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Vampire Trouble | Monster | bpb.de

Monster Editorial Die Anormalen Die Anormalen Monströsität, "das große Modell aller kleinen Abweichungen" Monster: Eine Einführung Monströse Körper. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf historische Deutungsmuster "Die ganze scheußliche Kreatur": Monster in der modernen Literatur und im Film Vampire Trouble: Gender, Sexualität und das Monströse Das Medium ist das Monster

Vampire Trouble Gender, Sexualität und das Monströse

Janina Scholz

/ 15 Minuten zu lesen

In Filmen und Fernsehserien verursachen Vampirinnen und Vampire Unbehagen in den Bereichen Gender und Sexualität. Sie überschreiten die Grenzen zwischen "männlich/weiblich" oder "heterosexuell/homosexuell". Vampirische Figuren sind somit ideale Störenfriede, um strikte binäre Trennungen aufzuweichen.

We vampires are always in some kind of trouble", sagt der Vampir Bill in der Vampirserie "True Blood". Vampirinnen und Vampire sind nicht nur selbst in Schwierigkeiten, sondern verursachen sie sogar erst. Der Titel "Vampire Trouble" spielt auf das einflussreiche Buch "Gender Trouble" der Philosophin Judith Butler an. Aufbauend auf ihren Annahmen zu Gender und Sexualität wird diskutiert, wie vampirische Figuren in Fernsehserien und Filmen in diesen binären Identitätskategorien Unbehagen verbreiten und Verwirrung stiften. Vampirische Figuren sind offen für zahlreiche Interpretationen und stehen als Metaphern für eine Vielfalt von Differenzen. Vor allem die Kategorien Gender und Sexualität durchkreuzen sie auf eindrucksvolle Art und Weise.

Das "andere" Geschlecht

Vampirische Figuren werden meist als "monströs" und bedrohlich charakterisiert. Sie sind lebende Tote, Wiedergänger aus anderen Bereichen des Seins. Sie trinken Menschenblut und machen ihre Opfer willenlos. Sie können keine Kinder bekommen, vermehren sich aber trotzdem. Der vampirische Biss ist tödlich und zugleich lustbringend, bringt Unruhe in Sexualmoral und Sexualordnung. Ihre "inkohärenten Körper widersetzen sich systematischen Strukturierungen", überschreiten strikte Grenzen. Vampirische Figuren lassen sich keinem Geschlecht eindeutig zuordnen, ihre Sexualität ist ambivalent, ihre Blutlust richtet sich auf Frauen und Männer gleichermaßen. Vampirische Figuren unterwerfen sich nicht der Logik von binärem Denken und nehmen viele Bedeutungen an. Und daher sind sie furchterregend.

Denken in Gegensätzen ist ein zentrales Element der westlichen Philosophie und Kultur. Gegensatzpaare sind beispielsweise gut/böse, aktiv/passiv, Körper/Geist, männlich/weiblich, homosexuell/heterosexuell. Das Problem ist jedoch: Es handelt sich bei den Gegensätzen nicht um einfache Unterscheidungen. Mit der Trennung werden zugleich Bewertungen und Hierarchisierungen vorgenommen, eine Eigenschaft wird als Abweichung betrachtet und die andere oft stillschweigend als Norm akzeptiert. Dadurch werden Machtverhältnisse etabliert und verstärkt, und es erfolgen Ausschlüsse aus hegemonialen Diskursen.

Vampirische Figuren symbolisieren solche Ausschlüsse. Als "Andere" werden sie ausgegrenzt und verdrängt, damit die hegemoniale (Geschlechter-)Ordnung aufrechterhalten wird. Zugleich ist das "Selbst" immer auf das "Andere" axngewiesen, stellt sich in der Abgrenzung erst her. In dem binären System der Genderordnung ist eine Geschlechtsidentität immer auf die jeweils entgegengesetzte Kategorie bezogen, das heißt, jemand ist genau in dem Maße "weiblich", in welchem jemand nicht "männlich" ist. Diese binäre Logik lässt sich auch auf das Verhältnis zwischen Mensch und Monster übertragen: Jemand ist in dem Maße "menschlich", in welchem jemand nicht "monströs" ist. Dabei ist das "Andere" oft auch geschlechtsspezifisch codiert: Differenz wird durch geschlechtliche oder sexuelle Unterscheidungen ausgedrückt.

