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Leichte und Einfache Sprache Editorial Leichte Sprache? Keine einfache Sache Leichte und Einfache Sprache – Versuch einer Definition Leichte Sprache, komplexe Wirklichkeit Leichte Sprache – Ein Schlüssel zu "Enthinderung" und Inklusion Funktionaler Analphabetismus Sprache in Politik und Wissenschaft

Leichte Sprache? Keine einfache Sache

Simone Seitz

/ 8 Minuten zu lesen

Seit der Ratifizierung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (UN-Behindertenrechtskonvention) in Deutschland ist Inklusion als Schlagwort in aller Munde. Seither wird im Alltag und in den Medien der Begriff Inklusion (wörtlich: "Einschließung") hauptsächlich mit Bezug auf die Frage von "Behinderung" diskutiert. Fachlich gesehen greift Inklusion allerdings weit darüber hinaus. Inklusion ist hier in einem direkten Zusammenhang mit Exklusion ("Ausschließung") zu denken und in diesem Verständnis grundlegend für den Zustand einer Gesellschaft.

Entlang dieser gedanklichen Klammer von Einschließung und Ausschließung lässt sich die Frage bearbeiten, ob Menschen in einzelnen gesellschaftlichen Teilbereichen eine "Rolle spielen". Nur wenn dies gegeben ist, wenn sie in dieser Rolle adressiert werden, können Menschen an den Leistungen einzelner gesellschaftlicher Teilbereiche teilhaben.

Konkret lässt sich mit dem Zusammenhang von Inklusion und Exklusion unter anderem fragen, ob und unter welchen Bedingungen Menschen an Bildung teilhaben dürfen – etwa in der Rolle als Schüler oder Schülerin in Schulen. Hieran anknüpfend kann untersucht werden, welche Organisationen hierfür zur Verfügung stehen und wie die Einzelnen von diesen adressiert werden – beispielsweise welche Schulformen es gibt und ob dort Bildung diskriminierungsfrei zugänglich ist.

Blickt man von diesem Gedanken aus auf die Zielsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, nämlich "die volle und wirksame Teilhabe an der Gesellschaft und Einbeziehung in die Gesellschaft", so wird das Gewicht der Konvention klar. Sie zielt so gesehen in das Herz gesellschaftlicher Grundfragen. Diskriminierungsfreie Teilhabe an Bildung, Kultur und anderen gesellschaftlichen Bereichen auf der Basis gleicher Rechte, dies soll hier deutlich werden, ist ein zentraler Gedanke zum Verständnis der UN-Behindertenrechtskonvention.

Die Konvention beschreibt hiervon abgeleitet Behinderung als unzureichende Teilhabe (Partizipation). Dies schließt körperliche, psychische, soziale und kognitive Beeinträchtigungen und mögliche Benachteiligungen ein, die sich aus dem Zusammenspiel mit äußeren Bedingungen ergeben können, aber darüber hinaus auch die Diskriminierung von Minderheiten beziehungsweise die institutionelle oder individuelle Ungleichbehandlung von Personen mit gleichem Rechtsstatus.

Auch der ungleiche Zugang zu Wissensvorräten ist in diesem Zusammenhang bedeutsam. Denn oftmals ist das Wissen um Institutionen, um Rechtslagen und hiermit zusammenhängende Aspekte eine Voraussetzung dafür, Diskriminierung benennen und Teilhabe einfordern zu können. Nur wenn beispielsweise Eltern wissen, welche rechtliche Handhabe ihnen zur Verfügung steht, um einen diskriminierungsfreien Zugang ihres Kindes zu einer allgemeinbildenden Schule einzufordern, auch wenn diesem "sonderpädagogischer Förderbedarf" attestiert wird, können sie dies durchsetzen. Daher kann schwierige Sprache eine konkrete Barriere darstellen, die Einzelnen Teilhabe an kulturell geteiltem Wissen erschwert und zugleich deren Möglichkeiten der Mitbestimmung schmälert.

Inklusiv oder exklusiv?

Leichte Sprache wurde ursprünglich von Selbstvertreterinnen und Selbstvertretern entwickelt, die sich als Menschen mit Lernschwierigkeiten beschreiben. Die Idee bestand zunächst darin, speziell dieser Zielgruppe Zugang zu wichtigen Informationen zu schaffen. Dabei ging es auf der Zielebene unter anderem darum, mittels Leichter Sprache die eigenen Rechte besser zu kennen, um sie wirkungsvoll vertreten zu können und somit ein Instrument der Selbstvertretung zur Verfügung zu haben.

