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Flüchtlinge an den Grenzen Europas | Europas Grenzen | bpb.de

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Flüchtlinge an den Grenzen Europas

Franck Düvell

/ 15 Minuten zu lesen

Im Jahr 2013 wurden aus 69 Staaten beziehungsweise Regionen Krisen gemeldet. 2012 gab es weltweit 45,2 Millionen Flüchtlinge – die höchste Zahl seit 1994. Rund 16,34 Millionen waren internationale und 28,8 Millionen interne Flüchtlinge (Binnenflüchtlinge). Darunter waren 7,6 Millionen neu Vertriebene, das heißt 23.000 Menschen pro Tag – die höchste Zahl seit 1999. Rund 55 Prozent aller Flüchtlinge kommen aus nur fünf Staaten: Afghanistan, Somalia, Irak, Syrien und dem Sudan; 48 Prozent aller Flüchtlinge sind Frauen, 46 Prozent Kinder. Aus wirtschafts-, sicherheits- und einwanderungspolitischen Gründen wird weltweit die Migrationskontrolle ausgedehnt, um zwischen "erwünschten" und "unerwünschten" Migrantinnen und Migranten zu unterscheiden. Zu Letzteren gehören auch irreguläre (Arbeits-)Migranten und Flüchtlinge. Insbesondere wurde sukzessive eine Reisepass- und Visapflicht für die Bürgerinnen und Bürger vieler Staaten eingeführt. Doch selten stellen die Verfolgerstaaten ihren Opfern Reisepässe aus, und auch Visa für Flüchtlinge gibt es in den Zielstaaten nicht. Damit wurden effektiv die Reisemöglichkeiten von Flüchtlingen eingeschränkt: Ohne Visum und Reisepass können sie weder den Verfolgerstaat verlassen, noch legal in einen sicheren anderen Staat einreisen.

Zudem wird seit geraumer Zeit die in der UN-Flüchtlingskonvention festgelegte Institution des Asyls weltweit schrittweise eingeschränkt und der Flüchtlingsschutz abgebaut. Flüchtlinge haben es zunehmend schwerer, in einen sicheren Staat, insbesondere einen EU-Staat, zu gelangen und noch schwerer, sich dort ein neues Leben aufzubauen. Grenzsicherung hat Vorrang vor Flüchtlingsschutz bekommen. Das belegen die vielen Fälle von unrechtmäßiger Abweisung sowie die inzwischen über 20.000 Todesfälle an den EU-Außengrenzen seit Anfang der 1990er Jahre. Über 80 Prozent aller Flüchtlinge leben in Entwicklungsländern und weniger als 20 Prozent in den Industriestaaten, vor zehn Jahren waren dies immerhin noch 30 Prozent. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, stammen Flüchtlinge überwiegend aus armen Staaten und finden auch überwiegend in armen Staaten Zuflucht. Das globale Flüchtlingsproblem ist also auch ein Armutsproblem.

Im Jahr 2012 lebten rund 1,5 Millionen Flüchtlinge in der EU, das sind nur etwa 3,3 Prozent aller weltweit Vertriebenen. Außerdem haben 479.300 der 7,6 Millionen neu Vertriebenen in den Industriestaaten Asyl beantragt, davon rund 297.000 in der EU. Das sind kaum vier Prozent aller Schutzsuchenden. Darunter waren ein Viertel Frauen und 20 Prozent Minderjährige. Für weltweit 172.000 Flüchtlinge, die 2012 in einen sicheren Staat umgesiedelt werden sollten, hatten die EU-Staaten 5.500 Plätze zur Verfügung gestellt. Der Globale Norden und auch die EU haben sich also mehr oder weniger erfolgreich vor den Flüchtlingen dieser Welt, insbesondere vor den Frauen und Kindern, abgeschirmt. Dies geht in erster Linie auf Kosten der Flüchtlinge, aber auch auf Kosten der Staaten, die stattdessen zu Zielländern der Flüchtlinge werden.

