Das Integrationsverständnis in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren weiterentwickelt: Zum einen wird nicht mehr von einer einseitigen Bringschuld der Zuwanderer ausgegangen, die sich über Spracherwerb und weitere Anpassungsleistungen einzugliedern haben, sondern von einem wechselseitigen Prozess, an dem Zuwanderer wie Mehrheitsbevölkerung in einem Sozialgefüge partizipieren. Zuwanderungs- und integrationspolitisch spiegelt sich dieses Verständnis beispielsweise im Konzept einer Willkommens- und Anerkennungskultur wider, die nicht nur attraktive Rahmenbedingungen für Neuzuwanderer bieten, sondern auch die "Anerkennung aller in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund durch die Aufnahmegesellschaft"
Integrationsprozesse können nachhaltig gestört werden, wenn Menschen mit Migrationshintergrund aufgrund ihrer Herkunft wiederholt Benachteiligungserfahrungen machen. Mögliche Folgen sind Prozesse der Ethnisierung oder Reethnisierung, also eines Rückzugs in die eigene Gruppe unter möglicherweise desintegrativ wirkender Belebung herkunftsbezogener Charakteristika oder Handlungsweisen im Alltag.
Der Tatbestand der Diskriminierung wurde auf der Grundlage gemeinschaftlicher EU-Vorschriften mit dem am 18. August 2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) im deutschen Recht spezifiziert.
In ihrer unmittelbaren Form äußert sich Diskriminierung darin, dass ein Individuum "eine weniger günstige Behandlung erfährt, erfahren hat oder erfahren würde als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation" (§3 Abs. 1 AGG). Eine mittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn "dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen (…) in besonderer Weise benachteiligen" (§3 Abs. 2 AGG). Wenn etwa durch eine betriebsinterne Regelung ein Kopfbedeckungsverbot am Arbeitsplatz festgelegt wird, kann dies für einzelne Arbeitnehmer eine mittelbare Form der Diskriminierung bedeuten: Denn obwohl die Regelung prinzipiell für alle Betriebsangehörigen gilt, trifft sie primär diejenigen, deren religiöses Bekenntnis eine Kopfbedeckung vorsieht. Wird einer Familie mit Migrationshintergrund als Folge eines Einschulungstests nahegelegt, ihr Kind zurückzustellen oder es auf eine Sonderschule zu schicken, weil aufgrund der nichtdeutschen Erstsprache ein sprachlicher Förderbedarf besteht, kann es sich um einen Fall institutioneller Diskriminierung handeln, insbesondere wenn dadurch der weitere Lernerfolg beeinträchtigt wird.
Arbeitsmarkt als wichtiger Schauplatz
Neben der Diskriminierung im Bildungssystem sind Benachteiligungen im Erwerbsleben integrationspolitisch besonders folgenschwer, da sie einen unmittelbaren negativen Einfluss auf die materiellen Teilhabechancen von Menschen haben können. Eine grundlegende dichotome Unterscheidung der Ursachen von Diskriminierung am Arbeitsmarkt geht auf den US-amerikanischen Ökonomen Gary Becker zurück: Ausgehend von der Annahme, dass Diskriminierung bei marktförmigem Wettbewerbsgeschehen und gleicher Produktivität nicht auftreten dürfte, führt er diskriminierendes Handeln von Arbeitgebern auf deren individuelle Präferenzen zurück; Ressentiments gegenüber einer Person oder (Herkunfts-)Gruppe werden handlungsleitend für eine Ungleichbehandlung. Folgt ein Arbeitgeber seiner – auf Vorurteilen oder Rassismen basierenden – Diskriminierungsneigung, ist dies für ihn unter Umständen mit zusätzlichen Kosten verbunden, die er bereit ist in Kauf zu nehmen.
