Erinnerung, Gedächtnis, Repräsentation – diese Begriffe, die mit ihnen verbundenen Konzepte wie Forschungen haben Konjunktur. Aus der öffentlichen Thematisierung von Vergangenheit, aber auch aus kulturellen Selbstbeschreibungen sind sie nicht mehr wegzudenken. Auch wenn wissenschaftliche Impulse den Raum geöffnet haben für die (Weiter-)Entwicklung der Geschichte zweiten Grades, so ist die Erinnerungswelle selbst aber wesentlich von der öffentlichen Thematisierung der Vergangenheit getragen: Es sind und waren politische Anstöße, zivilgesellschaftliche Bewegungen und Einzelinitiativen, die Aspekte der Vergangenheit thematisierten, mit inhaltlicher und zeitlicher Kohärenz versahen und damit zur öffentlichen Geschichte machten, die dann auf die Gegenwart projiziert wurde und für die Zukunft orientieren sollte. Schon oft wurde auf die besonderen Voraussetzungen für diese Art des "Geschichtsgebrauchs" in Deutschland hingewiesen. Insbesondere im geteilten wie auch im wiedervereinigten Deutschland scheint doch die Herleitung von Identität aus der Vergangenheit eine besondere Bedeutung zu haben. Es waren vor allem zwei Brüche im 20. Jahrhundert, die dieses besondere politisch-kollektive wie auch individuelle Interesse an der Vergangenheit hervorriefen: jener mit der NS-Diktatur 1945, aber auch der mit der Zwangsherrschaft der SED des Jahres 1989. Die jeweils spezifische Art des öffentlich praktizierten Rückgriffs auf die Geschichte hat funktional meist weniger mit der Vergangenheit zu tun, sondern erklärt sich vor allem aus dem gegenwärtigen Orientierungsbedürfnis für zukünftige Handlungen.
Will man die davon ausgehende Entwicklung von "Erinnerung" charakterisieren, dann muss man sich kategorial an den jeweiligen Gegenwartsfunktionen orientieren, die diese Form der Vergangenheitsthematisierung gesellschaftlich hatte. Folgt man dieser Prämisse, deuten sich klare Veränderungen im Umgang mit der deutschen Vergangenheit an. Die "Zukunft der Erinnerung" wird anders sein als der Modus der "Vergangenheitsbewältigung" im Umgang mit der NS-Diktatur wie auch der der "Aufarbeitung" der SED-Diktatur.
"Bewältigung" und "Aufarbeitung"
Im Vordergrund des bundesdeutschen Projekts NS-"Vergangenheitsbewältigung", so die charakteristische Selbstbezeichnung, standen die Thematisierung und "Bearbeitung" von Leid und Unrecht, von Täterschaft und Opferstatus. Das Ziel dieses Projekts war es, die Anerkennung und die Aufarbeitung der Vergangenheit gegen diejenigen gesellschaftlichen und politischen Kräfte zu erkämpfen, die an der Haltung des "Davon haben wir nichts gewusst" festhielten. Erinnerung war in dieser Konstellation nicht zuletzt Mittel zum Zweck, um die ideologischen Kontinuitäten mit der NS-Vergangenheit zu überwinden. Die frühen Jahre der Bundesrepublik boten genügend Anlass wie auch viel Angriffsfläche für ein solches Vorhaben: Starke Elitenkontinuitäten in Staat, Wirtschaft und Wissenschaft entsprachen einer allgemeinen Abwehrhaltung gegenüber einer Thematisierung der Vergangenheit.
Das idealtypische Medium für dieses Projekt "Vergangenheitsbewältigung" ist die Gedenkstätte, wie Volkhard Knigge, als Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora einer der führenden Protagonisten dieser Art von Geschichtsthematisierung, herausgearbeitet hat.
