Im Mai 2013 informierte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière die Öffentlichkeit darüber, dass ein weiterer deutscher Soldat in Afghanistan ums Leben gekommen war.
Die Behörden waren auf die Toten nicht vorbereitet. Ein Grund dafür war möglicherweise der Rahmen, in dem der Bundeswehreinsatz seit der Debatte im Bundestag im November 2001 erfolgte. Bundeskanzler Gerhard Schröder bagatellisierte wiederholt die über eine Hilfestellung für die Afghanen beim Aufbau ihres Landes hinausgehende militärische Rolle der Soldaten. Obwohl er davon sprach, die Taliban führten "einen Krieg gegen die zivilisierte Welt", bezeichnete Schröder den deutschen Beitrag als Hilfe und ergänzte, dass "könnte auch militärischer Beistand sein".
In den ersten Jahren gaben die Entwicklungen in dem von Deutschen überwachten Norden Afghanistans wenig Anlass, anderes anzunehmen – ganz im Gegensatz zu den fortdauernden Kämpfen im Süden, wo britische, dänische und US-Truppen stationiert waren. Die Regierungen in London und Washington bemühten sich wiederholt, Berlins Zustimmung für eine Hilfestellung der Bundeswehr bei der Blockade des unablässigen Stroms von Talibanrekruten aus Pakistan zu erlangen. Diese Versuche wurden zurückgewiesen.
Als die ersten Toten im März 2002 aus Afghanistan in Deutschland eintrafen, bemerkte ein Beobachter, die politische Führung vermittele den Eindruck, erleichtert darüber zu sein, dass die Soldaten ihr Leben bei der Entschärfung einer alten sowjetischen Rakete und nicht bei einem Angriff der Taliban verloren hatten.
K wie Krieg
2005 zweifelten die Männer und Frauen vor Ort nicht mehr daran, dass der relative Frieden der ersten Jahre vorbei war, stieg doch die Zahl der Angriffe seitens der Taliban stetig an. Zunehmend war von "Kriegszuständen" die Rede. Für diese Darstellung zeigte man von offizieller Seite kein Verständnis. Im Gegenteil: Im September 2008 nannte Christian Schmidt, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, die Kämpfe im deutschen Sektor seien nichts weiter als "Scharmützel" und wies die Äußerung des damaligen Grünen-Fraktionsvorsitzenden Hans-Christian Ströbele, es handele sich um einen veritablen Krieg, zurück.
Noch im selben Monat besuchte Verteidigungsminister Franz Josef Jung das deutsche Lager in Afghanistan – kurz nachdem die Taliban einen deutschen Soldaten getötet hatten. Ein Journalist fragte ihn, ob dieser jüngste Tote nicht Krieg bedeutete.
McKiernans Äußerung wurde in den deutschen Medien zitiert, um das offizielle Schweigen zu brechen – ohne Erfolg. Die korrigierende Darstellung des Generals zog keine offizielle Stellungnahme des Verteidigungsministeriums nach sich – geschweige denn Fragen im Bundestag angesichts der offensichtlichen Kluft zwischen den Einschätzungen der Lage. Und die Zurückhaltung der Abgeordneten seit Beginn des Krieges, weitere Untersuchungen anzugehen und die Informationen seitens der Regierung infrage zu stellen, hielt an. Das schließt auch ihr Unterlassen mit ein, die zunehmend bedenklich stimmenden Jahresberichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags zu allen Aspekten des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan weiter zu verfolgen. Diese Berichte enthielten detaillierte Beschreibungen über mangelhafte Ausrüstung und deren Auswirkungen auf die Sicherheit der Soldaten. Diese Mängel zu beheben, hätte möglicherweise die Zahl der Verluste vermindert.
Robbes Äußerung erfolgte zu einer Zeit, als die Verluste aufgrund der Aktivitäten der Taliban zunahmen. Ein Grund für die fehlende Aufmerksamkeit der Politikerinnen und Politiker mag in der offiziellen Informationspolitik gelegen haben, durch die kaum etwas über die Todesursachen bekannt war. Lange Zeit wurden auf der Homepage der Bundeswehr nur Selbsttötungen in einer gesonderten Rubrik aufgeführt. Sie boten gewiss Anlass zur Beunruhigung, doch kaum den dringlichsten – in einer Zeit, in der die Bundeswehr wiederholt attackiert wurde. Die einzigen beiden anderen Kategorien – "durch Fremdeinwirkung gefallen" und "durch sonstige Umstände gestorben" – sagen so gut wie nichts aus.
