Sarajevo und Franz Ferdinand: Untrennbar sind diese beiden Namen mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges verbunden; Dokumentarfilme, Handbücher und Ausstellungen über den Krieg beginnen an diesem Ort und mit dem tödlichen Attentat auf den österreichisch-ungarischen Thronfolger. Wir sehen grobkörnige Fotos, uniformierte Männer in einem offenen Automobil, eine Dame mit einem breitkrempigen Hut und Sonnenschirm, ein Handgemenge und dann: Porträts sehr junger Männer, die ernst in die Kamera blicken, zu weite Jacken über schmächtigen Schultern tragen.
Der Moment des Attentats ist unter anderem in einer farbigen Zeichnung festgehalten: Ein schwarz gekleideter Mann, den Hut tief im Gesicht, aus dem Revolver dringt weißer Qualm, der Erzherzog sinkt sterbend in die Arme seiner Frau, die in Sekunden selbst getroffen sein wird. Schon diese zeitgenössische Tatortzeichnung stellt die Ereignisse verändert dar: Denn Sophie, die Gattin des Erzherzogs, starb als erste, sie fiel verwundet auf den Schoß ihres Mannes, beide saßen im Automobil. Das Bild der den Gatten umfangenden Ehefrau, eines bis in den Tod verbundenen Paares, ist Teil einer unmittelbar einsetzenden Legendenbildung und politischen Instrumentalisierung des Mordes. Begann an diesem Tag also der Erste Weltkrieg?
Am 28. Juni 1914 besuchte der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand mit seiner Frau Sophie, der Herzogin von Hohenburg, Sarajevo, die Hauptstadt der Provinzen Bosnien und Herzegowina. Der Erzherzog hatte zuvor auf Einladung von General Oskar Potiorek, dem Landeschef der beiden Provinzen, zwei Tage an einem Manöver teilgenommen. Die Planungen liefen seit September des Vorjahres, und in der Presse waren bereits Details des Besuchs veröffentlicht worden, denn möglichst viele Zuschauer sollten am Straßenrand dem Konvoi zujubeln. Ziel der Reise war es, das Ansehen des Herrscherhauses aufzupolieren.
Für Franz Ferdinand, seit dem Selbstmord seines Cousins Rudolf 1889 Thronfolger, war die Reise bislang erfreulich verlaufen. Am Vortag hatten er und seine Frau den Bazar in Sarajevo besucht, und die Bürger begegneten ihnen freundlich.
Zudem ist der 28. Juni der Sankt-Veits-Tag (Vidovdan) – und damit auch für viele Serben ein spezielles Datum, nämlich ein Tag der nationalen Trauer, des Opfers und der Erinnerung an den Kampf gegen die osmanische Fremdherrschaft. In die zahlreichen Freudenfeuer, die – ursprünglich für den Sankt-Veits-Tag vorbereitet – am Abend entzündet wurden, mischte sich der Jubel über den vermeintlichen Tyrannenmord. Die Wahl des Tages für den Besuch war jedoch Zufall – und damit zugleich Ausdruck einer gewissen Unwissenheit und Ignoranz des Herrscherhauses in Bezug auf die Lage vor Ort.
Die tödlichen Schüsse
Das Attentat beschäftigt die Menschen bis heute auch deshalb, weil es zu einer fast unglaublichen Aneinanderreihung von Missgeschicken und Zufällen kam. Sieben unmittelbare Attentatshelfer waren in Sarajevo: Sechs hatten sich entlang der vorgesehenen Route postiert, der siebte, Danilo Ilić, hielt den Kontakt zwischen den sechs jungen Männern aufrecht. Alle waren mit Pistolen oder Bomben bewaffnet – und mit Gift, um sich nach dem erfolgreichen Attentat das Leben zu nehmen.
Was dann geschah, kann sehr knapp erzählt werden: Die ersten beiden Mitglieder des Kommandos hatten entweder nicht den Mut, Skrupel oder nicht die Gelegenheit, den Mord zu begehen. Der dritte, Nedeljko Čabrinović, zündete eine kleine Bombe und warf sie in Richtung des Automobils, in dem Franz Ferdinand, Sophie, General Potiorek und Franz Graf von Harrach saßen. Harrach war der Besitzer des schmucken Doppelphaetons, der heute in Wien im Heeresgeschichtlichen Museum ausgestellt wird. Die Bombe prallte ab und explodierte unter dem nachfolgenden Fahrzeug. Neben einigen Passanten wurde auch Oberst Erik von Merizzi, Potioreks Adjutant, leicht verletzt. Nachdem er sich überzeugt hatte, dass es keine Schwerverletzten gab, entschied Franz Ferdinand, die Fahrt zum Rathaus fortzusetzen.
Nach dem Empfang durch den Bürgermeister änderten der Erzherzog und seine Ehefrau jedoch ihren Plan: Zunächst sollte der verletzte Merizzi im Krankenhaus besucht werden.
Die Ermittlungen
Der Attentäter wurde rasch überwältigt und von empörten Umstehenden zusammengeschlagen – das Zyankali konnte er zwar noch schlucken, doch wie bei Čabrinović trat die tödliche Wirkung nicht ein.