Die Figur Willow ruft in der Serie "Buffy the Vampire Slayer" bei der Begegnung mit ihrer vampirischen Doppelgängerin aus: "It’s horrible! That’s me as a vampire? I’m so evil and …skanky. And I think I’m kinda gay." Die Begriffe, mit denen die Vampirin charakterisiert wird, verweisen auf Normbrüche in den Identitätskategorien Gender und Sexualität. Willow als Vampirin ist furchtbar und "böse", aufreizend gekleidet und lesbisch. Allerdings werden die Markierungen des "Selbst" nicht offen benannt, sondern nur die Abweichung: In der Abgrenzung zu der "Anderen" konstituiert sich Willow als Mensch als "gut", anständig gekleidet und "heterosexuell".

Am Ende der Folge wird Willow als Vampirin in ihr Paralleluniversum verbannt und damit Normalität für Willow als Mensch und die Gemeinschaft in Sunnydale, dem Handlungsort, wiederhergestellt. Hier folgt die Serie den gleichen narrativen Mustern wie der Roman "Dracula" (Bram Stoker, 1897) und Vampirfilmen wie "Nosferatu" (Friedrich Wilhelm Murnau, 1922) und "Vampyr" (Carl Theodor Dreyer, 1932): Die vampirischen Figuren werden beschworen, im Mittelteil werden sie (künstlich) am Leben erhalten, unterhalten die Zuschauenden, und am Ende werden sie vernichtet. Doch ganz so einfach lassen sie sich nicht vernichten. Als Wiedergänger stören Vampirinnen und Vampire Normen und Ordnungen. Sie müssen immer wieder von Neuem, manchmal sogar in veränderter Gestalt, bekämpft werden. Dieser Wechsel zwischen Vernichtung und Wiederkehr entspricht dabei dem Prozess der "Abjektion". Die Psychoanalytikerin Julia Kristeva erfasst als "Abjekte" "radikal ausgeschlossene Objekte". Und trotz der Verwerfung können die "Abjekte" nie vollständig abgespalten werden. Abjektion ist durch das verursacht, "was Identität, System, Ordnung (stört). Was keine Grenzen, Positionen, Regeln respektiert. Das Zwischending, das Vieldeutige, das Zusammengesetzte." Kurzum: das Monströse.

Eine wesentliche Voraussetzung für "intelligible", das heißt sozial sinnhafte Geschlechtsidentitäten ist eine "Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren". Die Kategorien Gender und Sexualität fordern daher in besonderem Maße die Verwerfung von Identitäten, die nicht einheitlich, eindeutig und unveränderlich sind. Vampirische Figuren markieren hingegen in ihrer Andersartigkeit eine Form von Differenz, die "verhandelbar und potentiell unbestimmt, veränderbar und nicht essentiell" ist. Damit geht eine Vieldeutigkeit einher, die "Möglichkeiten von Flucht, Widerstand und Zerstörung" von binären Kategorien wie Gender und Sexualität und der Forderung nach Eindeutigkeit des Subjekts eröffnet. Vampirische Figuren bedrohen durch diese grenzüberschreitenden Möglichkeiten nicht nur individuelle Identitäten, sondern den "ganzen kulturellen Apparatus, der Individualität herstellt und ihre Herstellung erst erlaubt". Zugleich versprechen sie durch ihr grenzüberschreitendes Potenzial eine gewisse Freiheit von gesellschaftlichen Zwängen, ein eskapistisches Vergnügen. Vampirische Figuren faszinieren und erschrecken gleichermaßen durch ihre Komplexität.

