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Totgeschwiegen? Deutschland und die Gefallenen des Afghanistan-Einsatzes | Bundeswehr | bpb.de

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Totgeschwiegen? Deutschland und die Gefallenen des Afghanistan-Einsatzes

Kaare Dahl Martinsen

/ 17 Minuten zu lesen

Im Mai 2013 informierte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière die Öffentlichkeit darüber, dass ein weiterer deutscher Soldat in Afghanistan ums Leben gekommen war. Damit stieg die Zahl der Verluste seit der Entsendung von Bundeswehrsoldaten im Jahre 2002 auf 54. Der Minister beschrieb den Gefallenen als Mitglied einer speziellen Kampfeinheit und gab an, er sei im Kampf gegen die Taliban getötet worden. Die Tatsache, dass der Minister persönlich mit dieser Information an die Öffentlichkeit trat, sowie die Einzelheiten, die er dabei nannte, stehen im Kontrast zur offiziellen Zurückhaltung in Fällen wie diesem, mehr als eine kurze Mitteilung darüber, dass ein Soldat zu Tode kam, bekanntzugeben. Wenn Angehörige der Bundeswehr nicht darüber berichtet hätten, wie die Leichen aus Afghanistan gebracht und in Deutschland aufgenommen wurden, wüssten wir nichts über das offizielle Unbehagen und das Fehlen eines klaren Verfahrens im Umgang mit den toten Soldaten. Bis 2007 – als bereits mehr als 20 Bundeswehrangehörige ihr Leben gelassen hatten – hatten Regierung, Bundestag und das Verteidigungsministerium noch nicht entschieden, wie und durch welche offiziellen Vertreter die Särge empfangen werden sollten, oder in welchem Umfang die Öffentlichkeit informiert und beteiligt werden sollte.

Die Behörden waren auf die Toten nicht vorbereitet. Ein Grund dafür war möglicherweise der Rahmen, in dem der Bundeswehreinsatz seit der Debatte im Bundestag im November 2001 erfolgte. Bundeskanzler Gerhard Schröder bagatellisierte wiederholt die über eine Hilfestellung für die Afghanen beim Aufbau ihres Landes hinausgehende militärische Rolle der Soldaten. Obwohl er davon sprach, die Taliban führten "einen Krieg gegen die zivilisierte Welt", bezeichnete Schröder den deutschen Beitrag als Hilfe und ergänzte, dass "könnte auch militärischer Beistand sein". Schon diese zaghafte Eröffnung führte zu beträchtlichem Unbehagen – nicht nur innerhalb der Partei Die Linke oder im Bündnis 90/Die Grünen, sondern auch in den Reihen der SPD. Am Ende musste Schröder, um den notwendigen Rückhalt für eine Entsendung der Bundeswehr zu erhalten, mit dem eigenen Rücktritt drohen. Er erhielt ihn mit nur zwei Stimmen mehr als unbedingt notwendig – im knappsten Vertrauensvotum seit Bestehen des Bundestags. Den Einsatz als Hilfe und Unterstützung zu formulieren – und damit in Einklang mit der traditionellen Betonung friedlicher Konfliktlösung zu bringen –, spielte gewiss eine entscheidende Rolle. Zudem schienen die an der Debatte beteiligten Abgeordneten vorauszusetzen, deutsche Soldaten würden in bereits befriedete Regionen geschickt – wo die örtliche Bevölkerung auf ihrem Weg zu Stabilität und Demokratie begierig westliche Hilfe erwarteten. Fernsehbilder von Menschen in Kabul, die westliche Truppen bei der Befreiung der Stadt willkommen hießen, trugen möglicherweise zu dem Glauben bei, die deutschen Truppen erwarte hier ein leichter Einsatz.

In den ersten Jahren gaben die Entwicklungen in dem von Deutschen überwachten Norden Afghanistans wenig Anlass, anderes anzunehmen – ganz im Gegensatz zu den fortdauernden Kämpfen im Süden, wo britische, dänische und US-Truppen stationiert waren. Die Regierungen in London und Washington bemühten sich wiederholt, Berlins Zustimmung für eine Hilfestellung der Bundeswehr bei der Blockade des unablässigen Stroms von Talibanrekruten aus Pakistan zu erlangen. Diese Versuche wurden zurückgewiesen. In der westlichen Koalition wurde Berlins Haltung als Entledigung von weiteren Belastungen gesehen. Im Jahre 2008 gab General Hans-Lothar Domröse zu, die Kooperation werde von Feindseligkeiten zwischen denen, "die überwiegend Brunnen bohren, und andere(n), die überwiegend kämpfen", geprägt.