Autoren älterer wie neuerer Publikationen zum Thema stimmen darin überein, dass es den Attentätern gelang, die Rekonstruktion der Hintergründe zu verschleiern.
Die "Schwarze Hand" war im Mai 1911 gegründet worden und bildete Guerillakämpfer und Saboteure aus – mit dem Ziel, auf gewaltsamem Wege ein Groß-Serbien zu erschaffen.
Für die österreichische Regierung schien es eine ausgemachte Sache, dass hinter dem Attentat die Regierung in Belgrad stand. Daraus leitete sich das Ultimatum ab, das am 23. Juli, also knapp vier Wochen später, an Serbien übergeben wurde und das den Mechanismus von Mobilmachungen und Kriegserklärungen in Gang setzte. Die serbische Regierung entsprach in zwei Punkten den Forderungen Österreich-Ungarns nicht, weil sie die Souveränität Serbiens dadurch eingeschränkt sah: Eine Beteiligung österreichisch-ungarischer Regierungsstellen an der gerichtlichen Untersuchung wurde ebenso abgelehnt wie eine Beteiligung an der Verfolgung der "subversiven Bewegungen", die gegen die Habsburgermonarchie kämpften.
Der tatsächliche Einfluss der serbischen Regierung bei der Planung des Mordes ist bis heute nicht eindeutig geklärt. In dem Standardwerk, der Enzyklopädie Erster Weltkrieg, heißt es, dass ein Engagement des serbischen Geheimdienstes unter Leitung von Oberst Dragutin Dimitrijević als sicher gelten kann, eine direkte Beteiligung der Regierung jedoch nicht nachzuweisen ist.
Die Attentäter
Wer waren die jungen Männer, die vom serbischen Geheimdienst rekrutiert worden waren? Die drei Kernmitglieder der Attentätergruppe, Gavrilo Princip, Nedeljko Čabrinović und Trifko Grabež, waren zum Zeitpunkt ihrer Anwerbung alle 19 Jahre alt, kamen aus ärmlichen Verhältnissen und hatten zahlreiche Publikationen von sozialistischen, anarchistischen und nationalistischen Autoren rezipiert,
Die Autoren, die den serbischen Geheimdienst – und vor allem Dimitrijević – für die treibende Kraft im Hintergrund halten, mutmaßen, dass Franz Ferdinand nicht nur als Repräsentant einer Besatzungsmacht ins Visier geraten war: "Die Auswahl des Erzherzogs steht somit exemplarisch für ein immer wiederkehrendes Motiv in der Logik terroristischer Bewegung, nämlich dass Reformer und Gemäßigte stärker zu fürchten sind als direkte Gegner und Hardliner."
Der Prozess, die Urteile und die Folgen
Vom 12. bis 23. Oktober 1914 fand in Sarajevo der Prozess gegen 25 Angeklagte statt. Der Historiker Joachim Remak betont, dass es ein fairer Prozess gewesen sei, der dem geltenden Recht folgte. Nicht nachvollziehbar sei lediglich, dass keine Vertreter der neutralen Presse zugelassen waren.
Von den 25 Angeklagten wurden am 29. Oktober 16 verurteilt, davon fünf zum Tode wegen Beihilfe zum Mord und/oder Hochverrat. Neun Angeklagte wurden freigesprochen. Princip, Čabrinović und Grabež wurden in allen Anklagepunkten für schuldig befunden, konnten als Unter-20-Jährige aber nicht mit dem Tode bestraft werden, sie erhielten deshalb die maximal mögliche Haftstrafe von 20 Jahren. Princip betonte zwar, älter zu sein, doch aufgrund fehlender Urkunden ging das Gericht zu seinen Gunsten davon aus, dass er jünger sei. Alle drei starben noch vor Kriegsende im Gefängnis. Von den fünf Todesurteilen wurden zwei in einem höherinstanzlichen Verfahren in hohe Haftstrafen umgewandelt. Die Todesstrafen gegen Danilo Ilić, Veljko Čubrilović und Miško Jovanović wurden am 3. Februar 1915 vollstreckt.
Zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung hatten sich die politischen und militärischen Ereignisse jedoch schon längst verselbstständigt. Bereits am Abend des 28. Juni nahmen mehrere Entwicklungen ihren Ausgang in Sarajevo. Die Leichen von Franz Ferdinand und Sophie wurden über Wien nach Artstetten gebracht. In der dortigen Familiengruft wurde der Erzherzog gemäß seinem Wunsch beigesetzt. Die Biografen sind sich einig, dass es ein Begräbnis dritter Klasse war – in der Kapelle der Wiener Hofburg wurde noch einmal deutlich, wie sehr Kaiser Franz Joseph I. die nicht standesgemäße Ehe missbilligt hatte. Sophies Sarg stand eine Stufe niedriger und wurde nur geschmückt vom Kranz der drei Kinder.
