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Welthandel Editorial Ethik und globaler Handel Kurze Geschichte der Weltwirtschaft Zur Architektur des Welthandels Globale Ungleichgewichte im Außenhandel und der deutsche Exportüberschuss Landnahme: Unternehmen in transnationalen Wertschöpfungsketten Transnationale Unternehmen: Problemverursacher und Lösungspartner? Politische Ökonomie des Welthandels – Transformationsprozesse und Machtbeziehungen

Kurze Geschichte der Weltwirtschaft

Nikolaus Wolf

/ 17 Minuten zu lesen

Die Weltwirtschaft ist das Ergebnis institutionellen Wandels und gesunkener Handelskosten. Während Europa die Erste Globalisierung dominierte, stellen sich für die Zweite Globalisierung Fragen der governance einer multilateralen Welt.

Um das Jahr 1000 war Europa ein rückständiger Teil Asiens, in seiner Wirtschaft und in seinem Handel weit unterentwickelt im Vergleich zu den islamischen Reichen im Nahen und Mittleren Osten oder China. Großzügig geschätzt lag der Anteil Europas an der Weltbevölkerung zu dieser Zeit bei etwa 15 Prozent, der Anteil an der Weltwirtschaft mag vergleichbar gewesen sein. Erst mit den Reichen der Merowinger und Karolinger hatte sich in Europa wieder eine größere politische Macht etablieren können, die ein gewisses Maß an Sicherheit garantieren und eine minimale Infrastruktur bereitstellen konnte. Etwa seit dem ausgehenden 11. Jahrhundert n. Chr. wurden die Grundlagen für den Aufschwung des Fernhandels gelegt, die schließlich Europa in der Neuzeit zu einem wirtschaftlichen Zentrum der Welt werden ließen. Dabei handelte es sich vor allem um neue Institutionen und Organisationsformen, die Handel über große Entfernungen möglich machten.

Aufstieg Europas

Ein wesentliches Hindernis für den Handel über weite Entfernungen lag in den Risiken: Zum einen war der Transport von Waren und Zahlungsmitteln über weite Strecken gefährlich, weil die Methoden des Transports unzuverlässig waren, weil man stark von Witterungsbedingungen abhängig war und weil man nicht sicher sein konnte, überhaupt geeignete Waren und Handelspartner zu finden. Zum anderen gab es lange keine überregionale Gerichtsbarkeit, bei der man gegen Betrug, Diebstahl oder andere Vergehen hätte vorgehen können, etwa wenn der Handelspartner nicht zahlte oder nicht lieferte.

Die Begründung von Handelsmessen und Städten sowie die Entstehung von Städtebünden trugen wesentlich dazu bei, diese Hindernisse zu überwinden. Die Konzentration von Angebot und Nachfrage an einem verkehrsgünstigen Ort und häufig auch zu bestimmten Zeiten löste mehrere der Probleme zugleich. Nach Vorläufern in Paris und St. Denis begann im 12. Jahrhundert der Aufstieg der "Champagne-Messen" unter Schirmherrschaft der Grafen der Champagne im Nordosten Frankreichs. Seit etwa 1150 fanden insgesamt sechs terminierte mehrmonatige Messen statt. Auf diese Weise wurde die Champagne zu einem Ort nahezu permanenten Handels.

Die Messestädte lagen an der Kreuzung zweier Handelswege: der alten Via Regia von West nach Ost und der Verbindung zwischen italienischen Städten und Flandern entlang alter römischer Straßen und der Flüsse Rhône, Saône und Seine bis an den Ärmelkanal. Die gute Lage und der Dauercharakter der Messen halfen, die Kosten und Risiken des Handels zu senken. Es entstanden große Warenlager, Gruppen von Kaufleuten errichteten eigene Häuser, und eine eigene Messegerichtsbarkeit erhöhte die Sicherheit und Transparenz der Geschäfte.

