 Minuten zu lesen

Reinhard Gehlen beharrte zeitlebens darauf, sein Auslandsnachrichtendienst habe nie innenpolitische Aufklärung betrieben, also niemals Informationen beschafft, die keinerlei Zusammenhang mit seiner Aufgabenstellung hatten. Solche Beteuerungen des Chefs der "Organisation Gehlen" (1946–1968) und des daraus hervorgegangenen Bundesnachrichtendienstes (BND) verdichteten sich nachgerade zu einer Art Master-Narrativ der bis heute in Pullach ansässigen Behörde. Während der gesamten Ära Adenauer lag über dem Gehlen-Dienst dennoch der Verdacht, seine Fähigkeiten zur innenpolitischen Ausspähung zu missbrauchen. Erst heute lässt sich die innenpolitische Präsenz des Auslandsnachrichtendienstes als zweifelsfreie historische Tatsache belegen. Der BND selbst hat durch die Öffnung seiner Unterlagen für die Forschung dazu beigetragen.

Grenzüberschreitungen geheimer Nachrichtendienste sind – überflüssig zu betonen – nicht bloß historische, sondern eminente Gegenwartsfragen. Angesichts ihrer jüngst allgemein bekannt gewordenen Fähigkeiten stehen wir wohl vor einem Jahrhundertproblem, das manche mit der Einhegung der industriellen Revolution vergleichen. Die Bereitschaft der Öffentlichkeit, geheimdienstliche Grenzüberschreitungen hinzunehmen, schwindet. Nach den Snowden-Enthüllungen über das Wirken der NSA bündelt sich dieses Unbehagen in der Frage, wie die geschlossene Gesellschaft der Nachrichtendienste so überwacht werden kann, dass sie nicht selbst zu einer Beeinträchtigung oder gar Gefährdung der offenen Gesellschaft wird, oder, weniger grundsätzlich, in der Frage, wie sich ihre Effizienz und Kontrolle verbessern lassen.

Im Folgenden wird nach einer Kennzeichnung des Rahmens der Forschung zur frühen BND-Geschichte die innenpolitische Präsenz des Gehlen-Dienstes in der Ära Adenauer grob umrissen, woran Bemerkungen zum möglichen Nutzen historischer Erkenntnisse für die aktuelle Debatte geknüpft sind.

BND erforschen

Als sich BND-Präsident Ernst Uhrlau (2005–2011) dazu entschloss, die Geschichte des BND unter der Ägide Gehlens erforschen zu lassen, war auf Bedingungen zu pochen, die für die Öffentlichkeit, den Dienst und die 2011 berufene Historikerkommission (Jost Dülffer, Klaus-Dietmar Henke, Wolfgang Krieger, Rolf-Dieter Müller) gleichermaßen zustimmungsfähig waren. Das gelang, weil der BND und das Bundeskanzleramt neben der selbstverständlichen wissenschaftlichen Unabhängigkeit und dem Zugang zu ausnahmslos allen erforderlichen Unterlagen die Eigenständigkeit der Unabhängigen Historikerkommission (UHK) bei der Definition ihres künftigen Forschungsfeldes garantierten. Angestrebt wird eine integrale Darstellung des BND und seines Vorläufers mit den Schwerpunkten Organisation/Personal (einschließlich der NS-Kontinuitäten), Tätigkeit, Stellung in der deutschen Politik; hinzu kommt eine Biografie Gehlens. Auf fünf Jahre verteilt, stehen dafür ungefähr zwei Millionen Euro zur Verfügung, eine interne Arbeitsgruppe leistet Hilfestellung, mehrere wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter widmen sich Einzelthemen.

