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Freiheit unter Beobachtung? | Überwachen | bpb.de

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Freiheit unter Beobachtung?

Stefan Weidemann

/ 15 Minuten zu lesen

Es ist noch nicht lange her, da sagte der frühere Bundesinnenminister und Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Ernst Benda folgenden bedenkenswerten Satz: "Einen Staat, der mit der Erklärung, er wolle Straftaten verhindern, seine Bürger ständig überwacht, kann man als Polizeistaat bezeichnen." Angesichts der jüngsten Enthüllungen von gigantischen präventiven Überwachungsmaßnahmen (zumindest) der US- und britischen Geheimdienste fällt es nicht schwer, sich auszumalen, wovon die Rede war. Doch Ernst Benda sprach nicht von Orwellschen Überwachungsdystopien. Er sprach nicht über den heimlichen Zugriff auf private Webcams und die millionenfache Speicherung von Bildern völlig unverdächtiger Personen. Er sprach nicht über die automatisierte inhaltliche Auswertung von nahezu 200 Millionen SMS pro Monat. Er sprach nicht über die massenhafte Auswertung von Chats, E-Mails, Suchanfragen und Ähnlichem durch Anzapfen der transatlantischen Glasfaser-Unterseekabel, und er sprach nicht über die vollständige, einmonatige Speicherung und inhaltliche Auswertung aller Telefongespräche eines ganzen Landes. Ernst Benda sprach im Jahr 2007 über die deutsche Vorratsdatenspeicherung. Das ist zwar ein streitbarer Gegenstand, doch ein dystopisches Zwergengewächs im Vergleich zu dem, was die Snowden-Enthüllungen über die Überwachungspraxis westlicher Geheimdienste ans Licht gebracht haben, und zu dem, was sie noch erahnen lassen.

Blickt man heute auf diese Debatte und Bendas Mahnung zurück, drängen sich unbehagliche Fragen auf. Man muss ihm in seinen Anmerkungen zur Vorratsdatenspeicherung nicht zustimmen, um in einer umfassenden, anlasslosen und präventiven Massenüberwachung heutiger Prägung zumindest das Potenzial zum Polizei- oder Überwachungsstaat zu erkennen. Leben wir also nun in einem solchen (werdenden) Polizei- oder Überwachungsstaat? Immerhin war damals "nur" von der anlasslosen, sechsmonatigen Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten die Rede. Heute wissen wir, dass die anlasslose Massenüberwachung, wenigstens durch die Nachrichtendienste der USA und Großbritanniens, bereits damals erheblich umfangreichere Ausmaße angenommen hatte.

Wie so oft, wenn es um die öffentliche Sicherheit auf der einen und die sogenannten bürgerlichen Freiheiten auf der anderen Seite geht, stehen sich auch in der aktuellen politischen Debatte überwiegend Vertreterinnen und Vertreter von Maximalpositionen gegenüber. Wenig erhellende Schlagworte wie jenes von der "Stasi 2.0" machen die Runde und werden seitens der Regierungsverantwortlichen mit zum Teil beispielloser Banalisierung der Problematik und dem stets bemühten Verweis auf den internationalen Terrorismus gekontert. In diesem Artikel soll dagegen der Versuch unternommen werden, einen bedachteren Blick auf die Frage zu werfen, welche Rolle geheimdienstliche Überwachung für die Balance von Sicherheit und Freiheit in der Demokratie spielt. Denn: "Den Polizei- oder Überwachungsstaat wollen wir nicht. Aber wir wollen, dass der Staat seine Sicherheitsaufgaben angemessen erfüllt. Zwischen diesen beiden Polen ist der Mittelweg zu suchen."

Freiheit, Sicherheit und Autonomie

Obgleich es seit dem 11. September 2001 zuweilen den Anschein hat, stellen Sicherheit und Freiheit auch und gerade in Deutschland freilich kein neues Spannungsfeld des politischen Willensbildungsprozesses dar – erinnert sei hier etwa an die Diskussionen um die staatlichen Reaktionen auf den RAF-Terror der 1970er und 1980er Jahre. Entsprechende Konfliktlinien lassen sich allerdings noch weiter zurückverfolgen. In der politischen Philosophie des neuzeitlichen Staates gibt es gute Gründe, die Thematik mit Thomas Hobbes zu beginnen.