Von noch größerer Bedeutung als die "Champagne-Messen" waren aber die zahlreichen Stadtgründungen, die seit Mitte des 12. Jahrhunderts in West- und Mitteleuropa einsetzten. Sie wurden durch das Bestreben des Adels nach Unabhängigkeit und wirtschaftlicher Entwicklung ihrer Territorien befördert und waren immer mit der Verleihung von Marktrechten, oft auch mit dem Recht, Münzen zu prägen, verbunden. Einige der Städte schlossen sich zu Städtebünden zusammen, etwa dem Lombardenbund in Oberitalien oder der Hanse im norddeutschen und baltischen Raum, und wurden zeitweilig selbst zu Zentren wirtschaftlicher und politischer Macht.

Die Messen und Stadtgründungen beförderten wiederum die Produktion und regten den Austausch über weite Strecken an. Außerdem trug der zunehmende Handel in Städten und an Messeorten zur Verbreitung neuer Methoden der Finanzierung und Rechnungslegung bei, wie der doppelten Buchführung und der Verbreitung von Wechseln. Münzen aus Gold, Silber und Kupfer waren seit Jahrtausenden als Zahlungsmittel bekannt und wurden mit der Zunahme von Handel und Produktion immer wichtiger.

Die politischen Gegebenheiten in Europa hatten jedoch zu einer starken Regionalisierung des Münzwesens geführt. Damit bestand die Notwendigkeit, schon im Handel zwischen benachbarten Regionen Münzen am Handelsort zu wechseln. Um den gefährlichen und aufwendigen Transport größerer Geldmengen zu vermeiden, entstanden hieraus Wechselbriefe, die wiederum selbst seit dem 13. Jahrhundert zu Zahlungsmitteln wurden und den Vorläufer unseres Papiergelds darstellen. Ähnliche Zahlungsinstrumente waren in China bereits im 8. Jahrhundert und in der arabischen Welt seit dem 10. Jahrhundert bekannt, bevor sie im 12. Jahrhundert über Italien Europa erreichten.

Durch diesen wirtschaftlichen Aufschwung kam Europa in intensiveren Kontakt mit der höher entwickelten islamischen Welt, China, Indien und Südostasien. Der wichtigste Verkehrsweg war die Seidenstraße. Die Bezeichnung steht eigentlich für ein ganzes Netz aus Handelswegen, die sich seit der Antike vom Gelben Meer bis an das Mittelmeer erstreckten. Die im Mittelalter benutzte Hauptroute für den Handel Europas mit Asien führte von Konstantinopel über Antiochia am Mittelmeer und Bagdad nach Samarkand und von dort bis in das chinesische Tiefland. Diese Entwicklung wurde wesentlich durch die Entstehung des Mongolenreichs unter Dschingis Khan (etwa 1155 bis 1227) gefördert. Trotz grausamer Kriegsführung garantierten die Mongolenherrscher in den unterworfenen Gebieten eine relativ stabile Verwaltung und die Sicherheit des Handels im Rahmen der Pax Mongolica.

Auch wenn der Handel über die Seidenstraße quantitativ relativ unbedeutend blieb im Vergleich zum innereuropäischen Handel, hatten diese Beziehungen weitreichende Folgen. Die Seidenstraße zeigte den Europäern, welche Reichtümer Asien zu bieten hatte, und ermöglichte einen vielfältigen kulturellen Austausch. Einige Kaufleute und Städte wie Genua oder Venedig wurden reich und zeitweilig mächtig. Über die Seidenstraße verbreiteten sich Kenntnisse über die Herstellung von Papier und Schwarzpulver aus China nach Europa oder von hochwertigem Glas aus Europa nach China. Zugleich wurden auf diesen Handelswegen jedoch auch Krankheitserreger mittransportiert, wobei insbesondere der Ausbruch der großen Pest, die in Europa innerhalb weniger Jahre (1347–1351) ein Viertel bis ein Drittel der Bevölkerung auslöschte, unmittelbare ökonomische Konsequenzen hatte. Es kam zu einem substanziellen Anstieg der Löhne, insbesondere in den größeren Städten, was zu starker Zuwanderung in die Städte führte. Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass im ausgehenden 14. Jahrhundert die Nachfrage nach Gütern wie Wein, hochwertiger Kleidung und Luxusgütern aus dem Osten deutlich stieg.