Die Wiedervereinigung, so ließe sich die Entwicklung weiterschreiben, gab dem Projekt "Vergangenheitsbewältigung" noch einen weiteren Schub, wenn sich auch das Etikett zu "Aufarbeitung" änderte. Allen Unterschieden zum Trotz gab es doch auch wesentliche Parallelen: Mit Übernahme der nationalen NS-Gedenkstätten der DDR schuf ein vom Bund getragenes Programm auch für die Institutionen im Westen eine neue Grundlage. Das Generationenprojekt wurde fortgeführt. Auch inhaltlich-methodisch orientierte sich die Aufarbeitung der SED-Diktatur zunächst an den altbundesrepublikanischen Praktiken und Formen, die man in Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus entwickelt hatte. In der Forschung fand dieser Weg seine Entsprechung in der kurzen und wenig fruchtbaren Renaissance der Totalitarismustheorie. Insbesondere ausländische Beobachter wie zum Beispiel der Deutschlandforscher James McAdams erklärten die Intensität wie auch die auf Delegitimierung zielende Form der "Aufarbeitung", mit der sich das wiedervereinigte Deutschland der kommunistischen diktatorischen Vergangenheit annahm, mit dem "Lerneffekt" der NS-Thematisierung.
Die Zukunft der Erinnerung ist dieser besondere Modus wohl nicht, und das gleich in mindestens doppelter Hinsicht: "Geschichtskultur", "Erinnerungspolitik" respektive "Geschichtspolitik", "Erinnerungskultur" – schon allein die Austauschbarkeit der einzelnen Wortbestandteile zeigt, dass das entsprechende Vokabular zwar feuilletonistisch anschlussfähig ist, aber keinesfalls präzise definiert. So charakterisierte der amerikanische Soziologie Jeffrey K. Olick die Erinnerungsmetaphorik als einen "broad, sensitizing umbrella", der hoch verschiedene Sachverhalte und Prozesse eher unbestimmt überspannt.
Aber nicht aus dem Feld der wissenschaftlich-theoretischen Durchdringung, sondern aus der Praxis historisch-politischen Lernens und dessen Reflexion kommt die gravierendste Kritik. Insbesondere Autoren wie Volkhard Knigge, Jan Philipp Reemtsma, Harald Welzer oder auch der Althistoriker Christian Meier haben ihre Bedenken scharf herausgearbeitet. Im öffentlichen "Gedenkwesen", so schreibt beispielsweise Meier, sei das an eine Generation gebundene Projekt "Historisches Lernen qua Erinnerung" zur kontraproduktiven Pathosformel verkommen. Dem pflichtet Volkhard Knigge bei: "Eine zumeist von Älteren angemahnte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit tritt ihnen (den Jüngeren, Anm. TG) überwiegend als Erinnerungsimperativ (…) entgegen und begegnet ihnen in Gestalt massenmedialer oder öffentlich habitualisierter Redundanzen und Kümmerformen wie etwa Gedenkstättenpflichtbesuchen, rhetorischen Codes, visuellen Klischees oder vordergründiger Symbolpolitik."
Die Beschränkungen und Grenzen des Projekts "Vergangenheitsbewältigung"/"Aufarbeitung" treten besonders mit Blick auf die Nachgeschichte der zweiten Diktatur in Deutschland zutage: Wo es hinsichtlich des Nationalsozialismus gelang, zumindest oberflächlich eine breite gesellschaftliche Verständigung über dessen historische Bewertung zu etablieren, da blieb mit Blick auf die SED-Diktatur der vielfach erhoffte Effekt aus: Ein breiter Konsens, welchen Ort der deutsche Staatssozialismus sowjetischen Typs in der Gedenk- und Erinnerungskultur der Bundesrepublik einnehmen soll, ist nicht in Sicht und wird als Zielperspektive selbst zunehmend problematisiert. Muss es, kann es oder darf es eine einheitliche Deutung der DDR-Vergangenheit geben? Die verschiedenen Phasen des deutsch-deutschen Selbstverständigungsdialogs (Vereinigungskrise, Ostalgiedebatte, Trotzidentität und andere Stichworte sind hier zu nennen) sind mittlerweile beschrieben, wenn auch noch nicht analysiert. Die Vergangenheitsthematisierung hatte dabei meist eher spaltende als integrierende Wirkung. Bis heute ist diese Debatte um die DDR-Geschichte von verschiedenen Spannungslinien durchzogen, die exemplarisch auch die Veränderungen im Feld der Erinnerung allgemein anzeigen:
Erstens sehen sich geschichtspolitische Forderungen nach einem "verbindlichen" und in der Regel delegitimierenden Umgang mit der DDR-Geschichte, wie sie in Teilen der historisch-politischen Bildung formuliert werden, mit heterogenen, konträren und teils DDR-affirmativen Deutungen im geschichtskulturellen Diskursfeld konfrontiert.