Den englischen Bürgerkrieg vor Augen, konstruierte Hobbes den Staat im 17. Jahrhundert bekanntlich als vertragliches Tauschgeschäft, bei dem die Bürger ihr Recht auf die Nutzung von Gewaltmitteln auf den übermächtigen Leviathan übertragen. Dieser hat den primären, wenn nicht ausschließlichen Zweck, seine Untertanen vor Übergriffen durch ihre Mitbürger zu schützen, um so ein geordnetes gesellschaftliches Leben zu ermöglichen. Dafür verfügt er über beinahe unbegrenzte Befugnisse und Machtmittel, und sein Verhalten unterliegt keinen weiteren legitimatorischen Notwendigkeiten, solange er diesen primären Zweck erfüllt. Entscheidend ist dabei, dass der Leviathan tatsächlich in der Lage sein muss, die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Ein Staat, der die Sicherheit seiner Bürger nicht mehr zu schützen vermag, so Hobbes, ist kein Staat mehr, und der Bürger ist ihm folglich auch keinen Gehorsam mehr schuldig. Die Gewährleistung von Sicherheit – verstanden als Schutz vor Übergriffen und als Aufrechterhaltung der Ordnung – bedingt den Staat.

In aller Kürze sei damit skizziert, was heute als "Hobbessches Paradigma" die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zur Legitimationsquelle des Staates macht. Doch so wirkmächtig dieses Paradigma auch sein mag, bleibt ein gewisses Unbehagen über diesen "totalen" Staat. Denn wie Hobbes selbst schon erkannte, besitzt derjenige, der die Macht hat, alle zu schützen, auch die Macht, alle zu unterdrücken. Ein Dilemma, das den Sicherheitsdiskurs bis heute begleitet.

Ein erster Versuch, dieses Dilemma aufzulösen, findet sich bei John Locke, der bereits einige Jahrzehnte nach Hobbes den nächsten Schritt in diesem Diskurs ging. Die Furcht vor der Gewalt des Anderen war in Hobbes’ Staatskonzeption gebannt worden, doch sie wich lediglich der Furcht vor der Gewalt des Staates. Dieser bei Hobbes noch mit beinahe absoluter Macht ausgestattete Leviathan, so Lockes Kalkül, müsse durch Regeln und Einschränkungen gebändigt werden, um den Schutz der Bürger vor einem tyrannischen Staat zu gewährleisten.

Sicherlich sind auch zahlreiche andere Lesarten von Freiheit denkbar, aber dennoch zeigt sich hier eine grundlegende Gemeinsamkeit von Sicherheit und Freiheit: Beide umschreiben so verstanden die Abwesenheit von beziehungsweise den Schutz vor Eingriffen in das Leben des Individuums. Bei Sicherheit geht es dabei um die Eingriffe, die durch andere Individuen erfolgen. Freiheit im oben beschriebenen Sinne bezieht sich dagegen auf die Eingriffe, die durch den Staat erfolgen. In diesem idealtypischen Zuschnitt sollen die Begriffe im weiteren Verlauf des Artikels verstanden werden. Dabei wird der dialektische Charakter des Verhältnisses von Sicherheit und Freiheit deutlich. Es handelt sich um zwei Konzepte, die zwar im Einzelfall in Konkurrenz stehen können, jedoch die gleiche Zielrichtung haben: die besagte Reduzierung von restriktiven Eingriffen in das Leben des Individuums. Mit anderen Worten: die Stärkung seiner Autonomie. Es ist folglich absolut richtig, wenn verlangt wird, "Sicherheit und Freiheit als die zwei Seiten der gleichen Medaille zu denken".

Freilich betreffen Sicherheit und Freiheit in ihrer oben skizzierten Lesart ein äußerst weites Feld politischer Themen. Der Schwerpunkt der folgenden Abhandlung liegt auf der Frage, welche Rolle geheime Nachrichtendienste im besagten Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft spielen. Dabei wird skizziert, wie die anlasslose Massenüberwachung in diesem Kontext zu bewerten ist, ob und wie die demokratische Kontrolle der Dienste gewährleistet ist und schließlich, welchen Beitrag Wissenschaft in diesem Themenkomplex leisten kann.