Komplexe Vampire, komplexes Geschlecht

Ein Beispiel für eine solche komplexe Darstellung einer vampirischen Figur findet sich in der Fernsehserie "Buffy the Vampire Slayer". Die Filmwissenschaftlerin Lorna Jowett bezeichnet die komplette Serie als "Aushandlung von Geschlechtsidentität". Viele Darstellungen der Figuren verweigern sich einer eindeutigen, essentialistischen Reduktion auf ein Geschlecht. Vampirische Figuren ermöglichen diese Aushandlung von Geschlechtsidentität in besonderem Maße, wie sich an der Figur Spike zeigen lässt: Dieser wird bei seinem ersten Auftritt als Punk-Vampir eingeführt. Mit weiß-blonden Haaren, schwarzem Ledermantel, Alkohol trinkend und Zigarette rauchend, ist er ein Rebell und geschlechtsspezifisch "männlich" bestimmt. Jedoch erweist sich diese geschlechtliche Eindeutigkeit als unzureichende Charakterisierung der Figur. In verschiedenen Szenen der Serie wird seine Männlichkeit als Konstruktion entlarvt. Immer wieder werden "männliche" mit "weiblichen" Eigenschaften und Zuschreibungen vermischt, und wenn der Vampir besonders "männlich" wirken will, enden diese Versuche oft im Gegenteil, mit seiner Entmännlichung. Im Kampf gegen die Vampirjägerin Buffy gibt er sich betont aggressiv, will sie mit bloßen Händen besiegen. Aber er kann Buffy nicht töten und wird sogar von ihrer Mutter niedergeschlagen. Auch die Beziehung zu seiner Partnerin, der Vampirin Drusilla, wandelt sich im Verlauf der Serie entscheidend, nachdem Spike im Kampf verletzt wird und im Rollstuhl sitzt. Vorher hat er Drusilla beschützt, jetzt bringt sie Spike Hundewelpen zum Trinken, die er allerdings umsorgt, statt sie zu töten. In diesem Paarverhältnis werden traditionelle Rollenzuschreibungen umgedreht. Die Ernährerrolle kommt der zartbesaiteten Vampirin zu, und der Vampir nimmt die Rolle der sich um die Kinder (Welpen) kümmernden Frau ein. Auch visuell tauschen Vampir und Frau oft die Rollen, beispielsweise wird Spike gefoltert, und eine "böse Buffy" sieht zu. Damit wird die Verletzlichkeit des vampirischen Körpers zur Schau gestellt, und im Kontrast symbolisiert Buffy den "männlichen" Bereich.

Spike drückt seine emotionale Abhängigkeit von anderen in gender-uneindeutiger Weise aus: "I may be love’s bitch, but I’m man enough to admit it". Hierdurch werden "männliche" und "weibliche" Eigenschaften nicht nur vertauscht, sondern untrennbar in einem Körper miteinander verbunden. In zahlreichen Szenen wird zudem eine "männliche" mit einer "vampirischen" Sexualität verbunden und beide auf diese Weise dekonstruiert. Für die Figur Spike gilt das Trinken von Blut als "männlich" und "vampirisch", allerdings wird das in der Serie durch "Entmännlichung" bestraft. Durch einen elektrischen Chip wird Spike "kastriert": Er bekommt Migräne, wenn er Menschen beißen und töten will. Spike selbst bewertet die Unfähigkeit, Blut trinken zu können, als Kastration, und sein "Versagen" als Vampir wird somit mit männlichen Potenzschwierigkeiten verbunden. Kann er nicht beißen, ist er kein Vampir, ist er kein Mann.

In vampirischen Körpern werden "weibliche" oder "männliche" Eigenschaften in besonderer Weise kombiniert und diese binären Konstruktionen somit als performativ hergestellt entlarvt. Mit dem Konzept "Genderperformativität" kritisiert Judith Butler essenzielle Konzeptionen von Geschlecht, die geschlechtsspezifische Eigenschaften auf biologische Ursachen zurückführen. Innerhalb von Diskursen wird Genderidentität durch Handlungen und Sprache immer wieder neu hergestellt. Gender ist sozusagen eine Aufführung von sich selbst, wobei die "Äußerungen", wie beispielsweise sprachliche Anrufungen als "Mädchen" oder "Junge" sowie geschlechtsspezifische Handlungen, als die Resultate gelten, die sie gleichzeitig erst erzeugen. Allerdings gelingt nie eine genaue Reproduktion, es werden auch "unpassende" Wiederholungen produziert. Diese Abweichungen bedrohen die hegemoniale Ordnung, indem sie die Eindeutigkeit der binären Zuordnungen hinterfragen.

