Wir. Dienen. Deutschland." Mit diesem Leitmotiv wirbt die Bundeswehr seit Sommer 2011 in einer breit angelegten Kampagne um Nachwuchs.
Dieser Beitrag wird zunächst die Besonderheiten dieses neuen Dienstformats erläutern und die quantitative Entwicklung des FWD aufzeigen. Anschließend folgt eine qualitative Analyse, wen die Bundeswehr für das neue Dienstformat gewinnen kann, mit welchen Motiven und Erwartungen die Freiwilligen kommen und welche Implikationen dies für die Organisation Bundeswehr langfristig haben könnte. Methodisch rekurriert der Artikel zum einen auf eine umfangreiche Dokumenten- und Datenanalyse, zum anderen greift er auf die Ergebnisse einer qualitativen Längsschnittstudie zurück, in der zwischen Juli 2012 und August 2013 insgesamt 26 Soldatinnen und Soldaten zu jeweils drei Zeitpunkten ihres FWD an unterschiedlichen Truppenstandorten anhand semi-strukturierter Interviews befragt wurden. Bei der Auswahl der Gesprächspartner ging es nicht darum, dass die Soldatinnen und Soldaten im statistischen Sinne repräsentativ sind, sondern dass sie möglichst breit gestreute Handlungsmuster abdecken. Durch kontrastierende Fälle soll so eine vielschichtige Beleuchtung des FWD gewährleistet werden.
Zentrale Charakteristika des Freiwilligen Wehrdienstes
Um jungen Menschen zu ermöglichen, die Institution Bundeswehr kennenzulernen, ohne sich umgehend für mehrere Jahre als Zeit- oder Berufssoldat zu verpflichten, hat die Bundeswehr auf Vorschlag der Reformkommission um Frank-Jürgen Weise einen Freiwilligen Wehrdienst eingeführt. Die Kommission sieht den Dienst als Angebot, "das persönliche, berufliche, gesellschaftliche und sicherheitspolitische Interessen in Einklang bringt. (…) Unsere Gesellschaft braucht eine Kultur der Freiwilligkeit."
Vor ihrer Einstellung durchlaufen die jungen Männer und Frauen wie bisher eine Musterung und ein Auswahlverfahren, das sie auf physische, psychische und kognitive Fähigkeiten testet. Erklärtes Ziel des Bundesverteidigungsministers Thomas de Maizière ist, dass zu jeder Zeit 5.000 bis 15.000 FWDL die Bundeswehr unterstützen.
Herausforderungen
Prinzipiell entspricht die Ablösung des verpflichtenden Wehr- und Zivildienstes von einem freiwilligen Angebot unserem freiheitlich-demokratischen Gesellschaftsmodell. Beide Dienste, also FWD und BFD, stehen nun Männern und Frauen offen, sowie – zumindest theoretisch – allen Generationen. Es erlaubt allen Bürgerinnen und Bürgern, sich aktiv in tragende Institutionen des Gemeinwesens einzubringen. Gerade bei der Bundeswehr gibt es "ein Interesse daran, dass sie einen Querschnitt der Bevölkerung abbildet".
Diese ausgeglichene Rekrutierung wurde bei der Aussetzung der Wehrpflicht von verschiedenen Seiten als große Herausforderung betrachtet. In Hinblick auf den demografischen Wandel, als dessen Folge ein Rückgang der Schulabgänger von knapp 20 Prozent in den nächsten zehn Jahren prognostiziert wird, und den allseits befürchteten Fachkräftemangel wird die Bundeswehr zukünftig in einen harten Wettbewerb um Nachwuchs treten. Erschwerend kommt für sie ein allgemeiner Wertewandel in Richtung einer post-materialistischen Gesellschaft hinzu, in der Individualität, Selbstbestimmung und eine zunehmende Kosten-Nutzen-Kalkulation an Bedeutung gewinnen.
Um langfristig alle Staatsbürger zu erreichen, hat die Bundeswehr ein Maßnahmenpaket eingeführt, womit der FWD beworben werden soll. Nach wie vor werden alle jungen Männer und Frauen in ihrem 17. Lebensjahr angeschrieben und auf das Angebot aufmerksam gemacht. Die Meldeämter stellen die entsprechenden Daten exklusiv zum Versand von Informationsmaterial über die beruflichen Möglichkeiten in den Streitkräften zur Verfügung.