Tritt dagegen Ungleichbehandlung auch ohne entsprechende Neigung seitens des Arbeitgebers auf, ist sie – so Becker – das Resultat von Unkenntnis oder Irrtum und kann durch Aufklärung vermieden werden. Die Diskriminierung ist dann auf (unzutreffende) Annahmen über kollektive Eigenschaften einer bestimmten Gruppe zurückzuführen und wird als "statistische Diskriminierung" bezeichnet.
Eine Ungleichbehandlung kann aber auch das Ergebnis bestimmter Annahmen über Dritte sein: Wenn beispielsweise ein Hotelier davon ausgeht, dass eine Person dunkler Hautfarbe an der Rezeption für einen großen Teil seiner Kunden nicht akzeptabel ist, wird er zu diskriminierendem Einstellungsverhalten neigen.
Die verschiedenen, sich zum Teil überlagernden Diskriminierungsgründe lassen sich modellhaft am Prozess der Rekrutierung neuer Mitarbeiter oder Auszubildenden über Stellenausschreibungen verdeutlichen. Um aus einer Fülle von Bewerbern eine Auswahl für Vorstellungsgespräche zu treffen, durchlaufen die schriftlichen Bewerbungen ein Screening. Dabei müssen zunächst die formalen und qualifikationsbezogenen Voraussetzungen erfüllt sein: Wer nicht den nötigen (Schul-)Abschluss besitzt oder nicht die geforderten Unterlagen eingereicht hat, bleibt in der Regel unberücksichtigt. Darüber hinaus können verschiedene Faktoren zur Ursache von Diskriminierung durch den Personalverantwortlichen werden, wenn aus der Bewerbung entsprechende Informationen hervorgehen. Neben manifesten Vorurteilen oder stereotypen Zuschreibungen, unbewussten Assoziationen oder Tendenzen zur Bevorzugung bestimmter (ethnischer) Bezugsgruppen führen auch Risikoerwartungen durch antizipierte Vorbehalte bei Kunden oder bei der eigenen Belegschaft zu Ungleichbehandlung.
Dass solche Diskriminierungsmechanismen etwa bei der Vergabe von Ausbildungsplätzen eine wichtige Rolle spielen, zeigen Befragungen von Unternehmen. Eine Studie im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald über Präferenzen der Betriebe bei der Auswahl von Auszubildenden ergab, dass neben der Qualifikation und der Einhaltung formaler Bewerbungskriterien für die Hälfte der befragten Unternehmen im nichttechnischen Dienstleistungssektor auch der kulturelle Hintergrund eines Bewerbers eine maßgebliche Rolle spielte.
Wie kann man Diskriminierung messen?
Diskriminierende Ungleichbehandlung tatsächlich nachzuweisen, ist sowohl im Einzelfall als auch statistisch im Hinblick auf bestimmte Gruppen schwierig. Die meisten Erkenntnisse über Auftreten und mögliches Ausmaß von Diskriminierung in unterschiedlichen Lebensbereichen ergeben sich aus der Survey-Forschung: Eine repräsentative Auswahl von Personen wird im Hinblick auf ihre Benachteiligungserfahrungen untersucht ("Betroffenenbefragung"). Die für Deutschland verfügbaren Forschungsergebnisse zur Diskriminierung von Personen mit Migrationshintergrund entspringen vorrangig breiter angelegten Befragungen, die nur bestimmte Herkunftsgruppen abdecken oder in denen wahrgenommene Benachteiligung nur eines von vielen Befragungsthemen ist.
Im Rahmen der für das SVR-Integrationsbarometer geführten Befragungen berichten Menschen mit Migrationshintergrund signifikant häufiger von erlebter Diskriminierung als Menschen ohne Migrationshintergrund, auch wenn das gemessene Diskriminierungsniveau insgesamt vergleichsweise niedrig bleibt.
