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Anmerkungen zur Willkommenskultur | Europas Grenzen | bpb.de

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Anmerkungen zur Willkommenskultur

Noemi Carrel

/ 7 Minuten zu lesen

Jemanden "willkommen heißen" umschreibt eine freundliche Art, jemanden zu begrüßen, zu empfangen oder aufzunehmen. Entsprechend kann "Willkommenskultur" als eine Art der Begrüßung und des Aufnehmens verstanden werden, die zum Ausdruck bringt, dass die empfangenen Personen erwünscht sind. Diese Interpretation des Begriffs stützt sich vornehmlich auf den Begriff "Willkommen". Gleichzeitig wird unterstellt, dass "Kultur" auf eine Verhaltensweise oder die Art der Umsetzung verweist. Geprägt wird der Begriff insbesondere durch seine Verwendung in politischen und wirtschaftlichen Debatten, seine Präsenz in den Medien sowie die Bestrebungen von Behörden, sich zu "öffnen". Mit der Forderung nach mehr Willkommenskultur wird das Ziel verfolgt, die Attraktivität eines Landes oder einer bestimmten Region für Zuwanderung zu steigern. Dazu werden im Bereich der Einreise- und Aufenthaltsregelungen, in den Bewilligungs- und Anmeldeprozessen, im Kontakt mit den Behörden und hinsichtlich spezifischer Informations- und Begrüßungsangebote Bestrebungen unternommen, damit sich die zuwandernden Personen erwünscht fühlen.

In migrationspolitischer und aufenthaltsrechtlicher Hinsicht handelt es sich bei Willkommenskultur mitunter um gesetzliche Bestimmungen und Prozesse, welche die Einreise und den Aufenthalt betreffen. Im Mittelpunkt stehen beispielsweise Rekrutierungsmaßnahmen zur Anwerbung von Fachkräften im Ausland, Regelungen bezüglich Einreise und Aufenthalt, langfristige aufenthaltsrechtliche Perspektiven sowie diesbezügliche Prozesse und Abläufe in den zuständigen Behörden. Diese Regelungen und Prozesse sollen so angepasst werden, dass sie für Zuwanderung attraktiver werden. Beispielsweise soll es Personen im Ausland erleichtert werden, sich über Einreise- und Aufenthaltsbedingungen im Zielland zu informieren. Es werden gesetzliche Hürden für die anvisierte Zuwanderung gesenkt oder Wege zur Erleichterung der Behördengänge gesucht, etwa indem bürokratische Abläufe gestrafft und übersichtlicher gestaltet werden. Personen sollen aufgrund der Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen oder aufgrund des Kontakts mit den Behörden nicht von einem Migrationsentscheid zurückschrecken. Im Gegenteil: Durch die Maßnahmen soll die zuwandernde Bevölkerung davon überzeugt werden, dass sie willkommen ist.

Willkommenskultur wird auch als eine besondere Art des "Umgangs mit Vielfalt" verstanden, sie verweist auf die Art und Weise, wie (neu) zugezogenen Personen begegnet wird. Dies schließt die Ansprache und die Verhaltensweise gegenüber der ansässigen Migrationsbevölkerung mit ein. Der Versuch, Willkommenskultur in Behörden oder in Unternehmen zu verankern, äußert sich unter anderem in Maßnahmen zur Sensibilisierung des Personals im Umgang mit Vielfalt oder zur Repräsentation der Bevölkerungsvielfalt im Personalbestand. Entsprechende Schritte wurden bereits im Rahmen interkultureller und institutioneller Öffnungen oder unter dem Leitbild Diversity Management diskutiert. Willkommenskultur ist demnach nicht als grundsätzlich neuer Ansatz zu verstehen, vielmehr hat der Begriff den bestehenden Forderungen neue Kraft verliehen. Er bezieht sich auf das Ziel, den Umgang mit Vielfalt in der Gesellschaft und damit die Teilnahme der Bevölkerung an der Gesellschaft zu verbessern.

Um neu zugezogenen Personen die Orientierung in der neuen Umgebung und die Teilnahme an der Gesellschaft zu erleichtern, werden in den zuständigen behördlichen Stellen verschiedene Maßnahmen umgesetzt. So werden beispielsweise die Informationsangebote mithilfe von Broschüren, Internetseiten oder mit dem Aufbau von spezifischen Anlaufstellen, die Beratungsgespräche anbieten, ausgebaut. Weitere Angebote sind etwa Begrüßungsanlässe und Begegnungsorte, die geschaffen werden. Dabei können zudem Kontaktmöglichkeiten mit der lokalen Bevölkerung angeboten oder Teilnahmemöglichkeiten, etwa bei der Vereins- und Quartiersarbeit, aufgezeigt werden. Zielpublikum dieser Maßnahmen sind zumeist neu zugezogene Personen. Teilweise werden die Angebote aber auch im Sinne der Willkommenskultur für die gesamte Bevölkerung geöffnet.