Um 1340 begann das Mongolenreich zu zerfallen, sodass die Seidenstraße gerade dann unsicherer wurde, als in Europa die Nachfrage nach Handelsgütern größer war als je zuvor. Alternative Handelsrouten über Ägypten und das Rote Meer nach Indien und China standen weitgehend unter der Kontrolle des Mamlukensultanats, das jedoch den Handel zunehmend durch Abgaben und Zölle behinderte. Als sich der Konflikt der christlich geprägten Europäer mit der islamischen Welt im Verlauf des 14. und 15. Jahrhunderts verschärfte und das Osmanische Reich weiter nach Europa drängte, beförderte dies zusätzlich Bemühungen, neue Handelsrouten nach China, Indien und Südostasien zu finden.

Besonders intensiv wurden diese Versuche durch das portugiesische Königshaus unterstützt, das im 15. Jahrhundert zahlreiche Expeditionen entlang der Ostküste Afrikas finanzierte und systematisch Befestigungsanlagen und Handelsstationen errichten ließ. Im Jahr 1488 und endgültig 1498 führte dies zum Erfolg, als es erst Bartholomeu Diaz gelang, das Kap der Guten Hoffnung im heutigen Südafrika zu umfahren, bevor Vasco da Gama als erster Europäer ein Schiff auf dem Seeweg um das Kap der Guten Hoffnung nach Indien und mit Gewürzen beladen wieder zurück steuern konnte.

Etwa zeitgleich bemühte sich der aus Genua stammende Christoph Kolumbus zunächst in Portugal, später am spanischen Königshaus um eine Finanzierung des Projekts, Indien über den Atlantik zu erreichen. Als er 1492 in spanischen Diensten die karibischen Inseln und später Mittelamerika entdeckte, wurde die ungeheuerliche Bedeutung des Ereignisses schnell erkannt. Im frühen 16. Jahrhundert waren europäische Mächte zu Herrschern der Weltmeere aufgestiegen, die damit begannen, die Welt zu kolonisieren.

"Erste Globalisierung"

In England und den Vereinigten Niederlanden erlebten Handel und Gewerbe im 17. Jahrhundert eine Blütezeit, die wesentlich durch die Beteiligung des städtischen Bürgertums an politischer Macht und die militärische Absicherung des Handels gefördert wurde. London wuchs trotz einiger Rückschläge durch Epidemien und Feuer zur größten Stadt Europas heran, was durch die günstige Lage an einem Netz von Wasserstraßen, aber auch durch gut erreichbare Kohlevorkommen als Heizmittel erleichtert wurde. Hier wurden die höchsten Löhne gezahlt, es entstanden neue Berufe, es wurden Handels- und Geldgeschäfte für Europa und die ganze Welt abgewickelt.

Diese Entwicklungen strahlten auf andere Teile Englands und Regionen entlang des Ärmelkanals und des Rheins aus und beförderten dort das Wachstum von Städten und Gewerbe. Die englischen Kolonien in Nordamerika, die zunächst weniger Gewinne als die spanischen Kolonien versprachen, wurden zunehmend besiedelt und begannen, Rohstoffe und Getreide gegen Gewerbeerzeugnisse des englischen Mutterlandes zu handeln.

Die ständig wachsende Nachfrage nach Produkten und steigende Löhne schufen Anreize, die Arbeitskräfte durch den Einsatz mechanischer Hilfsmittel produktiver zu machen. Die seit der Renaissance fortschreitende Naturwissenschaft traf in England auf Gewerbetreibende, die nach praktischen Lösungen suchten, um Kosten zu senken und Gewinne zu erzielen. Das Ergebnis waren wegweisende Erfindungen für die industrielle Revolution, wie die mechanisierte Spinnmaschine und die Dampfmaschine mit ihren mobilen Anwendungen in Form des Dampfschiffs und der Dampflokomotive. Nach dem Ende der Napoleonischen Kriege 1815 verbreiteten sich diese neuen Technologien rasch in Europa, in den nordamerikanischen Kolonien und später über die ganze Welt. Mit der englischen Industrie begannen bald andere europäische Staaten wie Frankreich, seit 1861 Italien, seit 1871 das Deutsche Reich und bald auch die Vereinigten Staaten von Amerika zu konkurrieren, während Russland und China, die Mehrzahl der Kolonien oder auch das seit 1822 unabhängige Brasilien weitgehend landwirtschaftlich geprägt blieben.