Hiervon ausgehend wurden zunächst vor allem Informationen aus dem Kontext der Rechte von Menschen mit Behinderungen in Leichte Sprache übersetzt. Die so entstandenen Texte schlossen eine große Lücke und übernehmen bis heute eine wichtige Funktion: Sie sichern der Zielgruppe den Zugang zu Wissensvorräten, die notwendig sind, um eigene Rechte vertreten und ein selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Bald zeigte sich jedoch die Nutzbarkeit der Leichten Sprache für einen breiteren Kreis an Menschen. So kann es beispielsweise für mehrsprachig lebende Menschen eine bedeutsame Hilfe sein, sprachlich unkomplizierte Darstellungen von Sachzusammenhängen zu erhalten. Die Themenfelder der typischerweise in Leichte Sprache übersetzten oder verfassten Texte sind allerdings oftmals auf die Lebenswirklichkeit von Menschen mit Lernschwierigkeiten zugeschnitten und damit nicht zwangsläufig von Interesse für weitere Personenkreise. Auch sind die Anforderungen, die sich im Kontext von Mehrsprachigkeit an die Konzeption von Leichter Sprache stellen, nicht gleichzusetzen mit denen, die im Kontext von Lernschwierigkeiten entwickelt wurden.

Dieser Wandel an Bedeutung und in der Folge an konzeptionellen Anforderungen, der sich am Beispiel Leichter Sprache beobachten lässt, weist aber auch beispielhaft auf eine grundlegende Herausforderung im Kontext von Inklusion hin. Geeignete angepasste Hilfen wie Leichte Sprache sind für den Zugang zu Informationen notwendig und sorgen auf der einen Seite für Diskriminierungsfreiheit der Zielgruppe. Sie setzen jedoch die Definition dieser Zielgruppe voraus und können unter Umständen auch positive Diskriminierung bedeuten. Denn sie heben damit unweigerlich die Besonderheit der hierüber konstruierten Zielgruppe hervor und unterliegen somit letztlich einer Defizitkonstruktion.

Die hieraus resultierenden Ambivalenzen zeigen sich etwa in der Schilderung einer Lehrkraft aus ihrem beruflichen Alltag in einer Schule mit einem sozioökonomisch und kulturell vielfältigen Einzugsgebiet. Wenn sie Leichte Sprache in Elternbriefen nutzen würde, so berichtet sie, könne sich ein Teil der Eltern diskriminiert und/oder nicht ernst genommen fühlen. Die Nutzung schwieriger Sprache jedoch "hängt einen Teil der Eltern ab".

Leichte Sprache, das wird hier deutlich, sorgt somit einerseits für Teilhabe, geht aber mit der Zuschreibung an das Gegenüber einher, auf Leichte Sprache angewiesen zu sein und unterstellt damit ein Defizit. Beides gewinnbringend zusammenzuführen und mit Wertschätzung zu unterlegen, etwa über selbstdifferenzierende Texte, stellt derzeit noch ein konzeptionelles Desiderat dar.

Ein Verständnis von Leichter Sprache als "exklusives" Instrument von und für Menschen, die sich selbst als Menschen mit Lernschwierigkeiten verstehen (und ihren Unterstützerinnen und Unterstützern), deckt aber, auch das wird im Beispiel deutlich, sicherlich nur in Teilen den skizzierten Anspruch auf Diskriminierungsfreiheit in der UN-Behindertenrechtskonvention ab. Gerade im Bildungssektor ist Teilhabe ein umfassenderes Problem mit weiter greifenden konzeptionellen Anforderungen.

Gar nicht so leicht – mögliche Grenzen

Auch Wissenschaftsdisziplinen sind aufgefordert für Zugänglichkeit zu sorgen – und die Inklusionsforschung ist hier ihrem Auftrag gemäß sicher in besonderer Verantwortung. Vor diesem Hintergrund entschieden wir 2012, einen von uns herauszugebenden Sammelband mit aktuellen Beiträgen aus den Reihen der Inklusionsforschung zugleich in Leichte Sprache zu übersetzen. Insbesondere die "Beforschten" sollten auf diesem Weg die Chance erhalten, ein Fachbuch zu aktueller Forschung zu lesen und zu verstehen.

Dabei zeigte sich schnell, dass jede Übersetzung unweigerlich die Aussage mit einem eigenen Sinn versieht, so auch eine von schwieriger Sprache in Leichte Sprache. Daher bauten wir mehrere Überarbeitungsschleifen ein, zum einen im Herausgeberteam, zum anderen mit den Autorinnen und Autoren der Texte in schwieriger Sprache. Letzteres ermöglichte es zurückzumelden, ob der Text in Leichter Sprache sich aus ihrer Sicht stimmig verhält zum Originaltext.

Zugleich konnte es nicht das Ziel sein, im Sinne einer reduktiven Didaktik komplexe Zusammenhänge zu simplifizieren und sie möglicherweise zu verharmlosen. Die Schwierigkeit bestand folglich darin, komplexe Zusammenhänge in klaren Worten und kurzen Sätzen auszudrücken, ohne dass der Sinn verstellt wird oder möglicherweise bevormundend wirkt.