Die offizielle Linie hinderte zurückkehrende Soldaten nicht daran, von zunehmend erbitterten Kämpfen zu berichten. Sie redeten ausnahmslos von "Krieg". Seit Ende 2007 sprachen auch die Zeitungen davon. Dem widersetzte sich die Regierung – und legte zugleich eine überraschende linguistische Flexibilität an den Tag. 2008 zum Beispiel räumte der Sprecher des Verteidigungsministeriums ein, beim Einsatz der Soldaten handele es sich um "einen Stabilisierungseinsatz, zugegeben um einen recht robusten Stabilisierungseinsatz, der Kampfhandlungen miteinschließt".
Guttenberg sprach in der Kirche, vor den Särgen dreier durch Straßenbomben getöteter Soldaten. Diesmal erschien auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, mutmaßlich wegen der wachsenden Kritik angesichts ihrer Abwesenheit bei den Begräbnissen. Sie hatte kurz vor der Zeremonie ihre Teilnahme als persönliches Anliegen angekündigt.
Sicht vor Ort
Die Gründe für dieses Desinteresse aufzuzeigen, ist weder schwer noch besonders originell. Zusätzlich zu den bereits erwähnten offiziellen Tabus im Zusammenhang mit sämtlichen militärischen Mitteln darf nicht übersehen werden, dass der Krieg in Afghanistan alles andere als ein lohnendes Thema war, mit dem Politiker sich in Verbindung bringen wollten. All dies macht die Ehrung toter Soldaten zu einer politisch heiklen Angelegenheit.
Aus Sicht der Männer und Frauen, die in Afghanistan waren, stellt sich die Sache anders dar, und es gibt gewichtige Argumente zugunsten einer offiziellen Anerkennung. Für jeden Soldaten ist der Tod eine allgegenwärtige Realität. Für all diejenigen, die ihn aus nächster Nähe erlebt haben, ist er ein Wendepunkt. In nahezu sämtlichen Berichten aus Afghanistan ist der Verlust eines Kameraden ein Schlüsselereignis. In Büchern und Interviews wird dies nur selten in alarmierender Weise geschildert. Meist fallen nur wenige leise Worte darüber – als sei der Verfasser beziehungsweise die Verfasserin ratlos, wie sich beschreiben ließe, was er oder sie gesehen oder gehört hat. Eines jedoch unterscheidet die deutschen Berichte von allen anderen, die ich gelesen habe, in auffälliger Weise: das Fehlen von Namen. Im Vergleich zu ihnen nennen dänische und britische Soldaten, die über den Krieg in Afghanistan schreiben, die Toten beim Namen und schicken häufig Fotos samt Bildunterschriften mit Angaben darüber mit, wann, wo und wie der lächelnde junge Mann oder die Frau getötet wurde. Hierin spiegeln die britischen und dänischen Verfasser die generelle Offenheit und Debatte wider, die den Krieg von Anfang an begleitet hat – eine Offenheit, die die toten Soldaten oftmals ins Zentrum der Bühne rückt. In beiden Ländern folgt der ersten kurzen amtlichen Verlautbarung über den Verlust eines Soldaten nach kurzer Zeit eine – häufig ausführliche – offizielle Würdigung des Getöteten. In Dänemark erfolgt dies durch die Armee, im Vereinigten Königreich durch das Verteidigungsministerium. Die britische Würdigung ist in der Hinsicht bemerkenswert, dass jeder, der den Toten kannte, etwas beitragen kann.
In Deutschland hat die offizielle Einschränkung zu einer großen Anzahl von Gedenkseiten im Internet geführt – die von Familienangehörigen, Freunden oder Kameraden des toten Soldaten ins Netz gestellt wurden. Die meisten verschwinden nach kurzer Zeit wieder. Langlebiger sind dagegen die Internetseiten für ehemalige oder derzeitige Bundeswehrangehörige; sie haben es geschafft, Informationen über die Rückführung getöteter Soldaten und ihrer Begräbnisse in einem Umfang zu sammeln und zu verbreiten, wie es über offizielle Kanäle kaum möglich wäre.
Die offizielle Weigerung, die Namen preiszugeben, spiegelte sich in den überregionalen Tageszeitungen wider: In ihnen wurden die Begräbnisse mit nur wenigen Zeilen erwähnt. Bemerkenswerte Ausnahme war die "Bild"-Zeitung – mit einer ausführlicheren Berichterstattung, die oftmals Interviews mit nächsten Angehörigen sowie Fotos enthielt. Ein ähnlicher Verzicht auf Anonymität findet sich in regionalen und lokalen Medien. Wie die "Bild" unterstreichen auch sie die rege Teilnahme der örtlichen Bevölkerung an den Begräbnisgottesdiensten.
