In der Moderne standen die Forderungen der Frauen nach demokratischer, beruflicher, finanzieller und sexueller Selbstbestimmung im Zentrum der Geschlechterdebatte. Schon 1792, als die Französin Olympe de Gouges "Die Rechte der Frau" aufschrieb und an ihre Königin sandte, wurde unter anderem das Recht auf Bekanntgabe einer Vaterschaft gefordert. Nennen wir das familiäre Selbstbestimmung. Es mag die kühnste Forderung der Französin gewesen sein, der man eine amouröse Freizügigkeit genauso nachsagte und vorwarf wie ihre Schönheit. Schließlich ist Elternschaft maximal asymmetrisch angelegt. Sie wacht über die größte Ressource jeder Gesellschaft, ihre Reglementierung ist in jeder Ideologie und jedem Glauben zentral. Sie fordert Zivilisation heraus und steht auch derzeit im Fokus der Politik, weil sich immer weniger Menschen zur Elternschaft entschließen können. Hierzulande zumindest. Olympe de Gouges setzte sich allerdings nicht durch, sie wurde wegen "Paranoia reformatoria" enthauptet, eine bis dahin unbekannte Krankheit. Im Code Civil, Paragraf 340, war das Erforschen einer Vaterschaft explizit untersagt. Und im Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Reiches von 1896, Paragraf 1589, hieß es gar: "Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten als nicht verwandt."
So dramatisch zur Sache ging es in der sogenannten Sexismus-Debatte, die sich um ein Thekengespräch einer jüngeren Journalistin mit einem reiferen Politiker entspann, freilich nicht. Es handelte sich jedoch nicht um eine Debatte, sondern um eher seichte Unterhaltung nach der Vorlage des Volksmärchens vom Tausendschön. Öffentlich verhandelt wurde ein Spiel der Ambitionen und Beleidigungen, bei dem aufschlussreich ist, was nicht zählte. Systematisch übersehen wurde zum Beispiel, dass die erste Beleidigung von Laura Himmelreich ausging, der Journalistin des "Stern". Sie stellte nachts um eins an der Hotelbar die politische Potenz von Rainer Brüderle, Fraktionschef der FDP, infrage, und zwar durch sein Alter: ein komplexer Angriff, der körperliche Merkmale und berufliche Leistungsfähigkeit verknüpfte, um sie in Beziehung zu setzen zum Abstieg seiner einst ehrenwerten, aber immer schon viel zu kleinen Partei. Man kommt kaum umhin, sich das spitze Lächeln der jungen Frau dazu vorzustellen, das seine Wirkung nicht verfehlte. Es wurde ihr zugestanden. Dass Rainer Brüderle als Antwort nun Laura Himmelreich zu umgarnen begann und sich schließlich mit einer Bemerkung über ihre Oberweite revanchierte, führte dagegen direkt zum Eklat, trotz der Verzögerung von einem ganzen Jahr. Dabei wurde übersehen, dass Rainer Brüderle eigentlich ein Kompliment formulieren wollte, freilich ein entlarvendes, denn im 21. Jahrhundert zählt Oberstübchen mehr als Oberweite.
Man kann einen Mann kritisieren, der auf eine Zurückweisung mit einem Angebot reagiert, denn darin steckt schon ein Selbstvertrauen, das herablassend und Jüngeren schwer vermittelbar ist. Er liefert sich allerdings auch aus. Deshalb bleibt unverständlich, warum Laura Himmelreich die Werbung nicht wegzulachen verstand. Schließlich wird das Selbstvertrauen, und es ist ein typisch patriarchales, nur bestätigt, wenn statt Indignation, gefolgt von nobler Ignoranz oder gar Mitleid mit einem Abgehängten, das glatte Gegenteil inszeniert wird: Wut und Empörung. Es ist diese humorlose Empörung, die das patriarchale Muster neu erzeugt, indem sie annimmt, die Frau sei schon durch das halbamouröse Angebot und eine Erwähnung der Oberweite in einem Machtspiel unterlegen. Tatsächlich vollzog sich vor aller Augen das Gegenteil: Die Macht lag vom Anfang bis zum Ende bei der Journalistin. Und sie wurde professionell ganz ausgespielt: Heute ist Brüderle da, wo Himmelreich ihn damals schon gesehen hat, er ist nicht nur von ihr nicht gewählt, sondern auch politisch abgewählt worden. Ihr Bekanntheitsgrad stieg von eins auf hundert. Das zählte in der sogenannten Debatte nicht.
Es zählte auch nicht, dass der "Stern" neben seiner politischen Berichterstattung selbst ein Busenblatt ist oder dass Himmelreich noch Wochen nach dem Abend mit Brüderle der Verbraucherschutzministerin Dirndlqualitäten zuschrieb.
