Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner nennt es so. Zumindest nicht offiziell. Die Episode um das lange anhaltende Zögern, die Situation in Afghanistan als "Krieg" zu bezeichnen, zeigt symptomatisch die tiefe Verunsicherung der Öffentlichkeit und der politisch Verantwortlichen angesichts der Auslands- und Kriegseinsätze der Bundeswehr. Diese drückt sich auch aus im Umgang mit den Toten des Afghanistan-Krieges, der den Anschein erweckt, keiner sei vorbereitet auf Gefallene gewesen. Die Debatte um die Rechtfertigung und Legitimation solcher Einsätze, die mit dem Abzug der Bundeswehr aus dem Land am Hindukusch im kommenden Jahr weiter befeuert werden dürfte, wird um die Anerkennung und Benennung der Realitäten indes nicht umhinkommen.
Dazu gehört, dass es nun Soldatinnen und Soldaten gibt, die zu einer "Generation Einsatz" gehören, die Erfahrungen in Gefechten, mit Verwundung und Tod gemacht und ihr Leben im Auftrag der Parlamentsmehrheit eingesetzt haben. Sie kehren zurück in eine Gesellschaft, in der die Bundeswehr als Institution zwar hohes Ansehen genießt, ihr Auftrag zu militärischer Gewaltanwendung aber weithin auf Ablehnung stößt. Das Potenzial für Missverständnisse und Konflikte ist groß.
Die Bundeswehr befindet sich zudem mit der Umstellung auf eine Freiwilligenarmee und der organisatorischen wie strategischen "Neuausrichtung" in einem tiefgreifenden Reformprozess. Auch hierfür müssen, ressortübergreifend, grundlegende sicherheitspolitische Fragen zur Rolle der Bundeswehr, insbesondere in bündnispolitischen Zusammenhängen, geklärt werden. Es gilt, einen offenen und kritischen Diskurs zu etablieren, der über Fachkreise und Fachtermini hinausgeht und nicht nur das Für und Wider von Militäreinsätzen, sondern auch (andere) Instrumente der Konfliktbearbeitung und der Friedenssicherung einbezieht.