Vampirinnen und Vampire stehen als Untote eigentlich außerhalb der binären Logik der Geschlechterordnung. Sie könnten sich genderspezifischen Zuschreibungen entziehen und kein Geschlecht annehmen. Trotzdem werden geschlechtsspezifische Zuschreibungen benutzt, um ihre Monstrosität zu belegen. Durch den Rollentausch, wenn beispielsweise "weiblich" dargestellte Vampirinnen "männlich" codierte Eigenschaften zeigen, wird die Monstrosität der einzelnen Figuren betont. Allerdings bleiben damit die binären Dichotomien, der Gegensatz und die Ausschließung, erhalten. Die Darstellung des Vampirs Spike geht über diesen Rollentausch hinaus. Diese Figur verkörpert Merkmale beider Geschlechter in einem Körper, ihre Monstrosität zeigt sich nicht in gewandelten Zuschreibungen, sondern indem sie alle Zuschreibungen gleichzeitig ausdrückt. Die scheinbar eindeutigen Kategorien "weiblich" und "männlich" verlieren dabei ihre Aussagekraft und werden als performativ entlarvt. Die Literaturwissenschaftlerin Arwen Spicer bezeichnet diese spezielle Verbindung der Identitätskategorien in einem Körper als "hybrides Gender". Sie erfasst damit, dass in der Serie zwar traditionelle Konzepte von einer binären Zweiteilung von Gender erhalten bleiben, allerdings werden Genderzuschreibungen von der zwangsläufigen Verbindung mit körperlichen Geschlechtsmerkmalen gelöst. Damit wird die Aussagekraft der binären Kategorien eher hinterfragt als bestätigt, zugleich zeigt sich daran die Konstruiertheit der Kategorien. Indem "vampirische" Identitätsmerkmale mit den geschlechtlichen Markierungen "männlich" oder "weiblich" verbunden und gekreuzt werden, zeigt sich die Künstlichkeit der Kategorie Gender.

Vampirische Körper offenbaren somit in besonderem Maße den performativen Charakter von Gender. Doch Gender ist nicht die einzige Kategorie, die vampirische Figuren durchkreuzen. Sie bieten zahlreiche Gelegenheiten, strikte binäre Trennungen in der Kategorie Sexualität zu hinterfragen.

Vielfältige vampirische Sexualitäten

Vampirismus und Sexualität scheinen besonders miteinander verbunden zu sein. Unterschiedliche Interpretationen des sexuellen Begehrens von vampirischen Figuren zeigen, entlang welcher Grenzlinien Normen von Sexualität verhandelt werden. In diesen Interpretationen zeigen sich nicht nur binäre Trennungen zwischen "homosexuellem" und "heterosexuellem" Begehren, sondern auch, dass sexuelles Begehren eng mit Geschlechternormen zusammenhängt.

Der Filmexperte David Pirie spricht vom "modernen Sexvampir" in Filmen der 1970er Jahre und bezeichnet damit verführerische Vampirinnen, die willenlose Männer in ihren Bann ziehen. Diese Vampirinnen verkörpern in Filmen eine deviante Heterosexualität, die vor allem darauf beruht, dass sich die Rollen zwischen "Mann" und "Frau" als Verführer und Verführte umdrehen. Das aktive Begehren der Frau wird in diesem Fall als monströs dargestellt, verunsichert es doch die vermeintlich "normale" Geschlechterordnung. Die Filmwissenschaftlerin Linda Williams bezeichnet den "männlichen" Vampir im klassischen Hollywoodkino als "Prototyp sexuellen Appetits", der die Potenz des "normalen" Mannes bedroht: Die Frau und das Monster symbolisieren in dieser psychoanalytischen Konzeption den Mangel und damit die Kastrationsdrohung für den Mann. Frau und Monster sind damit auf besondere Weise miteinander verbunden und konkurrieren als Spektakel um den Blick der Zuschauerinnen und Zuschauer.

