In außerwissenschaftliche Dienste genommen und zum Instrument politischer Interessen gemacht zu werden, zählt zum Schicksal der Geschichtsschreibung. Die Verfälschung der historischen Wahrheit, die Unterdrückung geschichtlicher Fakten und die Nötigung ihrer professionellen Sachwalter durch deren Auftraggeber und Abnehmer sind stehende Topoi aller Auseinandersetzung mit der Vergangenheit – mit dem Lobpreis der Muse Klio verbindet sich seit jeher die Klage über ihren Missbrauch.
Gleichwohl fällt es bei näherem Hinsehen gar nicht so leicht, Erkenntnis und Interesse überzeugend voneinander zu unterscheiden und die instrumentelle Nutzung der Historiografie von ihrer freien Entfaltung abzugrenzen. Dies gilt zumal in der Zeitgeschichte, in der die Beziehung von Vergangenheitserfahrung und Zukunftsgestaltung angesichts der Einrede der Zeitgenossen, des Selbstverständnisses der Gegenwartsgesellschaft und ihrer geschichtspolitischen Legitimationsanstrengungen besonders eng geknüpft ist.
Manipulation und Fälschung
Immerhin kann als klares Erkennungsmerkmal historischer Instrumentalisierung die Verzerrung der historischen Wahrheit durch Verfälschung ihrer Quellen und Fakten angeführt werden. Berüchtigt ist etwa das zuerst 1903 in Russland unter dem Titel "Protokolle der Weisen von Zion" erschienene Pamphlet, das sich als Dokumentation einer geheimen jüdischen Weltverschwörung präsentiert und ungeachtet seiner verheerenden öffentlichen Wirkung nichts als eine vermutlich von russischen Rechtsradikalen fabrizierte Fälschung oder präziser: eine bloße Fiktion darstellt. Historische Falsifikate sind so alt wie die Geschichtsschreibung, und ihr Bogen spannt sich von der erst um 800 entstandenen Schenkungsurkunde des römischen Kaisers Konstantin, die den Herrschaftsanspruch des Papstes auf Rom und die Christenheit verbürgen sollte, bis zu den gefälschten Hitler-Tagebüchern, auf die 1983 der "Stern" hereinfiel.
Eine fortgesetzte historische Verkehrung furchtbarer Tatsachen verbindet sich mit "Katyn". Der Name des westrussischen Dorfes ist zum Synonym geworden für das durch Moskau angeordnete Massaker an Zehntausenden von polnischen Offizieren, Intellektuellen und Staatsbediensteten, die als sowjetfeindliche Elite im Frühjahr 1940 durch die sowjetische Geheimpolizei (NKWD) zu geheim gehaltenen Hinrichtungsorten unter anderem in einem Wald bei Katyn gebracht, erschossen und verscharrt worden waren. Die Entdeckung dieser Mordtat durch die deutsche Wehrmacht führte zu einer Propagandaschlacht der beiden Diktaturen, in der die aufgedeckten oder fingierten Fakten auf beiden Seiten als politische Munition dienten. Die Sowjetunion setzte die auf krasse Fälschungen gestützte Politik der Leugnung ihrer eigenen Verantwortung und deren Übertragung auf die NS-Führung über Jahrzehnte hinweg fort und bekannte sich erst 1990 unter Michail Gorbatschow und Boris Jelzin zu der – durch die historischen Indizien längst zweifelsfrei festgestellten – Schuld Stalins und seiner Helfershelfer.
Brachial in der Umschreibung der Vergangenheit verfuhr auch die Bildregie des Stalinismus, die in der Sowjetunion wie auch später in ihren Satellitenstaaten die Retusche von Bildzeugnissen zur alltäglichen Praxis erhob – wobei die Verstümmelung der Bilder durch Wegschneiden in Ungnade gefallener Personen in der Regel auch mit deren physischer Auslöschung einherging oder ihr unmittelbar folgte. Kein Bild hat in diesem Zusammenhang traurigere Berühmtheit erlangt als das am 5. Mai 1920 vor dem Moskauer Bolschoi-Theater entstandene und millionenfach verbreitete Foto, das einen mit flammenden Worten zum Kampf gegen Polen aufrufenden Lenin zeigt. Die auf dem Holzpodest bei ihm stehenden Kampfgefährten Trotzki und Kamenew wurden nach ihrer jeweiligen Entmachtung in späteren Nachdrucken schrittweise wegretuschiert und durch Holzstufen zu dem Podest ersetzt, von dem aus Lenin seine Ansprache an die abmarschbereiten Rotarmisten hielt.
Kaum weniger bekannt ist die Bildfälschung in der Ablichtung der bei Kriegsende 1945 auf dem Berliner Reichstag aufgepflanzten Roten Fahne, die den Triumph der Sowjetarmee über Hitlerdeutschland ikonografisch bannte. Hier tritt allerdings schon eine erste Irritation in der klaren Unterscheidung von echt und falsch zutage. Denn die Bildmanipulation betraf nicht nur die von den Handgelenken der Fahnenträger wegretuschierten Beuteuhren, sondern (ähnlich wie im Fall des die nationalsozialistische "Machtergreifung" feiernden Fackelzuges vom 30. Januar 1933) die "Unwahrheit" des porträtierten Ereignisses selbst, das zu einem späteren Zeitpunkt nachgestellt wurde, um das historische Ereignis visualisieren und verewigen zu können.