Anlasslose Massenüberwachung

Ein zentrales Thema der aktuellen Debatte ist die präventive, anlasslose Massenüberwachung der digitalen Kommunikation durch geheime Nachrichtendienste. Bei der gezielten Überwachung von ausländischen Staatsoberhäuptern oder internationalen Organisationen ist, bei aller moralischen Zweifelhaftigkeit, ebenso ein konkretes Interesse der überwachenden Staaten gegeben, wie bei der Überwachung von Personen, die einer bestimmten Straftat verdächtigt werden. Dagegen dient die anlasslose Massenüberwachung dem Auffinden von Informationen, welche den Verdacht einer Straftat oder deren Vorbereitung überhaupt erst nahelegen. Diese Form der Überwachung hat damit notwendigerweise die Tendenz, in möglichst umfassendem Maße alles und jeden zu erfassen, und macht damit auch jeden Einzelnen zu einem potenziellen Verdächtigen. Begründet wird dies mit der Schutzpflicht des Staates, welcher angesichts terroristischer Bedrohungen möglichst viele Informationen zur Erfüllung seiner Schutzaufgabe benötige. Geäußerter Kritik wird meist entgegengehalten, dass für die einzelnen Bürger keine Nachteile entstünden, da jemand, der oder die nichts zu verbergen habe, auch nichts zu befürchten habe.

Diesem "Unbedenklichkeitsargument" liegt die Annahme zugrunde, dass den überwachten Bürgern nur dann Nachteile durch die Überwachung drohten, wenn sie straffällig werden oder eine Straftat vorbereiten. Diese Annahme ist aus verschiedenen Gründen zurückzuweisen. Der erste Grund besteht darin, dass die Behauptung, unbescholtenen Bürgern drohten keine Nachteile, fälschlicherweise davon ausgeht, dass staatliches Handeln generell angemessen und korrekt sei. Selbst wenn man einem Staat grundsätzlich gemeinwohlorientiertes Verhalten attestiert, wie man es bei einer etablierten Demokratie wie Deutschland vielleicht zu tun geneigt ist, kann sein Verhalten doch zumindest fehlerhaft oder durch seine ausführenden Stellen und Personen kompromittiert sein. Beispiele dafür finden sich auch in jüngster Vergangenheit. Zu nennen sind hier etwa die No-Fly-Listen der US-Regierung, auf denen nachweislich aufgrund administrativer Fehler völlig unbescholtene Personen erfasst sind, welchen der Zugang zum Flugverkehr in den USA verweigert wird und denen jahrelang kein Rechtsweg offen stand, um diese Sanktion anzufechten. Ein Beispiel für missbräuchliche Verwendung der durch anlasslose Massenüberwachung erhobenen Daten findet sich auch in Italien, wo ein kriminelles Netzwerk unter Beteiligung von Geheimdienstmitarbeitern zahlreiche prominente Persönlichkeiten mit solchen Daten erpresst haben soll. Aus den USA sind zudem Fälle belegt, in denen NSA-Mitarbeiter die Überwachungsinstrumente nutzten, um Personen in ihrem privaten Umfeld zu überwachen.

Solche Beispiele zeigen, dass das Vorhandensein von Überwachungsinstrumenten durchaus zu Freiheitseinschränkungen im obigen Sinne für völlig unbescholtene Bürgerinnen und Bürger führen kann. Selbst wenn man solche missbräuchlichen oder fehlerhaften Verwendungen der Überwachungsinstrumente beiseite lässt, offenbart das "Unbedenklichkeitsargument" ein äußerst problematisches Staatsverständnis. Demnach können sich die Bürger bedenkenlos als Untertanen einem wohlwollenden, allwissenden Staat unterwerfen. Wäre dieses Staatsverständnis realistisch, so bräuchte das Individuum überhaupt keine Schutzmaßnahmen gegen den Staat – Lockes Freiheitsargument wäre hinfällig. Allein die Existenz solcher in der Vergangenheit errichteter, zum Teil mühsam erkämpfter Schutzmaßnahmen zeugt jedoch davon, dass es sich dabei um ein naives Staatsverständnis handelt. Staatliches Handeln ist keineswegs per se korrekt und angemessen. Der Freiburger Historiker Josef Foschepoth hat etwa jüngst eindrücklich herausgearbeitet, dass es in der Bundesrepublik Deutschland von ihrer Gründung an "bis 1968 einen verfassungsrechtlich, strafrechtlich und einzelgesetzlich klar und eindeutig geregelten Schutz des Post- und Telefongeheimnisses und eine Überwachungspraxis" gab, "die den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Bestimmungen ebenso klar und eindeutig widersprach". Er spricht dabei wohlgemerkt nicht von der Überwachung durch die Nachrichtendienste der Siegermächte, sondern von der Überwachung durch deutsche Stellen, an der Exekutive und auch Judikative massiv beteiligt waren und der beispielsweise über 100 Millionen private Postsendungen aus der DDR zum Opfer fielen, indem sie widerrechtlich beschlagnahmt, geöffnet und vernichtet wurden.

