In nahezu allen seinen Arbeiten hat sich der französische Diskurstheoretiker Michel Foucault (1926–1984) für Machteffekte interessiert, die aus den Regelungen dessen resultieren, was gesagt werden darf, was nicht gesagt werden kann und was gesagt werden muss, kurz: für diejenigen Ordnungen von Diskursen, die bis in den Körper der einzelnen Subjekte hinein wirksam sind und soziale Gegenstände wie den "psychisch Kranken" zuallererst mit hervorbringen. Solche Machteffekte sieht Foucault für sehr viel effektiver an als explizit ausgesprochene und aufgeschriebene Ordnungen – etwa in Form von Gesetzen oder religiösen Normen –, denn sie führten zu einer Selbstüberwachung der Subjekte, müssten also nicht mehr ständig neu von außen durchgesetzt werden, da sie in den Subjekten selbst wirksam sind.
Diese subtile "Mikrophysik der Macht"
Diesen Prozess untersucht Foucault in seiner Vorlesung, indem er der "diskursive(n) Entwicklung des Monsters zur Anomalie"
Gerichtspsychiatrie
An diesem Punkt kommt die sich über das 19. Jahrhundert hinweg allmählich etablierende Psychiatrie, speziell die Gerichtspsychiatrie, ins Spiel, indem sie die drei von Foucault unterschiedenen Typen des Anormalen einer neuen Form des Wissens und einem neuen Typus von Macht unterwirft: Statt mit der juristischen Unterscheidung zwischen "schuldig" und "nicht schuldig" oder der medizinischen zwischen "krank" und "gesund" arbeiten die gerichtsmedizinisch-psychologischen Gutachten, die Foucault untersucht hat, mit der Differenz von "normal" versus "nicht normal" und – im Falle der Nicht-Normalität – mit eben dem Befund der "inneren Monströsität". Denn zur jeweiligen Tat, derer ein "Sittenmonster" beschuldigt wird, kommt durch die Gerichtspsychiatrie noch der Befund einer – wie auch immer gearteten – Anormalität hinzu, sei es als nicht-normaler "Trieb" oder als anormaler "Charakter". Beides aber heißt nichts anderes, als eine generell anormale Disposition des Beschuldigten anzunehmen, die immer wieder ähnlich deviantes Verhalten hervorbringt. Auf diese Weise wird der Kriminalität zugleich eine generell monströse Natur zugesprochen: "Das unsichtbare Monster, das Monster an sich wäre also", so der Literatur- und Kulturwissenschaftler Michael Niehaus, "der Trieb selbst".
Letztlich geht es also darum, nachzuweisen, "wie ähnlich das Individuum seinem Verbrechen bereits vor dessen Ausführung gewesen ist. Es werden Mängel im moralischen Sinne gesucht, die noch keine Krankheiten im pathologischen und noch keine Vergehen im gesetzlichen Sinne sind."
"Damit", so Magdalena Beljan, Mitherausgeberin der Zeitschrift "Body politics" am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, besitze das gerichtsmedizinisch-psychologische Gutachten "eine gleich mehrfache Funktion", denn es schließe "vom Delikt auf die Seinsweise" des anormalen Täters, Angeklagten, Beschuldigten, konstruiere ihn in seiner Spezifik "aus der Tat heraus" und empfehle schließlich "eine Bestrafung, die auf die Transformation des Individuums zielt". Auf diese Weise "wird innerhalb des Prozesses die Figur des Richters, der über die Tat zu richten hat, durch die des begutachtenden Arztes verdoppelt", womit die Gerichtspsychiatrie ein neues Wissen mit neuen Machteffekten produziere, das "weder eindeutig dem Gericht noch der Psychiatrie zuzuordnen" sei.
Doppelter Rechtsbruch
Dieser diskursiven Konstitution des Menschen- und auch des Sittenmonsters in der gerichtsmedizinisch-psychiatrischen Gutachtenpraxis liegt nach Foucault eine doppelte rechtliche Kategorisierung zugrunde, denn beide Typen des Monsters, das Körper- ebenso wie das Sittenmonster, werden als Abweichung sowohl vom "Gesetz der Natur" als auch vom "Gesetz der Gesellschaft" betrachtet. Das "Erscheinungsfeld des Monsters" sei damit "ein rechtlich-biologischer Bereich", innerhalb dessen es einen "doppelten Rechtsbruch" konstituiert. Es sei nämlich "nicht nur dadurch ein Monster, dass es eine Ausnahme im Verhältnis zur Form der Gattung darstellt, sondern auch aufgrund der Störung, die es unter den staatlich-rechtlichen Regularien anrichtet".
