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Entstehung und Status der Technikfolgenabschätzung

Thomas Saretzki

/ 15 Minuten zu lesen

Wie, wo und warum entstand Technikfolgenabschätzung? Wie ist der Begriff genau zu verstehen? Handelt es sich um eine "deutsche Spezialität"? Welcher Status wird ihr heute zugewiesen?

Sucht man nach einer Antwort auf die Frage nach dem Wo und Warum der Anfänge der Technikfolgenabschätzung (TA), stößt man auf sehr spezifische Bedingungen und Bestrebungen zur Reform der Beziehungen zwischen Kongress und Präsident in den USA Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre. Die Entstehung der TA sowie ihre Verbreitung in anderen Ländern wird aber erst verständlich, wenn man auch den Wandel des gesellschaftlichen und kulturellen Kontextes beachtet, in dem vorhandene Techniken genutzt, neue Technologien entwickelt und nach Meinung ihrer Befürworter auch politisch gefördert werden sollten. Seit den späten 1960er Jahren wuchs in nahezu allen Industriegesellschaften der Zweifel, ob die alte Gleichung noch gilt, der zufolge einfach davon auszugehen ist, dass jeder technische Fortschritt immer auch einen gesellschaftlichen Fortschritt darstellt. Das Schwinden eines "naiven" Fortschrittsglaubens und die Verbreitung einer eher ambivalenten Einstellung zum technischen Fortschritt haben nicht zuletzt mit dem zunehmenden Bewusstsein über die negativen Folgen der Industrialisierung für Natur und Umwelt zu tun.

Anfänge in den USA

Die Vermutung, bei TA könnte es sich um eine besondere Form "typisch deutscher Bedenkenträgerei" handeln, geht fehl; vielmehr wurde das Konzept zuerst in den USA formuliert und institutionalisiert. Am Anfang der Entwicklung steht die Erfahrung vieler Abgeordneter des US-Kongresses, ihrer politischen Verantwortung bei der Meinungs- und Willensbildung über technologiepolitische Programme angesichts des raschen wissenschaftlich-technischen Fortschritts und seiner zunehmenden Folgen für Gesellschaft, Politik und Umwelt nicht (mehr) in dem Maße gewachsen zu sein, wie es die Erwartungen der Öffentlichkeit verlangten. Daraus erwuchs in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre die Erkenntnis, dass der Kongress selbst seine Fähigkeiten zu einer technikbezogenen Meinungs- und Willensbildung strukturell verbessern und eine eigene Beratungskapazität aufbauen müsse, um die Machtbalance im Rahmen der checks and balances im US-amerikanischen Regierungssystem zu wahren. Die Erfahrungen, die zu dieser Schlussfolgerung führten, hatten die Abgeordneten Anfang der 1960er Jahre insbesondere in Kontroversen über politische Programme zur Förderung des Luftverkehrs mit Überschallflugzeugen (Supersonic Transport, SST) gemacht. Weitere Streitfragen ergaben sich aus Plänen zur Entwicklung von Raketen- und Raketenabwehrtechnologien in Verbindung mit Verhandlungen über Rüstungsbegrenzungsverträge mit der Sowjetunion. Hinzu kamen Debatten über negative Folgen von neuen oder breiter eingesetzten Technologien für die Umwelt, etwa bei dem geplanten Bau einer Ölpipeline in Alaska.

In diesen technikbezogenen Kontroversen waren die Kongressabgeordneten dem klassischen Bild einer verantwortlichen parlamentarischen Vertretung des ganzen Volkes nicht immer gerecht geworden. Dafür gab es strukturelle Ursachen, die über die genannten Streitfragen selbst hinausreichten. So wuchs die Einsicht, dass der technologische Fortschritt die Bedingungen insgesamt veränderte, unter denen das Parlament seine politische Verantwortung wahrnehmen konnte, was sich auch in klassischen Politikfeldern wie der Haushalts- oder der Außenpolitik zeigte. So hatte etwa im Falle der SST-Debatte die Regierung – unterstützt von einschlägig tätigen Experten – vom Kongress immer wieder Erhöhungen der Fördermittel verlangt, denen die Abgeordneten über viele Jahre wiederholt zugestimmt hatten. Am Ende wurde das Programm aber eingestellt, ohne die ursprünglich angestrebten Ziele zu erreichen – und die Abgeordneten mussten sich fragen lassen, warum sie das nicht früher erkannt hatten.