Die neuen Transportmittel, deren Energieeffizienz ständig verbessert wurde, erlaubten es, riesige Landflächen vor allem in Nordamerika, Argentinien oder Russland, die bisher kaum besiedelt waren, wirtschaftlich zu erschließen. Mit der Vollendung der First Transcontinental Railroad von New York nach San Francisco 1869 und der Öffnung des Suezkanals im gleichen Jahr wurde es tatsächlich möglich, in 80 Tagen einmal um die Welt zu reisen, wie es Jules Verne in seinem Roman von 1873 beschrieb. Auch die Transportkosten von Gütern wie Rohstoffe oder Getreide, deren Wert pro Gewichtseinheit deutlich niedriger war als im Falle von Gewürzen oder Edelmetallen, sanken dramatisch.

Damit bekam der Fernhandel im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts eine grundlegend neue Bedeutung: Während bisher eher Güter des Luxusbedarfs über weite Strecken transportiert wurden, weil sie entweder im Absatzgebiet keine Konkurrenzprodukte hatten (etwa Gewürze oder Gold) oder weil ihr Stückwert so hoch war, dass die Transportkosten tragbar blieben (etwa mechanische Uhren), begann man nun, Güter des täglichen Bedarfs wie Getreide um die Welt zu transportieren. Der Außenhandel von Ländern hatte damit erstmals direkte Auswirkungen auf die Lebensverhältnisse der einfachen Leute. Daher macht es Sinn, den Beginn der "Ersten Globalisierung" um 1870 anzusetzen. Nicht zufällig stimmt dies mit der Zeit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 überein, weil damit der europäische Kontinent in eine Phase politischer Stabilität eintrat, ohne die eine grenzüberschreitende wirtschaftliche Verflechtung nicht möglich war.

Das Zeitalter der "Ersten Globalisierung" blieb noch stark vom Austausch zwischen Europa, Nord- und Südamerika und den europäischen Kolonien geprägt. Allerdings behielt auch der Handel mit China seine Bedeutung, und Japan begann seinen Aufstieg zur Wirtschaftsmacht. Charakteristisch für die "Erste Globalisierung" ist es, dass der Ort der Produktion und der Ort des Verbrauchs für eine immer größere Zahl von Waren weit voneinander entfernt lagen. Baumwolle aus den Südstaaten der USA wurde in England zu Kleidung verarbeitet und nach Europa und Indien weiterexportiert.

Insgesamt ist diese Zeit durch eine Tendenz zur Spezialisierung durch Handel gekennzeichnet, bei der im bevölkerungsreichen Europa die arbeitsintensive Industrieproduktion und in den Kolonien wie zunächst auch in den USA die Produktion von Rohstoffen und landwirtschaftlichen Gütern zunahmen. Frühe Formen des Gewerbes wie das Verlagswesen, bei dem Verleger die in Heimarbeit erstellten Textilien vermarkteten, wurden durch Fabriken verdrängt, die sich durch Zuwanderung der Landbevölkerung teilweise zu eigenen Städten auswuchsen. Die Krise der europäischen Landwirtschaft und auch die Hoffnung auf ein besseres Leben brachten Millionen Menschen dazu, in die neuen Industriegebiete wie Manchester oder das Ruhrgebiet auszuwandern.

Unterstützt wurde diese Arbeitsteilung der ersten Weltwirtschaft von intensiven Bemühungen um internationale Standards und Regeln. Vermittelt über den Finanzplatz London verbreitete sich seit etwa 1870 der Goldstandard als Währungssystem, bei dem nationale Währungen über eine fixe Goldparität miteinander verknüpft und leicht handelbar wurden. In der Meterkonvention 1875 einigten sich Vertreter von 17 Staaten auf den Standardmeter und das Standardkilogramm als Maßeinheiten. Auf der Washingtoner Meridiankonferenz 1884 wurde von Vertretern von 26 Staaten der durch Greenwich verlaufende Meridian als Basis des internationalen Koordinatensystems festgelegt, um weltweit die Zeitmessung und die Erstellung von Karten abzustimmen.