Ein weiterer Grund für die Unwirksamkeit des "Unbedenklichkeitsarguments" findet sich in den subtileren gesellschaftlichen Auswirkungen anlassloser Massenüberwachung. Untersuchungen haben gezeigt, dass Überwachung in ihren vielfältigen Formen gesellschaftliche Anpassungs- und Veränderungsprozesse bedingt und damit maßgeblichen Einfluss auf die Lebenswirklichkeit einer Gesellschaft nimmt. Beispielhaft genannt sei nur der "chilling effect", der beschreibt, dass auch unbescholtene Personen unter dem Eindruck von Überwachung ihr Verhalten bewusst oder unbewusst verändern. Solche Prozesse zu ignorieren, würde bedeuten, die gesellschaftspolitische Dimension von anlassloser Massenüberwachung sträflich zu vernachlässigen.

Es lässt sich also festhalten, dass das "Unbedenklichkeitsargument" keine ausreichende Legitimationsgrundlage für anlasslose Massenüberwachung darstellt. Tatsächlich greift eine solche Überwachung (potenziell) erheblich in die Freiheit des Individuums und in die Lebenswirklichkeit der Gesellschaft ein. Ob sie dennoch zu rechtfertigen ist, hängt schließlich von der Frage ab, inwieweit sie einen Sicherheitsgewinn für die Bürgerinnen und Bürger darstellt. Nur wenn die anlasslose Massenüberwachung in erheblichem Maße zum Schutz des Einzelnen vor den Eingriffen anderer Individuen in sein Leben führen und damit die Freiheitseingriffe aufwiegen würde, trüge sie auch im obigen Sinne zu seiner Autonomie bei.

Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Erfolge der anlasslosen Massenüberwachung hinsichtlich ihrer zentralen Zielsetzung, der Verhinderung von Terroranschlägen, äußerst begrenzt sind. So hat etwa eine umfangreiche Analyse der New America Foundation gezeigt, dass von 229 identifizierten Terrorverdächtigen in den USA seit dem 11. September 2001 gerade einmal 18 (7,8 Prozent) auf Basis der erweiterten NSA-Massenüberwachungsbefugnisse entdeckt wurden. Der mit Abstand größte Teil der Verdächtigen (60 Prozent) wurde durch traditionelle Ermittlungsmethoden wie Informanten und routinemäßige Polizeiarbeit identifiziert. Die Autoren kommen daher zu folgendem Ergebnis: "The overall problem for U.S. counterterrorism officials is not that they need vaster amounts of information from the bulk surveillance programs, but that they don’t sufficiently understand or widely share the information they already possess that was derived from conventional law enforcement and intelligence techniques." Zu einem vergleichbaren Ergebnis hinsichtlich der Auswertung von Telekommunikationsverkehrsdaten durch die NSA, auf Basis ihrer nach dem 11. September 2001 erweiterten Befugnisse, kam Ende 2013 auch eine entsprechende Untersuchungskommission des US-Präsidenten.

Wägt man ihren überschaubaren Sicherheitsgewinn gegen ihre bedenklichen Auswirkungen auf die individuelle Freiheit und die freiheitliche Ordnung der Gesellschaft ab, muss die anlasslose Massenüberwachung folglich als äußerst problematisch eingestuft werden. Gleichwohl heißt dies nicht, dass es keine denkbaren Situationen geben könnte, in denen eine Ausweitung von Überwachungsbefugnissen der Autonomie des Individuums und der freiheitlichen Gesellschaft insgesamt dienlich sein könnte. Unter den Bedingungen einer glaubhaften, konkreten Bedrohung könnte sich das Verhältnis zwischen Freiheitseingriff und Sicherheitsgewinn zugunsten von Überwachungsmaßnahmen verschieben. Deswegen allerdings bereits vorsorglich massive Freiheitseingriffe in Kauf zu nehmen, muss als unverhältnismäßig gelten. Bundesverfassungsrichter Johannes Masing formulierte treffend: "Eine Sicherheitslogik, die auf eine umfassende Datenvorsorge und möglichst flächendeckende Präventionsmaßnahmen setzt, ist im freiheitlichen Rechtsstaat nicht vertretbar. Vorsorge muss punktuell, begrenzt, transparent und gerichtlich kontrollierbar bleiben." Dass präventive, nachrichtendienstliche Überwachungsmaßnahmen auch und gerade jenseits der anlasslosen Massenüberwachung diesen Kriterien gerecht werden, kann nur durch eine effiziente und transparente demokratische Kontrolle der Dienste gewährleistet werden.