Die Theaterwissenschaftlerin Sue-Ellen Case sieht in dieser Verbindung zwischen Frau und Monster eine lesbische Anziehung. Die Vampirin in einer "lesbischen Form" hat das Potenzial, Grenzen zwischen Selbst und Objekt durch "ihren Kuss mit Fangzähnen" zu überwinden. Durch eine unreproduktive Sexualität entziehen sich lesbische Vampirinnen hegemonialen Ordnungen. Für Case bietet die lesbische Vampirin auch eine Möglichkeit, die innerhalb der Queertheorien bestehenden Unterteilungen nach Gendermerkmalen in "schwul" und "lesbisch" zu überwinden (und damit die binären Kategorien weiter zu hinterfragen). Vampirismus wird zudem oft als Metapher für Homosexualität gedeutet. Der Filmwissenschaftler Richard Dyer zieht Parallelen zwischen Vampirismus und Homosexualität, die beide als "offenes Geheimnis" fungieren: Es gibt Hinweise auf Homosexualität, aber die entsprechenden Handlungen finden im Geheimen, im doppelten Sinne in der Dunkelheit der Nacht und abseits des heimischen, das heißt des vertrauten und sicheren sowie monogamen und heterosexuell konnotierten Schlafzimmers statt. Der Literaturwissenschaftler Christopher Craft erkennt in dem Roman "Dracula" ein implizit homoerotisches Begehren zwischen Dracula und seinem menschlichen Gast Jonathan Harker, das aber als "monströse Heterosexualität und als dämonische Inversion von Gendernormen" dargestellt wird. Durch eine "vermittelnde Frau" wird das homoerotische Begehren hinausgeschoben und nie direkt ausgeführt. Der vampirische Mund mit Fangzähnen symbolisiert für Craft "die Subversion einer stabilen und klaren Unterscheidung von Gender": Der Mund ist sowohl "weiblich" als auch "männlich" besetzt, er kann verführerisch sein oder den Tod bringen.

An diesen unterschiedlichen Interpretationen der vampirischen Sexualität zeigt sich, wie durch Vampirismus die Kohärenz von biologischem Geschlecht, Gender, sexueller Praxis und Begehren durchbrochen wird. Die vampirischen Körper sind uneindeutig "gegenderte" Körper, was für ein erstes Unbehagen sorgt. Der vampirische Kuss ist eine sexuelle Praxis, die damit droht, sowohl die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt, als auch zwischen normativer und nicht-normativer Sexualität zu überschreiten. Denn das vampirische Begehren passiert die binären Grenzen zwischen "aktivem" und "passivem" Begehren, "homosexuell" und "heterosexuell". Vor diesem Tableau an Bedeutungsfülle, die in diesen Figuren enthalten ist, werden die Diskurse um Sexualität erst sichtbar, die hegemoniale Sexual- und Geschlechterordnungen leiten.

Blut, Sex und Tabubrüche

In aktuellen Darstellungen von vampirischen Figuren wird aber oft nicht nur ein, sondern werden gleich mehrere Diskurse von Sexualität gleichzeitig verhandelt. Wie in der Analyse von Spike gezeigt wurde, gilt ein Vampir als kastriert oder zumindest als "entmännlicht", wenn er kein Menschenblut mehr trinken kann. Das Trinken von Blut wird mit sexuellem Lustgewinn verbunden, oft ersetzt der vampirische Kuss sogar andere sexuelle Handlungen. Sind Vampirinnen und Vampire enthaltsam, werden mit der Blutlust daher immer auch Sexualität, sexuelle Handlungen und Begehren reguliert. Der vampirische Biss und die Frage, wer wen beißen darf, sind oft gleichermaßen reguliert wie Sexualität. In "Dracula" verbietet der männliche Vampir seinen vampirischen Töchtern, Jonathan Harker zu beißen, in "Buffy the Vampire Slayer" sorgt die mythische Instanz der Seele oder ein elektrischer Chip dafür, dass Vampire keine Menschen beißen können, in "Twilight" (Catherine Hardwicke, 2008) ist der Vampir moralisch untadelig, und die Serie "True Blood" zeigt moralische Bigotterie: Abstinenz von echtem Menschenblut wird gepredigt, während die Vampirpolitiker und -politikerinnen von Menschen trinken.