In diesen Kontroversen verfestigte sich der Eindruck, dass die Abgeordneten in wissenschaftlich-technischen Fragen dem Übergewicht der Exekutive ausgeliefert waren und ihrer Aufgabe der Kontrolle der Regierung nicht mehr gerecht werden konnten. Neben diesem für die Balance im präsidentiellen Regierungssystem der USA spezifischen Problem der Gewaltenteilung machten die Abgeordneten weitere Erfahrungen, die sich bald auch andernorts in parlamentarischen Regierungssystemen einstellten: Wenn die politisch Verantwortlichen versuchten, ausgewiesene Experten zu ihrer Beratung hinzuzuziehen, mussten sie feststellen, dass diese insbesondere bei Fragen der Technikförderung oft nicht ohne Eigeninteressen waren. Auch bei Fragen der Technikregulierung sprachen sie nicht mit einer Stimme, sondern wirkten zerstritten. Die Parlamentarier konnten den Aussagen der Wissenschaftler also nicht ungeprüft Glauben schenken – andernfalls würden sie als Repräsentanten erscheinen, die dem Einfluss von Interessengruppen in technikbezogenen Fragen nichts entgegenzusetzen hatten. Die Legitimation des Parlaments wurde fraglich, wenn es sich bei technikbezogenen Fragen einfach auf Aussagen von Experten berief, die ein eigenes Interesse an den anstehenden Problemen der Technikförderung oder -regulierung hatten.

Karriere eines Konzepts

Die Prägung des Begriffs technology assessment wird dem Vorsitzenden des Unterausschusses für Wissenschaft, Forschung und Entwicklung des Repräsentantenhauses Emilio Daddario zugeschrieben. Dieser hatte 1967 einen ersten Gesetzentwurf in den US-Kongress eingebracht, der darauf zielte, eine Methode bereitzustellen, um Implikationen und Effekte angewandter Forschung und Technologie zu identifizieren, zu bewerten, publik zu machen und zu behandeln. In einem mehrjährigen Diskussionsprozess innerhalb der Ausschüsse des Kongresses und mit den nationalen Akademien für Wissenschaft und Technologie entstand dann das erste systematisch ausgearbeitete TA-Konzept, das im Nachhinein als "klassisch" gilt. Seine Institutionalisierung in Form eines eigenen Office of Technology Assessment (OTA) beim US-Kongress wurde 1972 per Gesetz beschlossen. Die "Grundaufgabe" des OTA sollte es danach sein, "frühzeitig Hinweise auf die wahrscheinlichen nützlichen und negativen Auswirkungen von Technikanwendungen zu geben sowie weitere Informationen, die den Kongreß unterstützen könnten, zu generieren und zu koordinieren."

Was die wissenschaftlich abzusichernde, analytische Seite angeht, so enthielt der Auftrag des OTA zwei Ziele, die das "klassische" TA-Konzept rasch als "Ideal" erscheinen ließen. TA-Analysen sollten möglichst alle relevanten Folgen einer technologischen Anwendung erfassen, in sachlicher Hinsicht also möglichst umfassend angelegt sein (comprehensiveness), und sie sollten dies möglichst frühzeitig tun, in zeitlicher Hinsicht also Wissen über antizipierbare Folgen so früh bereitstellen, dass die handelnden Akteure diese Folgen rechtzeitig erkennen und mit politischen Maßnahmen darauf reagieren können (early warning). In der Praxis zeigte sich aber rasch, dass diese Ziele der Vollständigkeit und Frühwarnung schon im Hinblick auf Umfang, Art und Zeitpunkt der Bereitstellung des angestrebten Folgenwissens schwerlich zu erreichen waren. Jenseits dieser Ansprüche erscheint das "klassische" TA-Konzept aber auch deshalb als keineswegs widerspruchsfreies "Ideal", weil es darüber hinaus von der politischen Seite weitere Anforderungen an die Verwendbarkeit der Ergebnisse und die Verfahren der Herstellung von TA-Analysen enthielt: So sollte TA "entscheidungsorientiert" in dem Sinne sein, dass auf der Basis der Analyse antizipierbarer Folgen und Wirkungszusammenhänge alternative Handlungsoptionen identifiziert und diese wiederum im Hinblick auf ihre möglichen Folgewirkungen vergleichend untersucht werden sollten. Über diese gesetzlich festgelegten Ziele und Vorgaben hinaus ergab sich im Kontext der veränderten politischen Kultur die vielfach auch in den Parlamentsdebatten angesprochene Erwartung, dass betroffene Interessengruppen und die interessierte Öffentlichkeit bei der Analyse und der Bewertung umstrittener Technologien einbezogen werden sollten (Partizipation).