Betroffenenbefragungen legen nahe, dass Diskriminierung vorkommt. Sie beschränken sich jedoch auf die subjektive Dimension erfahrener Benachteiligung, bilden also das Ausmaß tatsächlicher Diskriminierung nicht exakt ab, weil die Ergebnisse durch die individuell unterschiedliche Sensibilität für Benachteiligung und deren Wahrnehmung verzerrt sind. Eine Form der empirisch-statistischen Analyse ist die Residualmethode, mit der Ungleichgewichte etwa in der Arbeitsmarktbeteiligung von Personen mit Migrationshintergrund anhand größerer Datensätze untersucht werden. Dabei werden zentrale Einflussfaktoren wie Humankapital, Sprachkenntnisse oder Qualifikationsniveau statistisch konstant gehalten. Verbleiben zwischen den Gruppen dennoch Unterschiede in der Positionierung ("Restvarianzen"), die sich nicht auf die oben genannten Faktoren zurückführen lassen, ist dies ein Hinweis für Diskriminierung. Allerdings können auch unbeachtete Faktoren für solche Residuen mitverantwortlich sein, wodurch eine objektive Feststellung und Quantifizierung von Diskriminierung erschwert wird.
Als Königsweg zum Nachweis von Diskriminierung gelten daher experimentelle Prüfverfahren. Hier wird unter "Realbedingungen" beobachtet, ob Personen, die sich mit Ausnahme eines einzigen Merkmals – nämlich des diskriminierungsrelevanten – in ihren Eigenschaften und Kompetenzen gleichen, in einer bestimmten Situation unterschiedlich behandelt werden. Der methodische Ansatz des experimentellen Tests kann zwei verschiedenen Zwecken dienen: der wissenschaftlichen Forschung über Vorkommen und Ausmaß von Diskriminierung oder der Durchsetzung von Recht, wenn auf der Grundlage des AGG Schadensersatz für erlittene Diskriminierung beantragt wird, etwa bei diskriminierender Einlasspraxis von Diskotheken gegenüber bestimmten ethnischen Gruppen.
Die Ergebnisse von Testing-Verfahren spielen in der bisherigen Rechtsprechung zum AGG allerdings kaum eine Rolle.
Empirische Erkenntnisse
Für nahezu alle Teilbereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens lassen sich potenzielle Diskriminierungssituationen aufgrund der ethnischen Herkunft identifizieren. Es sind jedoch insbesondere die Bereiche Bildung, Wohnen und Arbeitsmarkt, die im Zentrum des Forschungsinteresses zu Diskriminierung stehen.
Bildung.
Besonders im Bildungsbereich ist in Deutschland bislang strittig, inwieweit die ungleiche Positionierung junger Menschen mit und ohne Migrationshintergrund das Resultat von direkter oder institutioneller Diskriminierung ist. Weder für den vorschulischen Bereich noch für die allgemeinbildenden Schulen oder für den Hochschulbereich liegen eindeutige repräsentative Erkenntnisse vor.
Insbesondere die Schullaufbahnempfehlungen scheinen sich nicht an ethnischen Kriterien zu orientieren: Bei gleichen Leistungen werden Schüler mit Migrationshintergrund ähnlich bewertet und zeigen ähnliche Übergangsmuster wie solche ohne Migrationshintergrund.
Wohnen.
Für den Wohnungsmarkt in Deutschland liegen erste – allerdings regional begrenzte und hinsichtlich der Fallzahl beschränkte – wissenschaftliche Ergebnisse von Audit- beziehungsweise Korrespondenztests vor. Im Rahmen einer in München erstellten Studie, bei der fiktive Personen mit deutschem und türkischem Namen per E-Mail auf 637 Wohnungsinserate reagierten, zeigte sich eine signifikante Benachteiligung für Interessenten mit türkischem Namen: In 358 Fällen (56,2 Prozent) wurden beide E-Mails beantwortet, in 90 Fällen (14,1 Prozent) nur die E-Mail des Interessenten mit deutschem Namen und in 34 Fällen (5,3 Prozent) nur die E-Mail des Interessenten mit türkischem Namen. Daraus ergibt sich eine sogenannte Netto-Diskriminierung von 8,8 Prozentpunkten.