Sie zählten nicht gegen die nun sich etablierende Rede von 60.000 sekundenschnellen Tweets, die unter dem Hashtag Aufschrei (#aufschrei) vom flächendeckenden Sexismus in Deutschland berichteten, nachdem Anne Wizorek am 24. Januar dazu aufgefordert hatte. Was dabei wieder nicht zählte, war eine Stichprobe von 200 zusammenhängenden Tweets, die der Strategieberater Marko Willnecker am 17. Februar auswertete.
Sie gaben nicht einmal die Mehrheitsmeinung zum Thema sexistischer Übergriffe wieder, sondern waren sehr weit davon entfernt. Die meisten Menschen haben eine ganz andere Alltagserfahrung, wie sehr leicht zu sehen ist: Heute hat der ursprüngliche Artikel von Laura Himmelreich auf stern.de bei über 500 Bewertungen nur zwei von fünf Sternen.
Diese Voten wurden nirgends aufgezählt, aber Birgit Kelle saß immerhin im April 2013 in der Runde bei Sandra Maischberger, die fragte, was die Sexismus-Debatte gebracht habe. Dort ebenfalls vertreten waren Alice Schwarzer und Anna-Katharina Meßmer, die den Bundespräsidenten angegriffen hatte, weil er kein flächendeckendes Fehlverhalten der Männer, dafür aber einen "Tugendfuror" erkennen konnte. Es wurde kein Mann zu Maischberger eingeladen, der sich explizit mit dem Sexismus beschäftigt, der sich gegen Männer richtet. Zumindest nicht in dieser Runde: Ich sollte am Rande sitzen und ein paar wenige Sätze sagen dürfen – darauf habe ich mich nicht eingelassen. So wurde die Debatte bei Maischberger vom bekennenden Macho Heiner Lauterbach gemacht, und Meßmer sagte hinterher dem "Cicero", dass der Aufschrei Sexismus als flächendeckendes Problem sichtbar gemacht habe.
Man darf bezweifeln, dass Olympe de Gouges dafür gestorben ist. Schwer vorstellbar ist auch, dass Anne Wizorek mal mit einer gerade vergewaltigten Frau gesprochen hat, dass sie Berichte von Zartbitter kennt, der Kölner Anlaufstelle für misshandelte Kinder, dass sie mal in einer Alkoholklinik hospitierte, wo Menschen, die unter dem Angstlöser zusammengebrochen sind, die Wände anschreien. Wer sich mit Unfällen, psychischen Krankheiten, Sterberaten, Drogenkonsum und Gewalt in dieser Gesellschaft beschäftigt, der bemerkt schnell, dass das Patriarchat keine Gewaltmaschine gegen Frauen ist, sondern das glatte Gegenteil: Es ist der einstige Schutzpatron, der am meisten abbekommt, weil das noch immer seine Ehre ist.
Man muss den Betreibern der sogenannten Sexismus-Debatte vorwerfen, die tatsächlichen Opfer des Sexismus von den Zwangsprostituierten bis zu den mit Drogen vollgepumpten Berufssoldaten für ein wenig Aufmerksamkeit und ein paar kleine politische Vorteile zu instrumentalisieren. Konsequenter ist es, den Begriff der Debatte fallen zu lassen, denn was wir erlebt haben, war reine Unterhaltung. Der Stoff des Tausendschön – besser bekannt vielleicht als "Die Schöne und das Biest" und in seiner Neuauflage als "King Kong und die weiße Frau" – ist alt und heiß geliebt. Ein Dauerbrenner des Kinos. Er funktioniert immer, denn er bedient sich des gröbsten patriarchalen Klischees. Mit drastisch herabgesetzter Attraktivität und aufgeblasener Gefährlichkeit des Mannes wächst die gefühlte Verletzlichkeit und Schwäche der Frau ins Unermessliche. Das emotionale Moment, welches das Patriarchat begründet, spielt groß auf. Natürlich hat die Frau dabei den Schlüssel zum Guten, der Mann muss darum bitten, von ihr erlöst zu werden. So inszenierte sich Laura Himmelreich nicht als souveräne Journalistin eines politischen Magazins mit Riesenauflage, sondern als scream queen des deutschen Politikbetriebes, die sich todgeweiht wähnte, als sie die fürchterliche Seele des Rainer Brüderle schaute. Anne Wizorek und ihre Followerinnen spielten diese Szene nun hundertfach nach, eine Technik des ganz schlechten Kinos. Zuletzt sah man sie im Film "50 erste Dates", in dem Adam Sandler als Tierarzt Henry Roth, eigentlich ein Frauenheld, auf Hawaii der schönen Lucy Whitmore verfällt, gespielt von Drew Barrymore. Dummerweise leidet Lucy nach einem Unfall an Amnesie, täglich vergisst sie ihn und täglich muss er sie neu erobern. Das Happy End, das Roth und auch das Biest im Märchen erleben – es verwandelt sich in einen schmucken Prinzen, als die Tränen des schönen, reinen Mädchens in sein struppiges Fell fallen – blieb Herrn Brüderle allerdings vorenthalten. Er musste, obwohl doch eigentlich harmlos, sterben wie das Ungeheuer King Kong. Neben der Erlösung durch das Weib ist auch das ein patriarchales Kernmotiv: die heldenhafte Einsamkeit des Mannes.
