Den Stand von Recht und Rechtsprechung gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz fasste das Bundesarbeitsgericht (BAG) 2011 aus Anlass eines Kündigungsstreits so zusammen: Eine nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verbotene sexuelle Belästigung liegt vor, wenn "ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird". Zu den erfassten Verhalten gehören "auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen". Bereits ein einmaliger Übergriff kann den Tatbestand erfüllen. Sexuelle Belästigung erfordert nicht unbedingt Vorsatz, sie muss nicht "bezweckt", sondern kann auch "bewirkt" werden: Dann sind gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der belästigenden Person irrelevant. Ob ein Verhalten unerwünscht ist, bestimmt sich nach der objektiven Erkennbarkeit; eine aktive Ablehnung durch die betroffene Person ist nicht erforderlich. Die mehrfache verbale Belästigung einer Kollegin oder eines Kollegen kann eine außerordentliche Kündigung grundsätzlich rechtfertigen. Die Sanktion des Arbeitgebers muss unter Abwägung der beteiligten Interessen und Berücksichtigung von Umfang und Intensität der Belästigung angemessen sein. Daher ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob eine mildere Maßnahme wie Abmahnung oder Umsetzung erforderlich ist. Jedoch ist der Arbeitgeber von Gesetzes wegen verpflichtet, eine Wiederholung der sexuellen Belästigung auszuschließen.
Diese Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts markiert das vorläufige Ergebnis eines langen Wegs im Kampf um wirksame rechtliche Konzepte gegen sexuelle Belästigung.
Würde oder Gleichheit?
Sexuelle Belästigung wird in Deutschland erst seit der "Busengrapscher-Affäre" im Jahr 1983 rechtspolitisch diskutiert, als herauskam, dass ein Bundestagsabgeordneter der Grünen Mitarbeiterinnen der Fraktion belästigt hatte. Der juristische Diskurs übte allerdings erhebliche Zurückhaltung gegenüber diesem "Schmuddelthema" und zeigte große Anfälligkeit für Stereotype wie "Intimität", "Irrelevanz" und "Rechtsmissbrauch", die auch in den Debatten Anfang 2013 eine große Rolle spielten, um Sexismus zu leugnen, zu bagatellisieren oder zu rechtfertigen. Zudem wurde sexuelle Belästigung als seltenes individuelles Fehlverhalten verstanden und ihre rechtliche Bewertung als schwierig erlebt, schien doch die "Empfindsamkeit" der Betroffenen eine wesentliche Rolle zu spielen. Insbesondere verbale Belästigungen oder leichte Berührungen wurden als Flirt oder Missverständnis abgetan. Diese Rechtsauffassungen waren angesichts des Forschungsstands seit den 1980er Jahren nicht erklärlich, schließlich war bekannt, dass sexuelle Belästigung weit verbreitet war und ist, dass auch durch niedrigschwellige Belästigung ein Umfeld entstehen kann, welches Betroffene schwer beeinträchtigt, dass Männer und Frauen sich erstaunlich einig darüber sind, welche Handlungen sexuelle Belästigungen darstellen und welche nicht, und dass die persönlichen, gesundheitlichen und sozialen Folgen so schwerwiegend sind, dass (auch) rechtliche Maßnahmen unverzichtbar erscheinen.
Schon 1995 erläuterte die heutige Verfassungsrichterin Susanne Baer, dass die Schwierigkeiten des juristischen Diskurses im Umgang mit sexueller Belästigung ein hausgemachtes Problem seien, welches hauptsächlich auf der fehlsamen Konstruktion von sexueller Belästigung als Würdeverletzung beruhe. Der Würdeschutz führe zu Individualisierung, blende den Kontext aus, begünstige eine paternalistische oder die Täterperspektive, statuiere ideales Opferverhalten und fokussiere insgesamt auf die falschen Fragen. Sie schlug demgegenüber vor, sexuelle Belästigung als Form von Geschlechtsdiskriminierung zu verstehen, mit der hierarchische Geschlechterverhältnisse im Erwerbsleben aufrechterhalten oder geschaffen werden.