Von der 2012 voll angelaufenen UHK-Tätigkeit profitieren mittlerweile auch Journalisten und Kollegen, denn die Gewährung von Akteneinsicht hat sich seither wesentlich verbessert; zudem werden die verarbeiteten Unterlagen nach Abschluss des Projekts für die allgemeine Benutzung freigegeben. Forschen und Publizieren sind freilich zweierlei: Der BND hat zwar keinerlei wissenschaftliches Mitspracherecht, prüft aber die Manuskripte vor ihrer Publikation nach rechtlichen und "sicherheitlichen" Gesichtspunkten. Ein gangbares Verfahren beginnt sich einzuspielen, für Konfliktfälle ist eine neutrale Schiedskommission vorgesehen. Nach den bisherigen Erfahrungen wird man wohl sagen dürfen, dass die anfangs kaum überwindlich scheinende Spannung zwischen wissenschaftlichem Transparenzgebot und behördlicher Arkansicherung so gut wie verflogen ist.

Der BND hat nicht nur verstanden, dass man mit historischer Aufarbeitung punkten kann, er erhofft sich davon auch einen Akzeptanzgewinn: Wird die geheimdienstkritische Öffentlichkeit einer Behörde, die redlich mit ihrer Vergangenheit umgeht, nicht eher vertrauen als einer, die dazu nicht bereit ist? Der seit 2011 amtierende BND-Präsident Gerhard Schindler hat dies jüngst vertreten und erklärt, er werde die historische Aufarbeitung dauerhaft verankern.

Gehlens Obsession, Cleverness und Schwäche

Die Organisation Gehlen schlug ihren Weg zu einer massiven innenpolitischen Präsenz schon vor Gründung der Bundesrepublik ein. Bereits kurz nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands hatte die neue Supermacht USA die Gruppe um Gehlen aus dem Heer der Hungernden und Demoralisierten herausgeholt und sie in ihren Militärapparat einbezogen. Wollte man diesen märchenhaft privilegierten Status behaupten, musste man sich unentbehrlich machen. Also wurde die US-Army mit Informationen über die sowjetischen Truppen versorgt, einflussreiche Einheimische bekamen gezielt allerlei nützliche Hinweise. Solche Profilierung war clever, da man – noch in Wehrmachtsklamotten – den unwahrscheinlichen Traum träumte, eines Tages der eine, universelle deutsche Nachrichtendienst zu werden.

Zur selben Zeit baute der Gehlen-Dienst seine Spionageabwehr auf, wo sich ebenso wie in anderen Diensteinheiten erfahrene Männer aus dem Terrorapparat der Nationalsozialisten tummelten. Ihr neuer Feind war der alte: der weltrevolutionäre Kommunismus mit seinen fünften Kolonnen (der nun auch noch den siegreichen Stalin im Rücken hatte). Das war eine noch in der NS-Zeit wurzelnde Obsession, die Reinhard Gehlen bis zu seinem Tode nicht verließ. Schon 1946 bezeichnete er es als entscheidend, den Kampf gegen den Kommunismus fortzuführen. Seit Frühjahr 1947 konnte er sich in Übereinstimmung mit der Regierung der Vereinigten Staaten fühlen. Die Truman-Doktrin sah in der Unterwanderung durch entschlossene Minderheiten bekanntlich die Hauptbedrohung der freien Welt.

Selbstverständlich stellten kommunistische Subversion und Spionage im geteilten Deutschland eine Bedrohung dar, die Schwäche von Gehlens erratischem Antikommunismus bestand allerdings in der Beeinträchtigung der eigenen Urteilsfähigkeit: Alles und jedes vor dieser einen Folie zu beurteilen, verstellte nicht nur den Blick auf Wandlungen innerhalb des östlichen Lagers, es verleitete auch dazu, Gegner in diesem Lager zu vermuten, die sich gar nicht dort befanden. Sogar der wohlwollende Aufpasser vom US-amerikanischen Auslandsgeheimdienst CIA attestierte Gehlen die zwanghafte Vorstellung von der Gefahr eines kommunistischen Sieges.

Demokratiefern, etatistisch, von militärischem Denken geprägt und in einem wunderlich unanalytischen Antikommunismus befangen, neigten Gehlen und viele seiner Mitarbeiter in nahezu ungebrochener Tradition dazu, die innenpolitische Scheidelinie nicht zwischen demokratisch und nicht-demokratisch zu ziehen, sondern zwischen rechts und links. Und "links" reichte für sie bis tief in den demokratischen und christlichen Sozialismus hinein; Verachtung für Widerstandskämpfer und Emigranten gehörte ohnedies zum Komment.