Zweitens – folgt man entsprechenden Umfragen – scheint die aus anderen zeitgeschichtlichen Diskursen bereits bekannte Diskrepanz zwischen kulturellem und kommunikativem Gedächtnis mit Blick auf die Erfahrungs-, aber keineswegs homogene Erinnerungsgemeinschaft der Ostdeutschen evident und wird als Problem des mentalen Einigungsprozesses markiert.
Drittens differenzieren sich die mit der Beschäftigung mit Vergangenheit verbundenen Funktionen deutlich aus: Der "klassisch" didaktische Anspruch der historisch-politischen Bildung verband sich oftmals mit einer praktischen "Nutzung", die an nationalstaatliche, zum Teil parteipolitische oder religiöse Identifizierungsmechanismen gebunden war. An deren Stelle treten zum Teil neue geschichtskulturelle Formate wie Musik- und Filmproduktionen oder auch private Museen. Diese verstehen sich als Dienstleister oder als Elemente der Unterhaltungsindustrie, so dass ihnen verstärkt auch ein ökonomisches Interesse eigen ist. Spezifische Unterhaltungs- und Sinnstiftungsmodi dieser Formen zielen in neuer Weise auf antizipierte Adressatenerwartungen und sind in der Konsequenz mit einer selektiven Hinwendung zur Diktaturgeschichte in Deutschland verbunden.
Erinnerungswandel durch Medienwandel
All diese Veränderungsprozesse wurden und werden angestoßen wie auch beschleunigt durch einen rasanten Medienwandel, dessen tiefgreifende Wirkungen bislang wohl kaum abschließend abzuschätzen sind: Die beschleunigte und immaterielle Kommunikation des Internets und der sozialen Netzwerke erweitert die Möglichkeiten des Umgangs mit der Vergangenheit ungemein. Im Bereich der Erinnerungskultur fungieren laut Erik Meyer insbesondere die sozialen Netzwerke als ein "Assoziationsraum", in dem die rezipierten Inhalte seitens der Nutzerinnen und Nutzer gesammelt und verteilt werden und sich Motive verdichten. Damit ist die Dezentrierung wie auch die Pluralisierung von Geschichtsbildern unausweichlich. Die herkömmlichen Plattformen und Medien für die Diskussion von Geschichte verlieren an Einfluss, ohne aber ganz in der Bedeutungslosigkeit zu versinken: Nach wie vor, so zeigen erste Untersuchungen zur Geschichtsthematisierung im Internet, werden die Themen meist anderswo gesetzt: Geschichte im Film und in dokumentarischen Formaten, in Büchern, zum Teil auch im Geschichtsunterricht. Die dort angestoßenen Debatten werden dann im Netz fortgesetzt und vertieft.