Der vampirische Kuss ist manchmal auch für die Opfer sexuell befriedigend. Blut gehört jedoch zu den abjekten, unreinen Körperflüssigkeiten. Der vampirische Biss und das Trinken von Blut in Verbindung mit sexueller Lust ist ein Tabubruch. Wie die Figur Lafayette aus der Serie "True Blood" es ausdrückt: "I just think that when there’s blood involved, a line been crossed." Allerdings wird mit diesem Satz nicht nur eine vampirische Sexualität verhandelt, sondern auch das sexuelle Begehren der "weiblichen", menschlichen Hauptfigur Sookie. Sookie besteht in dem Dialog auf ihr Recht, ihr eigenes Begehren nach einem Vampir und nach dem Austausch von Blut auszuleben. Im Gegensatz dazu erweist sich die Figur Lafayette, die in der Serie als tolerant und sexuell aufgeschlossen dargestellt wird, in diesem Fall als beurteilend und wertend. Vampire von ihm trinken zu lassen ist selbst Lafayette ungeheuer, trotz seiner zahlreichen sexuellen Erfahrungen. Durch die Widersprüchlichkeit der Figur Lafayette wird die Intensität der Grenzübertretung betont. Dieser Zusammenfall wird visuell in einer Sexszene zwischen Sookie und dem Vampir Bill verdeutlicht: Sookie verliert nicht nur ihre Unschuld an den Vampir. Zugleich mit der Penetration versenkt Bill seine Fangzähne in ihren Hals und trinkt ihr Blut, wobei die Kameraeinstellung nur Haut, Zähne und Blut zeigt. In diesem Beispiel wird die strikte Trennung zwischen "monströser" und "normativer" Sexualität mit den entsprechenden Handlungen aufgehoben. Symbolisiert der vampirische Kuss in Filmen oft die Entjungferung einer Frau, fallen in dieser Szene "heterosexuelle" und "vampirisch-sexuelle" Handlungen zusammen.

In der unterschiedlichen Bewertung der dargestellten sexuellen Handlungen in der Serie "True Blood" zeigen sich die Grenzlinien innerhalb der Kategorie Sexualität und ihre Normen und Tabus. Unter den "monströsen Vorzeichen" wird selbst ein augenscheinlich "heterosexueller" Sexakt "abnormal". Innerhalb der sexuellen Diskurse verschieben sich Bedeutungszuschreibungen durch die "vampirische" Sexualität. Der Konsum von Blut zum sexuellen Lustgewinn entspricht nicht der "heterosexuellen" Norm. In diesem Beispiel wird aber durch den Tabubruch nicht nur die Monstrosität der vampirischen Figuren unterstrichen, sondern auch auf "normale" Menschen, in diesem Fall auf die Figur Sookie, ausgeweitet.

Die Serie "True Blood" verdeutlicht in einer weiteren Szene die Aufweichung binärer Kategorien durch die besondere Verbindung von Gender, Sexualität und Vampirismus. Der Vampir Erik will sich an einem Vampirkönig rächen, weshalb er Sex mit dessen Liebhaber Talbot inszeniert. Zeichnet sich die Serie durch eine Vielzahl von Sexszenen aus, ist diese eine der wenigen zwischen "männlichen" Figuren und nimmt daher eine besondere dramatische Funktion ein. Kurz vor der Penetration von Talbot durch Erik entspinnt sich folgender Dialog:

Erik:It’s been a long time since I did this.

Talbot:What? A man?

Erik: No – a vampire!