In einem geteilten Land auf der Nahtstelle des Konflikts zwischen "Freiheit" und "Sozialismus" lagen Spionageabwehr und innenpolitische Aufklärung nahe beieinander. Alles, was links vom nationalkonservativen Mainstream lag, wurde in Pullach in einer Art dual use der Spionageabwehr als gegnerisch eingestuft.

Bei Gründung der Bundesrepublik übergab Gehlen der US-Army beispielsweise ein Memorandum, in dem er die Gefahr beschwor, die Sozialdemokratie könnte beherrschenden Einfluss in Westdeutschland gewinnen. Später offenbarte er einem führenden CIA-Mann, wenn es einmal zu einer Großen Koalition mit Leuten wie dem ersten Kanzleramtschef Otto Lenz von der CDU, dem ersten CSU-Vorsitzenden Josef Müller und dem SPD-Abgeordneten Herbert Wehner käme, dann werde er sich moralisch verpflichtet fühlen, einen illegalen Apparat aufzuziehen.

Es versteht sich, dass der Bundeskanzler reges Interesse an dem amerikanisch finanzierten Geheimdienst hatte. Die verdeckte innenpolitische Zusammenarbeit zwischen dem Bundeskanzleramt und dem Gehlen-Dienst setzte denn auch bald nach der Regierungsbildung ein. Zu ihrem Dreh- und Angelpunkt wurde die sehr enge Zusammenarbeit zwischen Reinhard Gehlen und dem Chef des Bundeskanzleramtes Hans Globke, der für den Nachrichtendienst zuständig war.

Felder innenpolitischer Aktivität

Der frühe BND war mit verschiedenen Methoden auf unterschiedlichen Feldern innenpolitisch aktiv: Er legte verdeckte Verbindungen in die Gesellschaft hinein; er platzierte Gewährsleute in staatlichen Behörden; er hatte eine starke Präsenz im Milieu der ehemaligen Wehrmachtssoldaten; er fungierte als vergangenheitspolitisches Frühwarnsystem und vor allem als Dienstleister für die Beschaffung innenpolitischer Informationen.

Was die Platzierung von Gewährsleuten anbelangt, so machte sich Gehlen sogleich daran, "zuverlässige Leute" in staatlichen Behörden unterzubringen, wobei er vor allem auf Polizei, Staatsanwaltschaften, Innenbehörden und Verfassungsschutzämter zielte. Dabei konnte es geschehen, dass der Amtschef eines Innenministeriums sich gegenüber einem leitenden Mitarbeiter des Dienstes (seinem Schwager) erbot, mit einem Bevollmächtigten Gehlens Stellenbesetzungen durchzusprechen, Wünsche entgegenzunehmen und sie nach Möglichkeit durchzusetzen. Von solchen Gewährsleuten auf allen Stufen der Ämterhierarchie flossen dem Dienst wertvolle innenpolitische Informationen zu.

Die Pullacher Offiziere hielten engsten Kontakt zu den ehemaligen Wehrmachtskameraden, von denen einige durchaus zu antidemokratischer Obstruktion neigten. In dem Gewimmel der Soldatenverbände wirkte der Dienst darauf hin, Radikalisierungen und namentlich Widerstand gegen Adenauers Politik der Wiederbewaffnung einzudämmen.

Als vergangenheitspolitisches Frühwarnsystem schlug der BND Alarm, wenn die SED eine ihrer Kampagnen startete, um die Bundesrepublik als ein von alten Nazis beherrschtes System zu brandmarken. Bekanntlich trafen die Vorwürfe aus der DDR häufig zu, sie wurden aber lange als reine Verleumdung abgetan. Hinter den Kulissen herrschte allerdings rege Betriebsamkeit. Der Dienst suchte Zeugen, beschaffte Dokumente, sorgte für publizistische Gegenkampagnen. Für den belasteten Globke etwa wurde Gehlen zu einer Art persönlichem Schutzschild.