Zudem wurde der Wehrsold von ehemals knapp 300 Euro auf 777 Euro bei Dienstantritt erhöht. Das gewährt – anders als beim BFD, bei dem ein maximales Taschengeld von derzeit 348 Euro bezahlt wird – ein finanziell unabhängiges Leben und spricht damit auch diejenigen an, die keine zusätzliche Unterstützung durch Familie, Ehepartner oder sonstige Bezüge erfahren. Doch es war von Beginn an klar, dass finanzielle Anreize nicht ausreichen dürften, ebenso wenig wie die zahlreichen Werbe-, Image- und Informationskampagnen, welche seit der Aussetzung der Wehrpflicht konzipiert wurden. Attraktiv werde die Bundeswehr vor allem dann für einen Querschnitt der Bevölkerung, wenn der Dienst gesellschaftlich anerkannt und respektiert sei, so der Verteidigungsminister: "Wenn es gelingt, dafür ein größeres Bewusstsein zu schaffen – das geht mit keiner Werbekampagne und auch nicht über Nacht, sondern nur im Rahmen eines Prozesses, den wir in unserer Gesellschaft anstoßen müssen – und sichtbar zu machen, was Soldaten heute und morgen für unser Land leisten, dann können wir zuversichtlich sein, dass auch künftig der Dienst in der Bundeswehr, auch der freiwillige Wehrdienst in der Bundeswehr, zum Wohle und Nutzen von uns allen ist."
Quantitative Entwicklung
Gut zwei Jahre nach Einführung des FWD zeichnet sich folgendes Bild ab: Während im ersten Jahr (Juli 2011 bis April 2012) noch gut 12.000 FWDL ihren Dienst antraten, sanken die Dienstantritte im zweiten Jahr (Juli 2012 bis April 2013) um etwa ein Drittel auf knapp 8.000 Freiwillige. Dass die Bewerberzahlen in den ersten Jahren nach Umstellung von einer Wehrpflicht- auf eine Freiwilligenarmee zunächst zurückgehen, ist allerdings kein exklusiv deutsches Phänomen. Viele europäische Staaten, die ihre Armeen in den vergangenen Jahren umstrukturierten, sammelten ähnliche Erfahrungen. So nahm beispielsweise in Schweden die Bewerberzahl vom ersten zum zweiten Jahr nach Einführung der Freiwilligenarmee um etwa 10 Prozent ab.
Abbildung 2: Bildungsabschlüsse der 22.121 einberufenen FWDL seit Juli 2011 in Prozent (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Abbildung 2: Bildungsabschlüsse der 22.121 einberufenen FWDL seit Juli 2011 in Prozent (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Es zeigt sich also, dass die Bundeswehr bezüglich der Merkmale Geschlecht und Alter immer noch eine sehr ähnliche Klientel anspricht wie zu Zeiten der Wehrpflicht. Die Öffnung – insbesondere die Einbindung von Frauen – stellt sich schwierig dar.
Vielfältige Motivationen – kontroverse Einstellungen
Was aber sind die Beweggründe und Erwartungen der vornehmlich jungen Erwachsenen, einen FWD zu leisten? Kommen sie wirklich, um "Deutschland zu dienen"? In der qualitativen Längsschnittbefragung fällt zunächst eines auf: Die Soldatinnen und Soldaten haben unterschiedliche Motive, und bei fast allen ist ein Zusammenspiel von mehreren Beweggründen zu beobachten.
Folgende Motive – und damit implizit verknüpfte Erwartungen – wurden in unterschiedlichen Kombinationen und Nuancen in den Interviews immer wieder angeführt: Die Freiwilligen wollen die Bundeswehr zunächst kennenlernen, teilweise um dort berufliche Zukunftsperspektiven auszuloten, teilweise um die Organisation einmal selbst kennenzulernen und im Freundes- oder Familienkreis mitreden zu können. Einige wollen vornehmlich Zeit zwischen Schule und Studium beziehungsweise Ausbildung überbrücken, sich erst einmal orientieren und praktische Erfahrung sammeln ohne dabei "zu gammeln oder im Supermarkt an der Kasse zu sitzen".
Alle befragten FWDL beschreiben eine Kombination von Motiven, die ausschlaggebend waren. Ein Soldat fasst seine persönlichen Beweggründe so zusammen: "Naja, auf jeden Fall war ein Grund, dass ich noch nicht ganz sicher war, was ich machen wollte. Ich habe mich dazu entschieden, ein Jahr Pause zu machen (…). Und ja, ich fand den Bund schon immer interessant, war oft bei Sportveranstaltungen zum Beispiel. Naja, dann kam eins aufs andere mit diesem Freiwilligen Wehrdienst, früher war’s die Wehrpflicht. Und eigentlich gehört das irgendwo dazu als Mann, dass man wenigstens mal mit einer Waffe umgegangen ist, dass man diese körperliche Ertüchtigung mal durchgemacht hat. Und man ist ein anderer Mensch hiernach, ist viel disziplinierter, viel ordentlicher."
