Die da oben" – so lautet eine weit verbreitete Formulierung, wenn es um Steuergerechtigkeit und Steuerverteilung geht. "Die da oben" zahlen zu wenig, "die da oben" können Steuern vermeiden, "die da oben" sollte der Staat stärker zur Kasse bitten. Gerade erst sorgte der Fall des früheren FC Bayern-Managers Uli Hoeneß dafür, dass die Debatte um mehr Steuergerechtigkeit erneut angefacht wurde. Sein Gerichtsverfahren sowie Selbstanzeigen und neue sogenannte Steuer-CDs mit Daten anderer Steuerhinterziehungen heizen die Diskussion um eine immer stärker ausgeprägte Ungleichverteilung von Vermögen und Einkommen an; zugleich werden die Forderungen nach weiteren vermögensbezogenen Steuern lauter.
So erfragten Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler der Universität Erlangen-Nürnberg in einer aktuellen Studie die Meinung von deutschen Arbeitnehmern über das Steuersystem. Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie die derzeitige Gestaltung des Systems für eher nicht gerecht halten – vor allem, was die Höhe der Steuersätze und die Steuervergünstigungen anbetrifft.
Vereinfachung war gestern
Dass Politik sich auf die Suche nach einem gerechten System machen sollte, wurde bereits im Bundestagswahlkampf 2013 deutlich: Anders als 2005 und 2009 drehte sich die Diskussion weniger um Steuerreformen und Vereinfachung, sondern um grundlegende Fragen der Gerechtigkeit. Bei den vorangegangenen Bundestagswahlen hatte noch bei fast allen Parteien die Forderung nach einer Entlastung bei Steuern und Abgaben im Zentrum gestanden. Nun sollten Gerechtigkeitslücken geschlossen und Steuern erhöht werden.
Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass die Vermögensschere in Deutschland in den vergangenen Jahren immer weiter aufgegangen ist. Eine Studie der Deutschen Bundesbank beispielsweise kam im vergangenen Jahr zu dem Ergebnis, dass die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung einen Anteil von 59,2 Prozent am Nettovermögen aller Haushalte besitzen.
Gut ein Fünftel hat kein Vermögen
Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung kam in seinem Jahresgutachten 2013/2014 zu dem Ergebnis, dass die Ungleichheit in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zugenommen habe. Von ähnlichen Resultaten auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) berichtet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW): Demnach machte das Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland 2012 insgesamt 6,3 Billionen Euro aus, im Schnitt belief sich das individuelle Nettovermögen auf 83.000 Euro und war damit nur wenig höher als zehn Jahre zuvor.
Eine gängige Methode, um die Verteilung von Vermögen zu messen, ist der sogenannte Gini-Koeffizient. Diese Kennzahl, entwickelt vom italienischen Statistiker Corrado Gini, liegt zwischen 0 und 1. Ein Wert von 0 besagt, dass alle verglichenen Haushalte das gleiche Vermögen besitzen, ein Wert von 1 bedeutet, dass ein Haushalt oder eine Person über das ganze Vermögen verfügt. In Deutschland liegt der Wert laut DIW bei 0,78; die Deutsche Bundesbank kommt auf einen Koeffizienten von 0,76.
Individueller Schuldenberg wächst
Immobilien spielen eine große Rolle für den Vermögensaufbau, sorgen aber auch für einen hohen Schuldenstand. Allerdings haben in anderen Bereichen die Kredite ebenfalls zugenommen: Die DIW-Untersuchung notiert, dass der Anteil der Personen, die Schulden haben, im vergangenen Jahrzehnt auf 32 Prozent gestiegen ist. Dies resultiere daraus, dass Konsumentenkredite in der Zahl stark zugenommen hätten.