Europa – und hier besonders die drei großen Staaten Frankreich, Großbritannien und Deutschland – dominierte diese "Erste Globalisierung". Der Anteil Europas an der Weltwirtschaft um 1913 wird auf enorme 45 Prozent geschätzt, während der Anteil an der Weltbevölkerung bei knapp unter 30 Prozent lag. Allerdings mehrten sich um die Jahrhundertwende die Anzeichen einer Krise Europas, die im Westen vom raschen Aufstieg der USA, im Osten von einer stetigen Entwicklung in Japan begleitet wurde.

Deglobalisierung

Der Erste Weltkrieg markiert das Ende der europäischen Dominanz, sowohl im politischen als auch im wirtschaftlichen Bereich. New York löste London als wichtigsten Finanzplatz ab, US-amerikanische Unternehmen wie General Electric oder Ford lieferten den Europäern einen harten Wettbewerb. In Russland war das alte Zarenreich im Verlauf des Krieges in der Oktoberrevolution 1917 untergegangen, was den Keim zu einer neuen Weltmacht legte. Mit der Gründung des Völkerbunds 1920 wurden Hoffnungen auf die Durchsetzung einer stabilen internationalen Ordnung verbunden. Auf der Konferenz von Genua 1922 versuchten die europäischen Staaten noch einmal, die alte Ordnung wiederherzustellen, aber diese Bemühungen scheiterten an innen- und außenpolitischen Konflikten.

Dennoch kam es in den 1920er Jahren zu einer kurzen und intensiven Wiederbelebung der "Ersten Globalisierung", getrieben durch den Zufluss US-amerikanischen Kapitals und technologischen Neuerungen, die Aussicht auf ein stabiles, langfristiges Wachstum gaben. In dieser Zeit setzte sich die Nutzung der Elektrizität in der Produktion, in privaten Haushalten und im Transport durch, das Auto entwickelte sich allmählich vom Luxus- zum erschwinglichen Massenprodukt, die zivile Luftfahrt begann. Alle diese Neuerungen versprachen Flexibilität und nahezu grenzenlose Möglichkeiten, sowohl in der Produktion als auch für die Konsumenten.

Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 wurde jedoch die Kehrseite der Globalisierung dramatisch sichtbar. Zwar hatte es schon vorher Krisen gegeben, die weite Teile der westlichen Welt erfassten, aber die Weltwirtschaftskrise hatte in ihrer Dauer und Intensität keinen Vorläufer und bis heute auch keinen Nachfolger. Die Wirtschaft der Industriestaaten schien in einen Strudel aus Preisverfall und Arbeitslosigkeit geraten zu sein, wobei sich negative Impulse aus Zusammenbrüchen von Unternehmen und Banken rasch von einem Land zum anderen ausbreiteten. Offenbar konnte die Wirtschaft daraus nicht befreit werden, ohne entweder die Grundlagen der grenzüberschreitenden Verflechtung zu zerstören, oder eben diese Verflechtung durch einen internationalen Rahmen substanziell zu vertiefen.

Mit der Auflösung des Goldstandards und massiver Intervention in einzelnen Staaten (auch in Form militärischer Aufrüstung) gelang es zwar schließlich, den Preisverfall zu stoppen, aber die Massenarbeitslosigkeit hatte Europa – insbesondere Deutschland – so radikalisiert, dass der Weg in einen neuen Krieg vorgezeichnet war. Es kam zur Entstehung von Währungsblöcken, multilaterale Zollverträge wurden durch ein Geflecht bilateraler Abmachungen ersetzt, Kapitalbewegungen und Migration begrenzt, und viele Staaten waren bestrebt, ihre Abhängigkeit von grenzüberschreitendem Handel zu reduzieren.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sich der Schwerpunkt politischer wie wirtschaftlicher Macht endgültig weg von Europa und hin zu den USA verschoben, denen allerdings mit der siegreichen Sowjetunion und China sowie ihrem Einflussbereich von Mitteleuropa bis an den Pazifik nun ein starker Gegenpol erwachsen war. Auch Asien wurde durch den Zweiten Weltkrieg grundlegend verändert. In weiten Teilen des Kontinents verstärkten sich die Unabhängigkeitsbewegungen gegen die europäischen Kolonialherren, während der Einfluss Japans als Kriegsverlierer zunächst schwand und sich in China mit der Kommunistischen Partei eine neue Macht und Wirtschaftsordnung etablierten.