Als die ersten Toten im März 2002 aus Afghanistan in Deutschland eintrafen, bemerkte ein Beobachter, die politische Führung vermittele den Eindruck, erleichtert darüber zu sein, dass die Soldaten ihr Leben bei der Entschärfung einer alten sowjetischen Rakete und nicht bei einem Angriff der Taliban verloren hatten. Vielleicht, weil die meisten Verluste unspektakulär waren, schenkten die deutschen Medien ihnen nur wenig Aufmerksamkeit. Die wenigen Zeitungsberichte aus Afghanistan konzentrierten sich auf die Routine des Lagerlebens und darauf, wie die Bundeswehr sich um die Verbesserung der Kontakte mit der örtlichen Bevölkerung bemühte. Und nur wenig wurde getan, um das infrage zu stellen, was ein Journalist die "humanitäre Hegemonie" in der Berichterstattung nannte. Leser und Zuschauer erhielten den Eindruck, deutsche Truppen wären nur geringen Gefahren ausgesetzt. Die Wahrnehmung innerhalb des Verteidigungsministeriums war indes weniger optimistisch. 2005 hielt es Verteidigungsminister Peter Struck für notwendig, die Öffentlichkeit daran zu erinnern, dass deutsche Verluste nicht ausgeschlossen werden können.

K wie Krieg

2005 zweifelten die Männer und Frauen vor Ort nicht mehr daran, dass der relative Frieden der ersten Jahre vorbei war, stieg doch die Zahl der Angriffe seitens der Taliban stetig an. Zunehmend war von "Kriegszuständen" die Rede. Für diese Darstellung zeigte man von offizieller Seite kein Verständnis. Im Gegenteil: Im September 2008 nannte Christian Schmidt, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, die Kämpfe im deutschen Sektor seien nichts weiter als "Scharmützel" und wies die Äußerung des damaligen Grünen-Fraktionsvorsitzenden Hans-Christian Ströbele, es handele sich um einen veritablen Krieg, zurück.

Noch im selben Monat besuchte Verteidigungsminister Franz Josef Jung das deutsche Lager in Afghanistan – kurz nachdem die Taliban einen deutschen Soldaten getötet hatten. Ein Journalist fragte ihn, ob dieser jüngste Tote nicht Krieg bedeutete. Der Minister antwortete, die Bundeswehr bekämpfe den Terrorismus – also etwas grundsätzlich anderes. Neben dem Minister stand US-General David McKiernan, Kommandeur der ISAF-Truppen, denen die Bundeswehr angehört. Vor laufenden Kameras korrigierte er den Minister kurz angebunden: "Ja, wir führen einen Krieg."

McKiernans Äußerung wurde in den deutschen Medien zitiert, um das offizielle Schweigen zu brechen – ohne Erfolg. Die korrigierende Darstellung des Generals zog keine offizielle Stellungnahme des Verteidigungsministeriums nach sich – geschweige denn Fragen im Bundestag angesichts der offensichtlichen Kluft zwischen den Einschätzungen der Lage. Und die Zurückhaltung der Abgeordneten seit Beginn des Krieges, weitere Untersuchungen anzugehen und die Informationen seitens der Regierung infrage zu stellen, hielt an. Das schließt auch ihr Unterlassen mit ein, die zunehmend bedenklich stimmenden Jahresberichte des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestags zu allen Aspekten des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan weiter zu verfolgen. Diese Berichte enthielten detaillierte Beschreibungen über mangelhafte Ausrüstung und deren Auswirkungen auf die Sicherheit der Soldaten. Diese Mängel zu beheben, hätte möglicherweise die Zahl der Verluste vermindert. Zudem hätten parlamentarische Fragen ein Maß an offizieller Besorgnis erkennen lassen, an dem es vielfach mangelte. Nach den Worten des ehemaligen Wehrbeauftragten, Reinhold Robbe, zeigten die Parlamentarier im besten Fall "ein freundliches Desinteresse". Nach Angaben höherer Offiziere hatte dies Auswirkungen auf die Truppenmoral.

