Das Theater hat seine Magie verloren. Wir wollen nicht den Traum, wir wollen die Wirklichkeit!"
Bereits vor dem August 1914 hatte das Kino zudem Strukturen der Berichterstattung entwickelt, das seinen Anspruch, neben der Presse als ernsthaftes Informationsmedium akzeptiert zu werden, unterstrich. Die Kinos zeigten neben Unterhaltungsfilmen auch kurze Dokumentationen in Form von "Naturaufnahmen" und "Aktualitäten". Themen waren exotische Länder, Naturkatastrophen und der Auftritt politischer Prominenz. Vielfach waren diese Berichte sogar die eigentliche Attraktion der Kinoprogramme, versprachen sie doch einen unverfälschten Blick in ansonsten kaum zugängliche Realitäten. Schon wenige Jahre nach der Jahrhundertwende begann man, die aktuellen Berichte zu kurzen Kinojournalen zusammenzufassen, die zu Beginn jeder Kinovorstellung gezeigt wurden. Führend waren zunächst französische Firmen wie die Société Pathé Frères. Sie bauten ein internationales Korrespondentennetz auf und vermarkteten ihre "Wochenschauen", wie man die Journale wegen ihres wöchentlichen Erscheinens auch nannte, weltweit. Auch im deutschen Kaiserreich der Vorkriegszeit dominierten die französischen Journale die aktuelle Berichterstattung in den Kinos.
Nach Kriegsausbruch waren die Erwartungen an das Kino hoch. "Die allgemeine Unruhe, die sich des Publikums aus der Ungewissheit kommender Ereignisse heraus bemächtigt hat, fand einstweilen ihren Niederschlag in einem stark erhöhten Kinobesuch. Das Publikum harrt ungeduldig der definitiven Nachrichten",
Das starke Interesse am Kino hatte seine Ursache auch in den Besonderheiten des Ersten Weltkrieges. Wegen der großen Zahl der beteiligten Soldaten – allein im Deutschen Reich wurden in seinem Verlauf mehr als 13 Millionen Männer einberufen – und der vollständigen Involvierung der Zivilgesellschaft durch Umstellung der Ökonomie auf die Kriegswirtschaft (General Erich Ludendorff sollte dies später den "totalen Krieg"
Erste Kriegsphase: Restriktionen und Zensur
Den hohen Erwartungen gerecht zu werden, erwies sich in der Praxis allerdings als schwierig. Nach der Liquidierung der französischen Wochenschaufirmen gleich nach Kriegsbeginn versuchten zwar mehrere Dutzend deutsche Firmen in das Geschäft mit den Kriegsberichten einzusteigen,
Um an der Front drehen zu können, bedurfte es der Genehmigung durch die Oberste Heeresleitung. Die Wochenschaufirmen, so wurde verlangt, mussten "rein deutsch sein und unter patriotisch gesinnter deutscher Leitung stehen" und es "durften nur deutsche Aufnahmeapparaturen, deutsche Fabrikationseinrichtungen und deutsches Filmmaterial benutzt werden".
Das waren aber nicht die einzigen Schwierigkeiten, mit denen die Kriegsberichterstatter zu kämpfen hatten: Anders als im Zweiten Weltkrieg, in dem die Wochenschauleute über hochmobile Handkameras verfügten, waren die "Kameraoperateure" des Ersten Weltkrieges wegen der schweren Ausrüstung, die auf Stative angewiesen war, vergleichsweise unbeweglich. Ein flexibles Reagieren war so ebenso wenig möglich wie Nahaufnahmen vom Frontgeschehen. Während der Kämpfe waren Aufnahmen außerhalb des Schützengrabens kaum realisierbar, weil sich die Kameraleute mit ihren exponierten Stativaufbauten in extreme Lebensgefahr begeben hätten. Überdies war das Filmmaterial der Zeit wenig lichtempfindlich, sodass in der Dunkelheit, in der die meisten Kampfhandlungen stattfanden, kaum Aufnahmen möglich waren. Der österreichische Kameramann Heinrich Findeis schrieb beinahe resignierend im Frühjahr 1915: "Hat man nach vielen Anstrengungen den Armeebereich erreicht, so kommt man in den meisten Fällen zu spät und sieht nicht mehr als ein leeres Schlachtfeld. Hat man einmal die Gelegenheit, zu einer kriegerischen Aktion zu kommen, ist es Nacht."