Schließlich waren die Abgeordneten sehr darauf bedacht, dass ihre neue Beratungskapazität zwar das Parlament als Ganzes gegenüber dem Präsidenten stärken sollte, das OTA im Hinblick auf die beiden im Kongress vertretenen Parteien aber überparteilich beziehungsweise "neutral" sein müsse. Das bedeutete nicht nur möglichst weitreichende Transparenz und Nachprüfbarkeit im Hinblick auf alle Aussagen der Berichte, das hieß auch, dass sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des OTA jeder eigenen Initiative bei der Formulierung von Themen und bei der Bewertung von Optionen enthalten sollten. Ob und in welchem Umfang das OTA dem "klassischen" TA-Konzept in seiner Praxis tatsächlich gerecht geworden ist, in welcher Hinsicht jeweils Abweichungen der TA-Praxis von den Ansprüchen des "Ideals" einer umfassenden, frühzeitigen, entscheidungsorientierten und partizipativen TA-Analyse sowie von der Erwartung einer "neutralen" Politikberatung festzustellen sind und wie diese erklärt werden können, wird von beteiligten Akteuren in der Rückschau und von externen Studien zu Theorie und Praxis der TA am OTA unterschiedlich beurteilt. So gut wie keine Differenzen gibt es aber in der Einschätzung, dass das Modell des OTA im Hinblick auf die angestrebte Arbeitsteilung und Rollenverteilung von Politik und Wissenschaft bei der TA den Aspekten einer instrumentellen Politikberatung von parlamentarischen Auftraggebern und Adressaten institutionell eindeutig Priorität eingeräumt hat: "Das OTA wurde konsequent als eine unter der Regie der Politik stehende dienende wissenschaftliche Einrichtung konzipiert."

Ebenso wie das Konzept selbst wurde auch die Kritik an TA zuerst in den USA formuliert: So äußerten etwa die Sprecher großer US-amerikanischer Industrieunternehmen noch vor den Beschlüssen zur Errichtung des OTA die Befürchtung, technology assessment werde sich vielfach nicht als rationale Bewertung, sondern als Belästigung und Schikanierung von Wissenschaft und Technik (technology harassment), wenn nicht gar als deren Verhaftung (technology arrestment) erweisen. Bedenken gegen die mit TA geforderte Form des Be-Denkens von Technikfolgen und die damit einhergehende grundsätzliche Ablehnung von TA als überflüssig und nutzlos für den technischen Fortschritt oder gar schädlich für die technologische Wettbewerbsfähigkeit hat es früher oder später in fast allen demokratischen Industriestaaten gegeben. Die Kritik hat die Verbreitung der TA-Idee als Grundlage für verantwortungsbewusstes politisches Handeln im Umgang mit Technologien allerdings nicht aufhalten können – auch wenn das OTA selbst 1995 wieder abgeschafft wurde. Bemerkenswerte nationale Unterschiede in Bezug auf TA gab und gibt es weniger bei der grundsätzlichen Begründung und Kritik dieser Idee, sondern eher bei der Frage nach der Interpretation des TA-Konzeptes und seiner praktischen Umsetzung.

Übersetzungen und Interpretationen

Am Anfang der Diskussion über Technikfolgenabschätzung stehen also Begriff und Konzept des technology assessment, wie sie in den 1960er und frühen 1970er Jahren der Diskussion um den Aufbau einer eigenen Beratungskapazität beim US-Kongress entwickelt wurden. Die dabei eingeführte Abkürzung "TA" ist auch international rasch zu einem verbreiteten Kürzel geworden. Allerdings wurde der Begriff in anderen Ländern unterschiedlich übersetzt, das damit angesprochene Konzept von TA wurde unterschiedlich interpretiert und in unterschiedlichen Formen institutionalisiert.