Kontrolle der Nachrichtendienste

Die demokratische Kontrolle von geheimen Nachrichtendiensten stellt auf den ersten Blick ein Paradoxon dar. Während ungehinderter Informationszugang sowie Transparenz und Öffentlichkeit Wesensmerkmale demokratischer Kontrolle der Exekutive sind, gehört Geheimhaltung per Definition häufig zu den Grundvoraussetzungen geheimdienstlicher Tätigkeiten. Um dieses Dilemma aufzulösen, wird in Deutschland auf einen Mittelweg zurückgegriffen. Die Dienste, also Bundesnachrichtendienst (BND), Militärischer Abschirmdienst (MAD) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), sind dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKG) des Deutschen Bundestages rechenschaftspflichtig, das seinerseits zur Geheimhaltung verpflichtet ist. Im entsprechenden Gesetz ist vorgesehen, dass die Abgeordneten des PKG von der Bundesregierung "umfassend über die allgemeine Tätigkeit" und "über Vorgänge von besonderer Bedeutung" unterrichtet werden; "auf Verlangen" hat die Bundesregierung außerdem über "sonstige Vorgänge" zu informieren. Auf den ersten Blick ist eine Kontrolle der Dienste durch das Parlament also gegeben.

In der Praxis jedoch zeigen sich erhebliche Probleme, die eine effiziente Kontrolle der Dienste durch das PKG zumindest erschweren. So ist etwa die Geheimhaltungspflicht des PKG derart umfassend, dass nahezu keine konkreten Ergebnisse seiner Kontrolle je das Licht der Öffentlichkeit erreichen. Den Angehörigen des PKG ist es beispielsweise nicht gestattet, die Ergebnisse ihrer Unterrichtung mit ihren Fraktionen im Bundestag oder ihren Mitarbeitern zu teilen, sodass sie, selbst für den Fall, dass sie am Wirken der Dienste etwas zu kritisieren hätten, praktisch keine politischen Maßnahmen ergreifen können. Dem PKG ist es darüber hinaus auch nur eingeschränkt gestattet, abstrakt über seine Tätigkeit zu informieren. So hat es etwa die Möglichkeit, für die Untersuchung besonderer Vorgänge einen Sachverständigen einzusetzen. Es darf jedoch nicht veröffentlichen, ob es dies getan hat – von den Untersuchungsergebnissen ganz zu schweigen.

Zwar wendet der Verfassungsrechtler Heinrich Wolff ein, dass Abgeordneten "faktisch wenig" passiere, wenn sie "Vertrauliches aussprechen", und dass sie "von Natur aus kommunikative Typen" seien. Bei der demokratischen Kontrolle von Nachrichtendiensten allerdings auf eine Pflichtverletzung redseliger Abgeordneter zu setzen, ist jedoch kaum tragfähig und von Wolff wohl auch so nicht gemeint. Zuzustimmen ist ihm allerdings darin, dass es für die Geheimhaltung im Bereich nachrichtendienstlicher Tätigkeiten durchaus gute Gründe geben kann. Sie stellt keineswegs notwendigerweise eine Schikane der Exekutive gegen Parlament oder Öffentlichkeit dar, sondern kann vor allem dem Schutz der zukünftigen Aufgabenerfüllung der Dienste dienen.

Die demokratische Kontrolle der deutschen Dienste stellt sich in der Praxis also zumindest defizitär dar. Zwar gibt es einen kleinen Personenkreis, der mehr oder weniger umfangreich über die Tätigkeiten der Dienste informiert wird. Wirksame politische Kontrolle, Transparenz derselben oder gar die disziplinierende Wirkung von Öffentlichkeit sind jedoch kaum vorhanden. Die Übereinstimmung der geheimdienstlichen Tätigkeiten mit den angesprochenen Masingschen Kriterien für vertretbare Gefahrenvorsorge bleibt folglich im Dunkeln. Ob die jüngst angekündigten Reformen des PKG daran etwas ändern können, muss sich erst zeigen.

