We vampires are always in some kind of trouble", sagt der Vampir Bill in der Vampirserie "True Blood".
Das "andere" Geschlecht
Vampirische Figuren werden meist als "monströs" und bedrohlich charakterisiert. Sie sind lebende Tote, Wiedergänger aus anderen Bereichen des Seins. Sie trinken Menschenblut und machen ihre Opfer willenlos. Sie können keine Kinder bekommen, vermehren sich aber trotzdem. Der vampirische Biss ist tödlich und zugleich lustbringend, bringt Unruhe in Sexualmoral und Sexualordnung. Ihre "inkohärenten Körper widersetzen sich systematischen Strukturierungen",
Denken in Gegensätzen ist ein zentrales Element der westlichen Philosophie und Kultur. Gegensatzpaare sind beispielsweise gut/böse, aktiv/passiv, Körper/Geist, männlich/weiblich, homosexuell/heterosexuell. Das Problem ist jedoch: Es handelt sich bei den Gegensätzen nicht um einfache Unterscheidungen. Mit der Trennung werden zugleich Bewertungen und Hierarchisierungen vorgenommen, eine Eigenschaft wird als Abweichung betrachtet und die andere oft stillschweigend als Norm akzeptiert. Dadurch werden Machtverhältnisse etabliert und verstärkt, und es erfolgen Ausschlüsse aus hegemonialen Diskursen.
Vampirische Figuren symbolisieren solche Ausschlüsse. Als "Andere" werden sie ausgegrenzt und verdrängt, damit die hegemoniale (Geschlechter-)Ordnung aufrechterhalten wird. Zugleich ist das "Selbst" immer auf das "Andere" axngewiesen, stellt sich in der Abgrenzung erst her. In dem binären System der Genderordnung ist eine Geschlechtsidentität immer auf die jeweils entgegengesetzte Kategorie bezogen, das heißt, jemand ist genau in dem Maße "weiblich", in welchem jemand nicht "männlich" ist.
Die Figur Willow ruft in der Serie "Buffy the Vampire Slayer" bei der Begegnung mit ihrer vampirischen Doppelgängerin aus: "It’s horrible! That’s me as a vampire? I’m so evil and
skanky. And I think I’m kinda gay."
Am Ende der Folge wird Willow als Vampirin in ihr Paralleluniversum verbannt und damit Normalität für Willow als Mensch und die Gemeinschaft in Sunnydale, dem Handlungsort, wiederhergestellt. Hier folgt die Serie den gleichen narrativen Mustern wie der Roman "Dracula" (Bram Stoker, 1897) und Vampirfilmen wie "Nosferatu" (Friedrich Wilhelm Murnau, 1922) und "Vampyr" (Carl Theodor Dreyer, 1932): Die vampirischen Figuren werden beschworen, im Mittelteil werden sie (künstlich) am Leben erhalten, unterhalten die Zuschauenden, und am Ende werden sie vernichtet.
Eine wesentliche Voraussetzung für "intelligible", das heißt sozial sinnhafte Geschlechtsidentitäten ist eine "Kohärenz und Kontinuität zwischen dem anatomischen Geschlecht (sex), der Geschlechtsidentität (gender), der sexuellen Praxis und dem Begehren".
Komplexe Vampire, komplexes Geschlecht
Ein Beispiel für eine solche komplexe Darstellung einer vampirischen Figur findet sich in der Fernsehserie "Buffy the Vampire Slayer". Die Filmwissenschaftlerin Lorna Jowett bezeichnet die komplette Serie als "Aushandlung von Geschlechtsidentität".
Spike drückt seine emotionale Abhängigkeit von anderen in gender-uneindeutiger Weise aus: "I may be love’s bitch, but I’m man enough to admit it".