Bei der geheimen Beschaffung und Verwertung innenpolitischer Informationen überschritt der Dienst, der praktisch unkontrolliert agieren konnte und es verstand, einen völlig ungerechtfertigten Nimbus purer Effizienz zu erzeugen, über zwei Jahrzehnte hinweg alle Grenzen. Diese Form der Aufklärung (die in internen Anordnungen nur pro forma verboten wurde) betrieb er mit den gängigen Methoden: mit dem Abschöpfen von Gesprächskontakten sowie mit dem Einsatz von V-Leuten und "Sonderverbindungen". Das waren Personen, die Informationen beschafften, die auf den klassischen nachrichtendienstlichen Wegen nicht zu bekommen waren. Solche Verbindungen knüpfte der Geheimdienst seit den 1940er Jahren in Behörden, Parteien, Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, Kirchen, Firmen, in der Wissenschaft und den Medien. Das war vielleicht kein straffes Untergrundnetz emsiger Einflussagenten, einige halfen Gehlen lediglich bei der "Landschaftspflege", einige waren gewöhnliche Zuträger; mancher Journalist hatte den Auftrag, kritische Berichte "abzubiegen" oder an einem BND-Idealbild zu malen. Der Gesamtbestand an Sonderverbindungen dürfte zu Spitzenzeiten bei etwa 300 Personen gelegen haben. Mit dem Dienstantritt von Präsident Gerhard Wessel 1968 lief diese Praxis aus.

Wie konnte es zu dem anhaltenden Missbrauch des Auslandsnachrichtendienstes jenseits jeglicher Kontrolle kommen? Wie hat man sich das praktisch vorzustellen? Reinhard Gehlen jagte dem Ziel nach, seine Organisation zum einzigen bundesdeutschen Nachrichtendienst zu machen. Da heiligte der Zweck die Mittel, und der Erfolg gab ihm Recht. Doch anstatt einen Rückbau der innenpolitischen Ausspähung einzuleiten, schritt der BND nach seiner offiziellen Gründung am 1. April 1956 umso beherzter auf den erprobten Pfaden voran. Mit seinen illegitimen Machenschaften konnte der Dienst zugleich seine Stellung in Politik und Gesellschaft stärken, für guten Mittelzufluss sorgen und sich gegen Kritik immunisieren – jedenfalls bis Anfang der 1960er Jahre, als er nach den Affären um die Einschüchterung des "Spiegels" und den KGB-Agenten Heinz Felfe aus Adenauers Gnade fiel.

In Gehlens Selbstverständnis war der Dienst keine beliebige Behörde, sondern ein Machtmittel des Bundeskanzlers, das dieser auch im Innern einsetzen können musste. Diese von keinem Gesetz, geschweige denn der Öffentlichkeit – hätte sie davon erfahren – gestützte Dienstauffassung passte gut zur "Kanzlerdemokratie" der 1950er Jahre. Kanzler und Präsident mussten sich überdies auch nicht erst von der bolschewistischen Gefahr und dem allgemeinen Ernst der Lage überzeugen – sowie davon, dass eine SPD-geführte Bundesregierung (nach dem berühmten Diktum Adenauers) der "Untergang Deutschlands" sein würde.

Gehlen und Globke

Das Besondere an der innenpolitischen Aufklärung war, dass alle wichtigen Informationen bei Gehlen und seinen engsten Mitarbeitern zusammenliefen, eine interne oder politische Kontrolle deshalb unmöglich war. Diese Monopolisierung innenpolitischer Erkenntnisse machte den BND-Präsidenten zu einem gesuchten Gesprächspartner des Bundeskanzlers und seines Staatssekretärs. Der Zeithistoriker Hans-Peter Schwarz bemerkte früh, dass Adenauer seine starke Stellung den "Augen und Ohren" des unersetzbaren Globke verdankt habe, obgleich der Adenauer-Biograf vor Öffnung der BND-Akten noch nicht ahnen konnte, wie stark sich der Staatssekretär auf den Dienst stützte.