Die Bundesrepublik Deutschland ist allerdings eine Ausnahme in diesem Muster. Insgesamt lebten in der Bundesrepublik im Jahr 2012 nahezu 590.000 Flüchtlinge, außerdem stellten über 50.000 einen Asylantrag, neben Frankreich die höchste Zahl in der EU. Auch hat Deutschland überdurchschnittlich viele umgesiedelte Flüchtlinge aufgenommen, allein 5.000 aus Syrien im Jahr 2013 und in den vergangenen Jahren einige Tausend Flüchtlinge, darunter welche aus Tunesien (200), dem Libanon und Syrien (2501).

Dieser Artikel befasst sich vor allem mit der Situation von Flüchtlingen in den Staaten an der Peripherie und in der Nachbarschaft der EU – also die Flüchtlinge, die es entweder (bislang noch) nicht versucht oder nicht geschafft haben, in den sicheren und wohlhabenden "EU-Norden" zu gelangen oder die teilweise aufgrund der europäischen Gesetzgebung in den peripheren südlichen EU-Staaten bleiben müssen.

Gesetze und Zahlen

In Politik und Gesetzen der EU wurde die Einreise von Flüchtlingen, da sie ja kein Visum haben, de facto als "unerlaubter Grenzübertritt" kodifiziert, den zu verhindern die Mitgliedstaaten verpflichtet sind. Flüchtlingen "kann", muss aber nicht, "die Einreise (…) aus humanitären Gründen oder Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen gestattet" werden. Eine Verpflichtung, Flüchtlingen etwa gemäß der UN-Flüchtlingskonvention die Einreise zu gestatten, besteht nicht. Die Visapflicht, die Pflicht zur Grenzüberwachung und die Abwesenheit einer Pflicht des Flüchtlingsschutzes sind die wesentlichen gesetzlichen Regelungen, die Flüchtlinge von der Einreise in die EU ausschließen und sie gesetzlich – aber nicht unbedingt de facto – dazu verpflichten, in einem Staat außerhalb der EU zu verbleiben. Sollten sie es dennoch schaffen, in die EU einzureisen und einen Asylantrag zu stellen, können sie nicht in einen Nicht-EU-Staat zurückgeschickt werden.

Allerdings verpflichtet sie bislang ein weiteres Gesetz, die sogenannte Dublin-II-Konvention, dazu, ihr Asylverfahren im ersten sicheren EU-Staat zu betreiben; hat ein Flüchtling "die (…) Grenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten (…), so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig", so Artikel 10 Absatz 1. Sollten sie dennoch in einen anderen EU-Staat etwa im Norden weiterreisen, werden sie in der Regel in den ersten EU-Staat, in den sie eingereist sind, zurückgeschickt. Dies ist oftmals einer der peripheren Staaten in Ost- oder Südeuropa. Insofern ist diese Regelung geradezu eine Strafe dafür, dass der jeweilige Mitgliedstaat die Einreise nicht verhindert hat.

Die gesetzliche Ausgrenzung von Flüchtlingen beziehungsweise ihr Festhalten in den östlichen und südlichen EU- und Nicht-EU-Staaten hat dazu geführt, dass dort Hunderttausende Flüchtlinge leben. So werden in den EU-Nachbarstaaten rund 530.000 Flüchtlinge registriert oder vermutet sowie 550.000 bis zu über eine Million irreguläre Migranten, die meisten davon in der Türkei. In den EU-Grenzstaaten sind 182.043 Flüchtlinge registriert. Außerdem wird geschätzt, dass dort 1,4 bis 1,64 Millionen irreguläre Migranten leben. Da die meisten Nicht-EU-, aber auch einige EU-Staaten gar kein oder kein funktionierendes Asylsystem haben, sind Flüchtlinge oft ohne Aufenthaltsgenehmigung und de facto "ohne Papiere". Das heißt, zusätzlich zu den registrierten Flüchtlingen verbergen sich hinter den Zahlen der irregulären Migranten weitere Flüchtlinge.

Jedes Jahr versuchen Flüchtlinge und Migranten aus einem EU-Nachbarland in die EU weiterzureisen, im Jahr 2008 waren das 151.000 und im Jahr 2012 73.000. Die Zahl derer, um die es im Folgenden geht, ist beträchtlich und liegt bei mindestens 2 bis 2,6 Millionen Personen (nicht mitgezählt sind die Flüchtlinge in Russland).