Doch sind komplexe Zusammenhänge wie der zwischen sozialer Ungleichheit und deren Reproduktion im Schulsystem nur unzureichend in Leichter Sprache abzubilden, so mussten wir eingrenzend feststellen. Auch in Übersetzungen der UN-Behindertenrechtskonvention in Leichter Sprache lässt sich diese Schwierigkeit wiederfinden. In einer der Fassungen des Artikels 24 Absatz 1 Satz 1 in Leichter Sprache heißt es beispielsweise: "Der Staat muss dafür sorgen, dass behinderte und nicht-behinderte Kinder gemeinsam zur Schule gehen und gemeinsam lernen können." Im Originaltext heißt es hier: "(1) Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen (…)." Hierzu gehört zweifellos, dass Kinder nicht mit der Begründung einer Behinderung von allgemeinbildenden Schulen ausgeschlossen werden (Artikel 24 Absatz 2), wie dies in der Kurzfassung treffend benannt wird. Die Idee eines inklusiven Bildungssystems lässt sich aber mit der Kurzformel des gemeinsamen Lernens "behinderter" und "nichtbehinderter" Kinder nur unzureichend zusammenfassen. Denn es gilt in der Umsetzung inklusiven Schullebens, Partizipation (participation) im Sinne sozialer Zugehörigkeit und Mitbestimmung mit individueller Herausforderung (achievement) zusammenzuführen. Kennzeichnend für inklusive Qualität in Schulen ist daher vor allem die selbstverständliche Übernahme von Verantwortung für das erfolgreiche Lernen und die soziale Zugehörigkeit aller Kinder und gerade nicht eine unterstellte Dichotomie zwischen "behinderten" und "nichtbehinderten" Kindern.

Leichte Sprache zu verwenden, heißt somit weit mehr als nur andere Worte zu benutzen und kürzere Sätze zu bauen. Letztlich handelt es sich um eine fachlich anspruchsvolle didaktische Aufgabe: Es geht darum, Zugänge zu komplexen Sachzusammenhängen zu ermöglichen, die Zusammenhänge aber nicht unangemessen zu vereinfachen, sondern auf das Wesentliche hin zu konzentrieren, gewissermaßen eine Essenz des Textes zu erstellen. Eine inhaltliche Verknappung ist hierbei unumgänglich, sollte aber transparent gehalten werden.

Es geht um mehr

Die Adressatinnen und Adressaten für Leichte Sprache gelten ebenso wie die Verwendungsmöglichkeiten von Leichter Sprache mittlerweile als breit und heterogen.

So gesehen könnte das Instrument inklusiver geworden sein, denn es bezieht offensichtlich unterschiedliche Bedürfnisse ein und sorgt für Partizipation. Unklar scheint aber zu sein, wie dies in der Umsetzung konzeptionell geleistet werden kann.

Zukunftsbezogen gilt es bei den weiteren Entwicklungen, die mit der breiteren Nutzung einhergehen, die wachsende Verantwortung gegenüber der Textauswahl und dem Umgang hiermit im Blick zu behalten. Denn eine breitere Verfügbarkeit von Texten in Leichter Sprache kann dazu führen, dass schwierige Texte "erst recht" unzugänglich bleiben und so ein Teil des Anliegens unterlaufen würde. Stets ist folglich die Deutungsmacht darüber, was in Leichte Sprache übersetzt wird und wie dies geschieht, kritisch zu hinterfragen.

Vor allem aber gilt es, diese Aspekte in die Qualifizierung pädagogisch Handelnder zu implementieren. So schildert eine Lehrerin in einem Interview, dass eine ihrer Schülerinnen das Zeugnis des ersten Schuljahres auch noch im dritten Schuljahr täglich im Ranzen trägt. Sie besuchte die Familie zu Hause: "Und dann habe ich der Mutter auch gesteckt, dass ihr Kind noch das Zeugnis aus der ersten Klasse im Ranzen hat. Sie sagte zu mir ‚Was ist ein Zeugnis?‘. Sie wusste nicht, was ein Zeugnis ist und deshalb wusste sie auch nicht, was man damit machen soll."

Hier zeigt sich, dass Wissensvorräte im Einzelfall wesentlich von dem abweichen können, was Professionelle erwarten, und Verständigung mehr umfasst als die Wahl einfacher Worte. Es genügt folglich keinesfalls, Begriffe zu übersetzen. Vielmehr geht es um Zugänglichkeit zu kulturell gebundenem implizitem Wissen, wie über die Funktionsregeln und Verfahren in Bildungsinstitutionen. Barrierefreiheit sollte zukunftsbezogen wohl mehrperspektivisch gedacht werden und unser aller Denken flexibler machen.

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Dr. phil.; Professorin für Inklusive Pädagogik mit den Schwerpunkten Geistige Entwicklung, Unterrichts- und Schulentwicklung im Kontext von Inklusion, Professionalisierung von Fachkräften und Lehrkräften für inklusive Praxis, Universität Bremen, Fachbereich Erziehungs- und Bildungswissenschaften, Bibliothekstraße/GW2, 28359 Bremen. E-Mail Link: simone.seitz@uni-bremen.de