Bereits Anfang 1951 hatte Globke den Dienst um die besondere Berücksichtigung der innenpolitischen Lage gebeten. Das konnte vielerlei Themen betreffen: die Tatsache etwa, dass einige Bonner Persönlichkeiten homosexuell waren; die Person Herbert Wehners; einen deutschen Star-Reporter, den der Staatssekretär in schlechter Erinnerung hatte; oder die Intervention der Regierung gegen den Intendanten einer großen Rundfunkanstalt – ein leitender Redakteur, der dem BND als Sonderverbindung diente, hatte sich konspirativ über seinen Intendanten beschwert. In den Akten finden sich aber genauso Analysen über die Situation der SPD oder eine Untersuchung über die Rolle des Berliner Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung bei den Studentenunruhen.

Die bisher gesichteten Unterlagen zeigen, wie Adenauer den BND-Präsidenten immer wieder ermunterte, sich auch die innenpolitische Aufklärung angelegen sein zu lassen. Es ist auch erkennbar, dass Adenauer und Globke (bis sie im Herbst 1963 gemeinsam das Kanzleramt verließen) insbesondere an Interna aus den Spitzengremien politischer Parteien interessiert waren. Mit Sonderverbindungen und V-Leuten ließ Gehlen namentlich die FDP und die SPD ausforschen, gelegentlich gerieten auch allzu eigenständige CDU-Granden ins Visier.

Auf die systematische innenpolitische Ausspähung durch den Auslandsnachrichtendienst deuten bislang einige Hundert einschlägige Informationen hin, die allerdings sehr verstreut liegen und erst noch zu einem kohärenten Bild gefügt werden müssen. Diese Erkenntnisse des BND beziehen sich größtenteils auf sensible politische, personelle und persönliche Informationen aus dem innersten Kreis der FDP- und der SPD-Führung. Wären diese Machenschaften seinerzeit bekannt geworden, hätten sie unfehlbar einen politischen Skandal mit unabsehbaren Konsequenzen auslösen müssen.

Wohlgemerkt: Der Gehlen-Dienst lief in den 1950er und 1960er Jahren nicht aus dem Ruder, er überschritt auch nicht eigenmächtig seine Befugnisse. Die Ausforschung von Politik und Gesellschaft der frühen Bundesrepublik geschah mit Wissen und zu Willen des Bundeskanzlers. Kein Wunder, dass Gehlen, so "Der Spiegel", lange "des Kanzlers lieber General" gewesen ist. In solchen Dingen war Adenauer nicht pingelig, wie er selbst von sich sagte. Hans Globke, der ihn an sich hätte kontrollieren sollen, war der verschwiegene Helfer beim innenpolitischen Missbrauch des Auslandsnachrichtendienstes. Er lebte mit Gehlen in einer machtpolitischen Symbiose zu beiderseitigem Nutzen und zur Machtsicherung des Gründungskanzlers der Bundesrepublik Deutschland.

Im Zuge des Forschungsprojekts der UHK gilt es, die hier nur grob umrissenen Tatsachen so hell auszuleuchten, wie das nach über 60 Jahren noch möglich ist. Das heißt auch, eine Antwort auf die Frage nach der historischen Bedeutung der massiven innenpolitischen Präsenz des BND in den beiden Gründungsdekaden der Bundesrepublik zu suchen. Man wird die Geschichte der Ära Adenauer dann nicht umschreiben müssen – aber manches vielleicht etwas besser verstehen.