Je höher das Einkommen, umso höher ist in der Regel auch das Vermögen. Das verfügbare Einkommen ist deutlich gleichmäßiger verteilt als das Vermögen. Im Jahr 2012 lag der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers nach Angaben des Statistischen Bundesamts bei 3391 Euro pro Monat; Sonderzahlungen wie Urlaubs- oder Weihnachtsgeld sind hier nicht berücksichtigt. Abweichungen und Unterschiede gibt es vor allem zwischen den einzelnen Branchen, aber auch zwischen den Regionen. Die Bruttomonatsverdienste sind zwar in den vergangenen Jahren angestiegen, der Reallohnindex jedoch hat sich insgesamt nur wenig verändert und tendierte zuletzt sogar nach unten. Für 2013 zeichnet sich laut Daten des Statistischen Bundesamts ein geringer Reallohnverlust ab: Die Nominallöhne sind in den ersten drei Quartalen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zwar um 1,4 Prozent gestiegen, aber auch die Verbraucherpreise erhöhten sich um 1,6 Prozent.
Gerechtigkeit: eine Frage der Definition
Entscheidend ist, wie in diesem Zusammenhang "gerecht" definiert wird. Schon die sprachliche Ebene bleibt hier eher vage: Der Duden definiert Gerechtigkeit als das "Prinzip eines staatlichen oder gesellschaftlichen Verhaltens, das jedem gleichermaßen sein Recht gewährt".
Wer aber als reich gilt und wer nicht, ist eine Frage der Abgrenzung – und diese ist nach durchaus unterschiedlichen Kriterien denkbar: Neben finanziellen Kriterien wie Einkommen und Vermögen spielen soziokulturelle Merkmale, etwa der Bildungsstand oder der Erwerbsstatus, sowie subjektive Aspekte von Wertvorstellungen eine Rolle. All das sind Faktoren, die in Zahlen nur schwer darstellbar sind. Aber selbst bei der Ermittlung der finanziellen Kennzahlen sind Wirtschaftswissenschaftler mit Problemen konfrontiert – ein Faktor, der sich unter anderem in den unterschiedlichen Ergebnissen der einzelnen Studien widerspiegelt. So stellt das Sozialversicherungsvermögen bei der gesetzlichen Rentenversicherung einen wichtigen Vermögensbestandteil der privaten Haushalte dar, lässt sich aber aufgrund der in Entgeltpunkten gezählten Ansprüche kaum messen.
Steuerpolitik als Verteilungsinstrument
So bleibt die Antwort auf die Frage, wann eine bestimmte Einkommens- und Vermögensverteilung gerecht ist, letztlich der Politik überlassen. Eine Korrektur der Einkommensverteilung wird von einigen Ökonomen dann als sinnvoll erachtet, wenn sie die gesellschaftliche Wohlfahrt steigert – selbst wenn dadurch die Effizienz gemindert und das Sozialprodukt verringert wird.
Die Konzepte, welche die politischen Parteien und verschiedene wissenschaftliche Institute hierzu vorlegen, sind nicht systemverändernd, sie bewegen sich innerhalb des bestehenden deutschen Steuersystems. Im Kern geht es um die Einkommensteuer, die Erbschaft- und Schenkungsteuer, die seit 1997 ausgesetzte Vermögensteuer sowie die Abgeltungsteuer für Kapitaleinkünfte. Daneben hat die Debatte um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer neue Nahrung erhalten.
Im Bundestagswahlkampf 2013 spielte der Tarif der
Einkommensteuer
noch eine große Rolle, ist er doch eine einfach zu drehende Stellschraube im System, um Personen mit hohem Einkommen prozentual und absolut stärker zu belasten. Vor der Regierungsbeteiligung und der Koalition mit der Union befürwortete die SPD daher, die Einkommensteuer anzuheben. Im Koalitionsvertrag ist davon nicht mehr die Rede. Die Grünen gingen in ihrem Steuerprogramm noch einen Schritt weiter: Demnach sollte der Spitzensteuersatz nicht nur von derzeit 45 auf 49 Prozent steigen, sondern bereits wesentlich früher greifen als jetzt.