In vampirischen Körpern werden "weibliche" oder "männliche" Eigenschaften in besonderer Weise kombiniert und diese binären Konstruktionen somit als performativ hergestellt entlarvt. Mit dem Konzept "Genderperformativität" kritisiert Judith Butler essenzielle Konzeptionen von Geschlecht, die geschlechtsspezifische Eigenschaften auf biologische Ursachen zurückführen. Innerhalb von Diskursen wird Genderidentität durch Handlungen und Sprache immer wieder neu hergestellt. Gender ist sozusagen eine Aufführung von sich selbst, wobei die "Äußerungen", wie beispielsweise sprachliche Anrufungen als "Mädchen" oder "Junge" sowie geschlechtsspezifische Handlungen, als die Resultate gelten, die sie gleichzeitig erst erzeugen.
Vampirinnen und Vampire stehen als Untote eigentlich außerhalb der binären Logik der Geschlechterordnung. Sie könnten sich genderspezifischen Zuschreibungen entziehen und kein Geschlecht annehmen. Trotzdem werden geschlechtsspezifische Zuschreibungen benutzt, um ihre Monstrosität zu belegen. Durch den Rollentausch, wenn beispielsweise "weiblich" dargestellte Vampirinnen "männlich" codierte Eigenschaften zeigen, wird die Monstrosität der einzelnen Figuren betont. Allerdings bleiben damit die binären Dichotomien, der Gegensatz und die Ausschließung, erhalten. Die Darstellung des Vampirs Spike geht über diesen Rollentausch hinaus. Diese Figur verkörpert Merkmale beider Geschlechter in einem Körper, ihre Monstrosität zeigt sich nicht in gewandelten Zuschreibungen, sondern indem sie alle Zuschreibungen gleichzeitig ausdrückt. Die scheinbar eindeutigen Kategorien "weiblich" und "männlich" verlieren dabei ihre Aussagekraft und werden als performativ entlarvt. Die Literaturwissenschaftlerin Arwen Spicer bezeichnet diese spezielle Verbindung der Identitätskategorien in einem Körper als "hybrides Gender". Sie erfasst damit, dass in der Serie zwar traditionelle Konzepte von einer binären Zweiteilung von Gender erhalten bleiben, allerdings werden Genderzuschreibungen von der zwangsläufigen Verbindung mit körperlichen Geschlechtsmerkmalen gelöst. Damit wird die Aussagekraft der binären Kategorien eher hinterfragt als bestätigt,
Vampirische Körper offenbaren somit in besonderem Maße den performativen Charakter von Gender. Doch Gender ist nicht die einzige Kategorie, die vampirische Figuren durchkreuzen. Sie bieten zahlreiche Gelegenheiten, strikte binäre Trennungen in der Kategorie Sexualität zu hinterfragen.
Vielfältige vampirische Sexualitäten
Vampirismus und Sexualität scheinen besonders miteinander verbunden zu sein. Unterschiedliche Interpretationen des sexuellen Begehrens von vampirischen Figuren zeigen, entlang welcher Grenzlinien Normen von Sexualität verhandelt werden. In diesen Interpretationen zeigen sich nicht nur binäre Trennungen zwischen "homosexuellem" und "heterosexuellem" Begehren, sondern auch, dass sexuelles Begehren eng mit Geschlechternormen zusammenhängt.
Der Filmexperte David Pirie spricht vom "modernen Sexvampir" in Filmen der 1970er Jahre und bezeichnet damit verführerische Vampirinnen, die willenlose Männer in ihren Bann ziehen.
Die Theaterwissenschaftlerin Sue-Ellen Case sieht in dieser Verbindung zwischen Frau und Monster eine lesbische Anziehung. Die Vampirin in einer "lesbischen Form" hat das Potenzial, Grenzen zwischen Selbst und Objekt durch "ihren Kuss mit Fangzähnen" zu überwinden. Durch eine unreproduktive Sexualität entziehen sich lesbische Vampirinnen hegemonialen Ordnungen. Für Case bietet die lesbische Vampirin auch eine Möglichkeit, die innerhalb der Queertheorien bestehenden Unterteilungen nach Gendermerkmalen in "schwul" und "lesbisch" zu überwinden (und damit die binären Kategorien weiter zu hinterfragen).
