Das Militär ist ein soziales Feld und eine politische Institution,
Staatsgewalt und soziale Praxis in Organisationen
Schon in den 1960er Jahren hat Renate Mayntz darauf hingewiesen, dass das rationale Modell der klassischen Organisationssoziologie den herrschaftssoziologischen Kontext in Max Webers Behandlung der Bürokratie ignoriert und daher nicht erkannt hat, dass Weber Bürokratie und Herrschaft als zwei ständig miteinander in Spannung stehende Prinzipien versteht.
Das Militär, Mittel der Selbstbehauptung des Staates nach außen und bisweilen auch nach innen, ist einerseits eine politische Institution und gleichzeitig besonders deutliche Gestalt institutionalisierter Gewalt. Der Organisationsherr des Militärs ist der Staat, den Weber als einen Herrschaftsverband auffasst, denn als Zwangsanstalt ist jeder Staat auf Gewaltsamkeit gegründet, und physische Gewalt ist ihm als spezifischem Mittel zu Eigen.
Institutionelle Gewalt umfasst daher die Staatsgewalt. Ausprägungen des staatlichen Gewaltmonopols beziehungsweise der Staatsgewalt wie das Militär sind somit eine Gestalt institutioneller Gewalt und seiner Kultur.
Soziale Praxis im Militär
Um die Kultur des Militärs zu bestimmten, ist es notwendig, sich von der oftmals angenommenen Homogenität des Militärs zu verabschieden und zu fragen, um was es im militärischen Feld tatsächlich geht: um nichts weniger als den steten Definitionskampf um das Wesen des Militärs eines Landes und, im Zusammenhang mit der Durchsetzung dieser Vorstellung, um Karrierechancen. Im Korpsgeist drückt sich gleichzeitig die Kohäsion, aber auch der Konformismus derjenigen aus, die es geschafft haben, Aufnahme in der sozialen Welt des Militärs zu finden. Diese Mechanismen machen den "korporativen" Charakter der Streitkräfte aus. Im Militär finden sich zudem Subkulturen, insbesondere bei den Teilstreitkräften (Heer, Marine und Luftwaffe), einzelnen Truppengattungen des Heeres oder in Form der unterschiedlichen Dienstgradgruppen (Offiziere, Unteroffiziere, Mannschaften) sowie anhand des Unterschiedes zwischen Truppe in der Heimat und Truppe im Einsatzland.
Die Konflikte, die zwischen einzelnen Akteuren beziehungsweise Gruppen in einem sozialen Feld bestehen, gründen auf einen feldspezifischen Antagonismus hinsichtlich der Verwertungsmöglichkeiten des sozialen, kulturellen, symbolischen und ökonomischen Kapitals. Daher ist es hilfreich, das Militär – ebenso wie andere soziale Felder – als ein Spielfeld zu betrachten, auf dem um Definitionsmacht gerungen wird, und das einen bestimmten Habitus generiert, der die selbstverständliche Anpassung an die feldspezifischen Spielregeln erlaubt. Durch den Glauben an das militärische Feld sind die Soldaten dem Feld gegenüber befangen, doch praktisches Gespür erlaubt es, die für das soziale Spiel intuitiv richtigen Spielzüge vorzunehmen.
Als Teil des Staatsapparats besitzt das Militär weitreichende Bedeutung für die politische Sphäre, denn der Staatsapparat stabilisiert die herrschenden Gesellschaftsverhältnisse. Der Staat beansprucht, in Anlehnung an die bekannte Definition von Max Weber, auf seinem Territorium das Monopol legitimer symbolischer Gewalt über die dort lebenden Menschen. Die Legitimierung des Gewaltmonopols des Staates wird sowohl nach innen als auch nach außen durch das Militär erreicht. Das Militär integriert die politische Vorstellung der Einheit von Volk, Territorium und Staat in einzigartiger Weise, so dass ihm eine besonders ordnungsstiftende und bewahrende Rolle zukommt.
