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Legitim? Herrschaft durch Sprache in Politik und Wissenschaft

Bettina Fackelmann

/ 14 Minuten zu lesen

Wenn die Worte nicht stimmen, dann ist das Gesagte nicht das Gemeinte. Wenn das, was gesagt wird, nicht stimmt, dann stimmen die Werke nicht. Gedeihen die Werke nicht, so verderben Sitten und Künste. Darum achte man darauf, dass die Worte stimmen. Das ist das Wichtigste von allem.

Konfuzius (551–479 v. Chr.)

Menschen verständigen sich vorrangig durch Sprache, beachten dieses Medium jedoch oft nicht bewusst. Das ist insbesondere in Politik und Wissenschaft bedauerlich, denn Sprache ist ein mächtiges Instrument, das die Komplexität von Information mindern oder steigern kann – somit auch die Attraktivität politischer und wissenschaftlicher Mitteilungen.

Unter Sprache wird üblicherweise ein für die Bewohnerinnen und Bewohner eines Kulturraums geteilter Wortschatz und Grammatik verstanden, wie Deutsch in Deutschland, Österreich und der Schweiz – auch Ethnosprachen genannt. Doch unterscheidbare Sprachen gibt es bei näherer Betrachtung auch innerhalb der Ethnosprachen. So bilden soziale Systeme in der Regel "Fachsprachen" aus – wobei Systeme hier nicht als Gruppen oder schlichte Ansammlung von Individuen aufgefasst werden sollten. Im Sinne der Systemtheorie gelten sie als kollektive Konstrukte mit auch von außerhalb des Systems erkennbaren Eigenleben, Identitäten, Regeln, Sprachen und Codes, wie etwa die Wissenschaft und ihre Subsysteme der Physik, Soziologie oder Sprachwissenschaften. Zwar ist die Akzeptanz von Fachsprachen, vor allem in der Wissenschaft, relativ weit verbreitet, aber der Erfolg von Initiativen wie washabich.de oder Fernsehsendungen wie "Quarks & Co" zeigen, dass es ein zunehmendes Bedürfnis gibt, Fachsprachen, die persönlich relevant sind, zu verstehen.

Obwohl Sprache per se ein linguistisches Thema ist, wird sie im Folgenden aus soziologischer Sicht behandelt: Die öffentlich wirksamen Fachsprachen, vor allem in Politik und Wissenschaft, sind angesichts ihrer gesellschaftlich durchdringenden Wirkung – man könnte auch "Herrschaft" sagen – bedeutsam in Bezug auf die "demokratische Reife" eines Staates. Dieses seit Jahrzehnten diskutierte Konzept kann hier nur auszugsweise gestreift werden. Neuere Ansätze verstehen unter demokratischer Reife die Partizipation kompetenter und selbstbewusster Bürgerinnen und Bürger in möglichst vielen Lebensbereichen, die über eine bloße Wahlbeteiligung hinausreicht.

Sprache dient der Verständigung, grenzt aber auch ab

Die mögliche Teilhabe an den genannten Systemen ist demnach eine wesentliche demokratische Funktion, die durch eine systemspezifische sprachliche Kompetenz erst möglich wird – oder eben auch nicht.

Hier wird bereits ein wesentlicher Aspekt des "Herrschaftsinstruments" Sprache deutlich: Wer auch immer die Sprache in sozialen, auch formal demokratischen Systemen durch Kommunikation mitbestimmt oder gar bewusst festlegt und dadurch gegen andere abgrenzt, übt einen erheblichen Einfluss aus. Der heute so gängige Begriff "Nachhaltigkeit" etwa, der maßgeblich in das politische System Einzug gehalten hat, kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Sein Einzug ins politische System seit Anfang der 1970er Jahre kann gut nachvollzogen werden. Der Diskurstheoretiker Michel Foucault hat diese Entwicklung beschrieben, "die darauf verweist, wie die Subjekte und die Gegenstände der Wirklichkeit untereinander und miteinander vermittelt sind". Ein Diskurs funktioniert ihm zufolge schrittweise: "1. Durch das Auftauchen einer Aussage an einem Ort und einem Zeitpunkt, 2. durch die Position des sprechenden Subjekts, 3. durch die Beziehungen zwischen den Aussagen, 4. durch die Wiederholung und Beständigkeit, die den Aussagen ihre materielle Existenz verleihen."

