Politisch motivierte Morde sind in der Geschichte der Menschheit ein immer wiederkehrendes Phänomen. Wie kaum andere Ereignisse erregen sie besondere Aufmerksamkeit und führen häufig zur Legendenbildung sowohl um die Opfer als auch um die Täter. Doch nicht nur aufgrund ihrer Dramatik und ihres fortdauernden, emotionalisierenden "Nachrichtenwertes" üben Attentate eine bedrückende Faszination auf Zeitgenossen und Nachwelt aus, sondern auch, weil sie Kulminationspunkte historischer Entwicklungen zu sein scheinen: "Hier wird Geschichte auf des Messers Schneide serviert", so der Historiker Alexander Demandt.
Gerade weil der Erfolg oder das Scheitern eines Attentats oftmals von Zufällen abhängt – schon Kleinigkeiten hätten für einen anderen Ausgang sorgen können –, drängen sich Fragen nach den historischen Alternativen auf: Was wäre, wenn der Attentäter sein Ziel verfehlt hätte? Hätte Jitzchak Rabin, dessen Todestag sich am Erscheinungstag dieser Ausgabe zum 18. Mal jährt, einen dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern schaffen können? Wäre John F. Kennedy, der vor 50 Jahren in Dallas ermordet wurde, auch ohne den Mord zu einer popkulturellen Ikone geworden? Welcher Anlass hätte zum Beginn des Ersten Weltkrieges führen können, wenn das Attentat von Sarajevo fehlgeschlagen wäre?
Das Nachdenken über "ungeschehene Geschichte" gehört zwar nicht zu den anerkannten Disziplinen unter Historikern, aber dennoch können sich kontrafaktische Gedankenspiele für die historisch-politische Bildung durchaus lohnen. Gleiches gilt für die Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Deutungen und nachträglichen politischen Instrumentalisierungen der Täter und ihrer Taten: Ob ein Attentäter offiziell als Held verehrt oder als Hochverräter verdammt wird, kann sich von Land zu Land und von Zeit zu Zeit erheblich unterscheiden. Denn ihre historische Bedeutung erhalten Attentate eher durch die symbolischen und mythisierenden Zuschreibungen als durch ihre tatsächlichen politischen Wirkungen.