Die informationstechnische Entwicklung bedeutet somit sicher nicht das Ende, vielleicht nicht einmal eine Krise des Erinnerns, wohl aber eine tiefgreifende Veränderung ihrer Formen und Funktionen. Wo Erinnerungskulturen heute meist zivilgesellschaftlich und dezidiert politisch begründet werden, so werden sie in Zukunft eher kommerziell motiviert sein; wo sie heute eher noch auf Nachhaltigkeit angelegt sind, werden sie morgen eher episodenhaft und kampagnenförmig sein; sind sie heute noch vergegenständlicht und diskursiv, so werden sie morgen visualisiert und virtuell sein; bewegen sie sich heute noch im nationalstaatlichen Deutungsrahmen, werden sie zukünftig eher global ausgerichtet sein.
Diesen angedeuteten Trend im Umgang mit der Vergangenheit hat der österreichische Historiker Valentin Groebner jüngst als einen besonderen Bruch beschrieben, den er zeitlich mit dem Ende des 20. Jahrhunderts verortet: Antike, Mittelalter, Aufklärung, ja auch das 19. Jahrhundert hätten sich seitdem "in eine Art historische Tiefsee verwandelt, pittoresk, materialreich, aber distanziert; eine Zone, in der alles Vergangene gleich weit weg ist, so fremd und weit entfernt, dass es nicht mehr in direkter Referenz auf die Gegenwart gebraucht werden kann und keine direkt wirksamen Ursprungs- und Identifikationsangebote mehr enthält". Wie andere Autoren nimmt Groebner nur die Geschichte und die Vorgeschichte des Nationalsozialismus von dieser Diagnose aus. Allein diese werde in der öffentlichen Inszenierung weithin selbstverständlich als "eigene" und damit als "unmittelbar wirkmächtige und identitätspolitisch genutzte Geschichte (angesehen), mit der man in der richtigen, angemessenen Weise umzugehen hat". Richtig an der Beobachtung scheint mir, dass die Geschichte der NS-Diktatur in besonderer Weise als "moralisch und identitätspolitisch aufgeladene Nahvergangenheit" gilt.
"Er ist wieder da": Hitler in der deutschen Erinnerung
Neben der Verfolgung und der Ermordung der Juden in Europa gibt es ein weiteres Erinnerungsmoment, das nicht nur, aber wohl vor allem die Deutschen seit 1945 in besonderer Weise ebenso fasziniert wie abgestoßen hat: die Person Adolf Hitler. Zum Teil angeleitet durch die alliierten Besatzungsmächte, zum Teil aus der Dynamik eines wohl vor allem sozialpsychologisch zu erklärenden Prozesses schlug bereits in den ersten Nachkriegsjahren der "Mythos Hitler" und die in den letzten Kriegsjahren zwar bröckelnde, aber doch tief wurzelnde Faszination für den Diktator in ihr Gegenteil um. Aus dem "Führer" wurde eine Unperson: Im Sprachgebrauch des Westens avancierte er zum "Teufel" oder "Dämon", im Osten galt er als "faschistische Bestie".
Hitler blieb auch in den Folgejahren immer Garant für ein großes Interesse. Dabei war es nicht die Historikerschaft, die diesen Trend forcierte. Hier setzte man laut Norbert Frei auf eine "Entpersonalisierung des historischen Narrativs", teils um sich damit dezidiert von der voyeuristischen "Kammerdienerperspektive" einer an privaten Details interessierten Illustriertenpresse abzusetzen, teils um dem öffentlichen Bild von den vermeintlich überragenden Fähigkeiten Hitlers entgegenzusteuern. Die gesellschaftliche Thematisierung Hitlers außerhalb der Wissenschaft kannte diese Zurückhaltung nicht: "Hitler sells". Den Anfang machte der Journalist Joachim Fest – und damit ein akademischer Außenseiter – mit der erfolgreichsten Biografie der Nachkriegszeit: Sein Buch "Hitler" verkaufte sich seit 1973 in verschiedenen Ausgaben und Auflagen rund 800000 Mal.