International werden diese Formen der Informations- und Begrüßungsarbeit, insbesondere in Bezug auf hoch qualifizierte Arbeitnehmer, in Unternehmen wie auch in Behörden seit vielen Jahren angeboten. Ein viel zitiertes Beispiel sind die sogenannten Welcome Centers in Kanada. Aber auch in deutschsprachigen Ländern sind entsprechende Bestrebungen bereits verbreitet. So finden in Basel (Schweiz) seit Jahren Begrüßungsveranstaltungen für neu zugezogene Personen statt: Neben Stadtrundgängen wird durch Quartiersanlässe gezielt Raum für die Begegnung mit der lokalen Bevölkerung geschaffen. Dabei wird auch die Gelegenheit genutzt, um die anwesenden Personen über Aktivitätsmöglichkeiten im Quartier zu informieren. Diese Bestrebungen sind nicht erst mit der Forderung nach einer Willkommenskultur entstanden, stellen aber Beispiele für eine mögliche Umsetzung dar.

Fachkräftemangel als Motor

In Deutschland fand der Begriff Willkommenskultur in erster Linie im Zusammenhang mit der Feststellung, dass ein bedeutender Mangel an Fachkräften droht, Einzug in die politischen Debatten. Deutschland ist ein demografisch alterndes Land, weshalb die Bevölkerung ohne eine ausreichende Zuwanderung schrumpfen wird. Dies trifft besonders auf die Erwerbsbevölkerung zu. Die demografischen Entwicklungen und der Umstand, dass bereits in verschiedenen Branchen ein Fachkräftemangel besteht, haben auf die hohe Relevanz der aktuellen und zukünftigen Sicherung der benötigten Fachkräfte zur Aufrechterhaltung einer gesunden Wirtschaft aufmerksam gemacht.

Um dem aktuellen und zukünftigen Fachkräftemangel entgegenzuwirken, ist man in Deutschland daher bestrebt, neben der gezielten Ausschöpfung des bestehenden Potenzials durch Erhöhung der Erwerbsbeteiligung und der Qualifizierung der Erwerbsbevölkerung auch die Zuwanderung zu fördern. Doch die niedrigen Einwanderungsraten in den Jahren 2008 und 2009 verdeutlichen, dass eine ausreichende Zuwanderung nicht selbstverständlich ist. Dies wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass Deutschland nur eines von vielen Ländern innerhalb der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist, die im Kontext einer alternden Bevölkerung um Zuwanderer wirbt. Deutschland ist insofern bestrebt, sich im internationalen Wettbewerb um Arbeitskräfte neu zu positionieren. Insgesamt soll daher die Attraktivität Deutschlands für Fachkräfte gesteigert werden. Der Ruf nach einer Willkommenskultur bezieht sich auf diese Zielsetzung und ist mittlerweile fester Baustein migrations- und integrationspolitischer Debatten.

So wurde neben der Umsetzung von EU-Richtlinien für Ausländer mit spezifischer beruflicher Qualifikation (wie etwa das Berufsanerkennungsgesetz und die Einführung der "Blauen Karte") die Beschäftigungsverordnung neu geregelt. Die Verordnung ist seit Juli 2013 in Kraft und ermöglicht die Einreise für (nicht-akademische) Fachkräfte mit Berufsabschluss aus Drittstaaten. Voraussetzung für die Zuwanderung ist ein der deutschen Berufsausbildung gleichwertiger Ausbildungsabschluss. Außerdem muss ein Fachkräftebedarf in dem jeweiligen Bereich bestehen. Eine entsprechende Bedarfsanalyse wird von der Bundesagentur für Arbeit vorgenommen und in einer Liste zu Berufen, Branchen und Regionen festgehalten.

Perspektivwechsel?

In Migrationsdiskursen wird oftmals festgehalten, dass in Deutschland zwar verschiedene Maßnahmen zur Förderung einer Willkommenskultur eingeführt wurden, jedoch keine Willkommenskultur im umfänglichen Sinne besteht. So werden im Umgang mit Vielfalt nach wie vor verschiedene Formen der Diskriminierung beobachtet. In einer Studie zur Benachteiligungserfahrung von Personen mit und ohne Migrationshintergrund hält der SVR fest, dass sich die Zuwandererbevölkerung insbesondere bei der Wohnungssuche, auf dem Arbeitsmarkt, in Bildungsstätten sowie auf Behörden benachteiligt fühlt.

Eine Studie über die Erfahrungen von Akademikern mit der Bayreuther Ausländerbehörde beispielsweise untermauert die Tatsache, dass sich Zugewanderte nach Behördengängen alles andere als willkommen fühlen. So berichten Akademiker und Studierende, dass sie nach den Behördengängen frustriert waren und sich unterwünscht fühlten, was schließlich das Bild von ihrem Aufenthalt in Deutschland maßgeblich prägte. Dass Diskriminierung in vielen Lebensbereichen eine Realität darstellt, verdeutlicht ferner der Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, der mit Schwerpunkt auf den Bereichen Bildung und Arbeit über verschiedene Formen der Diskriminierung informiert und verschiedene Ansätze zur Bekämpfung von Diskriminierung empfiehlt.