Die Sexszene endet, indem keine genitale, sondern nur eine "monströse" Penetration erfolgt: Erik stößt dem anderen Vampir einen Pflock ins Herz, wodurch dieser in einer exzessiven Masse aus Blut und Schleim zerplatzt. In dem Dialog wird "Vampir" als weitere Kategorie neben "Mann" und "Frau" eingeführt. Doch ist diese Kategorie vieldeutig und "Vampir" ein unzuverlässiger Signifikant, um Subjekte zu beschreiben. Durch die Ersetzung werden auch Gender und die vormals als "homosexuell" bewerteten sexuellen Handlungen uneindeutig.

In der Serie "True Blood" finden sich also unterschiedliche Darstellungen von vampirischer Sexualität: In dem Beispiel mit Sookie und dem Vampir Bill wird "Heterosexualität" als vampirisch gezeigt, in der Szene zwischen Erik und Talbot werden Handlungen, die als "homosexuell" gelten, als "vampirische" Handlungen umgedeutet. Der Nutzen der binären Kategorien als scheinbar eindeutige Klassifikationsinstrumente wird durch diese unterschiedlichen Darstellungen infrage gestellt.

Zwischen Freiheit und Grenzziehung

Vampirische Figuren zeichnen sich durch geschlechtliche Unbestimmtheit aus und signalisieren ein mobiles Begehren. Sie lassen sich nicht auf eine einzige Bedeutung, ein Geschlecht oder eine Sexualität festlegen. Zudem sollte vermieden werden, sie auf eine Bedeutung festzulegen. Sie lassen sich auch nicht eindeutig dem Menschlichen gegenüberstellen, sondern bilden ein "interpretatives Chaos". Binäre Grenzen und scharfe Trennungen zwischen "männlich" und "weiblich" sowie zwischen "homo-" und "heterosexuell" werden von den vampirischen Körpern durchkreuzt. Vampirische Figuren entlarven Gender und Sexualität als performativ hergestellt, jenseits essentialistischer Verortungen.

Allerdings werden die in den Darstellungen enthaltenen Grenzüberschreitungen auch immer wieder zurückgenommen, beispielsweise bleibt die Norm der monogamen Paarbeziehung auch im vampirischen Umfeld erhalten. Löst sich der Blick von dem Spektakel der Monster, werden in ihren Darstellungen Lücken und blinde Flecken deutlich. In diesen wird sichtbar, welche Tabus und Grenzen intakt bleiben und selbst auf eine "monströse" Weise nicht hinterfragt werden. Diskurse von Gender und Sexualität werden erkennbar, die Identitäten strukturieren. Dadurch werden Unterschiede und bestehende Machtverhältnisse qua Gender, Sexualität oder "Monstrosität" in den Darstellungen reproduziert.

Vampirische Figuren sind an historische und kulturelle Diskurse gebunden und auf sie wird projiziert, was (noch) keinen Platz in der hegemonialen Ordnung hat. Sie sind flexible Figuren, die trotz ihrer konstruierten Differenz viele "menschliche" Eigenschaften teilen. Zudem ist das jeweils "Andere" konstitutiv für Subjekte und binäre Unterscheidungen und daher nie eindeutig. Durch die Betrachtung der Vampirinnen und Vampire erfahren wir demnach genauso viel über die Monster wie über uns selbst. Wir erfahren, wo unsere Grenzen liegen und unser Unbehagen anfängt, wenn diese überschritten werden.

Gleichzeitig verändern sich die Darstellungsweisen der vampirischen Figuren: Neuerdings können sie nicht mehr allein durch den Pflock ins Herz oder den abgeschlagenen Kopf verbannt werden. Stattdessen werden sie oft als begehrenswert imaginiert, ihre Freiheit von normativen Einschränkungen beneidet. Wir sollten die vampirischen Figuren dazu nutzen, unsere Angst vor Grenzüberschreitungen zu überwinden und diese zu begehren – ebenso, wie wir die Monster begehren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. "True Blood", USA 2005-lfd., Idee: Alan Ball nach der Romanserie von Charlaine Harris, hier: Staffel 1, Episode 4.