Schon bei einer sporadischen Sichtung verdichtet sich der Eindruck, dass die Figur Adolf Hitler besonders während der zurückliegenden zehn Jahre in der Populärkultur verstärkt in Erscheinung getreten ist. Das reicht von Kabarettnummern (etwa vom Duo Pigor & Eichhorn) über Comics (Walter Moers) bis zu TV-Produktionen und diversen Kinofilmen. Die Dämonisierung der frühen postnationalsozialistischen Jahre ist dabei einer popkulturellen Verwendung gewichen. "Inzwischen dient Hitler als Gruselgröße einer globalisierten Medienwelt, die sich seiner in allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen bedient – längst nicht mehr nur zum Zweck der historischen Aufklärung."
Das jüngste Beispiel für diese Entwicklung ist die Erstveröffentlichung des Journalisten Timur Vermes. "Die Polit-Satire 'Er ist wieder da' (…) hat die Bestseller-Listen erobert. An der Qualität des Romans kann das nicht liegen", ätzte im Januar 2013 die "Süddeutsche Zeitung" gegen das im Herbst 2012 erschienene Buch.
Also war es offenbar doch das Thema, welches dem Buch so viel Popularität bescherte. Das Cover mit dem stilisierten Seitenscheitel und dem charakteristischen Minischnauzer lässt keinen Zweifel. Derjenige, der im Roman wieder da ist, ist Adolf Hitler: Nach 66 Jahren im Nirgendwo wacht der aus der Zeit gefallene Diktator 2011 in einer Berliner Baulücke auf. Er trifft auf ein modernes, aber dann auch vom wieder aufgetauchten "Führer" fasziniertes Deutschland. Natürlich ist es nicht mehr die Rolle des Diktators, die Hitler einnehmen kann. Aber schon bald bietet sich ihm die Chance zu einer zweiten Karriere: An einem Kiosk trifft er auf Produzenten eines Privatsenders, die ihn alsbald zum sidekick eines Comedian machen, der in seiner Darbietung vor allem mit seiner türkischen Herkunft spielt. Gegen den Widerstand von "Bild" und sonstiger Presse wird Hitler zum Medienstar, vor allem im sogenannten "Internetz" avanciert er zum Klickkönig. Zum Schluss winkt ihm gar der Grimme-Preis.
Der (gelegentliche) Witz entsteht dadurch, dass Hitler vor allem aus seiner eigenen Führer-, Reichskanzler- und Diktatorenperspektive heraus agiert und versucht, das für ihn Neue zu erklären. Seine Umgebung hält ihn hingegen für einen begnadeten Kabarettisten, der niemals aus der Rolle fällt. Es sind eine Unzahl von Zeitreisescherzen, die den breit verwendeten Nazijargon etwas abmildern. Manchmal ist das komisch, manchmal auch nicht: Hitler lässt seinen von Brennspiritus verunreinigten Uniformmantel von der "Blitzreinigung Yilmaz" säubern und wird vom jugendlichen Sohn des Besitzers gleich mit einem fernsehbekannten Hitlerimitator verwechselt; bei der "Bild" bekämpft ihn der dortige "Schriftleiter" Diekmann zunächst – um ihn dann frenetisch zu feiern; während Hitler selbst den NPD-Chef Holger Apfel als "unvorstellbare Witzfigur" abqualifiziert, steht die deutsche Politprominenz bei ihm Schlange, um ihn für den Eintritt in die jeweilige Partei zu werben.
Beklemmend ist das Buch dort, wo es über den Klamauk hinausreicht. Folgt man den Interviews mit dem Autor, dann ging es Vermes um mehr als um ein paar Scherze. Motivation für sein Buch sei gewesen, dass es zu viel vom immer gleichen Hitler in Deutschland gebe: "Vielen ist mein Hitler zu menschlich, was im Umkehrschluss bedeutet, dass sie ihn gerne 24 Stunden am Tag unmenschlich hätten. Aber so kann’s ja nicht gewesen sein, mit einem Nonstopmonster arbeitet doch keiner zusammen. Seine Politik war unmenschlich, aber er selbst?", so fragt Vermes.