Ein durchgängiges Motiv, das in allen Interviews zur Sprache kommt, ist der Wunsch nach spezifisch soldatischen Werten, nämlich Disziplin und Kameradschaft: "Disziplin auf jeden Fall, viel Disziplin. (…) Ich denke, dass ich jetzt hier ein ganz neues Sinnbild von Disziplin bekommen werde. Ich habe auch andere Freunde, die das vor ein paar Jahren gemacht haben, (…) das hat eigentlich allen im weiteren Lebensweg geholfen, sprich: Job kriegen und so was alles." Mag das Streben nach solchen Tugenden auf den ersten Blick verwundern, so zeigen aktuelle Studien, dass genau diese Werte bei den Jugendlichen wieder deutlich an Bedeutung gewinnen. Die Shell-Jugendstudie 2010 bestätigt, dass Fleiß und Ehrgeiz für die 12- bis 25-Jährigen einen hohen Stellenwert haben; diese Eigenschaften waren für 83 Prozent der Befragten wichtig oder sehr wichtig, im Vergleich zu 76 Prozent im Jahr 2002.
Ebenso unterschiedlich wie die Motive sind die Einstellungen zu den Auslandseinsätzen. Während manche FWDL die Einsätze befürworten und jederzeit selbst in den Einsatz gehen würden, haben sich andere bewusst nur für elf Monate verpflichtet, um unter keinen Umständen eine Entsendebereitschaft unterzeichnen zu müssen. Der FWD soll nur eine Überbrückung zum nächsten Lebensabschnitt sein, ein Einsatz wäre mit einem zu großen persönlichen Risiko verbunden, denn man wolle "nicht psychisch beziehungsweise physisch beeinträchtigt zurückkommen, damit halt meine Zukunft so ist, wie ich sie mir vorstelle und ich noch lebe". Andere hingegen sehen gerade das Mitwirken an Einsätzen als Kernelement des soldatischen Berufs, als wichtige Aufgabe der Bundeswehr, an der sie auch gerne teilhaben würden. Auch die prinzipielle Sinnhaftigkeit der Einsätze wird unterschiedlich bewertet. Gleiches gilt für das Mandat der Bundeswehr, inwiefern sie "bloß Aufbauhilfe leisten und helfen" solle, oder aber auch "mehr Verantwortung übernehmen muss, als eine starke Wirtschaftskraft in der heutigen Welt". Interessanterweise korrespondiert die Bewertung der Einsätze nicht in allen Fällen mit der eigenen Einsatzbereitschaft: "Die Einsätze sind absolut völkerrechtswidrig. (…) obwohl ich diese Einsicht habe, würde ich deswegen nicht ablehnen, an den Einsätzen teilzunehmen." Diese Meinungsvielfalt löst sich im Laufe des Wehrdienstes bei den Befragten nicht auf. Auch nach mehreren Monaten in der Bundeswehr zeichnen sich ganz individuelle Deutungsmuster über Aufgabe und Sinnhaftigkeit, Selbstverständnis und Rolle der Bundeswehr im In- und Ausland ab.
Die empirischen Ergebnisse zeigen damit einerseits, dass die Bundeswehr nicht nur den typischen Wehrdienstkandidaten anspricht. Ebenso wie der Soldatenberuf vielschichtiger geworden ist – nach Karl Haltiner und Gerhard Kümmel ist er heute von einer "Multi- nicht Monofunktionalität"
Was folgt daraus?
Martin Elbe und Klaus Günter Lange gehen davon aus, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht "ein grundlegender kultureller Wandel" einhergehe und "die gemeinsam gehaltenen Werte und Normen (…) durch den jetzt anstehenden Wandlungsprozess in ihren Grundfesten berührt"
Das Prinzip der Freiwilligkeit und die sechsmonatige Möglichkeit zur Kündigung verlangen den Vorgesetzten einen neuen Umgang mit den Rekruten ab. Gleichzeitig kann die grundsätzliche Logik der Streitkräfte, welche auf hierarchischen Strukturen, dem Prinzip von Befehl und Gehorsam sowie einer bürokratischen Grundordnung beruht, nicht maßgeblich verändert werden. Das heißt, die Organisationskultur kann sich nur bedingt und nur innerhalb eines aufgespannten Rahmens an die neuen Gegebenheiten anpassen. In diesem Spannungsverhältnis schafft es die Bundeswehr bisher kaum, identitäts- und sinnstiftende Momente durch die Ausbildung oder die täglichen Aufgaben zu schaffen und damit den unterschiedlichen Erwartungen zu begegnen. Gerade nach der Grundausbildung zeichnet sich unter den befragten FWDL eine ernüchternde und pragmatische Einstellung gegenüber ihrem Dienst ab, die mit dem Selbstverständnis der Organisation "Wir. Dienen. einer guten Sache, unserer Verfassung – freiwillig und überzeugt"