  2. Judith Butler, Gender Trouble. Feminism and the Subversion of Identity, New York 1990 (Deutsche Ausgabe: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/M. 1991).

  3. Jeffrey Jerome Cohen, Monster Culture. Seven Theses, in: ders. (Hrsg.), Monster Theory. Reading Culture, Minneapolis–London 1996, S. 3–25, hier: S. 6.

  4. Vgl. J. Butler (Anm. 2), S. 45.

  5. "Buffy the Vampire Slayer", USA 1997–2003, Idee: Joss Whedon, hier: Staffel 3, Episode 16.

  6. Vgl. Christopher Craft, Kiss Me With Those Red Lips. Gender and Inversion in Bram Stoker’s Dracula, in: Elaine Showalter (Hrsg.), Speaking of Gender, New York–London 1989, S. 216–242, hier: S. 216.

  7. Vgl. Julia Kristeva, Powers of Horror: An Essay of Abjection, New York 1982, S. 2.

  8. Ebd., S. 4.

  9. Vgl. J. Butler (Anm. 2), S. 38.

  10. J. J. Cohen (Anm. 3), S. 12.

  11. Ebd., S. 11.

  12. Ebd.

  13. Vgl. ebd., S. 19.

  14. Lorna Jowett, Sex and the Slayer. A Gender Studies Primer for the Buffy Fan, Middletown, CT 2005, S. 95.

  15. "Buffy the Vampire Slayer", Staffel 2, Episode 2.

  16. "Buffy the Vampire Slayer", Staffel 2, Episode 3.

  17. "Buffy the Vampire Slayer", Staffel 2, Episode 17.

  18. "Buffy the Vampire Slayer", Staffel 7, Episode 9. Vgl. zur Folter männlicher Vampire auch Markus Recht, Der sympathische Vampir. Visualisierungen von Männlichkeiten in der TV-Serie Buffy, Frankfurt/M. 2011.

  19. "Buffy the Vampire Slayer", Staffel 3, Episode 8.

  20. "Buffy the Vampire Slayer", Staffel 4, Episode 7.

  21. Vgl. J. Butler (Anm. 2), S. 49.

  22. Vgl. Arwen Spicer, "Love’s Bitch but Man Enough to Admit It". Spike’s Hybridized Gender, in: SlayageOnline – The Journal of the Whedon Studies Association, Ausgabe 2.3, Dezember 2002, http://slayageonline.com/PDF/spicer.pdf (22.10.2013).

  23. Vgl. David Pirie, Vampirfilmkult. Internationale Geschichte des Vampirfilms vom Stummfilm bis zum modernen Sex-Vampir, Gütersloh 1977, S. 95.

  24. Vgl. Linda Williams, When the Woman Looks, in: Mark Jancovich (Hrsg.), Horror. The Film Reader, New York 2002, S. 61–66.

  25. Vgl. Sue-Ellen Case, Tracking the Vampire, in: Ken Gelder (Hrsg.), The Horror Reader, London 2000, S. 198–209.

  26. Vgl. Richard Dyer, Children of the Night. Vampirism as Homosexuality, Homosexuality as Vampirism, in: Susan Radstone (Hrsg.), Sweet Dreams: Sexuality, Gender and Popular Fiction, London 1988, S. 47–72.

  27. C. Craft (Anm. 6), S. 218.

  28. Vgl. J. Kristeva (Anm. 7), S. 3, S. 69.

  29. "True Blood", Staffel 1, Episode 7.

  30. "True Blood", Staffel 1, Episoden 6 und 7.

  31. "True Blood", Staffel 3, Episode 8.

  32. Judith Halberstam, Skin Shows. Gothic Horror and the Technology of Monsters, Durham–London 1995, S. 84.

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M.A., geb. 1979; Kollegiatin am Graduiertenkolleg der Gender Studies an der Universität Basel/Schweiz; Promovendin an der Humboldt-Universität zu Berlin. E-Mail Link: jns13de@yahoo.de