Geschlechtsdiskriminierung bedeutet übrigens nicht einfach "Frauendiskriminierung", auch wenn ein asymmetrisches Konzept zugrunde zu legen ist. Die Betroffenheit von Männern war ebenso Gegenstand der erwähnten Forschung, obwohl es leider weiterhin an repräsentativen Daten fehlt; auffällig war aber stets, dass das Risiko sexueller Belästigung sich für Männer erhöhte, wenn ihnen "Unmännlichkeit" oder Homosexualität unterstellt wurde.
Als Konsequenz eines Diskriminierungsansatzes forderte Susanne Baer ein anderes rechtliches Verständnis von sexueller Belästigung, die nicht vorsätzlich sein muss, von Vorgesetzten, Kollegen/-innen oder Dritten ausgehen kann, zu deren Unterbindung wie Prävention die Arbeitgeber/-innen verpflichtet sind und die Entschädigungsansprüche der Betroffenen auslöst, welche effektiv und selbstbestimmt nach zivilrechtlichen Grundsätzen geltend zu machen sind. Das zu Beginn angeführte Urteil des Bundesarbeitsgerichts zeigt, wie weit diese Forderungen geltendes Recht geworden sind.
Recht gegen sexuelle Belästigung
Zunächst aber trat im Juni 1994 das Beschäftigtenschutzgesetz (BeschSchG) als erste umfassende Regelung in Kraft. Es definierte sexuelle Belästigung als vorsätzliches, sexuell bestimmtes Verhalten, welches die Würde von Beschäftigten am Arbeitsplatz verletzt, und gewährte Beschwerderechte, Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche. Eine Studie aus dem Jahr 2002 belegte allerdings, dass das BeschSchG fast völlig wirkungslos blieb: Nur ein Bruchteil der Vorfälle wurde überhaupt gemeldet, den Verantwortlichen in Betrieben, Verwaltungen und Gerichten war das Gesetz kaum bekannt, und selbst in einschlägigen Gerichtsverfahren kam es fast nie zur Anwendung. Stattdessen prägten Stereotype über die angeblich private Natur der Konflikte die richterliche Urteilsfindung. Jenseits dieser befremdlichen Rechtsverweigerung wäre aber auch grundsätzlich die Eignung des BeschSchG, wirksam vor sexueller Belästigung zu schützen, mehr als fraglich, nahm es doch mit dem Vorsatzerfordernis die Perspektive des Belästigenden ein und erlegte den Betroffenen mit der interpretationsoffenen Voraussetzung "erkennbarer Ablehnung" Verhaltenspflichten auf, die auch Vergewaltigungsprozesse regelmäßig scheitern lassen. Zudem leistete es durch sein exklusives Abstellen auf die Würde dem Missverständnis Vorschub, sexuelle Belästigung habe primär mit Sexualität und Peinlichkeit zu tun.
Die europäische Gleichstellungsrichtlinie 2002/73/EG benannte sexuelle Belästigung erstmals explizit als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Dies führte in der Umsetzung in vielen europäischen Ländern zu einem doppelten Zugriff: Das Erfordernis der Würdeverletzung blieb zwar erhalten, zugleich aber wurde die Problematik sexueller Belästigung dem Antidiskriminierungsrecht zugeordnet. Damit waren wesentliche rechtliche Folgen wie Beweiserleichterungen für Betroffene, aber auch der Verzicht auf Verschulden des Belästigenden und ein Verbot von Obergrenzen für Entschädigungsansprüche verbunden. In Deutschland musste zunächst das Haftungsrecht angepasst werden, damit Schmerzensgeld unabhängig vom Verschulden und (unabhängig vom Geschlecht) auch bei Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung geltend gemacht werden konnte. Dem Verschuldenserfordernis für arbeits- oder dienstrechtliche Sanktionen wurde mit einem objektivierten Maßstab begegnet. Die Gerichte müssen seitdem die Verletzung der Würde der Betroffenen ebenso feststellen wie die Ausnutzung oder Schaffung einer geschlechtsbezogenen Hierarchie. Letzteres wird dadurch erschwert, dass sexuelle Belästigung im 2006 erlassenen AGG nicht ausdrücklich als Geschlechtsdiskriminierung benannt, sondern als "Benachteiligung" unspezifisch auf alle Diskriminierungsgründe des AGG bezogen wird. Natürlich kann eine sexuelle Belästigung auch Ausdruck einer intersektionalen Diskriminierung sein, das meint der Gesetzgeber aber leider nicht. Die verwirrende gesetzliche Regelung erschwert es der Rechtspraxis, den doppelten Zugriff von Würdeschutz und Antidiskriminierung zu entfalten. Ferner wurde nur der Schutz am Arbeitsplatz umfassend geregelt, obwohl das Schutzbedürfnis in anderen Bereichen nicht wesentlich geringer ist.