Grundsätzlich haben die weniger wohlhabenden Staaten an der Peripherie oder außerhalb der EU geringere Kapazitäten als die wohlhabenden nördlichen EU-Staaten, um Flüchtlinge aufzunehmen und angemessen zu versorgen. Häufig gibt es bereits für die eigenen Bürger keinen voll funktionierenden Rechtsstaat und nur minimale oder gar keine sozialen Leistungen. Zwar stellt die EU den Mitglied-, Beitritts- und Nachbarstaaten Mittel zur Verfügung, doch sie werden überwiegend zur Abwehr von Flüchtlingen und Migranten eingesetzt. Zudem zeigen etliche Staaten nur eine geringe oder gar keine Bereitschaft, Migranten und Flüchtlinge aufzunehmen oder zu integrieren, und sie verfolgen teilweise fremdenfeindliche Ideologien (etwa die Ukraine, Libyen).

Ferner ist zu unterscheiden zwischen Flüchtlingen und Wirtschaftsmigranten. Zum einen gibt es neben Flüchtlingen noch weitere schutzbedürftige Kategorien von Migranten, insbesondere Familien mit Kindern, Frauen, minderjährige unbegleitete Migranten oder Opfer von Straftaten. Zum anderen leben Flüchtlinge und andere Migranten in der Regel in denselben Wohnvierteln, nutzen dieselben Schmuggler, reisen in gemischten Gruppen und sitzen mitunter sprichwörtlich im selben Boot. Im Jargon des UNHCR wird deshalb auch von "gemischten Strömen" gesprochen.

Flüchtlinge in EU-Nachbarstaaten

In der Türkei gilt eine komplizierte rechtliche Situation. Grundsätzlich gewährt die Türkei nur europäischen Flüchtlingen Asyl, alle anderen werden unter Vorbehalt aufgenommen und müssen im Falle ihrer Anerkennung in einen anderen Staat, vor allem die USA, umgesiedelt werden. Außerdem herrscht ein komplexes duales System und Nebeneinander von staatlichen und UNHCR-Kompetenzen. Zwar trat 2013 ein neues Gesetz "on Migration and international protection" in Kraft. Doch wird es eine Weile dauern, bis dieses auch umgesetzt wird. In der Ukraine waren das Asylsystem und die zuständigen Behörden bis 2011 häufig dysfunktional. Erst 2011 trat ein neues Gesetz "on refugees" in Kraft, welches dies ändern soll. In Serbien ist die Asylbehörde unterbesetzt und ebenfalls de facto dysfunktional. In Libyen war der UNHCR bis 2011 noch nicht einmal zugelassen, dort sowie in Marokko gibt es bislang gar keine nationalen Asylsysteme, selbst der Zugang zum UNHCR ist mitunter schwierig beziehungsweise unmöglich (Marokko). Die Anerkennungsraten der nationalen Behörden sind zudem teils extrem niedrig, in der Ukraine liegen sie je nach Jahr zwischen null und drei Prozent.

Die Aufnahmebedingungen in den EU-Nachbarstaaten sind beschränkt. In der Türkei werden Asylsuchende auf 51 sogenannte Satellitenstädte umverteilt. Dort sind sie weitgehend auf sich selbst gestellt und erhalten keine Unterkunft und kaum Sozialleistungen, haben aber Zugang zum Gesundheitssystem. Allerdings werden die zurzeit etwa 200.000 syrischen Flüchtlinge in 17 Zeltlagern untergebracht, wo sie Nahrungsmittel, medizinische Versorgung und Zugang zu Ausbildung erhalten. In der Ukraine gibt es für die fast 8.000 Flüchtlinge nur drei Unterkünfte mit zusammen nicht einmal 300 Plätzen. Die Versorgung ist, außer in Lviv, wo der Jesuitische Flüchtlingsdienst zuständig ist, beschränkt. Der UNHCR zahlt pro Asylantragsteller zwar 50 US-Dollar monatlich, allerdings reicht das höchstens für die Miete für einen mit mehreren Personen geteilten Raum. Zugang zur Gesundheitsversorgung existiert eher auf dem Papier denn in der Realität. In Marokko werden keinerlei Unterkünfte oder Sozialleistungen gestellt, selbst der Zugang zum Gesundheitsdienst ist weitgehend versperrt.