Robbes Äußerung erfolgte zu einer Zeit, als die Verluste aufgrund der Aktivitäten der Taliban zunahmen. Ein Grund für die fehlende Aufmerksamkeit der Politikerinnen und Politiker mag in der offiziellen Informationspolitik gelegen haben, durch die kaum etwas über die Todesursachen bekannt war. Lange Zeit wurden auf der Homepage der Bundeswehr nur Selbsttötungen in einer gesonderten Rubrik aufgeführt. Sie boten gewiss Anlass zur Beunruhigung, doch kaum den dringlichsten – in einer Zeit, in der die Bundeswehr wiederholt attackiert wurde. Die einzigen beiden anderen Kategorien – "durch Fremdeinwirkung gefallen" und "durch sonstige Umstände gestorben" – sagen so gut wie nichts aus. Doch die Ursachen der Todesfälle sind keineswegs unwichtig. So sollte zum Beispiel eine wachsende Zahl von Bomben am Straßenrand zu einer Debatte über das Vertrauen der Bundeswehr in Panzerfahrzeuge gegenüber Hubschraubern führen. Des Weiteren verdeutlicht die wachsende Zahl von Gefechtstodesfällen die verschlechterte Sicherheitslage klarer als alle langatmigen Berichte. Beides hätte den Kontrast zur offiziellen Darstellung der von Deutschen überwachten Zone als eine relativ friedliche verdeutlicht. Gewöhnliche Abgeordnete sowie die Öffentlichkeit blieben nicht die einzigen von diesem Mangel an Information Betroffenen – Gleiches galt für den Verteidigungsausschuss des Bundestags. Im Januar 2007, nach dem Tod von 20 Soldaten, wurde bekannt, dass der Ausschuss sich auf die genannten pauschalen und bedeutungslosen Kategorien verlassen hatte. Solange es für jedermann – die Ausschussmitglieder eingeschlossen – nahezu unmöglich war, die Art, wie die Soldaten zu Tode kamen, zu enträtseln, blieb es für die Regierung ein Leichtes zu verleugnen, dass sich die Männer und Frauen in einem Krieg befanden. Eine Erklärung dafür, dass die offizielle Linie so lange unwidersprochen blieb, bot ein früherer Bundeswehroffizier durch seinen Hinweis darauf, die Zahl der Todesopfer wie auch deren Ursachen stehe nicht nur im Widerspruch zu der Darstellung des Einsatzes als eines Unterstützungsprojekts, sondern auch zu dem Beharren darauf, die Bundeswehr sei ein Instrument des Friedens und schließe die Anwendung von Gewalt – das heißt im Kern militärischer Mittel – aus.

Die offizielle Linie hinderte zurückkehrende Soldaten nicht daran, von zunehmend erbitterten Kämpfen zu berichten. Sie redeten ausnahmslos von "Krieg". Seit Ende 2007 sprachen auch die Zeitungen davon. Dem widersetzte sich die Regierung – und legte zugleich eine überraschende linguistische Flexibilität an den Tag. 2008 zum Beispiel räumte der Sprecher des Verteidigungsministeriums ein, beim Einsatz der Soldaten handele es sich um "einen Stabilisierungseinsatz, zugegeben um einen recht robusten Stabilisierungseinsatz, der Kampfhandlungen miteinschließt". Schließlich unternahm Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg Anfang April 2010 einen bedeutenden Schritt und bestätigte die Version der Soldaten: "Und auch wenn es auch (sic!) nicht jedem gefällt, so kann man angesichts dessen was sich in Afghanistan, in Teilen in Afghanistan, abspielt, durchaus umgangssprachlich – ich betone umgangssprachlich – in Afghanistan von Krieg reden." Die Männer und Frauen vor Ort fühlten sich rehabilitiert – und desgleichen, ironischerweise, die heftigsten Gegner der Regierung im Parlament, Die Linke. Ihre Mitglieder hatten seit dem Abflug der ersten Soldaten davon gesprochen, ISAF bedeute Krieg.