Im Erwerbsleben
Im Zentrum des Schutzes gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stehen nach den Paragrafen 12ff. AGG Pflichten der Arbeitgeber/-innen und Personalverantwortlichen. Sie müssen vorbeugende Maßnahmen treffen, ihre Beschäftigten schulen, im Fall einer sexuellen Belästigung die geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen gegenüber belästigenden Beschäftigten wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung, aber auch wirksame Maßnahmen gegenüber belästigenden Dritten ergreifen, Beschwerdestellen einrichten sowie über diese und das AGG informieren. Große Aufmerksamkeit hat eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein erfahren, wonach auch verbale sexuelle Belästigungen eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen können. Anderes gilt, wenn es sich um eine einmalige Entgleisung handelt oder die sexualisierte Kommunikation erwidert wird. Uneinheitlich wird beurteilt, ob Belästigung durch Berührungen zwingend eine fristlose Kündigung nach sich zieht. Die Ausnutzung einer Vorgesetztenstellung oder einer besonderen Abhängigkeit wirkt sich auf die Härte der Sanktion aus. Die Rechtsprechung bezieht sich auf Einzelfälle, die auch aufgrund der notwendigen Abwägung unterschiedlich entschieden werden können.
Betroffene Beschäftigte haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen zu beschweren; ihre Beschwerde muss geprüft werden. Ergreifen Arbeitgeber/-innen dann keine geeigneten Maßnahmen, haben Betroffene das Recht, ohne Lohnverlust ihre Tätigkeit einzustellen, bis ihr Schutz gewährleistet ist. Dieses Recht ist allerdings sehr zurückhaltend auszuüben, da die Auffassungen über die Eignung einer Maßnahme weit auseinander gehen können. Schließlich besteht ein Schmerzensgeldanspruch gegen Arbeitgeber/-innen nicht nur, wenn diese selbst belästigen, sondern auch, wenn sie Belästigungen durch andere Beschäftigte nicht effektiv unterbinden. Die Zurückweisung oder die Duldung einer sexuellen Belästigung darf nicht Grundlage von Maßnahmen gegen die betroffene Person sein.
Auch Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie grundsätzlich Beamte/Beamtinnen des Bundes und der Länder können sich auf die Regelungen des AGG berufen. Zusätzlich gelten für sie die Gleichstellungsgesetze der Länder, welche Beschwerdestellen (meist die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten), Verfahren und Sanktionen näher ausführen, sowie entsprechende Richtlinien und Dienstanweisungen der einzelnen Behörden. Schließlich sollen auch selbstständig und freiberuflich Tätige vom Schutz des AGG umfasst sein; dessen Fokussierung auf Arbeitgeber/-innen schließt eine Anwendung aber faktisch aus. Die Betroffenen können eine sexuelle Belästigung durch Auftraggeber/-innen nur über die Regelungen zum Diskriminierungsschutz im Waren- und Dienstleistungsverkehr geltend machen, der völlig unzureichend ist. Hier ist der Gesetzgeber schon seit längerem zum Handeln aufgefordert.