Wie etwa ein Vergleich mit der wörtlichen Übersetzung zeigt, weist die heute im Deutschen am meisten gebrauchte Bezeichnung "Technikfolgenabschätzung" einige bemerkenswerte Unterschiede zum englischen Ausgangsbegriff auf. Sowohl bei der Gegenstandsbezeichnung (Was ist Objekt des assessment?) als auch bei der Charakterisierung der angesprochenen Aktivität (Was heißt assessment, und wie ist dabei zu verfahren?) ergeben sich einige Spielräume für Übersetzungen, die für unterschiedliche Interpretationen und die damit einhergehenden Akzentsetzungen genutzt wurden. Während im Englischen von technology die Rede ist, wird in der deutschen Diskussion meist der Begriff "Technik" verwendet. Dieser verweist im Deutschen vornehmlich auf hardware, also auf ein technisches Artefakt, während der Begriff "Technologie" eher für software, etwa für die Lehre von der Technik oder die Anleitung zum technischen Handeln in einem komplexeren Prozess steht.

Am deutlichsten fällt bei einem Vergleich der Begriffe ins Auge, dass der Gegenstand im Englischen nur mit einem Wort (technology), im Deutschen aber mit zwei (zusammengesetzten) Wörtern bezeichnet wird ("Technikfolgen"). Während also im englischen Begriff die Technologie selbst als Objekt in den Blick gerückt wird, sind es bei der am häufigsten gebrauchten deutschen Übertragung die Folgen einer Technik, auf die abgestellt wird. Nun ist zwar völlig unstrittig und leicht einzusehen, dass es zwischen Technik und ihren Folgen einen Zusammenhang gibt. Ohne Bezug auf eine Technik oder Technologie würde es wenig Sinn ergeben, nach ihren Folgen zu fragen. Allerdings ist der Fokus der Aufmerksamkeit deutlich verschoben, wenn von Technikfolgen statt von Technik oder Technologie die Rede ist.

Bei näherem Durchdenken zeigt sich rasch, dass die (beabsichtigten wie die unbeabsichtigten) Folgen einer Technik nicht allein aus der Struktur und Funktionsweise einer Technik selbst erfasst und erklärt werden können. Denn die Folgen einer Technik zeigen sich nicht nur innerhalb der Sphäre des Technischen, die Entwicklung und Anwendung einer Technik wirkt sich nicht nur auf eine andere Technik aus. Vielmehr ist auch und vor allem in anderen Bereichen der Gesellschaft mit Auswirkungen zu rechnen: in der Wirtschaft, der Umwelt, der Politik oder der Kultur. Ob und mit welchen (erwünschten oder unerwünschten) Folgen in welchen gesellschaftlichen Bereichen zu rechnen ist, das hängt dann auch davon ab, wie diese anderen Lebens- und Arbeitsbereiche jeweils strukturiert sind und welche Funktionen sie erfüllen oder erfüllen sollen. Aus der Kenntnis der Funktionsweise einer Technik allein lässt sich also nicht einfach vorhersagen, welche Folgen sich in welchem Wirkungsbereich ergeben und wie diese sich insgesamt zusammen auswirken werden. Aussagen über Technikfolgen setzen also Kenntnisse über die Wirkungszusammenhänge in den gesellschaftlichen Bereichen voraus, die von einer Technik betroffen sind oder sein könnten.