Guttenberg sprach in der Kirche, vor den Särgen dreier durch Straßenbomben getöteter Soldaten. Diesmal erschien auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, mutmaßlich wegen der wachsenden Kritik angesichts ihrer Abwesenheit bei den Begräbnissen. Sie hatte kurz vor der Zeremonie ihre Teilnahme als persönliches Anliegen angekündigt. Merkel bezeugte den Toten ihre offizielle Anerkennung und schloss mit den Worten: "Ich verneige mich vor ihnen. Deutschland verneigt sich vor ihnen mit Dank und Hochachtung." Auch drückte sie ihr Verständnis für die Soldaten aus, die in der Beschreibung dessen, was sie erlebten, von "Krieg" sprachen und ergänzte: "Ich verstehe das gut." Alles in Allem war ihre Rede, gemessen an der sonst üblichen Beherrschtheit im öffentlichen Auftreten der Kanzlerin, außergewöhnlich emotional. Das war gewiss einer der Gründe, weshalb ihre Lobrede am folgenden Tag auf allen Titelseiten zitiert wurde. Abgesehen von einigen abfälligen Kommentaren – so etwa im "Neuen Deutschland" – scheint die Reaktion eine Art Erleichterung dahingehend auszudrücken, die offizielle Rhetorik werde von nun an etwas ehrlicher ausfallen. Merkels Anerkennung der Beschreibung der Verhältnisse vor Ort seitens der Soldaten als korrekt und politisch legitim war ein wichtiger Schritt, um die Kluft zwischen der Bundeswehr und der politischen Elite zu überbrücken – wenngleich nicht ohne Risiko. Eine öffentliche Anerkennung der Bundeswehr – und erst recht die Ehrung ihrer Toten – löst vorhersehbare Vorwürfe über etwaige Formen eines verschleierten Versuchs aus, man wolle Praktiken wieder einführen, die zum Beispiel an Hitlers Heldengedenktag erinnern. Dies allein reichte aus, um Pläne für einen Tag zu Ehren von Veteranen auf Eis zu legen. Die Linke hat auch versucht, den Afghanistan-Einsatz mit Hitlers Wehrmacht in Verbindung zu bringen. In der Rückschau überrascht ihr hoher Anteil an den seit 2001 im Bundestag gestellten Fragen zu Afghanistan. Doch liegt die Erklärung dafür wahrscheinlich im "freundlichen Desinteresse" seitens der übrigen Parlamentsabgeordneten.

Sicht vor Ort

Die Gründe für dieses Desinteresse aufzuzeigen, ist weder schwer noch besonders originell. Zusätzlich zu den bereits erwähnten offiziellen Tabus im Zusammenhang mit sämtlichen militärischen Mitteln darf nicht übersehen werden, dass der Krieg in Afghanistan alles andere als ein lohnendes Thema war, mit dem Politiker sich in Verbindung bringen wollten. All dies macht die Ehrung toter Soldaten zu einer politisch heiklen Angelegenheit.

Aus Sicht der Männer und Frauen, die in Afghanistan waren, stellt sich die Sache anders dar, und es gibt gewichtige Argumente zugunsten einer offiziellen Anerkennung. Für jeden Soldaten ist der Tod eine allgegenwärtige Realität. Für all diejenigen, die ihn aus nächster Nähe erlebt haben, ist er ein Wendepunkt. In nahezu sämtlichen Berichten aus Afghanistan ist der Verlust eines Kameraden ein Schlüsselereignis. In Büchern und Interviews wird dies nur selten in alarmierender Weise geschildert. Meist fallen nur wenige leise Worte darüber – als sei der Verfasser beziehungsweise die Verfasserin ratlos, wie sich beschreiben ließe, was er oder sie gesehen oder gehört hat. Eines jedoch unterscheidet die deutschen Berichte von allen anderen, die ich gelesen habe, in auffälliger Weise: das Fehlen von Namen. Im Vergleich zu ihnen nennen dänische und britische Soldaten, die über den Krieg in Afghanistan schreiben, die Toten beim Namen und schicken häufig Fotos samt Bildunterschriften mit Angaben darüber mit, wann, wo und wie der lächelnde junge Mann oder die Frau getötet wurde. Hierin spiegeln die britischen und dänischen Verfasser die generelle Offenheit und Debatte wider, die den Krieg von Anfang an begleitet hat – eine Offenheit, die die toten Soldaten oftmals ins Zentrum der Bühne rückt. In beiden Ländern folgt der ersten kurzen amtlichen Verlautbarung über den Verlust eines Soldaten nach kurzer Zeit eine – häufig ausführliche – offizielle Würdigung des Getöteten. In Dänemark erfolgt dies durch die Armee, im Vereinigten Königreich durch das Verteidigungsministerium. Die britische Würdigung ist in der Hinsicht bemerkenswert, dass jeder, der den Toten kannte, etwas beitragen kann.