Einflussnahme und Zwang
Neben der Unterscheidung von Original und Fälschung bietet die Entgegensetzung von Zwang und Freiheit eine hilfreiche Orientierung, um Geschichte als Instrument fassbar zu machen. Dazu zählt in erster Linie die Unterdrückung oder Verzerrung historischer Erkenntnisse im öffentlichen Raum und in der Fachwissenschaft selbst. Die fortgesetzte Leugnung oder Marginalisierung des Völkermordes an den Armeniern in der Türkei während des Ersten Weltkriegs liefert hier ein prominentes Beispiel. Nicht anders in Deutschland, wo zur staatlichen Kontrolle der Kriegsschulddebatte in der Weimarer Republik eigens ein Kriegsschuldreferat geschaffen wurde, das die Arbeit eines zur Klärung der Schuldfrage eingesetzten Untersuchungsausschusses des Deutschen Reichstags lenkte. Mit Blick auf die deutsche Verhandlungsposition gegenüber den Alliierten verhinderte es zudem eine geplante Aktenpublikation sowie die Veröffentlichung des im Parlamentsausschuss erstatteten Gutachtens, mit dem Hermann Kantorowicz die Kriegsunschuldslegende zerstört hatte.
Auch die Geschichtsschreibung der Bundesrepublik kennt herausragende Fälle politischer Einflussnahme auf ihre Arbeit. Dies gilt namentlich für das vom Bundesvertriebenenministerium initiierte und finanzierte Großforschungsprojekt "Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa", das in den 1950er Jahren in starke Spannung zu den Interessen erst der Vertriebenenverbände und dann der Bundesregierung selbst geriet. Je mehr die Arbeit an der Dokumentation aus der fachlichen Eigenlogik heraus drängte, "den Vertreibungsvorgang in einen großen geschichtlichen Rahmen (zu) stellen" und somit in die Gesamtgeschichte der ethnischen Flurbereinigung des 19. und 20. Jahrhunderts einschließlich der nationalsozialistischen Volkstumspolitik einzubetten, desto mehr fürchtete der politische Auftraggeber, statt der gewünschten geschichtspolitischen Waffe der Anklage einen "Entschuldigungszettel" finanziert zu haben, der die Einmaligkeit der Deutschenvertreibung relativieren könnte. Ein geplanter Ergebnisband kam nicht zustande, nachdem der zuständige Staatssekretär die Publikation nach Lektüre der bereits verfassten Teile als "politischen Selbstmord" für sein Haus bezeichnet hatte.
Geschichtspolitische Eingriffe in die Fachautonomie gingen auch vom Auswärtigen Amt aus. In der zu Beginn der 1960er Jahre wieder aufflammenden Frage nach der deutschen Schuld am Weltkriegsausbruch 1914 versuchte das Auswärtige Amt – am Ende vergeblich – eine Vortragsreise des engagierten Verfechters der Kriegsschuldthese Fritz Fischer in die USA zu verhindern. Auch in der Auseinandersetzung mit der untergegangenen SED-Diktatur ereigneten sich in den vergangenen Jahren im Hintergrund heftige Rangeleien, die bis in die angemessene Platzierung von Politikerzitaten an einzelnen Ausstellungsorten der Berliner Gedenklandschaft reichten.
Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand stand in den 1990er Jahren immer wieder unter heftigem politischem Druck, die Bilder von Repräsentanten des kommunistischen Widerstands wie Ulbricht und Pieck zu entfernen und das kommunistisch beherrschte Nationalkomitee Freies Deutschland aus der Würdigung des Widerstands auszuklammern.
Freiwillige Selbstinstrumentalisierung
Nicht immer geht es dabei nur um die Verletzung der Fachautonomie durch wissenschaftsfremden Eingriff; manches Mal macht die Historie sich durchaus auch selbst zum Instrument politischer Absichten. Schon der als preußischer Hofnarr berüchtigte und als brandenburgischer Landeshistoriker bedeutende Jacob Paul von Gundling beschwor seinen Landesherrn, den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., seine 1708 fertiggestellte Biografie des Großen Kurfürsten aus außenpolitischen Rücksichten nicht in die Öffentlichkeit gelangen zu lassen: "Ich kann nicht läugnen, es sind allhier unterschiedliche Geheime Sachen, deswegen diese Schrifft nicht kan gedrucket werden, sonderlich in denjenigen Dingen, so Schweden, Dännemarck, Polen und den Kayser angehen, dannenhero diese Schrifft einstens wol in acht genommen werden muß."