Zu sehen waren in den Kinos so meist nicht die vom Publikum erhofften Kampfhandlungen (und wenn, waren sie meist nachgestellt
Damit vermittelten die Kriegsberichte ein von der Militärführung erwünschtes Bild eines wohlgeordneten und durchorganisierten Krieges mit gut versorgten Soldaten. Die wiederkehrenden Sujets von zerstörten Häusern, aktivem Wiederaufbau, Versorgung der Bevölkerung, essenden Soldaten und Vorbereitung von Kriegsgerät suggerierten eher einen zivilen Arbeitseinsatz, als dass sie einen grausamen Krieg dokumentierten. Die beruhigende Wirkung der Kriegsbilder unterstützte auch die filmische Inszenierung. Die Kamera war meist in einer stationären Position, Schwenks und Kamerafahrten wurden nur selten und sehr zurückhaltend eingesetzt. In Verbindung mit den meist verwendeten Einstellungsgrößen der Totalen und Halbtotalen wurde der Krieg zu einem optischen Tableau, das der Zuschauer mit einer gewissen Distanz betrachten konnte und ein beruhigendes Gefühl vom Leben an der Front vermittelte.
Zweite Kriegshälfte: Film als Medium der Sinnstiftung
Eines freilich konnten die Kinojournale nicht: den Krieg als legitime, nationale Mission deuten. Die Kriegsberichte standen in den Wochenschauen ohne inneren Zusammenhang nebeneinander, verbunden lediglich durch die Synchronizität der Ereignisse. Die Zwischentitel gaben kaum mehr an als den Ort und die Art des Geschehens. Die Kontextualisierung und Deutung der Filmberichte mussten die Zuschauer selbst leisten. In manchen Kinos gab es bisweilen auch Kinoerzähler, welche die Wochenschauvorführungen direkt kommentierten. Die Wochenschaubilder wurden so in einen vorher gegebenen Deutungskontext integriert und von diesem aus interpretiert. Solange der Krieg von der Mehrheit der Bevölkerung als gerechtfertigt akzeptiert wurde, ließen sich auch die Filmberichte als Bestätigung der Legitimität des Krieges sehen.
Spätestens seit Mitte des Jahres 1915 aber, als die Kämpfe im zermürbenden Stellungskrieg erstarrten, war diese Akzeptanz nicht mehr selbstverständlich. Immer mehr Soldaten starben, zugleich stiegen die Belastungen für die Zivilbevölkerung. "Wann nimmt dieses Morden doch einmal ein Ende?", schrieb im Februar 1917 ein Frontsoldat verzweifelt an seine Frau und fragte sich: "Vom Frieden hört man gar nichts mehr, wie wird das harte Ringen noch ausgehen?"
Angesichts der drohenden Sinnkrise vollzogen die militärischen Führungen einen propagandistischen visual turn: Was die konservativen Kinogegner der frühen Kaiserzeit am Film kritisierten, wurde ihm jetzt als Vorzug angerechnet: dass er nicht den Intellekt, sondern die Emotionen anspreche. Die medientheoretische Begründung dafür hatte die Massenpsychologie des Franzosen Gustave Le Bon geliefert. Seine 1895 erstmals in Paris veröffentlichte und in viele Sprachen übersetzte Psychologie der Massen behauptete, dass sich Individuen zu einer Masse verschmelzen ließen, die dann als Kollektiv nur noch niederen Trieben und Emotionen gehorche und sich in jedwede Richtung lenken lasse.
