Es gibt (wieder einmal) Streit um den Frieden in der Schule. Aktueller Anlass ist die seit einigen Jahren verstärkte Präsenz der Bundeswehr in den Schulen und bei der Ausbildung des Lehrpersonals. Eine Koalition, getragen vor allem von Friedensinitiativen, der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und kirchlichen Organisationen, fordert dagegen "Schulen ohne Militär" und einen Ausbau der "Friedensbildung".
Bundeswehr an Schulen
Nicht erst seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Juli 2011 sieht sich die Bundeswehr mit Nachwuchsproblemen konfrontiert. Die Verstärkung ihrer Öffentlichkeitsarbeit ist eine logische Konsequenz, und die Zielgruppe ist offensichtlich: junge Frauen und Männer. 94 hauptberufliche Jugendoffiziere informieren über die Konflikte und Kriege in der Welt, die Sicherheitspolitik der Bundesregierung und natürlich über die Bundeswehr, über deren Auftrag, Einsätze, Herausforderungen. Wichtigste Orte für das Wirken der Jugendoffiziere sind Schulen. Dort finden sich junge Frauen und Männer, und dort steht die Auseinandersetzung mit sicherheitspolitischen Fragen im Lehrplan. Dort gibt es zudem Lehrerinnen und Lehrer, welche die rhetorisch erprobten und erfahrenen Berufssoldaten einladen (ohne Einladung geht es nicht) und damit die Türen zu den Klassenräumen öffnen. Ist ein Jugendoffizier zu Gast im Unterricht, handelt es sich für Schülerinnen und Schüler um eine Pflichtveranstaltung. Im Mittelpunkt der Aktivitäten steht laut Jahresbericht 2012 der Jugendoffiziere wie in den Vorjahren der "sicherheitspolitische Vortrag", allerdings gewinnen andere Präsentationsformate an Bedeutung.
Bei den Auftritten in den Schulen ist es den Jugendoffizieren untersagt, Werbung für den Arbeitsplatz Bundeswehr zu betreiben. Diese Aufgabe fällt in den Bereich der "Karriereberater" der Bundeswehr. In einem Schreiben des Presse- und Informationsstabs zum Jahresbericht der Jugendoffiziere der Bundeswehr 2012 heißt es zum Selbstverständnis: "Jugendoffiziere sind wichtige Träger der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr, vor allem im schulischen Bereich. Im Einvernehmen mit den Kultusministerien der Länder leisten sie dort einen wesentlichen Beitrag zur politischen Bildung."
Umstrittene Kooperationsabkommen
Im Rahmen einer Öffentlichkeitsoffensive begann die Bundeswehr bereits vor dem Aussetzen der Wehrpflicht Abkommen mit den für Schulen zuständigen Länderministerien anzustreben, um die Schulpräsenz und den Zugang zur Ausbildung der Referendare auf eine neue Grundlage zu stellen. Mit der Hälfte der Bundesländer gibt es inzwischen Kooperationsvereinbarungen zur politischen Bildungsarbeit. Diese stießen bald auf heftigen Widerspruch und Protest, vor allem seitens Friedensinitiativen, Gewerkschaften und der Kirchen. Die Abkommen seien nicht nur pädagogisch bedenklich, sondern auch ein falsches friedenspolitisches Signal. Besonders in der Kritik stehen Passagen, die den Zugang der Bundeswehr zur Ausbildung der Referendarinnen und Referendare vereinbaren.
Die traditionsreiche Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK) startete gemeinsam mit anderen Verbänden mehrere Kampagnen und pocht auf eine "Schule ohne Militär".
Andere Aktivitäten reichen über das "Nein zur Bundeswehr an Schulen" hinaus. Mit kirchlicher Unterstützung ist ein neues Internetportal entstanden, um nicht nur gegen die Bundeswehr zu argumentieren, sondern um die Zugänge zu Informationen oder zu Unterrichtsmaterialien zur Friedenserziehung zu verbessern.
Das Streitthema erreichte auch den Bundestag und entzündete Kontroversen zwischen und innerhalb der Parteien. In einem Schreiben an den Präsidenten der Kultusministerkonferenz betonten Mitglieder des Bundestagsunterausschusses "Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit" parteiübergreifend die Notwendigkeit, vergleichbare Abkommen mit einschlägigen Nichtregierungsorganisationen zu schließen und durch die Bereitstellung von Ressourcen die Teilnahme am Schulunterricht zu ermöglichen.
Die Proteste blieben nicht folgenlos. Zwar gab es bislang keine Kündigungen, aber teilweise Modifizierungen und Ergänzungen der Abkommen. So wurde in Nordrhein-Westfalen im August 2012 eine überarbeitete Kooperationsvereinbarung präsentiert. Darin wird ausdrücklich erwähnt, dass nicht nur Jugendoffiziere, sondern auch Vertreterinnen und Vertreter von Organisationen der Friedensbewegung Zugang zu Schulen haben. In Rheinland-Pfalz erstritten sich die Kritiker ein eigenes Abkommen zwischen dem zuständigen Ministerium und dem Netzwerk Friedensbildung, einem Zusammenschluss von Gruppen, Organisationen und Verbänden. Im Abkommen heißt es: "Im Bildungsauftrag der öffentlichen Schulen ist die friedenspolitische Bildung als Befähigung zur angemessenen Beurteilung internationaler Konflikte, zur Vermittlung von sozialen Kompetenzen im Umgang mit Konflikten im persönlichen und öffentlichen Bereich und zur Mitwirkung bei deren Lösung ein zentraler Bestandteil."