In der Ukraine werden Flüchtlinge bis zu zwölf Monate in von der EU finanzierten Lagern inhaftiert, teils auch wiederholt, sodass sie im Einzelfall mehrere Jahre "unter Arrest" verbringen müssen. In Libyen werden Flüchtlinge unter überwiegend grauenerregenden Bedingungen von zumeist nichtstaatlichen Milizen gefangen gehalten. In Marokko gibt es zwar offiziell keine Internierungslager, wohl aber stehen viele Flüchtlinge auf Polizeistationen unter Arrest. Regelmäßig wird kritisiert, dass die Inhaftierten keinen Zugang zu Anwälten und kein Widerspruchsrecht haben, dass sie nur ungenügend verpflegt werden, dass die hygienischen Bedingungen katastrophal sind, dass sie kaum Hofgang haben und es keine Beschäftigungsmöglichkeiten gibt. Oftmals sind ihre Haftbedingungen schlechter als die von Straftätern. In der Regel handelt es sich um eine willkürliche Haft und damit einen Verstoß gegen Artikel 31 der UN-Flüchtlingskonvention ("Flüchtlinge, die sich nicht rechtmäßig im Aufnahmeland aufhalten").

Aus allen hier aufgeführten Staaten wird berichtet, dass Flüchtlingen mehr oder weniger regelmäßig der Zugang zu Schutz verweigert wird, dass sie keine Papiere ausgestellt bekommen, in der Irregularität verbleiben und damit der Willkür durch die Polizei ausgesetzt sind, dass ihnen bereits an der Grenze die Einreise verweigert wird oder sie zurückgeschoben werden oder dass sie gar direkt an die (Bürger-)Kriegs- oder Verfolgerstaaten abgeschoben werden.

Korruption ist ein weiteres Problem, das vor allem aus der Ukraine und aus Libyen gemeldet wird. Um in der Ukraine Zugang zum Asylsystem zu erhalten, um aus der Haft entlassen zu werden, um den Flüchtlingspass ausgehändigt zu bekommen, ja selbst um willkürlichen Festnahmen auf der Straße zu entgehen, müssen oftmals Grenzschützer, die Polizei, Übersetzer oder Interviewer bestochen werden.

Obdachlosigkeit wird vor allem aus Marokko und Serbien berichtet, dort bleibt Flüchtlingen häufig nichts anderes übrig, als sich an Stadträndern oder in der Nähe überfüllter Flüchtlingsunterkünfte aus Müll (Plastikplanen, Holz und Pappe) einen provisorischen Unterschlupf zu schaffen. Diese werden dann aber wie etwa in Serbien regelmäßig von der Polizei im "Kampf gegen illegale Migration" niedergebrannt.

In diversen Staaten sind Flüchtlinge und Migranten Verbrechen und Gewalt, ausgeübt durch die Polizei (Ukraine, Libyen, Marokko), Kriminelle (Türkei, Libyen, Marokko) oder Rassisten (Ukraine), ausgesetzt; insbesondere Frauen werden oft zu Opfern sexueller Gewalt durch die Polizei (Libyen), Kriminelle (Marokko, Türkei) oder Landsleute. Häufig werden sie nur ungenügend von der Polizei geschützt. So wurden auf dem Weg nach oder in Marokko 43 Prozent aller Flüchtlinge und Migranten Opfer von Gewalt sowie etwa 36 Prozent der Frauen Opfer von Vergewaltigungen.

In nahezu allen EU-Nachbarstaaten entsprechen die Asylsysteme und Aufnahmebedingungen für Flüchtlinge nicht den international vereinbarten Normen. Flüchtlinge und andere schutzbedürftige Migranten sind dort überwiegend längerfristig weder sicher, noch können sie dort leben.