Bürokratische Logik einerseits sowie gleichzeitig die Referenz an militärische Tugenden sowie militärisches Führertum andererseits bilden die Ordnungsmuster des Militärs. Daher besteht im Militär eine permanente Spannung zwischen moderner Rationalität, wie sie sich in bürokratischer Disziplin ausdrückt, die auf regelkonformes Verhalten ohne Berücksichtigung der Persönlichkeit des Handelnden abzielt, und vormodernen Vorstellungen vom militärischen Führer, der dem Bild der charismatischen Persönlichkeit mit ihren spezifisch individuellen Eigenschaften entspricht. Die Grundlage jeder Militärkultur bildet dabei das "historical model of the Prussian corps",
Militärkultur spiegelt sich im Handeln der Soldaten wider, das sich in den Regeln und Regelmäßigkeiten dieses sozialen Feldes wiederfindet. Soldaten werden in der Grundausbildung und auch während ihres soldatischen Dienstes in das spezifisch militärische Prinzip eingewiesen, das unter anderem den Gehorsam und Techniken des Verletzens und Tötens umfasst. Ihnen werden militärische Werte wie beispielsweise Disziplin, Loyalität, Tapferkeit und Opferbereitschaft mit auf den Weg gegeben. Ferner spielen Männlichkeit, das kameradschaftliche Zusammengehörigkeitsgefühl sowie normenkonformes Verhalten eine zentrale Rolle. Ein spezifisches Interesse vereint also die Akteure in ihren Kämpfen um das Interessenobjekt, an das sie glauben und affektiv besetzen.
Hierarchie
Das Militär besteht als Sozialverband grundsätzlich aus einer mehr oder minder großen Anzahl von Kämpfern, doch erst durch seine feste Einbindung in einen Staat im 17. und 18. Jahrhundert war die hinreichende Bedingung für den Schritt von bewaffneten Heerscharen zu formalisierten Streitkräften als Stehende Heere gegeben. Im Zuge des 19. Jahrhunderts entwickelte sich das Militär immer mehr zu einer formalen Großorganisation des Staates. Staatliche Macht wird unter anderem durch das Militär verkörpert und kann nicht nur in den staatlichen Außenbeziehungen eingesetzt werden, sondern, je nach Rechtslage, auch zur Bekämpfung innerer Unruhen. Da das Militär als Träger des staatlichen Gewaltmonopols stets eine Gefahr für die politische Führung darstellt, legt die Exekutive großen Wert auf die Verinnerlichung des Primats der Politik innerhalb der Streitkräfte. Dies geschieht durch die Verankerung des Prinzips von Befehl und Gehorsam auf allen Ebenen des Militärs. Befehl und Gehorsam sind zentraler Teil der Hierarchie des Militärs, die in Disziplin und der staatlichen Bürokratie, das heißt in der formalisierten Bestimmung von Verfahrenswegen und Zuständigkeiten, eine weitere Ausprägung erfahren. Als bürokratische Großgruppe formen die Streitkräfte eine erkennbare Hierarchie aus, welche Ausdruck der Autoritätsstrukturen ist, die eine klare Befehlslinie hervorbringen. Die Status- und Rangsysteme bewirken gleichzeitig eine soziale Distanz zwischen den Dienstgraden, die nicht nur mit funktionalen Kompetenzen, sondern auch mit Verhaltensweisen korrespondiert, die dem jeweiligen Rang entsprechen.
Die bürokratische Seite des Soldatenberufs entspricht dem Idealtyp des militärischen Planers (managerial leader), der Herrschaft im Sinne von Weber vorwiegend durch rationale Legitimität ausübt.