Abgesehen hiervon stellt sich zudem noch ein anderes Problem. Soweit bekannt ist, werden die umfangreichsten nachrichtendienstlichen Überwachungsmaßnahmen nicht von deutschen, sondern von ausländischen Diensten (zum Teil unter Mitwirkung deutscher Stellen) umgesetzt und sind einer demokratischen Kontrolle durch die deutsche Bevölkerung oder ihre Repräsentanten ohnehin entzogen. Da jedoch zwischen den westlichen Geheimdiensten eine mehr oder weniger enge Kooperation besteht, ist davon auszugehen, dass deutsche Dienste gleichwohl mittelbar Zugriff auf die entsprechenden Daten haben. Die deutsche Bevölkerung sieht sich folglich einem ernstzunehmenden, internationalen Überwachungsapparat ausgesetzt, über dessen inländische Anteile die demokratisch gewählten Vertreter nur eine mangelhafte Kontrolle ausüben, während für die ausländischen Anteile überhaupt keine effektiven Kontrollmöglichkeiten bestehen.

Gesellschaftspolitische Sicherheitsforschung

Wie es zu dieser Situation gekommen ist, welche gesellschaftlichen und politischen Triebfedern dabei in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft eine Rolle spielen, welche langfristigen Auswirkungen zu erwarten sind und schließlich, wie damit umgegangen werden kann, ist bislang – wenn überhaupt – nur in Ansätzen aufgearbeitet. Die Beantwortung der Frage, wie die freiheitlich-demokratische Gesellschaft mit den neuen Herausforderungen durch den internationalen Terrorismus und durch inländische und ausländische Massenüberwachung umzugehen gedenkt, obliegt dem demokratischen Willensbildungsprozess. Die Qualität dieses Prozesses hängt jedoch maßgeblich von der Verfügbarkeit tragfähiger Informationen ab. In einer immer komplexer werdenden Lebenswelt fällt der Wissenschaft dabei eine besonders bedeutsame Rolle zu. Der Reflex, im Angesicht von immer neuen (versuchten oder gelungenen) Terroranschlägen das empfindliche Verhältnis von Sicherheit und Freiheit zugunsten von Sicherheitsmaßnahmen zu verschieben, liegt intuitiv nahe. Die langfristigen und nicht intendierten Auswirkungen einer solchen Verschiebung und die nüchterne Beurteilung des tatsächlichen terroristischen Bedrohungspotenzials werden dabei jedoch häufig vernachlässigt. Aufgabe der Wissenschaft muss es hier sein, die nötigen Informationen für eine ausgewogene gesellschaftliche Willensbildung bereitzustellen.

Bisher vermag sie das nur begrenzt. Das Feld der Sicherheitsforschung ist trotz einiger interdisziplinärer Ansätze faktisch disziplinär segmentiert. Vor allem jedoch ist die kritische Bewertung von Themen im Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit in der deutschen und europäischen Sicherheitsforschung bislang vielfach als Begleitforschung zu neuen Sicherheitsmaßnahmen und Technologien organisiert. Für eine konsequente Bearbeitung des Spannungsfeldes von Sicherheit und Freiheit bedarf es aber einer integrierten, ethischen und gesellschaftspolitischen Sicherheitsforschung, die sich dem Thema in eigenständiger Weise nähert und Ansätze der philosophischen Ethik, Technikfolgenabschätzung, Soziologie, Politikwissenschaft und Rechtsphilosophie konsequent miteinander verschränkt. Eine solche, sich als eigenständige Disziplin begreifende, ethische und gesellschaftspolitische Sicherheitsforschung könnte das Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit in einer Weise ausleuchten, die eine ausgewogene demokratische Willensbildung substanziell unterstützen kann.

Ob dies dazu führen würde, dass der von Benda geforderte Mittelweg gefunden und von der Gesellschaft auch gegangen wird, lässt sich nicht sagen. Es darf jedoch zumindest davon ausgegangen werden, dass extreme Unverhältnismäßigkeiten zwischen Sicherheitsmaßnahmen und Freiheitsrechten eingehegt würden. Und um nichts anderes handelt es sich bei der derzeitigen Überwachungspraxis geheimer Nachrichtendienste in manchen westlichen Demokratien.

M.A., geb. 1982; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre for Security and Society der Universität Freiburg, Augustinerplatz 2, 79085 Freiburg/Br. E-Mail Link: stefan.weidemann@css.uni-freiburg.de