So sind die sprachlichen Unterschiede in der Bezeichnung des Gegenstandsbereiches durchaus von Belang, wenn es um die Frage nach den Personen geht, die bei der Anwendung des Konzeptes in praktischen Studien aufgrund ihres Wissens und ihrer Fähigkeiten über diesen Bereich herangezogen werden sollen. Wird der Gegenstandsbereich als "Technik" oder "Technologie" bezeichnet, dann denkt man bei der Suche nach "sachverständigen" Personen zuerst an Techniker und Ingenieure – ausgehend von der Vermutung, dass diese wohl am besten über die in Rede stehenden Technologien Bescheid wissen. TA wäre danach in erster Linie eine Aufgabe, die von Technikern und Ingenieuren übernommen werden sollte. Ist hingegen von "Technikfolgen" die Rede, dann wird die Aufmerksamkeit darüber hinaus auch auf die Wirkungszusammenhänge in den Lebens- und Arbeitsbereichen gelenkt, in denen Folgen der Entwicklung, Anwendung und Verbreitung einer Technik auftreten können. Und bei der Suche nach sachverständigen Personen für diese Bereiche ist Technikfolgenabschätzung neben der Erfahrung von Betroffenen und Interessierten auch an solche Wissenschaften verwiesen, die mit den Wirkungszusammenhängen in der Wirtschaft, Umwelt, Politik, Kultur und im sozialen Zusammenleben insgesamt vertraut sind, also auf Personen mit "lokalem Wissen" über diese Wirkungsbereiche und mit Kompetenzen in Ökonomie, Umwelt-, Politik-, Sozial- und Kulturwissenschaften.

Der Begriff assessment steht im Englischen nicht nur für die wenig beliebte Veranlagung und Festsetzung von Steuern, sondern eröffnet abstraktere Übersetzungsmöglichkeiten für das angesprochene Tun, die von "Abschätzung" über "Einschätzung" und "Bewertung" bis zu "Beurteilung" reichen. Dabei nimmt die sprachlich nahegelegte Normativität der angesprochenen Tätigkeit in dieser Reihenfolge deutlich zu: So kann die Rede von "Abschätzung" im Deutschen auch so verstanden werden, dass damit rein prognostisch ausgerichtete deskriptive Aussagen gemeint sind, ohne sicheres wissenschaftliches Fundament oder präzise Berechnung (im Sinne einer eher groben Kalkulation "über den Daumen").

Mit dem Begriff der "Bewertung" wird hingegen der Bereich einer "werturteilsfreien" wissenschaftlichen Beschreibung von Sachverhalten und Tatsachen offenkundig verlassen. Die "Be-Wertung" im Sinne einer Zuschreibung von bestimmten Werten zu den gemessenen oder prognostizierten Zuständen von Techniken beziehungsweise Technikfolgen setzt im Hinblick auf die wünschenswerte Transparenz zumindest eine klare Definition der jeweils zugrunde gelegten Werte voraus. Werden mehrere Werte herangezogen oder ins Spiel gebracht, dann geht der Tätigkeit des assessment auch eine Prioritätensetzung bei diesen Werten voraus. Dabei ist die Monetarisierung, also der Bezug auf ein durch Geldeinheiten definiertes ökonomisches System als Basis für den Vergleich von Bewertungen, die am weitesten verbreitete Vorgehensweise, wenn es darum geht, am Ende zu einer Gesamtbewertung zu kommen.

Demgegenüber zeigt der Begriff der "Beurteilung" an, dass hier nicht nur unterschiedliche normative Prinzipien und Regeln von Bedeutung sind, sondern auch auf komplexere Verfahren der kontextbezogenen Urteilsbildung zurückgegriffen werden soll, wie sie etwa in der Rechtswissenschaft oder in der philosophischen Ethik entwickelt worden sind.

Status von Technikfolgenabschätzung

Dass TA verbindliche politische Entscheidungen nicht ersetzen kann und soll, ist schon in der Entstehungsphase hinreichend deutlich geworden. Aber welchen Status hat sie dann? Bei der Frage nach dem Status von TA wird oft auf den Status der Aussagen und Erkenntnisse verwiesen, die bei der Technologiefolgenabschätzung gewonnen werden. Als Maßstab für den Status des Wissens über Technikfolgen werden dabei allerdings immer wieder die Erkenntnisansprüche ins Spiel gebracht, die für natur- oder ingenieurwissenschaftliches Wissen über die Funktionsweise der Technologien vorausgesetzt werden: Die Frage, aus der eine solche Statuszuweisung abgeleitet wird, lautet dann: Sind die Aussagen, die am Ende einer TA formuliert werden, genauso gut und zuverlässig abgesichert wie die Befunde, die aus den Laboratorien der natur- oder ingenieurwissenschaftlichen Grundlagenforschung berichtet werden? Legt man einen solchen, am Ideal der naturwissenschaftlichen Laborforschung orientierten Standard zugrunde, gerät allerdings aus dem Blick, welche komplexen Vermittlungsaufgaben TA im Spannungsfeld von Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit bearbeiten soll: TA-Projekte sollen sowohl Probleme beschreiben und Ursache-Wirkungs-Beziehungen prüfen, als auch mögliche zukünftige Entwicklungen darstellen, Handlungsoptionen formulieren, deren normative Implikationen aufdecken und explizite Bewertungen ermöglichen. Im Ergebnis sollen sie neben Fakten-, Ursachen- und Prognosewissen auch Orientierungs- und Handlungswissen bereitstellen. Da für jede dieser Arten von Wissen unterschiedliche Qualitätsanforderungen gelten, ist die Frage nach dem Status des Wissens, das in der TA über Voraussetzungen, Gestaltungsbedingungen und Folgen von Technologien gewonnen wird, nicht einfach durch einen Verweis auf naturwissenschaftliche Erkenntnisideale über experimentell abgesichertes Wissen zu beantworten.