In einem Konzept, das den militärischen Führer als Generalisten betrachtet – und dies ist das vorherrschende Bild des Offiziers, wie es auch in der Bundeswehr gilt –, treffen unterschiedliche Anforderungen an "Geist und Tat" zusammen. Es besteht die Spannung von moderner Rationalität, funktionaler Disziplin und bürokratischer Regelhaftigkeit auf der einen und der gewaltsamen Totalität der Gefechtssituation sowie dem Bild des Soldaten als Kämpfer auf der anderen Seite. Das soldatische Entbehrungsethos, das sich aus traditionellen Vorstellungen vom Soldaten zusammensetzt und dem Repertoire konservativen Denkens und soldatischer Tugenden von Gehorsam, Treue, Disziplin, Anstand, Wahrhaftigkeit, Ehre und Opferbereitschaft entspringt, prägt den soldatischen Habitus. Just diese Orientierung an militärischen Werten, Prinzipien und Tugenden der Aufopferungsbereitschaft und Uneigennützigkeit stellen die inkorporierten Denk-, Wahrnehmungs- und Aktionsmuster dar, die der soldatische Habitus hinsichtlich angemessenen und erfolgreichen Handelns im Militär verkörpert. Hierarchie im Militär ist sowohl durch a) Funktion und b) Führerschaft bestimmt.
Gemeinschaft
Grundsätzlich gilt im Militär die Devise, dass Gemeinschaftsleistung vor Einzelleistung geht. Zum einen wird in der Kriegsführung herkömmlicherweise auf zahlenmäßige Überlegenheit gesetzt, zum anderen besitzt für den einzelnen Soldaten die Gruppe große Bedeutung, da sie im Kampf emotionale und physische Sicherheit bietet. Die Idee des Korpsgeistes kann sich dabei sowohl auf die unmittelbare Einheit (beispielsweise die Kompanie) des jeweiligen Soldaten beziehen oder auch innerhalb einer Dienstgradgruppe Geltung beanspruchen. Insbesondere das Offizierskorps und das Unteroffizierskorps verstehen sich über die jeweilige Teilstreitkraft hinaus als zwei Gesinnungsgemeinschaften im Denken und Handeln, da beide (bis heute) für unterschiedliche soziale Schichten beziehungsweise Milieus stehen und verschiedene Positionen innerhalb der Hierarchie einnehmen, wobei sich in Deutschland das Offizierskorps kaum noch aus den ehemals "erwünschten Kreisen"
Da das Militär eine männliche Bastion und gesellschaftliche Reproduktionsstätte von Männlichkeit ist, sind die Vorstellungen von einem "richtigen" Soldaten überwiegend maskulin geprägt.
Spezifische Vorstellungen von angemessenem Verhalten und richtiger Haltung gehen damit einher. Diese drücken sich unter anderem in Etikette und Konventionen aus, aus denen sich selbst innerhalb einer Dienstgradgruppe die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Fraktion oder Gruppe ergibt. Traditionale Legitimation von Herrschaft im Sinne Webers wird durch die Beherrschung entsprechender Verhaltensstile und -formen ausgedrückt. Wie in zivilen Kontexten helfen diese, Unsicherheit zu bewältigen beziehungsweise zu verbergen. Darüber hinaus bekommen bindende Verhaltensregeln unter den potenziellen Bedingungen von Tod und Verwundung im Kampfeinsatz große funktionale Bedeutung. In diesem Zusammenhang spielt Religion in vielen Armeen weiterhin eine Rolle, da sie überall dort gebraucht wird, wo gestorben wird. Die für das Militär scheinbar so typische Traditionspflege hat im Truppenalltag meist keinen großen Stellenwert, doch dient sie der Vermittlung und Weitergabe spezifisch soldatischer Tugenden.
Die Selbstverpflichtung eines Berufsstandes auf spezifische Wertvorstellungen und Normen wird für Staatsdiener durch die herrschaftlichen Ziele und Zwecke eines Staates konkretisiert. Das soldatische Dienstethos drückt sich nicht nur in der berufsständischen Selbstverpflichtung zum moralischen Handeln zum Wohle des eigenen Landes aus, sondern schreibt im Eid der Soldaten die Pflicht zum Gehorsam und zu tugendhaftem Handeln fest. Festzustellen bleibt, dass im Militär manchen Tugenden eine besonders große Bedeutung zukommt beziehungsweise zugesprochen wird. Mit dem Anforderungsprofil an den Soldatenberuf verbunden kann Tapferkeit als die soldatische Primärtugend gelten, da sich in ihr die im Ernstfall notwendige Kampf- und Aufopferungsbereitschaft als äußerster Anspruch an Soldaten widerspiegelt.