In einer ähnlichen Studie in einer deutschen Metropolregion reagierten Anrufer mit deutschem beziehungsweise türkischem Namen sowie mit beziehungsweise ohne Akzent telefonisch auf Wohnungsanzeigen in den einschlägigen regionalen Zeitungen. Gemessen wurde die Chance der Anrufer, einen Besichtigungstermin für die ausgeschriebene Wohnung zu erhalten. Akzentfreie Anrufer mit türkischem Namen wurden nicht messbar diskriminiert; ein türkischer Name mit Akzent ging dagegen mit einer deutlich geringeren Erfolgsquote einher. Bei einem Teil der Anrufe wurde zusätzlich angegeben, man "ziehe beruflich" in die Stadt; dieses auf Mietsicherheit hindeutende Zusatzsignal kompensierte zum Teil die Nachteile der Anrufer mit Akzent.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes lässt derzeit eine größere wissenschaftliche Untersuchung zu Diskriminierungen auf dem Wohnungsmarkt anfertigen, deren Ergebnisse über einzelne Regionen hinausgehen und in der zweiten Jahreshälfte 2014 vorliegen sollen.
Arbeitsmarkt.
In Deutschland wurden bislang zwei Studien veröffentlicht, die mithilfe eines Korrespondenztests ethnische Diskriminierung am Arbeits- und Ausbildungsmarkt nachgewiesen haben. Das diskriminierungsrelevante Merkmal, das in beiden Studien variiert wurde, war der über einen Namen angedeutete türkische Migrationshintergrund von Stellenbewerbern.
Im Rahmen einer SVR-Studie wurde im Jahr 2013 ein bundesweiter Korrespondenztest mit über 1600 Unternehmen gemacht, die mindestens einen Ausbildungsplatz für die Berufe KFZ-Mechatroniker/in oder Bürokaufmann/frau zu besetzen hatten. Schüler der zehnten Klasse mit einem türkischen Namen erhielten trotz gleicher Qualifikation und Eignung mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit eine Rückmeldung auf ihre Bewerbung als Schüler mit einem deutschen Namen. Die Ungleichbehandlung trat besonders deutlich in Kleinunternehmen sowie in den Betrieben mit dem Ausbildungsgang KFZ-Mechatroniker/in auf.
Beide Studien belegen, dass die schlechtere Positionierung von Türkeistämmigen zum Teil auf Diskriminierung seitens der Arbeitgeber bei der Personalrekrutierung zurückgeführt werden kann. Allerdings besteht hier weiterer Forschungsbedarf. Denn zum einen sagen die Experimente nichts darüber aus, welche Rolle Arbeitsmarktdiskriminierung bei anderen Herkunftsgruppen spielt – hier wären weitere Tests nötig, in denen die ethnische Herkunft der Bewerber variiert und in denen der Effekt moderierender Variablen wie Religionszugehörigkeit bestimmt wird.
Fazit
Die verfügbaren Forschungsergebnisse zeigen, dass für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte ein chancengleicher Zugang zu zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens noch nicht erreicht ist. Die Freiheit von Diskriminierungen gehört jedoch zu den Versprechungen eines von meritokratischen Prinzipien geleiteten Bildungssystems, einer leistungsorientierten Arbeitswelt sowie eines fairen Wohnungsmarkts. Daher können sich ethnisch begründete Ungleichbehandlungen zu einem bedeutenden Störfaktor im Integrationsprozess entwickeln – indem sie die emotionale Integration in Form gefühlter Akzeptanz und Anerkennung untergraben oder die strukturelle Desintegration in den Bereichen Bildung, Wohnen und Arbeit verschärfen. Die Bekämpfung von ethnischer Diskriminierung sollte daher zu den vordersten Zielen einer modernen Integrationspolitik zählen.