An diesen unterschiedlichen Interpretationen der vampirischen Sexualität zeigt sich, wie durch Vampirismus die Kohärenz von biologischem Geschlecht, Gender, sexueller Praxis und Begehren durchbrochen wird. Die vampirischen Körper sind uneindeutig "gegenderte" Körper, was für ein erstes Unbehagen sorgt. Der vampirische Kuss ist eine sexuelle Praxis, die damit droht, sowohl die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt, als auch zwischen normativer und nicht-normativer Sexualität zu überschreiten. Denn das vampirische Begehren passiert die binären Grenzen zwischen "aktivem" und "passivem" Begehren, "homosexuell" und "heterosexuell". Vor diesem Tableau an Bedeutungsfülle, die in diesen Figuren enthalten ist, werden die Diskurse um Sexualität erst sichtbar, die hegemoniale Sexual- und Geschlechterordnungen leiten.
Blut, Sex und Tabubrüche
In aktuellen Darstellungen von vampirischen Figuren wird aber oft nicht nur ein, sondern werden gleich mehrere Diskurse von Sexualität gleichzeitig verhandelt. Wie in der Analyse von Spike gezeigt wurde, gilt ein Vampir als kastriert oder zumindest als "entmännlicht", wenn er kein Menschenblut mehr trinken kann. Das Trinken von Blut wird mit sexuellem Lustgewinn verbunden, oft ersetzt der vampirische Kuss sogar andere sexuelle Handlungen. Sind Vampirinnen und Vampire enthaltsam, werden mit der Blutlust daher immer auch Sexualität, sexuelle Handlungen und Begehren reguliert. Der vampirische Biss und die Frage, wer wen beißen darf, sind oft gleichermaßen reguliert wie Sexualität. In "Dracula" verbietet der männliche Vampir seinen vampirischen Töchtern, Jonathan Harker zu beißen, in "Buffy the Vampire Slayer" sorgt die mythische Instanz der Seele oder ein elektrischer Chip dafür, dass Vampire keine Menschen beißen können, in "Twilight" (Catherine Hardwicke, 2008) ist der Vampir moralisch untadelig, und die Serie "True Blood" zeigt moralische Bigotterie: Abstinenz von echtem Menschenblut wird gepredigt, während die Vampirpolitiker und -politikerinnen von Menschen trinken.
Der vampirische Kuss ist manchmal auch für die Opfer sexuell befriedigend. Blut gehört jedoch zu den abjekten, unreinen Körperflüssigkeiten.
In der unterschiedlichen Bewertung der dargestellten sexuellen Handlungen in der Serie "True Blood" zeigen sich die Grenzlinien innerhalb der Kategorie Sexualität und ihre Normen und Tabus. Unter den "monströsen Vorzeichen" wird selbst ein augenscheinlich "heterosexueller" Sexakt "abnormal". Innerhalb der sexuellen Diskurse verschieben sich Bedeutungszuschreibungen durch die "vampirische" Sexualität. Der Konsum von Blut zum sexuellen Lustgewinn entspricht nicht der "heterosexuellen" Norm. In diesem Beispiel wird aber durch den Tabubruch nicht nur die Monstrosität der vampirischen Figuren unterstrichen, sondern auch auf "normale" Menschen, in diesem Fall auf die Figur Sookie, ausgeweitet.
Die Serie "True Blood" verdeutlicht in einer weiteren Szene die Aufweichung binärer Kategorien durch die besondere Verbindung von Gender, Sexualität und Vampirismus. Der Vampir Erik will sich an einem Vampirkönig rächen, weshalb er Sex mit dessen Liebhaber Talbot inszeniert. Zeichnet sich die Serie durch eine Vielzahl von Sexszenen aus, ist diese eine der wenigen zwischen "männlichen" Figuren und nimmt daher eine besondere dramatische Funktion ein. Kurz vor der Penetration von Talbot durch Erik entspinnt sich folgender Dialog:
Erik:It’s been a long time since I did this.