Gedenken
Doch Internetseiten eines Ministeriums sind keine bleibende Erinnerung an die Toten. Die Frage, wie den Gefallenen angemessen gedacht werden könne, stellte 2005 der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Während eines Besuchs bei den deutschen Truppen in Afghanistan hatte er im dortigen Lager ein Denkmal für die Gefallenen gesehen. Davon beeindruckt, stieß er zu Hause die Idee eines Ehrenmals an, mit dem nicht nur der in Afghanistan Gefallenen, sondern allen Männern und Frauen, die im Dienst für die Bundeswehr ihr Leben gelassen hatten, gedacht werden sollte.
Über die Planung des Ehrenmals verbreitete das Verteidigungsministerium von Anfang an nur spärliche Informationen.
Die Bundeswehr indes zeigte eine dem Rest der Gesellschaft entgegengesetzte Haltung. Wie Merten erkannte man hier die Bedeutung einer öffentlichen Anerkennung der Kosten von Auslandseinsätzen. Aus ihren Reihen kam daher Unterstützung für Mertens Bemühungen, das Denkmal in der Nähe des Bundestags zu errichten. Dort hätte es nicht nur den zahlreichen Besuchern des Reichstagsgebäudes gezeigt, dass die Parlamentsmehrheit im modernen Deutschland bereit war, seine Sicherheit mit militärischen Mitteln zu garantieren; zugleich hätte es den Abgeordneten als ständige Erinnerung an den Preis dienen können, den ihre Entscheidungen nach sich ziehen. Nicht zuletzt hätte sich in diesem Standort eine der wichtigsten Neuerungen in der Bundesrepublik nach 1945 manifestiert – nämlich die der Bundeswehr als einer Parlamentsarmee.
Das Resultat schließlich sah anders aus. Das Ehrenmal wurde auf dem Gelände des Bundesministeriums für Verteidigung errichtet. Dadurch wird in erster Linie die Rolle der Bundeswehr als Exekutivorgan bekundet – ein Aspekt, der in der Broschüre des Verteidigungsministeriums zum Ehrenmal unmissverständlich zum Ausdruck kommt.
In diesem Zusammenhang fallen einem zwei andere moderne Kriegsdenkmäler ein: die Gedenkstätte des Vietnam Veterans Memorial in Washington D.C. aus dem Jahre 1982 sowie das 2011 enthüllte Kriegsdenkmal in Kopenhagen. Beide sind schmucklos und zeigen einzig die in Granit eingemeißelten Namen der Gefallenen. Für Hinterbliebene ist die Namensnennung der Toten von großer Bedeutung. Bei der Lektüre britischer, dänischer und deutscher Debatten um die Frage, wie man den in Afghanistan Gefallenen gedenken solle, treten nationale Unterschiede zurück. Für die Familien bedeutet ein in Stein gemeißelter Name eine Garantie gegen das Vergessen – und er stellt nicht zuletzt eine offizielle Anerkennung ihres Verlusts dar. In Washington wie in Kopenhagen berühren viele derjenigen, die der Toten gedenken, die Schriftzüge und legen darunter Blumen ab.
Das Ehrenmal in Berlin macht dies unmöglich. Zu Beginn hatte der Planungsausschuss eine Namensnennung ausgeschlossen. Doch an diesem Punkt konnte die Kritik in der Presse sowie von den Männern und Frauen in der Bundeswehr nicht überhört werden. Die Lösung zeigt alle Anzeichen eines Cut-and-Paste. Im Innern des Monuments – ein, so die Broschüre, "dunkler, entmaterialisierter Raum" – erscheinen die Namen in Leuchtschrift auf einem Betonträger über dem Ausgang.
Auf dem bayrischen Denkmal sind im Anschluss an die Namen die Todesdaten vermerkt. Im Berliner Ehrenmal erscheinen nur die Namen. Man könnte argumentieren, dies unterstreiche die gemeinsame Zugehörigkeit der Toten – die Tatsache, dass sie alle im Dienst der Bundeswehr starben. Stünde indes hinter dem Namen eines Soldaten der Tag, an dem er fiel, würde sichtbarer, dass der Einsatz in Afghanistan bis heute 54 Menschenleben gefordert hat. In diesem Fall könnte die Debatte über den Krieg und über die Frage, ob der Verlust so Vieler gerechtfertigt werden kann, im Ehrenmal einen dringend erforderlichen Ausgangspunkt finden. Sie wird erst möglich, wenn die Toten öffentlich anerkannt werden.