Flüchtlinge in EU-Grenzstaaten

Grundsätzlich gelten zwar in allen EU-Mitgliedstaaten dem EU-Recht angepasste nationale Gesetze, aber deren Umsetzung variiert erheblich und hängt stark von nationalen organisatorischen und Rechtskulturen, Identitätsprozessen und öffentlichen Diskursen ab. So variierten beispielsweise im Jahr 2007 die Anerkennungsraten für Asylsuchende von 2,7 Prozent in Griechenland über 35,2 Prozent in Deutschland bis 61,2 Prozent in Italien. Zudem sind die Wartezeiten und damit die Zeiten der Unsicherheit teils sehr lang (beispielsweise bis zu zwölf Jahre in Zypern). Und auch im Jahr 2013 gab die für Flüchtlingspolitik zuständige EU-Innenkommissarin Anna Cecilia Malmström zu, dass das Asylsystem der EU "eine Lotterie" sei.

In einigen Staaten wurde und wird Flüchtlingen der Zugang zu Schutz bereits bei der Einreise verwehrt, wenn sie zum Teil in nicht sichere Drittstaaten zurückgeschoben werden. So schiebt Ungarn in die Ukraine und nach Serbien ab, Griechenland in die Türkei und Italien versucht dies mitunter nach Libyen. Diejenigen, die dennoch aufgenommen werden, werden häufig zunächst in Polizeistationen festgehalten und anschließend in geschlossenen Lagern untergebracht (in Polen durchschnittlich zwei Monate, in Ungarn sechs Monate, auf Malta zwölf Monate). In Polen, Griechenland und Malta werden auch Familien und Minderjährige inhaftiert. Malta und Ungarn sind im Jahr 2010 beziehungsweise 2011 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Verstoßes gegen Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention ("Recht auf Freiheit und Sicherheit") verurteilt worden.

Statt oder nach der Haft werden Flüchtlinge in der Regel nur vorübergehend in einem offenen Lager untergebracht (Ungarn, Slowakei, Italien, Malta). Die Unterbringungsbedingungen werden überwiegend kritisch beurteilt, unter anderem aufgrund des Mangels an Privatsphäre wegen der Unterbringung in Sälen oder Hallen, Überbelegung, ungenügender Möblierung, mangelndem Hofgang, mangelhaften hygienischen Bedingungen, ungenügendem Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu Rechtsbeiständen sowie schlecht oder gar nicht ausgebildetem Personal. So wurden etwa die Bedingungen in diversen griechischen Lagern vom Komitee zur Verhinderung von Folter des Europarates als "unmenschlich und erniedrigend" bezeichnet.

In den meisten Staaten werden Flüchtlingen und Asylsuchenden von den Behörden im Anschluss an Haft und/oder Sammellager keine oder nur befristete Unterkünfte oder Beihilfen zum Anmieten von Wohnungen zur Verfügung gestellt. Auf dem privaten Wohnungsmarkt wird ihnen aufgrund von Diskriminierung der Zugang zu Wohnungen versperrt. Das hat zur Folge, dass Flüchtlinge, einschließlich Familien, Kindern und Jugendlichen, häufig obdachlos sind und tatsächlich auf der Straße, in Parks oder im Unterholz an den Stadträndern leben müssen, sich in leerstehenden Häusern oder Fabrikgebäuden notdürftig einrichten oder bei Bekannten in dann überbelegten Privatwohnungen unterkommen. Besonders häufig geschieht das in Polen, Ungarn, Griechenland oder Italien. Die Probleme werden dadurch verstärkt, dass Asylsuchende und anerkannte Flüchtlinge in den meisten EU-Grenzstaaten nach Haft oder Sammelunterkunft nur geringe befristete (Ungarn) oder gar keine (Italien) Sozialhilfe erhalten und ihnen kaum oder gar keine integrationspolitischen Angebote gemacht werden. So bekommen Flüchtlinge in Ungarn maximal zwei Jahre Sozialhilfe (etwa 90 Euro pro Monat) – zu wenig, um Miete bezahlen zu können, ein Bett im Vierbett-Zimmer des billigsten Hotels kostet etwa 180 Euro pro Monat. Ein Teufelskreis entsteht: Wer keine Wohnung anmieten und demnach keine Meldeadresse nachweisen kann, ist auch nicht sozialhilfeberechtigt.