In der Bundeswehr
Der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hatte bis zur Jahrtausendwende erhebliche Schwierigkeiten, adäquat auf sexuelle Übergriffe im "Männerbund" Bundeswehr zu reagieren. War über disziplinarrechtliche Sanktionen zu entscheiden, stellte sich für den Senat nur die Frage, ob die sexuelle Belästigung einer einmaligen alkoholbedingten "Abirrung der Triebrichtung" entsprang oder ob der betreffende Vorgesetzte etwa eine "persönlichkeitsprägende Neigungshomosexualität" aufwies, was seine Entfernung aus dem Dienst notwendig gemacht hätte. Wer merkwürdigen Triebtheorien anhängt, hat offensichtlich besondere Schwierigkeiten, zwischen Sexualität und Gewalt zu unterscheiden. Erst mit der gesetzlichen Anerkennung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften im Jahr 2001 gab der Senat diese Rechtsprechung auf und fragt seitdem richtigerweise, ob eine besonders schwerwiegende Ausnutzung der Vorgesetztenposition oder Störung des kameradschaftlichen Verhältnisses vorliegt. Das 2006 in Kraft getretene Gesetz über die Gleichbehandlung von Soldatinnen und Soldaten (SoldGG) soll vor sexueller Belästigung als Geschlechtsdiskriminierung schützen, indem es diese als Dienstpflichtverletzung definiert und im Übrigen den Betroffenen die gleichen Rechte wie das AGG gewährt. Die generelle Zulassung von Frauen zur Bundeswehr hat die Frage des Schutzes gegen sexuelle Belästigung noch einmal neu auf die Agenda gesetzt, wobei Männer wie Frauen hier von gelingenden Konzepten profitieren dürften.
In Schulen und Hochschulen
Zwar ist der Bereich der Bildung in Paragraf 2 Absatz 1 Nr. 7 AGG explizit erwähnt, aber es handelt sich bei näherem Hinsehen um eine Mogelpackung. Die sonstigen Bestimmungen des AGG beziehen sich überhaupt nicht auf Bildungseinrichtungen. Dadurch entstehen ganz erhebliche Schutzlücken. Zwar ist dem Lehrpersonal in Schulen und Hochschulen sexuelle Belästigung von Kollegen/Kolleginnen oder Schülern/Schülerinnen selbstverständlich verboten und können Verstöße hiergegen arbeits- oder disziplinarrechtlich geahndet werden. Doch die Durchsetzung dieses Verbots erweist sich gerade bei einem ganz erheblichen Machtgefälle wie beispielsweise in Prüfungssituationen als sehr schwierig. Zudem ist die rechtliche Behandlung von sexueller Belästigung durch Mitschüler/-innen oder Kommilitonen/Kommilitoninnen völlig ungeklärt, sofern das Verhalten nicht sexualstrafrechtliche Relevanz erreicht. Viele Hochschulen haben zwar Richtlinien zur Gleichbehandlung erlassen, die auch sexueller Belästigung den Kampf ansagen. Die Umsetzung dieser Richtlinien in der Praxis sieht sich aber vielen Problemen gegenüber, wie insbesondere dem Fehlen eines funktionierenden Beschwerdesystems oder dem mangelnden Willen der Hochschulleitung, konsequent eine "Null-Toleranz-Politik" gegenüber sexuellen Übergriffen zu vertreten.
Bei der Inanspruchnahme von Waren und Dienstleistungen
Die europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien beziehen sich nicht nur auf das Arbeitsleben. Auch bei der Inanspruchnahme von Gütern und Dienstleistungen, also beispielsweise bei Miete einer Wohnung, Besuch einer Sauna oder Abschluss einer Versicherung, soll vor sexueller Belästigung geschützt werden. Der deutsche Gesetzgeber hat jedoch Artikel 4 Absatz 3 und Artikel 2 lit. d) der einschlägigen Richtlinie 2004/113/EG nicht umgesetzt und verweigert Betroffenen damit die Geltendmachung von Unterlassungs-, Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen. Eine Benachteiligung durch sexuelle Belästigung soll nach Paragraf 3 AGG nur im Arbeitsleben relevant sein, was unvereinbar mit europäischem Recht ist. In der Rechtswissenschaft wird einerseits überlegt, das AGG gegen seinen Wortlaut richtlinienkonform so auszulegen, dass es auch Schutz gegen sexuelle Belästigung bei der Inanspruchnahme von Gütern und Dienstleistungen umfasst. Eine unmittelbare Herleitung von Ansprüchen aus der Richtlinie würde hingegen daran scheitern, dass Rechtsverhältnisse nur zwischen Privaten betroffen sind, die wegen des Versagens des Staates aber nicht belastet werden dürfen. Eigentlich wäre ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik wegen nicht fristgerechter Umsetzung angezeigt; die Europäische Kommission konnte sich aber bislang nicht hierfür entscheiden.