Versteht man die Frage nach dem Status von TA hingegen im Sinne eines sozialen Status, dann richtet sie sich auf die Personen, die TA-Institutionen vertreten oder TA-Studien verantworten. Diese beziehen ihren Status zunächst aus der Zuordnung zu den gesellschaftlichen Teilsystemen und Institutionen, denen sie angehören oder zugerechnet werden. Dieser kann allerdings schnell prekär werden, wenn die zugewiesene Aufgabe gerade nicht in der Vertretung der Ansprüche eines etablierten Teilsystems, sondern in der Vermittlung zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Teilsystemen besteht und die Zuordnung der eigenen Position als Vermittler oder Übersetzer dadurch an Eindeutigkeit verliert. Vor diesem Hintergrund wird auch die Frage "Was ist TA, was nicht?" sehr oft zunächst (einseitig) mit Bezug auf eines der beiden etablierten gesellschaftlichen Teilsysteme beantwortet, zwischen denen TA eigentlich vermitteln soll: Wissenschaft oder Politik.

Bei einem primären Bezug auf das Wissenschaftssystem wird TA selbst als Forschung verstanden – verbunden mit der Annahme, dass für TA die Rationalitätsstandards der Wissenschaft gelten und die hier tätigen Personen auch die damit verbundene Autorität in Anspruch nehmen können. Bei einer primären Zuordnung zum politischen System dominiert hingegen das Verständnis von TA als Politikberatung im Sinne einer (Beratungs-)Dienstleistung für die Politik. Im politischen System liefert indessen nicht nachvollziehbarer Erkenntnisgewinn bei der Suche nach Wahrheit den dominanten Rationalitätsstandard. Vielmehr bilden Machtkonstellationen und Befugnisse für legitime verbindliche Entscheidungen die Referenzpunkte, die sich auch auf die Anerkennung oder Missachtung von Beratungsdienstleistungen auswirken.

Die Einbindung ins politische System ermöglicht allerdings unter bestimmten Bedingungen auch politische Antworten auf die Frage nach der Definition und dem Status von TA, die sonst nicht so einfach denkbar wären. So konnten die beim OTA tätigen Experten von der politischen Autorität des US-Kongresses profitieren, die diese institutionelle Anbindung im Zusammenspiel mit der Vorreiterrolle des OTA in der Technikfolgenabschätzung mit sich brachte.

Auf die Frage, was TA ist, haben seine Vertreter lange Zeit im Sinne einer Selbstautorisierung einfach auf die eigene Praxis verwiesen: "TA is what OTA is doing." Statusbestimmung und Definition von TA müssen sich im Bezugssystem der Politik also nicht unbedingt an intersubjektiv überprüfbaren Standards messen lassen, wie sie für die Wissenschaft unterstellt werden. Die Frage, was TA ist und was nicht, kann im Bezugsrahmen des politischen Systems auch einfach durch Hinweis auf politische Entscheidungen und Zuständigkeiten beantwortet werden. Wenn man davon ausgeht, dass eine solche "dezisionistische", also allein auf faktischer Entscheidung beruhende Antwort heute nicht mehr überzeugen kann, andererseits eine Statussicherung durch Rückgriff auf naturwissenschaftlich-technische Erkenntnisideale den komplexen Vermittlungsaufgaben von TA nicht angemessen ist, dann scheinen Personen, die in der TA tätig sind, in einer Statusfalle zu sitzen. Ein Ausweg wäre, aus der Not eine Tugend zu machen, den prekären eigenen Status sowie die damit verbundene Vielfalt und Mehrdeutigkeit der eigenen Rollen zu akzeptieren und sich selbst offensiv über die Aufgabe der Vermittlung zwischen Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit zu definieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Franz Büllingen, Technikfolgen-Abschätzung und -Bewertung beim amerikanischen Kongreß, in: APuZ, (1987), 19–20, S. 26–39.