In Deutschland hat die offizielle Einschränkung zu einer großen Anzahl von Gedenkseiten im Internet geführt – die von Familienangehörigen, Freunden oder Kameraden des toten Soldaten ins Netz gestellt wurden. Die meisten verschwinden nach kurzer Zeit wieder. Langlebiger sind dagegen die Internetseiten für ehemalige oder derzeitige Bundeswehrangehörige; sie haben es geschafft, Informationen über die Rückführung getöteter Soldaten und ihrer Begräbnisse in einem Umfang zu sammeln und zu verbreiten, wie es über offizielle Kanäle kaum möglich wäre.

Die offizielle Weigerung, die Namen preiszugeben, spiegelte sich in den überregionalen Tageszeitungen wider: In ihnen wurden die Begräbnisse mit nur wenigen Zeilen erwähnt. Bemerkenswerte Ausnahme war die "Bild"-Zeitung – mit einer ausführlicheren Berichterstattung, die oftmals Interviews mit nächsten Angehörigen sowie Fotos enthielt. Ein ähnlicher Verzicht auf Anonymität findet sich in regionalen und lokalen Medien. Wie die "Bild" unterstreichen auch sie die rege Teilnahme der örtlichen Bevölkerung an den Begräbnisgottesdiensten. Erst vor Kurzem begann die Bundeswehr, Bilder und zusammenfassende Berichte über die Beerdigungen zu veröffentlichen. Damit wird ein bedeutender Schritt in Richtung offizieller Anerkennung der Gefahren vollzogen, die der Einsatz in Afghanistan bedeutet, sowie des Preises in Gestalt getöteter Soldaten.

Gedenken

Doch Internetseiten eines Ministeriums sind keine bleibende Erinnerung an die Toten. Die Frage, wie den Gefallenen angemessen gedacht werden könne, stellte 2005 der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung. Während eines Besuchs bei den deutschen Truppen in Afghanistan hatte er im dortigen Lager ein Denkmal für die Gefallenen gesehen. Davon beeindruckt, stieß er zu Hause die Idee eines Ehrenmals an, mit dem nicht nur der in Afghanistan Gefallenen, sondern allen Männern und Frauen, die im Dienst für die Bundeswehr ihr Leben gelassen hatten, gedacht werden sollte.

Über die Planung des Ehrenmals verbreitete das Verteidigungsministerium von Anfang an nur spärliche Informationen. Auch wurden nur wenige Forderungen nach Transparenz seitens der Bundestagsabgeordneten laut. Eine Ausnahme war der Versuch der Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, Ulrike Merten, im Februar 2007. Sie wollte das Denkmal als Mittel zur Schaffung eines öffentlichen Bewusstseins über Auslandseinsätze genutzt sehen. Ihr Vorstoß misslang. Wie ein Journalist bemerkte, legten die Bundestagsabgeordneten, wann immer das Denkmal auf der Tagesordnung stand, dasselbe mangelnde Engagement an den Tag wie in den Debatten, in denen es um Afghanistan ging.

Die Bundeswehr indes zeigte eine dem Rest der Gesellschaft entgegengesetzte Haltung. Wie Merten erkannte man hier die Bedeutung einer öffentlichen Anerkennung der Kosten von Auslandseinsätzen. Aus ihren Reihen kam daher Unterstützung für Mertens Bemühungen, das Denkmal in der Nähe des Bundestags zu errichten. Dort hätte es nicht nur den zahlreichen Besuchern des Reichstagsgebäudes gezeigt, dass die Parlamentsmehrheit im modernen Deutschland bereit war, seine Sicherheit mit militärischen Mitteln zu garantieren; zugleich hätte es den Abgeordneten als ständige Erinnerung an den Preis dienen können, den ihre Entscheidungen nach sich ziehen. Nicht zuletzt hätte sich in diesem Standort eine der wichtigsten Neuerungen in der Bundesrepublik nach 1945 manifestiert – nämlich die der Bundeswehr als einer Parlamentsarmee.