Im öffentlichen Raum
Weder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz noch die Gleichstellungsgesetze des Bundes und der Länder bieten rechtlichen Schutz gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum. Auch das Strafgesetzbuch kennt – anders als beispielsweise in Österreich – keinen entsprechenden Tatbestand. Die Strafverfolgung eines sexualisierten Übergriffs setzt vielmehr nach Paragraf 184g Strafgesetzbuch (StGB) eine gewisse "Erheblichkeit" voraus, die selbst bei einem aufgezwungenen Zungenkuss verneint wird. Strafrechtlichen Schutz kann dann nur noch die Verfolgung als Beleidigung gemäß Paragraf 185 StGB bieten. Dieser Paragraf erfasst aber nur Ehrverletzungen, weshalb ein Angriff auf die "Geschlechtsehre" der belästigten Person angenommen werden muss. Die Argumente dagegen liegen auf der Hand: Die "Geschlechtsehre" ist ein patriarchales Konstrukt, verweist auf Sittlichkeitsvorstellungen und beschädigt die Opfer. Wer eine andere Person sexuell belästigt, "beschmutzt" nicht ihre "Geschlechtsehre", sondern verletzt ihre Integrität, ihr Persönlichkeitsrecht und ihre sexuelle Autonomie.
Zum Schutz dieser Rechtsgüter sollen sich Betroffene zwar durchaus in Notwehr gegen sexualisierte Übergriffe verteidigen dürfen. Dies privatisiert aber ein gesellschaftliches Problem, indem der öffentliche Raum in den Naturzustand zurückkehrt, und ist für die Betroffenen auch rechtlich riskant: Erfolgte der Übergriff überraschend und war schnell beendet, kann es dann am gegenwärtigen Angriff als Voraussetzung der Notwehr fehlen und die Verteidigung wird zur strafbaren Körperverletzung.
Interessanterweise gibt es einen Bereich, in dem Gerichte explizit den Schutz der Integrität und Selbstbestimmung von Frauen gegen sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum anführen: Die Beeinträchtigung der Anwohnerinnen und Passantinnen durch übergriffiges Verhalten von Freiern ist inzwischen ein wesentliches Argument für die Zulässigkeit von Sperrbezirken gegen Sexarbeit im öffentlichen Raum. In den 1970er Jahren hatten feministische Juristinnen ähnlich mit Geschlechtergerechtigkeit und dem Schutz von Integrität und Selbstbestimmung argumentiert, um einen Abwehranspruch gegen sexistische Werbung im öffentlichen Raum zu begründen. Damals wie heute muss sexistische Werbung ertragen werden, wenn nicht der Werberat ausnahmsweise ein Einsehen hat. Es bleibt der schale Geschmack einer Doppelmoral: Wenn Frauenkörper medial genutzt werden, um das Geschäft anzukurbeln, muss die Öffentlichkeit dies erdulden; wenn Frauen selbst ihre Körper vermarkten wollen, soll ihnen dies zum Schutz anderer ("anständiger") Frauen verwehrt werden können.
Sexistische Diskriminierung
Die Einlösung des Verständnisses von sexueller Belästigung als Geschlechtsdiskriminierung steht weiterhin aus. Vielleicht wäre der Verzicht auf den Begriff der sexuellen Belästigung ein erster Schritt, wird hiermit doch allzu schnell ein individuelles und/oder marginales Problem assoziiert, das die Betroffenen vermeintlich beherzt selbst lösen könnten. Die lange Vergangenheit sexualisierter Übergriffe als Zugangshindernis zu höherer Bildung, bezahlter Arbeit und Teilhabe am öffentlichen Leben wird ausgeblendet und damit jeder Sexismus-Debatte die gesellschaftliche Veränderungskraft genommen. Für den gesellschaftlichen wie juristischen Diskurs erscheint der Begriff der sexistischen Diskriminierung daher vorzugswürdig. Ferner führt das weiterhin dominante Würdekonzept dazu, dass Betroffene vor Gericht argumentieren müssen, sie seien zum "Sexualobjekt erniedrigt" worden – Selbstermächtigung durch aktive Rechtenutzung sieht anders aus. Die gegenwärtige Rechtslage ist ein erfreulicher Fortschritt im Vergleich zum Beginn der rechtspolitischen Debatte. Es ist aber noch ein gutes Stück des Weges zu gehen, um sexistische Diskriminierung durch sexualisierte Übergriffe auch mit den Mitteln des Rechts umfassend und wirksam zu bekämpfen.