Die Neubewertung der bewegten Bilder hatte in den kriegführenden Staaten zunächst organisatorische Konsequenzen. In Großbritannien wurde das War Propaganda Bureau gegründet, in Frankreich die Section cinématographique de l’Armée francaise (SCA), die alle staatlichen und privaten Kriegsfilmberichte koordinierte und überwachte. In Österreich war das k.u.k. Kriegspressequartier auch für den Film zuständig, in den USA nahm bereits wenige Tage nach dem Kriegseintritt 1917 das neue Committee on Public Information (CPI) seine Arbeit als zentrale Propagandastelle auf. In Deutschland wurde die gesamte Kriegsfilmberichterstattung zunächst der Militärischen Film- und Fotostelle bei der Nachrichtenabteilung des Auswärtigen Amtes, ab Januar 1917 dem neu gegründeten Bild- und Filmamt (Bufa) unterstellt.
Über die organisatorische Stärkung der Filmpropaganda hinaus setzte man ergänzend zu den Wochenschauen auf neue Filmformate, welche die Akzeptanz des Krieges erhöhen sollten. Der Krieg sollte als eine notwendige nationale Aufgabe erscheinen, die mit einer geradezu teleologischen Konsequenz zu einem siegreichen Ende führen musste. Das sollten zum einen neue Kriegsdokumentationen leisten, die aus vorhandenen oder neu gedrehten Kriegsfilmberichten kompiliert wurden, diese aber in einen größeren Kontext einordneten und sie auch in den Zwischentiteln ausführlicher kommentierten. Zum anderen setzte man verstärkt auf Spielfilme, die das Kriegsgeschehen zu individuellen und moralischen Geschichten komprimierten und dem Einzelnen ein Deutungskonzept für sein Handeln anboten.
Sinnstiftung durch Authentizität: Die Schlacht an der Somme
Wie dies konkret aussah, soll zunächst an zwei der bekanntesten Kriegsdokumentationen des Ersten Weltkrieges gezeigt werden: dem englischen Film "The Battle of the Somme" und dem deutschen Film "Bei unseren Helden an der Somme".
Der britische Film, vom War Office in Auftrag gegeben, erschien in den Kinos noch vor der Beendigung der Kämpfe. Bemerkenswert an diesem rund 75-minütigen Streifen ist auf den ersten Blick die vergleichsweise schonungslose Darstellung des Krieges. Tatsächlich sieht man hier Bilder von verwüsteten Landschaften, erschöpften und vereinzelt sogar toten Soldaten. Dem Publikum mag dies als Ausweis der Authentizität des Filmes erschienen sein. Die eigentliche Botschaft lag aber nicht in den Bildern selbst, sondern in der Struktur ihrer Anordnung. "The Battle of the Somme" macht aus der Somme-Schlacht ein dramatisches Geschehen, das nach dem klassischen Fünf-Akt-Schema aufgebaut ist und dem Publikum aus Romanen, Theatervorführungen und Spielfilmen vertraut war. Demnach vollzieht sich eine dramatische Handlung von der Exposition, der Vorstellung der Handlungsträger, über die spannungssteigernde Klimax hin zum Höhe- und Wendepunkt, der sogenannten Peripetie, hin zur Katastrophe oder wahlweise auch zum Happy End.
Die einzelnen Akte werden diesem Schema entsprechend im Film, wie damals üblich, mit Zwischentiteln angekündigt (hier zum Teil abgekürzt): Part 1: Preparatory Action (es folgen Bilder von Vorbereitungen); Part 2: The Great Advance (weitere Vorbereitungen und Truppenvormärsche); Part 3: The Attack (Bilder von einzelnen Kämpfen werden zum großen Angriff kompiliert); Part 4: British Wounded and Nerve-Shattered German Prisoners Arriving (Versorgung der Kriegsgefangenen); Part 5: The Devastating Effect of British Shell Fire (Bilder von zerstörten Gebäuden und vom Abtransport deutscher Soldaten in die Gefangenschaft). Alle Akte ergeben sich hier als zwingende Folge, und der Gesamtverlauf wird so zu einem sinnvollen Geschehen: Aus den Kriegsvorbereitungen folgt notwendig der Angriff, der logisch mit dem Sieg der Briten endet.