Öffentliche Machtpositionen haben eine besondere Verantwortung für Sprache

Nun könnte man pragmatisch sein und sagen, dass die Wechselbeziehung zwischen Sprache, sozialen Systemen und Herrschaftsausprägung offenbar unvermeidbar ist, und sich beruhigt anderen Themen zuwenden. Für jene sozialen Systeme, die auf eine Gesellschaft großen Einfluss haben, wie beispielsweise Politik und Wissenschaft, darf dies jedoch nicht gelten. Denn Demokratie, die "Herrschaft des Volkes", kann nur dann gegeben sein, wenn auch komplexe politische Entscheidungen von den Betroffenen verstanden werden – wie beispielsweise die Bewältigung der Bankenkrise, Entscheidungen zur Bioethik, Bildungs- oder Arbeitsmarktreformen.

An dieser Stelle ist es notwendig, sich den Begriff "Herrschaft" genauer anzusehen. Er wirkt zunächst im Zusammenhang mit Sprache eher grob und zu groß: Wieso und wie sollten bloße Worte, unter Umständen nicht einmal niedergeschrieben, Herrschaft demonstrieren und ausüben können? Der Herrschaftsbegriff und seine soziologischen Definitionen lassen dies jedoch durchaus zu: Nach Max Weber ist Herrschaft "die Chance, für einen Befehl bestimmten Inhalts bei angebbaren Personen Gehorsam zu finden". Er gliedert sie in drei "reine Typen": Der erste ist rationalen Charakters und beruht auf dem Glauben an die Legalität gesetzter Ordnungen und des Anweisungsrechts der durch sie zur Ausübung der Herrschaft Berufenen (legale Herrschaft). Der zweite ist traditionalen Charakters; die Basis ist der Alltagsglaube an die Heiligkeit von jeher geltenden Traditionen und die Legitimität der durch sie zur Autorität Berufenen (traditionale Herrschaft). Den dritten sieht der durch charismatischen Charakter geprägt. Grundlage ist hier die außeralltägliche Hingabe an die Heiligkeit, die Heldenkraft oder die Vorbildlichkeit einer Person und der durch sie offenbarten oder geschaffenen Ordnungen (charismatische Herrschaft). Als Legitimationsmittel für die legale Herrschaft führt Weber "sachliche Kompetenz" an.

Anhand der Politik lässt sich "die Legalität gesetzter Ordnungen" gut darstellen: Die Herrschaft des Volkes wird an gewählte Repräsentanten übertragen – im Vertrauen auf deren Kompetenzen inklusive Führungsfähigkeiten. Ähnliches gilt für die Berufungsordnungen von Professorinnen und Professoren, Institutsleitungen sowie anderen Führungspositionen in der Wissenschaft. Kompetenz wiederum vermittelt sich maßgeblich über Sprache – sowohl in der Wissenschaft als auch in der Politik. Zum einen wurde bereits deutlich, dass Zugang und Anerkennung in einem sozialen System durch die sprachlich demonstrierte Fachkompetenz mitbestimmt werden. Zum anderen benötigen sämtliche beruflich bezogenen Kompetenzen (Fach- und Methodenkompetenz, Sozialkompetenz und Personalkompetenz) Sprache, um sich anderen zu vermitteln und zur weiteren Ausbildung der Kompetenzen.

Ralf Dahrendorfs Modell von Herrschaft lässt sich noch unmittelbarer auf Sprache beziehen: Herrschaft befähigt aus seiner Sicht, Normen und Sanktionen zu formulieren beziehungsweise umzusetzen. Man kann dies so lesen, dass Normen durch Sprache verhandelt werden und dadurch gleichzeitig sprachliche Normierungen geschaffen werden. "Hartz IV" kann beispielsweise als "Norm" in Gestalt eines Gesetzes gesehen werden, der Begriff als solcher wurde im Verlauf der Entwicklung dieser Gesetzgebung jedoch ebenfalls "normiert".