Die USA wollten die Wirtschaft nach Prinzipien des Marktes weiterentwickeln, wie sie auch die "Erste Globalisierung" geprägt hatten. Dagegen vertraten die Sowjetunion und China den Ansatz einer Planwirtschaft, der Streben nach Gewinn und Konsumentennutzen durch staatliche Lenkung ersetzen wollte. Deutschland und Europa insgesamt verloren an Bedeutung. Neue Energiequellen (Öl, Gas, Atomkraft) versprachen einen wirtschaftlichen Aufschwung, der die Zukunftsvisionen der 1920er Jahre übertreffen sollte. Allerdings mussten dazu zunächst die Kriegsschäden und vor allem die zahlreichen institutionellen Barrieren beseitigt werden, die während der Kriege und in Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise entstanden waren. Noch während des Krieges wurde eine neue Weltordnung entworfen, allem voran wurde mit der Moskauer Deklaration 1943 die Gründung der Vereinten Nationen als globaler Organisation zur Sicherung des Friedens und des Völkerrechts von allen führenden Mächten unterstützt.

Jedoch zeichnete sich nach dem Krieg ab, dass eine wirtschaftliche Re-Integration nicht global, sondern nur getrennt im Westen unter Führung der USA und im Osten unter Führung der Sowjetunion erfolgen konnte. Statt einer ursprünglich geplanten Internationalen Handelsorganisation entstanden im Westen das General Agreement of Tariffs and Trade (GATT) sowie aus den US-amerikanischen Wiederaufbauhilfen für Europa die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die auf den Abbau von Handelsbarrieren und vertiefte Kooperation hinarbeiteten. Im Osten wurde 1949 als Gegenentwurf dazu der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW oder COMECON) begründet. Im Westen entstand das "System von Bretton Woods", das mit der Schaffung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank den Versuch darstellte, über eine Bindung des US-Dollars an Gold den internationalen Goldstandard in angepasster Form wiederzubeleben. Im Osten dagegen entstand ein System von Planwirtschaften mit Verrechnungswährungen.

Auf Grundlage dieser neuen institutionellen Ordnung konnten in vielen Teilen der Welt umfangreiche Infrastrukturprojekte realisiert werden. Beispielsweise wurde die Elektrifizierung vorangetrieben, es wurden Kraftwerke, Straßen, Eisenbahnen, neue Schiffs- und Flughäfen geschaffen und zahlreiche Schulen und Universitäten gebaut, die im Verbund mit den neuen Energieträgern und Technologien zu einem enormen wirtschaftlichen Aufschwung führten. Das "Golden Age of Growth" seit 1950, das in Europa als Wirtschaftswunder gefeiert wurde, brachte in Ost und West gleichermaßen reale Wachstumsraten von vier bis fünf Prozent pro Jahr bis in die 1970er Jahre hinein.

Die Industrialisierung begann in dieser Zeit auch die ehemaligen europäischen Kolonien zu erreichen, die nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Unabhängigkeit erlangten. Neben Japan, Australien und Neuseeland entwickelten sich Südkorea, Taiwan und Hongkong, Singapur und Malaysia zu industrialisierten Staaten, die auf ihre Umgebung ausstrahlten. Im Nahen Osten und in Teilen Afrikas, aber auch in Argentinien, Chile oder Venezuela setzte eine wirtschaftliche Dynamik ein, die im Wesentlichen durch den Export von Rohstoffen in die Industriestaaten getragen wurde.

Begleitet wurde diese Dynamik fast überall seit 1950 von einem starken Anstieg der Land-Stadt-Migration, die zur Entstehung von Megastädten mit vielen Millionen Einwohnern führte. Während sich jedoch zwischen 1950 und 1970 der materielle Lebensstandard in fast allen Teilen der Welt deutlich im Durchschnitt verbesserte, war dieser Wohlstand häufig sehr ungleich verteilt. Gerade in rohstoffexportierenden Ländern verblieb oft der allergrößte Teil der Bevölkerung in Armut, während sich kleine Eliten bereichern und ihre Macht weiter sichern konnten.