Kontrolle der geheimen Dienste von außen und innen

Kann die Kenntnis der historischen Tatsachen die aktuelle Debatte über die massenhafte Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte und die schleichende Gefährdung der Zivilgesellschaft bereichern? Immerhin zeigen sie, dass Geheimdienste sogar mit ihren von heute aus steinzeitlich anmutenden Fähigkeiten in der Lage waren, verbotenerweise Ausspähung zu betreiben, die einer Beeinträchtigung der demokratischen Selbstverständigung und einer Verzerrung des politischen Wettbewerbs Vorschub leistete. Der historische Befund bestätigt, dass diese Gefahr auch in einer Demokratie dann am größten ist, wenn ein Geheimdienst von der politischen Führung gezielt missbraucht wird. Das wird man in der Bundesrepublik bis auf Weiteres wohl nicht zu gewärtigen haben.

Bestätigt hat der Blick auf den frühen BND die alte Erkenntnis, dass eine geheim agierende geschlossene Institution mit ausgeprägten Klientelstrukturen von außen schlechterdings nicht wirksam kontrollierbar ist – weder im Hinblick auf ihre Effizienz noch auf die Legitimität ihres Handelns; ein Whistleblower ("Verräter" wäre Gehlens Diktum gewesen) hätte die seinerzeitigen Machenschaften auffliegen lassen können. Ein waches rechtsstaatliches Bewusstsein und eine kräftige Portion Zivilcourage bei den Mitarbeitern geheimer Dienste wären, gewürdigt und gefördert, jedenfalls eine gute Bürgerversicherung.

Zu allererst ist es jedoch die rechtsstaatliche Institutionenordnung, welche die Geheimdienste im Zaum zu halten hat. Transparenz widerspricht der Funktionslogik geheimer Nachrichtendienste, doch ist es gerade diese funktionsnotwendige Intransparenz, die demokratiewidrige Intransigenz fördern kann und in der Geschichte oft genug auch befördert hat.

Der Deutsche Bundestag unternimmt derzeit Anstrengungen, um das Parlamentarische Kontrollgremium für die Geheimdienste zu stärken. Der ehemalige BND-Präsident (1996–1998) und Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz Hansjörg Geiger schlägt darüber hinaus vor, das Amt eines dem Parlament verantwortlichen Beauftragten für die Nachrichtendienste zu schaffen. Doch um eine wirkliche Stärkung von Effizienz und Kontrolle der Dienste zu erreichen, müsste ihre Überwachung wohl von außen und innen zugleich erfolgen.

Denkt man hier weiter, steht man vor der Frage, ob zivilgesellschaftliche Rechtsstaaten bei ihren Geheimdiensten nicht das Vieraugenprinzip institutionalisieren sollten – nämlich durch die Schaffung einer Doppelspitze aus einem Leiter, der wie üblich der Regierung verantwortlich ist, und einem Leiter, der dem Parlament verantwortlich ist. Dieser wäre innerdienstlich mit ähnlichen Befugnissen ausgestattet wie sein Pendant (wobei einzelne Bereiche ausgenommen bleiben könnten, solange das Parlament in begründeten Fällen nicht auch hier Ermächtigungen erteilt). Das ist nur ein Gedankenspiel und ein ziemlich unkonventionelles Modell, doch dürften konventionelle Kontrollmechanismen mit der Entwicklung geheimdienstlicher Fähigkeiten in Zukunft noch weniger Schritt halten als in der Vergangenheit.

Der historische Teil des Aufsatzes gibt in gestraffter Form meine Ausführungen auf dem öffentlichen Kolloquium der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968 (UHK) am 2. Dezember 2013 in Berlin wieder. Vgl. Klaus-Dietmar Henke, Der Auslandsnachrichtendienst in der Innenpolitik: Umrisse, in: Unabhängige Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichten-dienstes 1945–1968 (Hrsg.), Die Geschichte der Organisation Gehlen und des BND 1945–1968: Umrisse und Einblicke, Marburg 2014, S. 90–98.

Dr. phil., geb. 1947; 1997 bis 2012 Univ.-Prof. für Zeitgeschichte an der TU Dresden; zuvor Abteilungsleiter Bildung und Forschung bei der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU); Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung; Beiratsvorsitzender der Stiftung Berliner Mauer; Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des BND 1945–1968. E-Mail Link: klaus-dietmar.henke@tu-dresden.de