  2. Vgl. Norman J. Vig/Herbert Paschen, Technology Assessment in Comparative Perspective, in: dies. (Hrsg.), Parliaments and Technology, New York 2000, S. 3f. Daddario wurde 1974 Direktor des Office of Technology Assessment, das schließlich aus seinen Bemühungen um den Aufbau einer eigenen parlamentarischen Beratungskapazität hervorging.

  3. Deutsche Übersetzung zit. nach: Jeffrey Schewitz, Einige Aspekte der Geschichte und der Arbeit des United States Office of Technology Assessment (OTA), in: Thomas Petermann (Hrsg.), Technikfolgenabschätzung als Technikforschung und Politikberatung, Frankfurt/M.–New York 1991, S. 227.

  4. Zum "klassischen" TA-Konzept als "Ideal" vgl. Herbert Paschen/Thomas Petermann, Technikfolgen-Abschätzung. Ein strategisches Rahmenkonzept für die Analyse und Bewertung von Techniken, in: T. Petermann (Anm. 3), S. 26–35; auch die kritische Rekonstruktion von Armin Grunwald, Technikfolgenabschätzung. Eine Einführung, Berlin 2010², S. 87–91.

  5. Vgl. etwa die Darstellung des dritten OTA-Direktors John Gibbons und seiner Mitarbeiterin Holly G. Gwin, Technik und parlamentarische Kontrolle, in: Meinolf Dierkes/Thomas Petermann/Volker von Thienen (Hrsg.), Technik und Parlament, Berlin 1986, S. 239–275; Barry M. Casper, Anspruch und Wirklichkeit der Technikfolgenabschätzung beim US-amerikanischen Kongress, in: ebd., S. 205–237; Gregory C. Kunkle, New Challenge or Past Revisited? The Office of Technology Assessment in Historical Context, in: Technology in Society, 17 (1995), S. 175–196; Bruce Bimber, The Politics of Expertise in Congress. The Rise and Fall of the Office of Technology Assessment, New York 1996.

  6. Thomas Petermann, Technikfolgen-Abschätzung – Konstituierung und Ausdifferenzierung eines Leitbildes, in: Stephan Bröchler/Georg Simonis/Karsten Sundermann (Hrsg.), Handbuch Technikfolgenabschätzung, Bd. 1, Berlin 1999, S. 20.

  7. Vgl. zum Beispiel Leon Green Jr., Technology Assessment or Technology Harassment: The Attacks on Science and Technology, in: Raphael G. Kasper (Hrsg.), Technology Assessment. Understanding the Social Consequences of Technological Applications, New York–London, S. 198f.

  8. Vgl. Rolf Meyer, Eine kurze Geschichte der TA-Konzepte, in: TAB-Brief Nr. 17, Dezember 1999, S. 4–11.

  9. Die begrifflichen Unterschiede finden ihren Niederschlag in der Ausdifferenzierung der TA-Konzepte in der deutschen Diskussion. Für eine neuere Übersicht vgl. Georg Simonis (Hrsg.), Konzepte und Verfahren der Technikfolgenabschätzung, Wiesbaden 2013.

  10. Vgl. Thomas Saretzki, Welches Wissen – wessen Entscheidung?, in: Alexander Bogner/Helge Torgersen (Hrsg.), Wozu Experten? Ambivalenzen der Beziehung von Wissenschaft und Politik, Wiesbaden 2005, S. 345–369.

Lizenz

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Dr. phil., geb. 1955; Universitätsprofessor am Institut für Politikwissenschaft und Zentrum für Demokratieforschung der Leuphana Universität Lüneburg, Scharnhorststraße 1, 21335 Lüneburg. E-Mail Link: thomas.saretzki@uni-lueneburg.de