"Zweite Globalisierung"

Seit Anfang der 1970er Jahre zeichnete sich eine Veränderung der Nachkriegsordnung ab, die durch die Ölkrisen von 1973 und 1979 zwar nicht erklärt, aber illustriert werden kann. Im Westen löste sich das System von Bretton Woods auf, wobei die Bindung des US-Dollars an den Goldwert und die Fixierung europäischer und US-amerikanischer Währungen aufgehoben wurden. In Westeuropa wurden ausgehend von Frankreich und Westdeutschland Bestrebungen zu einer wirtschaftlichen Integration intensiviert, während man zugleich versuchte, die Beziehungen nach Osteuropa zu verbessern.

Im Einflussbereich der Sowjetunion dagegen mehrten sich Anzeichen einer wirtschaftlichen und politischen Krise. Die Verbindung von steigenden Rohstoffpreisen und wirtschaftlicher Stagnation ließen das Wohlstandsgefälle zum Westen zunehmen. Die Modelle einer Planwirtschaft schienen seit 1970 der zunehmenden Komplexität und der Innovationsfähigkeit der westlichen Marktwirtschaften nicht mehr gewachsen zu sein. In China begann man daher mit wirtschaftlichen Reformen und einer schrittweisen Annäherung an den Westen. Ende der 1970er Jahre hatte das bevölkerungsreiche China die ehemalige britische Kolonie Indien im Einkommen pro Kopf überholt.

Der Beginn der "Zweiten Globalisierung", von der die Weltwirtschaft bis heute geprägt ist, liegt etwa Mitte der 1980er Jahre. Wie auch bei der "Ersten" spielten dabei technologische Entwicklungen eine tragende Rolle, die durch politische Institutionen unterstützt wurden. Neben allgemeinen Bemühungen zur Effizienzsteigerung durch Produzenten und Händler hatte die Rivalität zwischen den USA und der Sowjetunion die Entwicklung neuer Transport-, Informations- und Kommunikationstechnologien gefördert.

Als ab 1989 die Sowjetunion zerfiel, setzten sich kommerzielle Anwendungen für Computer, durch Satelliten unterstützte Funktelefone und standardisierte Container international durch. Die "Containerrevolution", bei der standardisierte Container eine Verladung zwischen Bahn, Schiff und Lastwagen enorm vereinfachten, führte zu dramatisch sinkenden Transportkosten, die sich direkt mit den Effekten des Dampfschiffs und der Eisenbahn vergleichen lassen. Anders als Zölle, die meist als Anteil am Warenwert erhoben werden, wirken sinkende Transportkosten sich gleichermaßen auf alle Güter unabhängig von ihrem Wert aus. Auf diese Weise wird der Transport von Rohstoffen oder industriellen Vorprodukten, die einen geringen Wert pro Gewichtseinheit haben, besonders stark begünstigt.

Durch Computer und neue Kommunikationstechnologien wurde es möglich, den industriellen Fertigungsprozess so weit zu standardisieren, dass die Industrie selbst globalisiert werden konnte. Unternehmen begannen in den 1970er Jahren, in großem Umfang aber erst Ende der 1980er Jahre, Teile von Produktion und Dienstleistungen an die jeweils kostengünstigsten Standorte zu verlagern. An den alten Industriestandorten verblieben dabei oft nur die nicht-standardisierbaren Bereiche wie Forschung und Entwicklung, Design und Marketing und sehr wissenschaftsnahe, komplexe Produktionsschritte.

Nach 1989 profitierte Westeuropa von der Öffnung des Ostens, während die USA und Japan umfangreiche Investitionen in China und in anderen Teilen Asiens und in Mittel- und Südamerika vornahmen, um Produktionsschritte zu verlagern. Die US-Wirtschaft entwickelte sich dynamisch, Europa und Japan wuchsen deutlich langsamer, während einige Staaten Asiens, Süd- und in Mittelamerikas und auch Afrikas sich enorm entwickelten. Die materiellen Verbesserungen zum Beispiel in China begannen allmählich größere Teile der Bevölkerung zu erreichen, auch wenn weiterhin viele Menschen in existenzbedrohender Armut lebten.