Dahrendorfs Herrschaftsmodell bezieht Schichten und Klassen mit ein, zwischen denen es in Bezug auf Normen und Sanktionen zu Konflikten kommen kann. Entsprechend unsicher wird die Herrschaft, gegebenenfalls bricht sie zusammen, und es entsteht eine neue Herrschaftsordnung. Auch in Konflikten ist Sprache ein wesentliches Element, um Positionen zu verdeutlichen oder Herrschaftsansprüche (zum Beispiel die Deutungshoheit der bestehenden Verhältnisse) zu unterstreichen – wie beispielsweise der Titel eines Nachrichtenbeitrags "Armutsmaschine oder gelungene Reform?" zur Bestandsaufnahme fünf Jahre nach der Einführung der "Hartz-IV"-Reform verdeutlicht. Beide Modelle, Webers Ausprägungen einer eher statisch begriffenen Herrschaftsstruktur und Dahrendorfs eher dynamisches Modell vom Wandel der Herrschaftsstrukturen, können gut im Verbund miteinander gesehen werden.

"Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt"

Das Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein verweist auf die naheliegende Frage: Wie anschlussfähig sind die gegenwärtigen (Sprach-)Normen in den jeweiligen Schichten und Klassen? Werden sie überhaupt verstanden? Wissen Angehörige verschiedener Bildungsschichten, was mit "Exzellenzinitiative", "Genom", "bilateralem Handelsvolumen" oder "progressivem Steuerverlauf" gemeint ist? Welche Auswirkungen haben diese Begriffe und die damit verbundenen Entscheidungen auf sie?

Im Rahmen der Studie "Sprichst du Politik?" wurden im Jahr 2011 deutschlandweit 16- bis 19-Jährige zu ihrem Interesse an und Verständnis von politischer Kommunikation befragt. Demnach erachteten 42,4 Prozent der Befragten mit angestrebt niedrigem Schulabschluss, 47,2 Prozent derer mit einem avisierten mittleren Schulabschluss und immerhin noch 28,1 Prozent derjenigen, die mit dem Abitur die Schule abschließen wollten, die schriftliche politische Berichterstattung als zu kompliziert. Die Kritik ist nicht neu und wurde bereits vor Jahren auch an die Wissenschaft gerichtet.

Sprachliche Alleinherrschaft ist zunehmend nicht mehr haltbar

Doch auch unabhängig von einer Bildungs- und Milieubetrachtung wird die Frage der Verständlichkeit zusehends wichtiger: Immer deutlicher wird der Anspruch, das, was einen persönlich betrifft, auch zu verstehen, um gegebenenfalls mitentscheiden zu können. Es gibt bislang keine vergleichenden Langzeitbetrachtungen, doch die zunehmende Zahl von Bürgerhaushalten und -initiativen, der Begriff "Wutbürger" als Wort des Jahres 2010 und die Debatte um den Volksentscheid auf Bundesebene zeigen auch ohne Zahlen, dass Bürgerinnen und Bürger eine selbstbewusstere und anspruchsvollere Haltung gegenüber ihren Volksvertreterinnen und Volksvertretern an den Tag legen.

Bezogen auf Weber kann man sagen: Sie testen die Kompetenz der legitimierten Herrscher. In Dahrendorfs Modell beanspruchen sie einen Teil der Herrschaft selbst, nämlich den, Normen und Sanktionen mit auszuhandeln – in der Hoffnung, wirksamere Lösungen und gleichzeitig weniger Konflikte zu erzeugen. Die Studie "Sprichst du Politik?" zeigte jedoch auf, dass die Wahrnehmung der Sprache von politischen Akteuren dem entgegensteht: 59,1 Prozent der Befragten nahmen an, dass Politiker absichtlich eine "abgehobene" Sprache sprechen.

Aus dem Unverständnis der Sprache heraus (durch zu geschliffene und dadurch wenig nachvollziehbare Sprache, beschönigende Kunstbegriffe sowie viele Fachbegriffe) entsteht also eine Distanz, die schon der Soziologe Pierre Bourdieu mit seinen Ausführungen zum "Habitus" beschrieben hat. Bourdieus Kernaussage lautet: "Die Menschen verstehen in der Praxis mitgeteilte Informationen durch den Habitus auf die ‚richtige‘, d.h. sozial gewünschte und passende Weise. ‚Das ist nichts für uns‘ oder: ‚Für wen hält die sich eigentlich?‘ bezeichnen zwei der prominenten Beispiele für sozial geregeltes, selektives Verstehen, das auf wundersame Weise die subjektive (…) mit der objektiven Definition der Situation (… Klassenzugehörigkeit) in Übereinstimmung bringt." Der Mensch denkt, spricht und handelt demnach nicht per se frei, sondern gebunden an seine soziale Klasse. So verfestigt sich die Distanz zwischen den Klassen in hohem Maße durch Sprache.