Natürlich führt die ewige Neuaufführung dieser Schnulze nicht in eine antisexistische Gesellschaft, eher im Gegenteil. Denn ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich zwar nicht immer gut damit, aber was soll man machen. Schließlich zeigt sich täglich, dass es egal ist, wie der Mann sich tatsächlich benimmt: Er ist genauso wenig potenzieller Vergewaltiger und Belästiger, wie jeder Kunde im Supermarkt potenzieller Ladendieb ist. Aber das Bild, das wir vom Manne entwerfen, schafft immer auch ein bisschen Realität. Und hier liegt das Problem: Jungen und sehr junge Männer wachsen nicht mit souveränen Frauen auf, sondern mit einem faktenwidrigen Dauervorwurf qua Geschlecht. Jede Erwiderung wird nieder gebrüllt, was selbst Teil der sozialen Gewalt gegen den Mann ist. Schließlich bleibt nur die Kapitulation, die Fügung in dieses Bild.
Alice Schwarzer und die Protagonistinnen des Aufschreis haben daran mehr Interesse als an einem antisexistischen Fortschritt, er ist für sie in der Unterhaltungsindustrie geschäftsschädigend. Und er ist es auch im sozialen, denn eine Gleichberechtigung würde ihnen statt einer Quote, dem neuesten patriarchalen Instrument zum Schutze der Frau durch und vor dem Mann, große Lasten auf die Schultern legen, die jetzt eben das andere Geschlecht trägt. Deshalb nehmen sie nicht zur Kenntnis, wie stark mittlerweile Männer daran arbeiten, aus ihrer starren sozialen Rolle herauszukommen. Es boomt nicht nur das Gewerbe der Neotantramassagen, bei denen Männer endlich einmal ihre Sexualität zeigen und gleichzeitig passiv sein können. Sie werfen auch, von Bertelsmann bis zum Bundesligisten, immer öfter ihre Karrieren hin. Nun geht sogar der Vizekanzler in Teilzeit.
Der Verein Väteraufbruch für Kinder hilft seit 25 Jahren in Deutschland effektiv und mehr oder weniger geräuschlos Vätern und ihren Kindern in Zwangslagen. Sein britisches Pedant fathers4justice hat eher von den Suffragetten gelernt und macht reichlich Krach. An Weihnachten zerrte man die Schauspielerin Kate Winslet wegen eines vaterschaftsfeindlichen Interviews in die Öffentlichkeit und brachte einer großen Öffentlichkeit das Problem des Sorgerechts zur Kenntnis. Vaterlose Kinder, entsorgte Väter gehen in die Millionen. Noch immer nämlich ist ein Vater mit seinem unehelichen Kind nicht verwandt, ein Umstand, der ein Kussgeräusch, dass man "natürlich" durch den Kopfhörer gehört haben möchte, in der Aufmerksamkeit der öffentlich-rechtlichen Medien ausstechen sollte. Das Bundesverfassungsgericht wies erst im Dezember 2013 die Beschwerde eines Mannes ab, der Vater eines Kindes zu sein behauptete. Er wollte auch der soziale Vater sein, der er in den ersten vier Lebensmonaten des Kindes offenbar war. Später ging die Mutter zu ihrem Ehemann und den anderen Kindern zurück. Das Gericht stellte aber schon früher fest, dass es einen mutmaßlichen leiblichen Vater zum Schutz der rechtlich-sozialen Familie von der Vaterschaftsanfechtung ausschließen kann.
Vaterschaft ist also staatlich oder sozial. Leiblich, persönlich, ist sie nicht. Quintessenz: Elternschaft ist nicht männlich! Das Kind des klagenden Mannes muss Kuckuck unter anderen sein, man mutet ihm einen fremdgewählten Vater zu, entzieht es dem klagenden leiblichen. Beim Aufschrei ist das kein Thema des Sexismus, auch dann nicht, wenn man weiß, dass unter den ideologisch geschützten Räumen die Familie jene ist, in der die meiste sexuelle Gewalt praktiziert wird. Olympe de Gouges würde sich vielleicht im Grabe umdrehen, hin zu den Tausenden Vätern, die heute um ihre Kinder kämpfen. Wäre das noch Feminismus, er wäre längst die Sache der Männer.