Es sind solche Paradoxien und Zweideutigkeiten, durch die das Monster für Foucault charakterisiert ist. Zugespitzt lässt sich sagen, dass es in seiner Kombination zweier eigentlich nicht zugleich vorkommender, negativ gewerteter Abweichungen das genau spiegelbildliche Gegenteil der von Claude Lévi-Strauss in seinen Analysen indianischer Mythen herausgearbeiteten Tricksterfigur ist, die im Alltag eigentlich nicht gleichzeitig vorkommende positive Merkmale in sich vereint.
Aktualisierungen?
Als Beispiel dafür aus jüngerer Zeit kann der in den Medien immer wieder als ein solches "Inzestmonster" bezeichnete Josef Fritzl dienen, der seine eigene Tochter jahrelang gefangen hielt, missbrauchte und mehrere Kinder mit ihr zeugte, zugleich nach außen hin aber ein "normales" Leben führte, sodass seine "innere", in einem extra angelegten Keller ausgelebte Monströsität von außen nicht erkennbar war. In dem Moment aber, in dem seine Tat 2008 in der Öffentlichkeit "sichtbar" wurde, glaubten Journalisten wie Zeitungsleser und Fernsehzuschauer in den ihnen dargebotenen Bildern von Fritzl eine auf seine "innere Monströsität" hindeutende Physiognomie des gefährlichen Anormalen zu erkennen. Die Abbildungen von Fritzls Gesicht wurden damit zu einer Textur, in der eigentlich schon alles zu finden gewesen wäre. Damit wurde das von Foucault für das 19. Jahrhundert beschriebene Denkmodell der Gerichtspsychiatrie – medial vermittelt – noch einmal massenhaft nachvollzogen.
Mit Blick auf Foucault ist allerdings zu fragen, ob ein solch aktuelles Beispiel wirklich noch mit seiner Konzeption des Monströsen zu verbinden ist. Denn folgt man dem Diskursanalytiker Foucault, dann müsste man die von ihm stets so stark betonte "historische Bedingtheit diskursiver Formationen" (ihr "historisches apriori") auch für seine Überlegungen zum Monster ernst nehmen und sagen, dass er eine diskursive Gemengelage analysiert hat, die für den "Moment" des Übergangs vom 18. zum 19. Jahrhunderts gültig ist, aber eben auch nur für diesen.
Von der Analyse des Monströsen zur Regierungskunst
Dem ließe sich entgegenhalten, dass Entwicklungen über die historischen Schnitte hinweg auch schon bei Foucault vorhanden sind. So erscheint das Monströse bereits in "Die Anormalen" als Effekt einer spezifischen Form von "Regierung", wobei es zwar noch vorwiegend um präskriptiv-juridische Normen geht, der Schritt von der Analyse der Anormalen zur Gouvernementalität auf diese Weise jedoch in den Vorlesungen von 1974/1975 schon angelegt ist. Denn das Sittenmonster (ebenso wie der Aufsässige und der Onanist) musste unweigerlich zum Gegenstand einer staatlichen "Sorge" um die Gesamtbevölkerung werden; mit Foucault gesprochen: zum Gegenstand der Regierungskunst im Sinne von "Gouvernementalität", und zwar mit dem Ziel, seine "innere Monströsität" nachzuweisen und gleichsam nach "außen" zu holen.
Von daher mussten die Analysen zu den "Anormalen" in die beiden Vorlesungen zur "Gouvernementalität" von 1977/1978 und 1978/1979 einmünden.
Ihren übergeordneten Zusammenhang finden die drei von Foucault untersuchten Gruppen von Devianzen – das Menschenmonster, das korrektionsbedürftige (aber nicht korrektionsfähige) Individuum und der Onanist – schließlich in jenen "Theorie(n) der 'Degeneration'",