Der Kern der "Zweiten Globalisierung", die Fragmentierung der Wertschöpfungsketten, steht im Gegensatz zur Spezialisierung der "Ersten Globalisierung". Auch wenn Tendenzen dazu schon weitaus früher zu beobachten waren, haben damit viele Unternehmen einen qualitativ neuen Charakter bekommen. In gewisser Ähnlichkeit zu den Fernhandelskaufleuten im Hochmittelalter haben sie sich von ihren Ursprungsländern gelöst und sind zu globalen Akteuren geworden, die sich durch ihre Mobilität nur noch schwer durch politische Institutionen kontrollieren lassen. Die Veränderung der Informations- und Kommunikationstechnologie hat außerdem zu einer enormen Aufwertung von Banken und Finanzmärkten geführt, welche die globale Fragmentierung der Produktion finanzieren und länderspezifische Risiken absichern.

Wenngleich der Großteil dieser Dienstleistungen weiterhin an den alten Finanzplätzen New York, London oder Frankfurt am Main abgewickelt wird, sind gerade Finanzdienstleistungen durch einzelstaatliche Regeln kaum noch zu beherrschen. Unsere moderne Weltwirtschaft birgt daher zwar die Chance zu weiterem Wachstum und weiterer Verbesserung des Lebensstandards. Aber es stellen sich Fragen nach dem institutionellen Rahmen einer Weltwirtschaft. Die bis heute nicht ganz überwundene Finanzkrise seit 2008 hat gezeigt, dass global agierende Unternehmen und Finanzdienstleister auch globale Krisen auslösen können, auf die einzelne Staaten kaum noch reagieren können.

Institutioneller Rahmen

Ein stabiler institutioneller Rahmen war schon im Mittelalter Voraussetzung für die Aufnahme von Fernhandelsbeziehungen und ist bis heute notwendig, um neue Technologien über politische Grenzen hinweg nutzen zu können. In einer langfristigen Perspektive verlief dabei wirtschaftliches Wachstum immer parallel zu einer Intensivierung der Handelsbeziehungen. Zum Teil scheint der Handel auch Auslöser für wirtschaftliche Entwicklung gewesen zu sein, obwohl es hier keinen Automatismus gibt. Handel kann den Transfer von Technologie erleichtern, eine Ausweitung von Handelsbeziehungen kann zu mehr Arbeitsteilung und umfangreicheren Investitionen führen und damit Entwicklung fördern.

Allerdings scheiterten weniger entwickelte Länder regelmäßig an der Herausforderung, gegen die internationale Konkurrenz und häufig auch gegen die Interessen der eigenen Eliten eine eigene Industrie und eine binnenwirtschaftliche Entwicklung hervorzubringen. Der Handel kann helfen, mehr Menschen am Wohlstand einer modernen Wirtschaft teilhaben zu lassen, aber es ist eine Frage des institutionellen Rahmens, ob und inwieweit dies gelingt. Der durchschnittliche Lebensstandard hat sich nach 1950 gerade in den weniger entwickelten Teilen der Welt verbessert und die "Zweite Globalisierung" hat diese Dynamik vor allem in Asien noch deutlich verstärkt. Die große Armut, die immer noch die meisten Staaten des globalen Südens prägt und auch viele Millionen Menschen in besser entwickelten Teilen der Welt betrifft, sowie die Risiken der neuen Weltwirtschaft rücken die Fragen von Institutionen und governance in den Mittelpunkt.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Historische Daten zur Bevölkerung liegen aus zahlreichen Quellen vor oder können aus Informationen zur Siedlungsdichte geschätzt werden. Daten zur gesamtwirtschaftlichen Aktivität, gemessen am Bruttoinlandsprodukt von Staaten, wurden erstmals in den 1930er Jahren geschätzt. Die international weitgehend akzeptierte Quelle für historische und global vergleichende Schätzungen des materiellen Lebensstandards ist das Werk von Angus Maddison, insbesondere: The World Economy, Volume 1: A Millennial Perspective, sowie Volume 2: Historical Statistics, Paris 2006.

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Dr. rer. pol., geb. 1973; Professor für Volkswirtschaftslehre, Direktor des Instituts für Wirtschaftsgeschichte an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Spandauer Straße 1, 10178 Berlin. E-Mail Link: nikolaus.wolf@wiwi.hu-berlin.de