Vermögensabgabe international gefordert
Aus diesem Grund rücken vermögensbezogene Steuern in den Blickpunkt der Debatte. Eine Spielart dieser Steuern ist die einmalige
Vermögensabgabe
, eine Steuer, die sowohl die Linken als auch die Grünen befürworten. Nach einem Entwurf der Grünen soll eine solche Abgabe auf alle unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen natürlichen Personen in Deutschland angewandt werden – mit einem persönlichen Freibetrag in Höhe von einer Million Euro. Für Betriebsvermögen ist ein zusätzlicher Freibetrag von fünf Millionen Euro vorgesehen. Die Vermögensabgabe ist laut diesem Konzept mit einem Steuersatz von 15 Prozent belegt, zahlbar in zehn Jahresraten à 1,5 Prozent.
Eine Vermögensabgabe für Deutschland lehnt die Bundesbank wiederum jedoch genauso ab wie verschiedene Wirtschaftswissenschaftler. Unterschiedlicher sind die Ansichten, wenn es um eine mögliche Wiederbelebung der
Vermögensteuer
geht. Diese hatte die Bundesregierung 1997 nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt. Die Vermögensteuer wurde bis zur Beteiligung der Sozialdemokraten an der Bundesregierung in der SPD diskutiert. Eine rot-grüne Länderinitiative vom Mai 2012 sah eine Steuerpflicht für natürliche und juristische Personen mit einem Steuersatz von ein Prozent vor – bei einem persönlichen Freibetrag von zwei Millionen Euro und einer Freigrenze für Kapitalgesellschaften in Höhe von 200.000 Euro. Die Linke plädiert für eine Vermögensteuer mit einem Steuersatz von fünf Prozent, anzuwenden auf Vermögen über einer Million Euro, ergänzt durch eine Vermögensabgabe.
Vermögensteuer mit historischer Tradition
Eine Abgabe auf Vermögen wäre in Deutschland nichts Neues. Bereits 1913 wurde sie über drei Jahre unter dem Etikett eines "Wehrbeitrags" erhoben und erwirtschaftete 1,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das sogenannte Reichsnotopfer von 1919 mit Steuersätzen zwischen zehn und 65 Prozent scheiterte weitgehend: Für die Finanzverwaltung war es fast unmöglich, die Vermögenswerte zu ermitteln. Zudem lösten die hohen Steuersätze eine Steuerflucht aus. 1949 wurde erneut eine Vermögensabgabe eingeführt. Diese zielte auf diejenigen, die vom Krieg nicht so stark betroffen und geschädigt worden waren.
Die allgemeine Vermögensteuer in Deutschland wurde wiederum 1997 ausgesetzt: Das Bundesverfassungsgericht sah in der unterschiedlichen Behandlung von Grund und Immobilien im Vergleich zu anderen Vermögenswerten einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Der Gesetzgeber verzichtete auf eine Reform, die Vermögensteuer wird seitdem nicht mehr erhoben. Auch unter Wirtschaftswissenschaftlern gilt die allgemeine Vermögensteuer inzwischen als Auslaufmodell.
Abgesehen von der Vermögensteuer werden derzeit in Deutschland noch andere vermögensbezogene Steuern erhoben. Dazu zählen die
Erbschaft- und Schenkungsteuer
, die Grundsteuer, die Grunderwerbsteuer und die Bankenabgabe. Das Aufkommen aus diesen Steuerarten macht allerdings nur vier Prozent der gesamten Steuereinnahmen aus, 2012 waren es – trotz eines aktuellen Anstiegs bei der Erbschaftsteuer – 24,3 Milliarden Euro.
Erbschaftsteuer ohne verfassungsrechtlichen Bestand
Aber auch das Erbschaftsteuerrecht musste in der jüngsten Vergangenheit bereits mehrfach reformiert werden – und landete ebenso oft vor dem Bundesverfassungsgericht. Bereits 1997 hatten die Karlsruher Richter die unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe für Immobilien, Grundbesitz, Betriebsvermögen oder Aktien über Bord geworfen. Knapp zehn Jahre später stand die Reform wieder auf dem Prüfstand – und wieder stufte das Bundesverfassungsgericht die Bewertungsregeln als verfassungswidrig ein, das Gesetz verstoße gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes. 2008 kam die nächste Erbschaftsteuerreform – dieses Mal mit pauschalisierenden Bewertungsvorschriften, hohen persönlichen Freibeträgen und steuerlichen Vergünstigungen für selbst genutztes Wohneigentum und für Unternehmen. So kann beispielsweise Betriebsvermögen in der Regel bis zu einem Wert von einer Million Euro steuerfrei vererbt werden; wenn die Lohnsumme binnen zehn Jahren 1000 Prozent der Lohnsumme des Erbjahres nicht unterschreitet, fällt ebenfalls keine Steuer an.