Schaut man genauer auf die Wirkweise von "Er ist wieder da", dann kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass einige der oftmals gegen populäre Geschichtsthematisierung vorgetragenen Bedenken tatsächlich zutreffen. Das Buch fällt hinter viele auch populäre Darstellungen Hitlers zurück und sagt damit viel darüber, welche Funktion ein solches Hitler-Bild vor allem für die heutigen Leserinnen und Leser hat: Die Person Hitlers wird gerade dadurch, dass sie so simpel in gängige Personalisierungsmuster aufgelöst wird, in vielfacher Hinsicht trivialisiert und verflacht. Das Buch ist daher vielleicht eine satirische Skizze des heutigen Medienbetriebs. Es erklärt aber weder die Person Hitler, noch seine nicht allein, aber durchaus auch charismatische Herrschaft oder die Faszination, die ihm viele Deutsche entgegengebracht haben.
Herausforderungen für die Geschichtswissenschaft
Diese Beobachtungen sind mehr Problemanzeigen als Aufhänger für "Rezepte", dennoch seien abschließend einige Hinweise gegeben: "Er ist wieder da" erreichte den Gipfel der medialen Aufmerksamkeit, als ihm ein "Medien-Crossover" gelang: Im Februar 2013 wurde das Buch zum Thema der Polit-Talkshow "Hart aber Fair". Zum Kreis der Fachkundigen gehörten dort der TV-Spaßmacher Oliver Pocher, Leo Fischer, der Chefredakteur der Satirezeitschrift "Titanic", die ähnlich wie "Der Spiegel" des Öfteren mit Hitler als Coverfigur aufmachte, sowie Erika Steinbach, die als langjährige Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen die zugespitzte Thematisierung der Vergangenheit zu ihrem besonderen Metier gemacht hat. Wie gerne hätte man Ian Kershaw als Verfasser der wichtigsten Hitler-Biografie oder Hans-Ulrich Thamer als den wissenschaftlichen Kopf hinter der viel beachteten Ausstellung "Hitler und die deutsche Gesellschaft" des Deutschen Historischen Museums in dieser Runde gesehen! Beide (und auch andere) hätten den Zusammenhang von geschichtswissenschaftlich möglichen Aussagen über Hitler und dessen Repräsentation in der Nachkriegszeit fachkundig bereichern können. Das ist wohl ein frommer Wunsch, der den medialen Aufmerksamkeitsregeln so gar nicht entspricht. So aber blieb die Diskussion völlig geschmäcklerisch auf die politische Bewertung dessen beschränkt, was wie erinnert wird.
Die Fehlersuche beginnt vor der eigenen Haustür: Haben wir vielleicht wesentliche Fragen nicht beantwortet, das Falsche erforscht? So legte das der in Großbritannien lehrende Historiker Thomas Weber Anfang 2013 nahe. Haben wir, die professionelle Historikerzunft, die Person Hitler nicht (mehr) ernst genug genommen und stattdessen "Führerfolklore" betrieben? Erklären wir ihn nur als Witznummer oder zum Monster? Webers Empfehlung lautet: Historiker, beschäftigt euch verstärkt mit den persönlichen Voraussetzungen Adolf Hitlers für dessen charismatische Herrschaft. Wie lässt sich die "Metamorphose der politischen Überzeugungen und der Persönlichkeit Hitlers" in den Jahren 1918 und 1919 erklären, die ihn von einem "Einzelgänger ohne jede Führungseigenschaften" zu einem "faschistischen charismatischen Leithammel mit einem Alles-oder Nichts-Totalitarismus" erklären?