In den Einsatzgebieten haben sich soziokulturelle Handlungs- und Denkmuster sowie einsatzspezifische Identitäten entwickelt, die die Bundeswehr im Einsatz nicht nur in struktureller, sondern auch in soziokultureller Hinsicht beeinflusst haben.
Schlussbetrachtung und Ausblick
Militärische Felder besitzen spezifische Elemente, anhand deren Ausprägung man eine Militärkultur festmachen kann. Diese Elemente sind teilweise durch funktionale Bedingungen geprägt, teilweise geschichtlichen Entwicklungen geschuldet. Eine Perspektive, die von der Geschlossenheit und scheinbar typisch militärischen Einheitlichkeit Abstand nimmt, erlaubt ein Verständnis von Militär als heterogener Kollektivität innerhalb der Gesellschaft. Der hier vorgeschlagene Ansatz von Militärkultur fokussiert auf die dominierende soziale Praxis im Militär. Um die geltende Vorstellung vom "wahren" Wesen des Militärs kämpfen nicht nur unterschiedliche Gruppen von Soldaten, sondern stets auch die etablierten und die nachrückenden Generationen im Militär. Je nachdem, welche gesellschaftlichen Schichten in die Streitkräfte eintreten und wie konstant der hauptsächliche Auftrag des Militärs bleibt, verändert sich die soziale Praxis im Militär langsamer oder schneller. In der militärischen Kultur bilden sich diese gesellschaftlichen Bedingungen konzentriert ab.
Durch den hohen moralischen, auch nach außen getragenen Anspruch, den Soldaten oftmals an ihren Beruf stellen, erscheint das militärische Feld geradezu als "moralische Organisation" im soziologischen Sinne. Die uneigennützigen Werte der soldatischen Ehrengesellschaft, welche sich aus den Traditionen dieses Feldes konstituiert, und die eigennützigen Werte der zivilen Wettbewerbsgesellschaft stoßen in diesem sozialen Feld zusammen und führen zu immanenten Widersprüchen zwischen Militärkultur und ziviler bürgerlicher Kultur. Im bürokratisierten Stehenden Heer einer modernen Klassengesellschaft kann freilich kaum jemand gemäß den Vorstellungen eines militärischen Gesinnungsadels interesselos oder ehrenhaft handeln. Umso wichtiger ist es, dementsprechend formelle Praxisformen der Ehre zu pflegen. Trotz der steilen Hierarchien innerhalb der Streitkräfte wird hinsichtlich des berufsständischen Aspekts der Kollegialität im Militär von "Kameradschaft" gesprochen, worin sich die für das Militär typische Gleichzeitigkeit von Hierarchie und Gemeinschaft ausdrückt.
Der Idealtypus des homo militaris mag von Epoche zu Epoche und Land zu Land gewisse Varianz aufweisen, ist aber grundsätzlich gleichbleibend und dient in Stehenden Heeren den Soldaten dazu, das militärische Prinzip der Härte, Opferbereitschaft und Kameradschaft im bürokratischen Friedensbetrieb aufrecht zu erhalten. Das Militär als Teil der Staatsgewalt und zentraler Ort institutioneller Gewalt integriert das Bedingungsverhältnis von Herrschaft, Macht und Gewaltsamkeit wie kaum eine andere politische Institution. Mit dem Militär existiert eine gewaltsame Körperschaft, für die just die elementare Erfahrung des Kämpfens, Tötens und Sterbens von zentraler Bedeutung für ihr Selbstverständnis ist. Selbst in der bürokratischen Militärorganisation des Friedensbetriebs bleibt dieses kampforientierte Selbstverständnis durch Einsatzerfahrung, durch Legenden, durch explizit normative Forderungen sowie durch die Pflege kriegerischer Traditionen erhalten. Als politische Institution des Staates und der Gesellschaft prägt das Militär sowohl Soldaten als auch Zivilisten und erzeugt den homo militaris.