Talbot:What? A man?
Erik: No – a vampire!
Die Sexszene endet, indem keine genitale, sondern nur eine "monströse" Penetration erfolgt: Erik stößt dem anderen Vampir einen Pflock ins Herz, wodurch dieser in einer exzessiven Masse aus Blut und Schleim zerplatzt. In dem Dialog wird "Vampir" als weitere Kategorie neben "Mann" und "Frau" eingeführt. Doch ist diese Kategorie vieldeutig und "Vampir" ein unzuverlässiger Signifikant, um Subjekte zu beschreiben. Durch die Ersetzung werden auch Gender und die vormals als "homosexuell" bewerteten sexuellen Handlungen uneindeutig.
In der Serie "True Blood" finden sich also unterschiedliche Darstellungen von vampirischer Sexualität: In dem Beispiel mit Sookie und dem Vampir Bill wird "Heterosexualität" als vampirisch gezeigt, in der Szene zwischen Erik und Talbot werden Handlungen, die als "homosexuell" gelten, als "vampirische" Handlungen umgedeutet. Der Nutzen der binären Kategorien als scheinbar eindeutige Klassifikationsinstrumente wird durch diese unterschiedlichen Darstellungen infrage gestellt.
Zwischen Freiheit und Grenzziehung
Vampirische Figuren zeichnen sich durch geschlechtliche Unbestimmtheit aus und signalisieren ein mobiles Begehren. Sie lassen sich nicht auf eine einzige Bedeutung, ein Geschlecht oder eine Sexualität festlegen. Zudem sollte vermieden werden, sie auf eine Bedeutung festzulegen. Sie lassen sich auch nicht eindeutig dem Menschlichen gegenüberstellen, sondern bilden ein "interpretatives Chaos".
Allerdings werden die in den Darstellungen enthaltenen Grenzüberschreitungen auch immer wieder zurückgenommen, beispielsweise bleibt die Norm der monogamen Paarbeziehung auch im vampirischen Umfeld erhalten. Löst sich der Blick von dem Spektakel der Monster, werden in ihren Darstellungen Lücken und blinde Flecken deutlich. In diesen wird sichtbar, welche Tabus und Grenzen intakt bleiben und selbst auf eine "monströse" Weise nicht hinterfragt werden. Diskurse von Gender und Sexualität werden erkennbar, die Identitäten strukturieren. Dadurch werden Unterschiede und bestehende Machtverhältnisse qua Gender, Sexualität oder "Monstrosität" in den Darstellungen reproduziert.
Vampirische Figuren sind an historische und kulturelle Diskurse gebunden und auf sie wird projiziert, was (noch) keinen Platz in der hegemonialen Ordnung hat. Sie sind flexible Figuren, die trotz ihrer konstruierten Differenz viele "menschliche" Eigenschaften teilen. Zudem ist das jeweils "Andere" konstitutiv für Subjekte und binäre Unterscheidungen und daher nie eindeutig. Durch die Betrachtung der Vampirinnen und Vampire erfahren wir demnach genauso viel über die Monster wie über uns selbst. Wir erfahren, wo unsere Grenzen liegen und unser Unbehagen anfängt, wenn diese überschritten werden.
Gleichzeitig verändern sich die Darstellungsweisen der vampirischen Figuren: Neuerdings können sie nicht mehr allein durch den Pflock ins Herz oder den abgeschlagenen Kopf verbannt werden. Stattdessen werden sie oft als begehrenswert imaginiert, ihre Freiheit von normativen Einschränkungen beneidet. Wir sollten die vampirischen Figuren dazu nutzen, unsere Angst vor Grenzüberschreitungen zu überwinden und diese zu begehren – ebenso, wie wir die Monster begehren.