Die deutsche Seite reagierte mit einem eigenen Somme-Film, der unter dem Titel "Bei unseren Helden an der Somme" im Januar 1917 Premiere hatte.
Kriegsspielfilm: Krieg als individuelle Bewährungsprobe
Wie die filmischen Kriegsdokumentationen narrative Strukturen der Fiktionalität übernahmen, integrierten umgekehrt die Spielfilme Muster der Authentizität aus den Kriegsberichten. Das betraf zunächst die Sujets: Befassten sich die Kinofilme vor 1914 vor allem mit dem Alltagsleben, historischen Stoffen und Literaturadaptionen, wurde Krieg jetzt ein zentrales Spielfilmthema.
Das lässt sich exemplarisch am deutschen Spielfilm "Das Tagebuch des Dr. Hart" (1916) zeigen. Gedreht wurde der rund 70 Minuten lange Film im Auftrag des Bufa.
Der Krieg in diesem Film ist so kein sinnloses Geschehen, dem der Einzelne hilflos ausgeliefert ist. Er erweist sich vielmehr als eine Herausforderung für individuelles Pflichtbewusstsein und Ehrenhaftigkeit. Der Film, so "Der Kinematograph", zeige "den Segen der ärztlichen Hilfe und Tätigkeit im Felde, andererseits aber auch den Opfermut, die freudige Hingabe an den Beruf und die Strapazen des Feldarztes".
Wahrheit der Filmbilder
Eines sollte nicht vergessen werden: Die Filmbilder, die aus dem Ersten Weltkrieg überliefert sind – ob mit dem Anspruch der Dokumentation oder der Absicht der Propaganda produziert –, sind hoch artifiziell. So authentisch sie dem heutigen Betrachter noch immer und gerade aufgrund ihrer aus heutiger Perspektive beinahe unbeholfenen Inszenierung erscheinen mögen: Jedes Bild der Wochenschauen, der Kriegsdokumentationen und erst recht der Spielfilme ist das Ergebnis einer sorgfältigen Selektion aus unendlich vielen Ereignissen und Motiven, die auch gefilmt hätten werden können. Und jedes Bild ist das Ergebnis einer durch technische Beschränkungen und sorgfältige Planung der Kameraoperateure erzeugten Inszenierung.
Der Erste Weltkrieg im Film ist ein konstruierter Krieg. Für eine seriöse Auseinandersetzung mit diesen Kriegsbildern genügt es daher nicht – wie das in den zurzeit geradezu inflationär verbreiteten Fernsehdokumentationen zum Ersten Weltkrieg oftmals geschieht – die historischen Filmsequenzen aus ihrem propagandistischen und sinndeutenden Kontext herauszulösen und sie in Umkehrung der ursprünglichen Herstellungsintention nun als visuellen Beleg für die Sinnlosigkeit und Grausamkeit des "Großen Krieges" zu zeigen. Das kann trotz bester Absicht nie vollständig gelingen, denn das Bildmaterial sperrt sich gegen eine beliebige Neuinterpretation: Die Grausamkeit des Ersten Weltkrieges verbirgt es weiterhin und suggeriert auch dem modernen Zuschauer noch immer das Bild eines sauberen Krieges – unabhängig davon, was die neuen kommentierenden Texte erläutern.
So stark der Wunsch in unserer von visuellen Medien geprägten Gegenwart auch ist, selbst weit zurückliegende Ereignisse visuell und authentisch zu erfahren, so sehr ist ein solches Unterfangen zum Scheitern verurteilt: Ein Zurück hinter die konstruierten Bilder der Zeit gibt es nicht. So wenig sie damals ein Fenster zur Front waren, so wenig sind sie uns heute ein Fenster in die Vergangenheit. Was bleibt, ist wichtig genug: die sorgfältige Analyse der Entstehungs- und Produktionsbedingungen und die hermeneutisch präzise Rekonstruktion des Bildes vom Krieg, das sich in diesen frühen Filmen widerspiegelt.