So hat sich die Willkommenskultur in vielen Lebensbereichen zwar noch nicht durchgesetzt, dennoch hat ein Perspektivwechsel eingesetzt. Zum einen werden die anzuwerbenden Fachkräfte in der Politik und in den Medien vermehrt als Potenzial bezeichnet und nicht als Bedrohung für die Erwerbsbevölkerung oder die Sozialsysteme. Zum anderen liegt der Fokus nunmehr auch auf der Aufnahmegesellschaft und deren Kapazitäten im Umgang mit Vielfalt.

Diese Rhetorik von den erwünschten qualifizierten Fachkräften birgt jedoch die Gefahr, dass zwischen "guten" und "schlechten" Zuwanderern unterschieden wird. Damit würde ein selektives "Willkommen-heißen" betrieben, womit kein vollständiger Perspektivwechsel verbunden wäre. Wird im Hinblick auf den "Umgang mit Vielfalt" die chancengleiche Teilnahme an der Gesellschaft zum Ziel erklärt, stellt der Ausschluss eines Teils der Bevölkerung von der geforderten Willkommenskultur einen Widerspruch dar. Ein solcher Widerspruch besteht etwa, wenn Maßnahmen zur Förderung einer Willkommenskultur auf die qualifizierten Fachkräfte beschränkt werden. Solange sich jedoch ein großer Teil der ansässigen Migrationsbevölkerung aufgrund bestehender Regelungen, der Behördenpraxis oder aufgrund erfahrener Diskriminierung im Land nicht willkommen fühlt, ist Willkommenskultur nicht ganzheitlich umgesetzt. Gerade weil Willkommenskultur mit dem Ziel gefördert wird, für qualifizierte Fachkräfte ein attraktives Zielland darzustellen, besteht die Gefahr, die ansässige Bevölkerung bei der Umsetzung zu vernachlässigen. Doch damit würde eine Chance vertan, einen nachhaltigen Perspektivwechsel in der Gesellschaft voranzutreiben.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. die Beiträge von Klaus J. Bade und Ullrich Kober/Rita Süssmuth in: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Deutschland, öffne dich!, Gütersloh 2012; Bundesregierung (Hrsg.), Neunter Bericht der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland, Berlin 2012; Sachverständigenrat deutscher Stiftung für Integration und Migration (SVR) (Hrsg.), Erfolgsfall Europa?, Berlin 2013.

  2. Vgl. den Beitrag von Hans Schammann/Nikolas Kretzschmar/Robert Gölz in: Bertelsmann Stiftung (Anm. 1); Andreas Merx et al., Willkommenskultur (und Anerkennungskultur), München 2013.

  3. Vgl. Orkan Kösemens Beitrag in: Bertelsmann Stiftung (Anm. 1).

  4. Vgl. Kantons- und Stadtentwicklung Basel-Stadt, Externer Link: http://www.entwicklung.bs.ch/welcome (4.10.2013).

  5. Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) (Hrsg.), Fachkräftesicherung, Berlin 2011; U. Kober/R. Süssmuth (Anm. 1); SVR (Anm. 1).

  6. Vgl. BMAS (Anm. 5); Neunter Bericht (Anm. 1); Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Bevölkerungsstand und -entwicklung in Deutschland, 1960–2060, August 2013; ders. (Hrsg.), Einwanderungsgesellschaft 2010, Berlin 2010.

  7. Vgl. OECD (Hrsg.), Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte: Deutschland, Paris 2013; dies. (Hrsg.), International Migration Outlook 2013, Paris 2013.

  8. Die Blaue Karte erlaubt den Zuzug und die Arbeitsaufnahme für hoch qualifizierte Personen aus Nicht-EU-Staaten (sogenannte Drittstaaten) ohne komplizierte Verfahren. Bedingung ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium und ein Mindestjahresgehalt von rund 45000 Euro. Vgl. Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Migration und Integration, Zuwanderung, Arbeitsmigration, 2013, Externer Link: http://www.bmi.bund.de/DE/Themen/Migration-Integration/Zuwanderung/Arbeitsmigration/arbeitsmigration_node.html (9.10.2013).

  9. Vgl. Bundesregierung (Hrsg.), Zuwanderung von Facharbeitern erleichtern, 2013, Externer Link: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2013/02/2013-02-26-beschaeftigungsverordnung.html (8.10.2013).

  10. Vgl. K. J. Bade (Anm. 1).

  11. Vgl. SVR (Hrsg.), Benachteiligungserfahrungen von Personen mit und ohne Migrationshintergrund im Ost-West-Vergleich, Berlin 2012.

  12. Vgl. Friederike Barié-Wimmer/Bernd Müller-Jacquier, Ausländische Akademiker und deutsche Behörden, Bayreuth 2013.

  13. Vgl. Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hrsg.), Diskriminierung im Bildungsbereich und im Arbeitsleben, Berlin 2013.

  14. A. Merx et al. (Anm. 2); U. Kober/R. Süssmuth (Anm. 1).

  15. Vgl. K. J. Bade (Anm. 1).

Lizenz

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Doktorandin und Assistentin am Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien, Lehrstuhl für Migration und Bürgerrecht, Universität Neuenburg, Fbg de l’Hôpital 106, CH – 2000 Neuchâtel/Schweiz. E-Mail Link: noemi.carrel@unine.ch
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