Das Resultat schließlich sah anders aus. Das Ehrenmal wurde auf dem Gelände des Bundesministeriums für Verteidigung errichtet. Dadurch wird in erster Linie die Rolle der Bundeswehr als Exekutivorgan bekundet – ein Aspekt, der in der Broschüre des Verteidigungsministeriums zum Ehrenmal unmissverständlich zum Ausdruck kommt. Zudem hat der Standort einen weiteren unglücklichen Effekt: Er liegt abseits und wurde, in den Worten eines Journalisten, zum "Vermeidungsdenkmal". Ein Großteil derer, die es besuchen, sind ausländische Delegationen, unter ihnen Offiziere bei ihrem offiziellen Besuch des Ministeriums. Dadurch erfuhr das Ehrenmal eine Militarisierung. Für all jene mit persönlichen Gründen für einen Besuch – wie Kameraden und nächste Angehörige – wurde das Ehrenmal weit weniger zum Ort persönlicher Erinnerung, als es hätte werden können.

In diesem Zusammenhang fallen einem zwei andere moderne Kriegsdenkmäler ein: die Gedenkstätte des Vietnam Veterans Memorial in Washington D.C. aus dem Jahre 1982 sowie das 2011 enthüllte Kriegsdenkmal in Kopenhagen. Beide sind schmucklos und zeigen einzig die in Granit eingemeißelten Namen der Gefallenen. Für Hinterbliebene ist die Namensnennung der Toten von großer Bedeutung. Bei der Lektüre britischer, dänischer und deutscher Debatten um die Frage, wie man den in Afghanistan Gefallenen gedenken solle, treten nationale Unterschiede zurück. Für die Familien bedeutet ein in Stein gemeißelter Name eine Garantie gegen das Vergessen – und er stellt nicht zuletzt eine offizielle Anerkennung ihres Verlusts dar. In Washington wie in Kopenhagen berühren viele derjenigen, die der Toten gedenken, die Schriftzüge und legen darunter Blumen ab.

Das Ehrenmal in Berlin macht dies unmöglich. Zu Beginn hatte der Planungsausschuss eine Namensnennung ausgeschlossen. Doch an diesem Punkt konnte die Kritik in der Presse sowie von den Männern und Frauen in der Bundeswehr nicht überhört werden. Die Lösung zeigt alle Anzeichen eines Cut-and-Paste. Im Innern des Monuments – ein, so die Broschüre, "dunkler, entmaterialisierter Raum" – erscheinen die Namen in Leuchtschrift auf einem Betonträger über dem Ausgang. Nach nur wenigen Sekunden erscheint der nächste Name und unterbricht so jede erhoffte besinnliche Atmosphäre. Der Broschüre zufolge wurde eine technische Lösung gewählt, die es erlaubt, Namen auf Wunsch der Familie entfernen zu können. Ergänzt sei an dieser Stelle, dass – betrachtet man die britischen und dänischen Debatten über die Frage, wie der Toten gedacht werden solle – die Zahl der Verwandten, die die Namen ihrer Toten nicht angeschrieben zu sehen wünschen, nicht nur gering, sondern ausgesprochen gering ist. Einzig unmittelbar nach einem Todesfall, wenn der Verlust noch einen Schock darstellt, wollten Familien nicht an die Öffentlichkeit gehen. Fast alle begrüßten die Möglichkeit des öffentlichen Gedenkens durch die Namensnennung ihres Angehörigen – ganz so, nehme ich an, wie die Familien der drei Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan getötet wurden und deren Namen 2011 auf einem Kriegsdenkmal im niederbayrischen Langdorf eingeritzt wurden.

Auf dem bayrischen Denkmal sind im Anschluss an die Namen die Todesdaten vermerkt. Im Berliner Ehrenmal erscheinen nur die Namen. Man könnte argumentieren, dies unterstreiche die gemeinsame Zugehörigkeit der Toten – die Tatsache, dass sie alle im Dienst der Bundeswehr starben. Stünde indes hinter dem Namen eines Soldaten der Tag, an dem er fiel, würde sichtbarer, dass der Einsatz in Afghanistan bis heute 54 Menschenleben gefordert hat. In diesem Fall könnte die Debatte über den Krieg und über die Frage, ob der Verlust so Vieler gerechtfertigt werden kann, im Ehrenmal einen dringend erforderlichen Ausgangspunkt finden. Sie wird erst möglich, wenn die Toten öffentlich anerkannt werden.

Ph.D. M.Litt, geb. 1963; Außerordentlicher Professor am Norwegian Institute for Defence Studies (IFS); assoziiertes Mitglied am Institut des hautes études de défense nationale, Ecole Militaire, Paris; IFS, Postboks 890 Sentrum, 0104 Oslo/Norwegen. E-Mail Link: kaare.dahl-martinsen@ifs.mil.no