Diese Fragerichtung führt meines Erachtens in die Irre. Es waren die nationalsozialistische Propaganda und die Selbstdarstellung Hitlers, welche die Vorstellung vom "Genie" des "Führers" und dessen davon abgeleiteter Macht immer wieder behauptet haben. Die Faszination eines solchen Erklärungsansatzes läge vor allem darin, dass sich vermeintlich der Kreis schließen ließe. Das Leben Hitlers als ein schlecht getarnter Entwicklungsroman und eventuell gar als pars pro toto des Nationalsozialismus bedient zwar die Wünsche nach (einfachen) Deutungen, erklärt aber weder den Nationalsozialismus als Phänomen noch das Charisma des "Führers". "Hitlers Macht ist nicht aus seinen Charaktereigenschaften oder aus seinem vermeintlichen persönlichen Charisma zu erklären, sondern vielmehr aus den politisch-gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Motiven der Deutschen, die ihre Ängste und Erwartungen auf ihn projizierten. Dadurch machten sie Hitler möglich", so hält Hans-Ulrich Thamer überzeugend gegen diese Position.
Stärker als bisher werden wir uns über die Ausrichtung unserer Publikationstätigkeit Gedanken machen müssen: Die Hoffnung, dass Geschichtsbilder "gemacht" werden, indem gelehrte Männer und Frauen sich die Köpfe auf Veranstaltungen darüber zerbrechen, wie die Vergangenheit zu rekonstruieren und zu interpretieren sei, gehört der Vergangenheit an. Die maßstabsetzende Darstellung oder die wichtige Tagung erreichte wohl schon immer nur einen sehr begrenzten Rezipientenkreis. Aktuell verlieren diese Medien immer stärker an Bedeutung und die "Zunft" der Kultur- und Geschichtswissenschaften wird sich der Frage nach der Reichweite der eigenen Publikationsformen nicht verweigern können. Die wissenschaftspolitischen Entwicklungen aber deuten eher in die entgegengesetzte Richtung: Forschung nämlich vor allem in evaluierungsfähigen Zusammenhängen und damit in lediglich intern beachteten Fachzeitschriften stattfinden zu lassen – doch das ist wohl nicht der richtige Weg. Am Beispiel der Ökonomie und ihrem Versagen bei der Deutung der jüngsten Bankenkrise lässt sich hervorragend studieren, wie rasch sich eine vormals sehr publikumswirksame Disziplin zu einem Glasperlenspiel entwickeln kann.
Die Macht der historischen "Realität" gegen die Repräsentation zu verteidigen und sich auf diese Weise dem Dialog zu verweigern, ist sicher ebenfalls kein guter Weg. Auch wenn die Unterschiede zwischen Geschichtswissenschaft und Erinnerungsbusiness klar herauszuarbeiten sind, gilt es doch auch, den Konstruktionscharakter der Geschichtswissenschaft zu bedenken. "History is a verb, not a noun", dieses Diktum des britischen Historikers Keith Jenkins gehört mittlerweile zum Selbstverständnis einer reflektierten Historiografie.
Wendet man diese Überlegungen auf die Thematisierungen des Nationalsozialismus an, dann ergeben sich eine Reihe von Fragen: In welchem Zusammenhang stehen die populären Repräsentationen mit der Selbstinszenierung Hitlers und des Nationalsozialismus? Wie interpretieren wir die aktuell kursierenden Hitler-Bilder und was sagen sie uns über die heutige Sichtweise auf den Nationalsozialismus? In welchem Verhältnis stehen diese kulturellen Bilder beispielsweise zu den NS-Verbrechen? Kaum plausibel dürfte es sein, alle derartigen Repräsentationen über einen Leisten zu schlagen oder gar pauschal zurückzuweisen. Der Affekt gegen die Populärkultur trägt weniger zur Aufklärung bei als vielmehr zur Vermeidung, sich die jeweiligen Formen, Darstellungsweisen, Anlässe und Rezeptionen genauer anzuschauen. Der vergleichende Blick auf unterschiedliche "Erinnerungskulturen" kann hingegen helfen, die konkreten Repräsentationen des Nationalsozialismus historisch zu situieren und auf diese Weise in diesem Feld, aber auch darüber hinaus, zu einem reflektierten Umgang mit der Vergangenheit beizutragen.