Das Urteil der Historiker
Die Mehrheit der Historiker sieht in dem Attentat ein Signal, einen Funken, der ein verheerendes Feuer entfachte. Volker Berghahn hat 1997 in der Reihe "20 Tage im 20. Jahrhundert" den Band über den 28. Juni 1914 verfasst. Von mehr als 300 Seiten entfallen auf die Darstellung des Attentats lediglich zweieinhalb. Deutlicher hätte die These nicht umgesetzt werden können, dass es sich bei dem Anschlag zwar um eine dramatische Szene gehandelt habe, die für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges symptomatisch und wichtig gewesen sei,
Die Historiker haben ein ganzes Bündel langfristiger Ursachen zusammengetragen, um zu erläutern, warum Europa in den Ersten Weltkrieg zog: Imperialismus, Wettrüsten, Konkurrenz der Großmächte, aber auch innere Probleme, die nach außen abgeleitet werden sollten.
Das weitreichende Ultimatum, das Österreich-Ungarn Serbien überbrachte, wurde zu großen Teilen, aber nicht vollständig erfüllt. Österreich-Ungarn erklärte Serbien den Krieg, am 30. Juli machte Russland mobil, am 1. August das Deutsche Reich. Dessen Einmarsch in das neutrale Belgien am 4. August zog den Kriegseintritt Großbritanniens nach sich. Die tödlichen Schüsse in Sarajevo können somit durchaus als Beginn des Ersten Weltkrieges angesehen werden. Die Ursachen für das europäische Blutbad sind jedoch vielfältig und reichen weit zurück. Das Attentat wurde genutzt, um mit kriegerischen Mitteln innenpolitische und internationale Krisen zu lösen. Für den Erhalt des Frieden setzte sich niemand leidenschaftlich ein. Der Krieg galt vielen Zeitgenossen als unvermeidbar und als legitime Fortführung der Politik. Den blutigen Krieg, der sich entwickelte, hat keine der Großmächte gewollt, das unterstreicht der Historiker Gerd Krumeich.
In seinem neuesten Buch regt der britische Historiker Christopher Clark an, die bisherige Forschungsmeinung auf den Kopf zu stellen und die Perspektive zu wechseln. Zunächst einmal sei Serbien der blinde Fleck in der bisherigen Erforschung der Julikrise.
Die Verklärung
All dies belegt: Die Debatte um die Vorkriegsgeschichte ist auch 100 Jahre später frisch, intensiv und ertragreich. Doch auch die Heldenverehrung ist lebendig, wie der folgende Exkurs zeigt.
Im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien widmen sich zwei Räume der Darstellung des Ersten Weltkrieges. Sie sind momentan geschlossen und werden überarbeitet, um rechtzeitig zum 100. Jahrestag des Kriegsbeginns wiedereröffnet zu werden. Weiterhin zugänglich – und ein erkennbarer Publikumsmagnet – ist der Raum, der die unmittelbare Vorkriegsgeschichte behandelt. Im Zentrum des Raumes ist – von Glas umhüllt – die Chaiselongue ausgestellt, auf der Franz Ferdinand starb. Seine blutbefleckte Uniform liegt darüber, die weißen Handschuhe sorgfältig übereinandergelegt. Ein kleiner Papierpfeil am Kragen weist auf das Einschussloch hin. Ein weiteres bemerkenswertes Objekt in diesem Raum ist das Automobil der Marke Graef & Stift, Baujahr 1910, in dem Franz Ferdinand ermordet wurde. Das Automobil wurde von 1914 bis 1944 in der Feldherrenhalle ausgestellt und bei Kriegsende beschädigt. Seit 1957 ist das Fahrzeug an seinem jetzigen Ausstellungsort zu sehen.
Dieser Raum ist alles andere als die Visualisierung eines unbedeutenden Ereignisses, im Museum wächst das Attentat zur nationalen Katastrophe. Franz Ferdinand erscheint als Hoffnungsträger: "Nach einigen Jahrzehnten zeigte sich aber auch, (…) dass den Forderungen der insgesamt elf größeren Nationalitäten der Donaumonarchie nach freier Entfaltung nur dann entsprochen werden konnte, wenn es zu einem abermaligen und radikalen Umbau an der Struktur des Reiches kam. Die Hoffnung, dass dies gelingen könnte, verband sich in erster Linie mit dem Thronfolger Franz Ferdinand."
Andere militärhistorische Museen oder Kriegsmuseen haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass auch in knappe Ausstellungsbeschriftungen und Katalogtexte der aktuelle Forschungsstand einfließen kann. Eine kritische Selbstreflexion findet im Wiener Museum nicht statt: "Von 1908 an wurde Österreich-Ungarn jedoch immer stärker in die Auseinandersetzungen auf dem Balkan hineingezogen."
Die Stilisierung des Thronfolgers – und angedeutet auch Österreich-Ungarns – als Opfer zieht auch andere Heldenverehrer an. Zielstrebig suchen junge Besucher in Wien den Sarajevo-Raum auf. Die Heroisierung des Opfers strahlt ab auf die Täter. Ihre Fotos, Revolver und die Bomben erhalten einen ebensolchen Fetischcharakter wie die blutige Uniform Franz Ferdinands. Doch unreflektierte Heldenverehrung und politische Vereinnahmung des Attentats braucht 100 Jahre nach dem Kriegsbeginn niemand mehr.