Folgt man dem Jahresbericht 2012 der Jugendoffiziere, haben sich die Widerstände nicht negativ auf ihre Arbeit ausgewirkt.
Umgang mit den Prinzipien der politischen Bildung
Das Unterrichten an Schulen ist eine originäre Angelegenheit der dafür ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer. Deshalb liegt es auch in ihrem Ermessensspielraum, für die kritische Auseinandersetzung mit sicherheits- und friedenspolitischen Fragen im Schulunterricht bei Bedarf eine Einladung an Jugendoffiziere als Repräsentanten einer demokratisch legitimierten Einrichtung auszusprechen. Sie und ihre Schulleitungen sind für die Gestaltung des Unterrichts verantwortlich und müssen im Bereich der politischen Bildung darauf achten, dass die Einhaltung der einschlägigen Prinzipien gewährleistet ist. Eine Richtlinie ist der "Beutelsbacher Konsens". Beide Konfliktseiten im Streit um die Bundeswehrpräsenz beziehen sich in ihrer jeweiligen Argumentation auf dieses Dokument. Der Beutelsbacher Konsens wurde im Herbst 1976 als Ergebnis einer Tagung der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg erzielt. Er beschreibt einen Minimalkonsens, in welchem sich sowohl (schul-)reformwillige wie bewahrende Kräfte wiederfinden konnten. Die drei Kernelemente sind das Überwältigungsverbot (politische Bildung statt Indoktrination), das Kontroversitätsgebot (was kontrovers in Wissenschaft und Politik ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen) und die Schülerorientierung (ein Schüler soll in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren und die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen).
Nun wird in Fachkreisen bereits seit einiger Zeit zu Recht die Frage gestellt und diskutiert, ob angesichts rasanter Veränderungen dieser bald 40 Jahre alte Konsens noch Bestand haben könne.
Friedensbildung
Die kritische Auseinandersetzung mit aktuellen Friedensgefährdungen und Sicherheitsbedrohungen einerseits und der Friedens-, Sicherheits- und Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bündnispartner andererseits ist angesichts der weltpolitischen Lage dringend notwendig. Schließlich geht es dabei auch um Formen der Kriegsbeteiligung Deutschlands und damit steigender persönlicher Betroffenheit in Familien und Schulen. Was empfinden Schülerinnen und Schüler, wenn ein Elternteil unter Lebensgefahr im Kriegseinsatz ist? Sind Lehrerinnen und Lehrer darauf vorbereitet? Wie wird man der wachsenden Anzahl von "Kriegskindern" in der Schule gerecht, die aus Konflikt- und Kriegsregionen fliehen mussten oder deren Verwandte und Freunde in diesen Regionen leben? Vor diesem Hintergrund wird niemand widersprechen, dass es bei der Friedensbildung um Konzeptionen gehen muss, die weit über die Frage der gelegentlichen Präsenz von externen Referentinnen und Referenten im Unterricht hinausreichen.
In einem engeren Verständnis gehört zum Kern der Friedensbildung in der Schule die Vermittlung beziehungsweise Erarbeitung von Grundwissen zu sicherheits- und friedenspolitischen Fragestellungen einschließlich aktueller Kontroversen und Herausforderungen, um die Voraussetzungen für die eigenständige Meinungsbildung der Schülerinnen und Schüler zu schaffen. In diesem Sinne ist Friedensbildung Teil der politischen Bildung an Schulen.
Denn bei der Friedensbildung geht es um mehr. Sie wird ihrem Namen nur dann gerecht, wenn sie sich an einem weiten Friedensbegriff orientiert und grundlegende Fragen von Krieg und Frieden einschließt. Wie wollen wir zusammenleben? Wie soll mit Unterschieden, wie mit daraus resultierenden Konflikten umgegangen werden? Diese Fragen stellen sich sowohl auf der individuellen, gesellschaftlichen wie auch der internationalen Ebene. Die Herausforderung liegt in deren Verknüpfung. In diesem Sinne rekurriert Friedensbildung auf einen ganzheitlichen und an den Grundprinzipien des systemischen Denkens orientierten Ansatz.
Die Konzeption einer umfassenden Friedensbildung für Schulen steckt zwar in den Anfängen, sie kann jedoch an langjährigen Erfahrungen mit friedenspädagogischen Ansätzen anknüpfen. Schulen beginnen nicht beim Punkt Null. In einem ersten Schritt geht es darum, einen Sinnzusammenhang zwischen unterschiedlichen, schon vorhandenen Modellen der Gewaltprävention, den Konzeptionen für Streitschlichtung, dem Globalen Lernen oder Ansätzen für mehr Demokratie und Partizipation zu erkennen und Verbindungen herzustellen. Dieser Prozess der Verknüpfung und Vertiefung bedarf einer gemeinsamen Anstrengung aller beteiligten Akteure und einer ausgeprägten Streit- und Konfliktkultur an der gesamten Schule. Es stellt sich deshalb nicht nur die Frage, wie der Meinungsbildungsprozess in Sachen Krieg und Frieden an Schulen in Zukunft unterstützt und begleitet wird. Am Ende geht es um die Frage, wie sich Schule insgesamt auf dem Weg zu einer neuen Lernkultur verändert und dann auch den neuen Herausforderungen im großen Themenfeld Frieden gerechter werden kann.