Aktuell bilden die
Grundsteuer und die Grunderwerbsteuer
die bleibende Basis der vermögensbezogenen Steuern in Deutschland. Das Aufkommen daraus steht den Gemeinden zu. Dass die Einnahmen hieraus im internationalen Vergleich eher gering ausfallen, ist vor allem den veralteten Werten geschuldet, die der Besteuerung zugrunde liegen. Ökonomen argumentieren, dass die Grundsteuer ein hohes Potenzial besitzt, da die steuerlichen Ausweichmöglichkeiten gegen Null gehen. Eine Bewertung von Immobilien und Grundstücken näher am Verkehrswert könnte daher langfristig hohes Steueraufkommen sichern.
Kapitaleinkünfte: privilegierte Besteuerung
Daneben gibt es auch andere Bereiche im deutschen Steuersystem, die noch einmal der Gerechtigkeitsprüfung unterzogen werden könnten. Ein Beispiel dafür, dass Steuervereinfachung nicht zwingend mehr Steuergerechtigkeit herstellt, ist die
Abgeltungsteuer:
Einkünfte aus Kapitalvermögen werden pauschal mit 25 Prozent besteuert – unabhängig davon, wie hoch das zu versteuernde Einkommen des Steuerpflichtigen ist.
Dabei sollen Steuerzahler, die sich in der gleichen wirtschaftlichen Lage befinden, auch gleich belastet werden – damit wird die horizontale Steuergerechtigkeit gewährleistet. Die vertikale Steuergerechtigkeit wiederum soll sicherstellen, dass Steuerzahler in unterschiedlichen wirtschaftlichen Lagen auch unterschiedlich Steuern zahlen müssen. Unter Ökonomen wird daher die Forderung laut, Kapitaleinkünfte in die persönliche Einkommensteuer wieder einzugliedern, um auf diese Weise sowohl horizontale als auch vertikale Steuergerechtigkeit herzustellen.
Steuersystem: Spielball der Umverteilungspolitik
In der Debatte um vermögensbezogene Steuern und Umverteilung über das Steuersystem bleiben aktuell allerdings einige Punkte außer Acht. Zum einen ist das Steuersystem in der öffentlichen Wahrnehmung gefangen zwischen den Polen Gerechtigkeit und Transparenz. Individuelle Steuergerechtigkeit wird ebenso häufig eingefordert wie die Vereinfachung des Systems; die persönliche Lage jedes Einzelnen soll genauso berücksichtigt werden wie das System verständlich sein soll. Zudem soll es Leistungsanreize setzen, Familien fördern und besondere Lebenssituationen nicht außer Acht lassen. Möglicherweise wird damit dem Steuersystem zu viel aufgebürdet. Zum anderen ist nicht klar, ob sich tatsächlich Verteilungsgerechtigkeit einstellt, wenn an einer bestimmten Stellschraube im Steuersystem gedreht wird. Neue, möglicherweise ungewollte Verteilungswirkungen könnten entstehen, die dann wiederum neue steuerliche Ansätze erfordern.
Unstrittig ist, dass es für den Zusammenhalt einer Gesellschaft langfristig förderlicher ist, Einkommen und Vermögen fair zu verteilen. Massive Ungleichheiten und ein Auseinanderdriften des finanziellen Status Quo führen nicht nur zu politischen Debatten, sondern mittelfristig unter Umständen zu sozialen Spannungen. Allerdings liegt es an der Politik, auch jenseits des Steuersystems weitere Ansätze zu finden und über andere politische Instrumente nachzudenken, um Verteilungsgerechtigkeit herzustellen. Das Steuersystem allein wird dies auf Dauer nicht leisten können.