Je nach Kultur sind diese Distanzen mehr oder weniger leicht überbrückbar. Für Deutschland bestätigt die Bildungsforschung, dass es nach wie vor einen engen Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft und dem Bildungsgrad, mithin dem sozialen Milieu des Erwachsenen gibt.

Die naheliegende Schlussfolgerung, dass formal höher Gebildete sich demnach eingeladener fühlen müssten, sich über Politik zu informieren und am politischen Geschehen teilzuhaben, kann jedoch laut "Sprichst du Politik?" nicht gelten: 44,9 Prozent mit angestrebtem niedrigem Schulabschluss, 44,2 Prozent derjenigen, die einen mittleren Schulabschluss erreichen wollen, und 45,9 Prozent derjenigen, die auf einen höheren Abschluss hinsteuern, stimmten sinngemäß dieser prototypischen Aussage aus der qualitativen Befragung zu: "Ich denke, es liegt alles daran, dass der Staat nicht will, dass wir uns politisch engagieren. Die Regierung profitiert davon, wenn die Leute möglichst wenig wissen. (…) Wenn sie wirklich nachfragen und ständig Kontra geben würden, gäbe es ja den reinsten Reformsturm." Die Skepsis gegenüber dem politischen System ist in dieser Generation also bildungsunabhängig.

Dieses Argument soll politische Programme wie die Bildungsoffensive der Vereinten Nationen "Bildung für nachhaltige Entwicklung" und viele andere Bildungsinitiativen nicht kleinreden – aber es soll verdeutlichen, dass auch das politische und das wissenschaftliche System ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Verbesserung der demokratischen Reife leisten müssen.

Da Bildung allein nicht reicht, ist es die demokratische Aufgabe des politischen und des wissenschaftlichen Systems, anschlussfähiger zu werden, indem sie mit den Bürgerinnen und Bürgern erfolgreich kommunizieren. Denn ohne Kommunikation mit ihrer Umwelt sterben soziale Systeme – in dieser Betrachtung: die demokratische Gesellschaft mit den politischen und gesellschaftlichen Systemen als Subsysteme. Kommunikation ist bei Luhmann aber nicht einfach die Mitteilung von A an B ohne Rückkopplung von Erfolg oder Misserfolg. Erfolgreiche Kommunikation im Sinne Luhmanns (vgl. Abbildung in der PDF-Version) umfasst Anschlusskommunikation. Ein Gelingen dieser Art von Kommunikation betrachtet er zwar als durchaus möglich, doch tendenziell "unwahrscheinlich". Mit anderen Worten: Anschlusskommunikation ist bedroht von der immerwährenden Möglichkeit der Kommunikationspartner, die Mitteilungen der anderen zur Kenntnis zu nehmen oder nicht, sie inhaltlich anzuerkennen oder nicht, zu antworten oder nicht. Das heißt, dass Kommunikation nur stattfindet, wenn Anschlusskommunikation stattfindet, wenn auch nicht notwendigerweise mit dem Absender. Ebenso könnte die Erörterung eines Fernsehgesprächs zwischen Politikern mit Bekannten eine erfolgreiche Kommunikation im Sinne der Systemtheorie darstellen – womit wir wieder bei der Verantwortung politischer Akteure wären.

Das bedeutet, dass, wenn erfolgreich kommuniziert werden soll, die Akteure sich gerade bei komplexeren Themen mehr anstrengen müssen. Dies gilt auch dann, wenn es bei den Adressaten ohnehin eine Bereitschaft gibt, zu kommunizieren, etwa beim Besuch einer politischen Veranstaltung oder dem Aufruf einer digitalen Plattform zu wissenschaftlichen Themen. Denn die Herrschaft bei dieser Auffassung von Kommunikation ist geteilt. Man hört zunächst lieber zu, wenn das Gegenüber in der Kommunikation im Sinne Webers kompetent erscheint. Doch wenn dessen Sprache das Zuhören erschwert, kann man auch jederzeit wieder damit aufhören, also die Annahme der Information verweigern. Oder man kann die Information als solche zwar annehmen (wie etwa politische Berichterstattung durch Massenmedien), die Nichtakzeptanz des Inhalts aber für sich behalten und diese nicht mit dem Absender oder anderen teilen – also keine Anschlusskommunikation herstellen.