Weitere Probleme, die sich aus der Ausgrenzung und Schutzlosigkeit von Flüchtlingen ergeben, sind Gewalterfahrung in den Lagern, durch das Wachpersonal (Ungarn, Griechenland) oder durch Rassisten auf der Straße (Ungarn, Griechenland, Italien). Frauen berichten zudem auch von sexueller Gewalt. Außerdem berichten Flüchtlinge häufig, dass sie nicht genug zu essen haben, sich beispielsweise nur eine Mahlzeit am Tag leisten können, deshalb Hunger haben und schließlich an Mangelerscheinungen und Krankheiten leiden (Ungarn, Griechenland, Italien).

Schließlich haben viele Flüchtlinge teils auch langfristig Schwierigkeiten, einen Job zu finden. Ihre Abschlüsse werden nicht anerkannt, und Arbeitsämter helfen nicht bei der Jobsuche, auch von Lohnbetrug wird berichtet (Italien). Der Zugang zum Gesundheitssystem ist mitunter erschwert, beispielsweise erfordert in Italien der Zugang zum Gesundheitswesen eine Meldeadresse, welche die vielen Obdachlosen aber nicht haben; insbesondere psychologische Behandlung von Kriegs- und Folteropfern ist Mangelware. Auch für (unbegleitete) Minderjährige gibt es nur ungenügende oder gar keine Unterstützung, selbst der Schulbesuch ist nicht garantiert (Italien). Zudem werden Flüchtlingen kaum Sprachkurse, berufliche Reintegrations- oder Weiterbildungskurse angeboten (Italien, Ungarn). In allen Staaten bieten nichtstaatliche Hilfsorganisationen diverse Dienstleistungen an, diese können die systematische Unterversorgung von Flüchtlingen nur im Einzelfall, nicht aber per se ausgleichen.

In etlichen nördlichen EU-Mitgliedstaaten haben Gerichte die oben skizzierten Missstände überprüft, für zutreffend befunden und daraufhin Rückführungen nach dem Dublin-II-Abkommen in diese EU-Grenzstaaten entweder generell (Griechenland) oder in Einzelfällen untersagt (Ungarn, Italien).

Schlussfolgerungen

Flüchtlinge, die vor Krieg oder Verfolgung in einen sicheren Staat zu fliehen versuchen, müssen zunächst ein gestaffeltes Abwehrsystem überwinden. Dies hat zur Folge, dass sie häufig mehrfach inhaftiert werden, teils bereits im Verfolgerstaat, dann in einem Transitstaat auf dem Weg in die EU, dort mitunter sogar wiederholt, bei der Ankunft in einem der EU-Grenzstaaten gegebenenfalls noch einmal, wenn sie unerlaubt in einen anderen EU-Mitgliedstaat weitergereist sind und zurückgeschoben werden und eventuell im Falle der Ablehnung ihres Asylantrages zum Zwecke der Abschiebung. Im Ergebnis können sie also mehrere Jahre in Haft verbringen, einzig und allein deswegen, weil sie Flüchtlinge sind. Auch werden sie häufig von einem dieser Staaten in einen anderen abgeschoben. All dies kann sich leicht zu mehreren Jahren summieren. In diesen Jahren können sie in der Regel keine Ausbildung machen, kaum einer angemessenen Arbeit nachgehen oder gar eine Familie gründen. Es sind also oft weitgehend verlorene Jahre.

Zudem führt die Flucht regelmäßig in die Obdach-, Erwerbs- und Einkommenslosigkeit, in Hunger und soziales Elend. Oft berichten Flüchtlinge, dass zumindest in der Anfangszeit die Bedingungen in Nicht-EU- wie auch den EU-Grenzstaaten schlimmer seien als in den Herkunftsländern. Die hier ausgewerteten Berichte lassen kaum einen anderen Schluss zu, als dass die derzeitigen Asylsysteme in den hier analysierten Staaten nicht den Anforderungen entsprechen und kaum dazu geeignet sind, den Schutzbedürftigen – und nach internationalem Recht auch Schutzberechtigten – diesen Schutz zu gewährleisten. Vielmehr werden umfassend Flüchtlings- und Menschenrechte verletzt.

Dr. phil., geb. 1961; Leitender Wissenschaftler am Centre on Migration, Policy and Society (COMPAS), Universität Oxford, 58 Banbury Road, Oxford, OX3 0ER/UK. E-Mail Link: franck.duvell@compas.ox.ac.uk