Unheilvolle Kette: Unverständnis, Desinteresse, Dysfunktion

Genau dies geschieht auf breiter Front: Gleichwohl in der Studie "Sprichst du Politik?" 53,1 Prozent der jungen Frauen und 76,3 Prozent der jungen Männer angaben, dass sie sich in hohem Maße für Politik interessieren, waren sie auch der Ansicht, dass politische Sprache zu kompliziert sei. Die als distanziert empfundene Sprache mindere ihr Interesse und führe dazu, dass weniger hingehört und letztlich weniger diskutiert wird.

Eine gewisse Widersinnigkeit dieses Handelns ist den Befragten durchaus bewusst, denn sie könnten ja durch mehr persönliche Informationen die empfundene Komplexität der politischen Sprache mindern. Doch das Vertrauen in diesen Mechanismus ist – auch in die Medien, die ihres Erachtens die Übersetzung der komplizierten Fachsprache nicht leisten – geschwunden.

Die gegenwärtig sinnvollste Reaktion, um die Komplexität zu reduzieren, ist aus Sicht der Mehrheit der Jugendlichen, nicht länger zuzuhören. Denn das politische System laufe ja auch ohne ihr Zuhören oder gar Mitwirken weiter: "Ich glaube, wenn das System so lange funktioniert, wird auch niemand daran etwas ändern wollen. Zurzeit funktioniert es noch, und Lösungen für unsere Probleme bestehen nicht. Wieso sollte jemand was ändern wollen, solange es noch funktioniert?"

Auch dieser Aussage könnte man sich anschließen, die Zeichen der Zeit (wie etwa eine seit Jahren sinkende Wahlbeteiligung sowie stetig abnehmende Mitgliederzahlen der Parteien) als Ausdruck der Zufriedenheit deuten und sich anderen Problemen zuwenden. Doch die für viele Bürgerinnen und Bürger unverständlichen Fachsprachen von Wissenschaft und Politik sind Ursachen für weitere Probleme: einerseits fruchtlose, mühsame, inner- und außerhalb des politischen Systems Desinteresse erzeugende Auseinandersetzungen, andererseits ein von vielen so empfundener Mangel an Energie für konstruktive und kreative Lösungsansätze – ganz wie eingangs von Konfuzius beschrieben.

Fazit

Eine verständliche Sprache reduziert Komplexität. Sie vermittelt idealerweise den Sinn der Aussage, statt ihn – gewollt oder ungewollt – zu verschleiern. Hier greift auch Luhmanns Definition von mündlicher Sprache als Medium mit akustischen Zeichen für Sinn. Sie ermöglicht Anschlussfähigkeit und damit Sinn auf der Seite der Adressaten. Gemeint ist hier ein ganz praktischer, sozialer Sinn. Für Bourdieu "besteht der Unterschied darin, ob dem Handeln eine gedankliche Vorstellung über den Zweck und die Mittel der Handlung vorausgeht oder ob es unmittelbar auf die soziale Praxis reagiert." Ohne populistische Handlungen befürworten zu wollen: Auch hier kann man die Aufforderung zur Anschlussfähigkeit herauslesen, indem sprachlich idealerweise bei der aktuellen sozialen Praxis angesetzt wird; wenn mit Jugendlichen beispielsweise nicht über "Konflikte durch divers ausgebildete Migrationshintergründe an Schulen" gesprochen, sondern einfach an ihren persönlichen Begegnungen mit Gleichaltrigen anderer Herkünfte angeknüpft wird.

Sicher ist eine verständliche Sprache gleichermaßen Aufgabe aller Beteiligten in der Gesellschaft, auch der Bürgerinnen und Bürger. Doch sie ist umso mehr Verpflichtung für diejenigen, denen "legale Herrschaft" zugeschrieben wird. Sicher ist auch, dass ein soziales System allein eine wirksame Umkehr und sprachliche Selbstdisziplinierung nicht wird leisten können. Dazu sind die sozialen Systeme gesellschaftlich zu sehr verwoben. Politik und Wissenschaft (wie auch Medien) gemeinsam könnten dies leisten – zu ihrem eigenen wie auch zum gesellschaftlichen Vorteil.

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Dr. rer. pol., geb. 1969; Kommunikationsberaterin; Gastprofessorin für "Organizational Communication" an der Al Akhawayn University in Ifrane/Marokko; Beratung für konstruktive Kommunikation, Postfach 210251, 10502 Berlin. E-Mail Link: bfn@bettina-fackelmann.de