Auf der gleichen Linie bewegte sich die gelenkte Geschichtswissenschaft der sozialistischen Länder. Sie erhob den politischen Eingriff in den Gang der Wissenschaft gleichsam zum System, wenngleich der historische Herrschaftsdiskurs diese Einvernahme mit der Doktrin der Einheit von Parteilichkeit und Objektivität zum Ausweis von Wissenschaftlichkeit selbst erklärte und in ihrer Anstößigkeit weit weniger häufig aufscheinen ließ, als dies aus der Außenperspektive zu vermuten wäre. Besonders eklatante Beispiele einer verfälschenden Vereinnahmung bietet dabei insbesondere die SED-Parteigeschichtsschreibung, in der sich die politische Macht unverhüllt zur Geltung brachte: Walter Ulbricht selbst fungierte als Vorsitzender des Autorenkollektivs, das die historische Meistererzählung des Sozialismus schrieb und über den Charakter der Novemberrevolution 1918 ebenso autoritativ entschied wie über die Rolle der KPD im antifaschistischen Widerstand oder die Etappen der DDR-Geschichte.
Wie ungeniert gerade im Hinblick auf die Parteigeschichtsschreibung die historische Erkenntnis dem politischen Interesse unterworfen wurde, lehrt genauso etwa der parteiamtliche Umgang mit den Briefen und Kassibern, die Ernst Thälmann in den elf Jahren seiner nationalsozialistischen Haft verfasst hatte: Als 1950 ein umfängliches autobiografisches Schreiben des bis zu seiner Ermordung 1944 eingekerkerten Parteiführers auftauchte, besorgte Ulbricht eigenhändig die redaktionelle Einpassung des im "Neuen Deutschland" abgedruckten Lebenszeugnisses in den antifaschistischen Heldenmythos, damit es "Ernst Thälmann trotz Kerkerhaft als unbeugsamen Kämpfer und gleichzeitig auch von einer starken menschlichen Seite zeigt".
Freilich kannte und kennt auch die nicht diktatorisch beherrschte deutsche Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert das Phänomen der Selbstinstrumentalisierung. So argumentierte der konservative Historiker Gerhard Ritter vor allem politisch, als er 1931 den mit einer marxistisch inspirierten Studie zum Wilhelminischen Imperialismus und seinem Schlachtflottenbau hervorgetretenen Eckart Kehr als einen "für unsere Historie ganz gefährlichen 'Edelbolschewisten'" ausgrenzte, der sich "lieber gleich in Rußland als in Königsberg habilitieren" solle.
Wandel der Geschichtskultur
Doch dies blieben in der westdeutschen Geschichtswissenschaft nach bisherigem Kenntnisstand bloße Einzelfälle. Historische Instrumentalisierung in dem vorgestellten Sinn stellt im Selbstverständnis unserer Zeit hierzulande keine herausragende fachwissenschaftliche Bedrohung mehr dar, sondern grassiert vornehmlich in Ländern mit schwächeren demokratischen Traditionen. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet die 2006 vom iranischen Außenministerium veranstaltete "Holocaust-Konferenz" in Teheran, die in pseudo-wissenschaftlicher Verbrämung antisemitische Hetze betrieb und zur Leugnung der Shoah aufrief. Zu wach ist dagegen hierzulande die Öffentlichkeit, zu stark die Macht der Medien, zu plural der fachliche Diskurs, als dass eine allzu grobe politische Indienstnahme der Geschichte vorstellbar wäre. So kannten, um nur ein Beispiel zu nennen, die Enquetekommissionen des Deutschen Bundestags zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zwar parteipolitische Deutungslager, aber sie unterdrückten weder abweichende Voten, noch suchten sie die Abfassung der von ihnen bestellten Fachexpertisen zu beeinflussen.
Gewiss: Die nach 1989 ausgetragenen Kabalen um die Besetzung von Leitungsposten im Bereich der politischen Bildung und der Gedenkstättenarbeit, aber auch einiger außeruniversitärer Zeitgeschichtseinrichtungen wie dem Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung künden in Fülle von der so ungenierten wie unheilvollen Einmischung politischer Instanzen. Aber alle Bemühungen um eine politisch lancierte Verhinderung historischer Arbeit und Unterdrückung gewonnener Erkenntnis haben in der bundesdeutschen Fachkultur mit ihrem System der selbstgesteuerten Forschungsförderung, der akademischen Forschungsfreiheit und der innerfachlichen Selbstbeobachtung gegenwärtig doch eher geringe Durchsetzungschancen. Der gewachsene Respekt der Politik vor der Autonomie der historischen Forschung resultiert weniger aus der gewachsenen Macht der akademischen Fachwissenschaft – die im Gegenteil ihr über lange Zeit behauptetes Deutungsmonopol längst mit den unterschiedlichen Akteuren, Formaten und Medien des Geschichtsdiskurses teilen lernen musste. Die bereitwillige Aufnahme auch belastender Forschungsergebnisse folgt vielmehr vor allem dem paradigmatischen Wandel der deutschen Geschichtskultur, die sich von einer mimetischen Traditionspflege hin zu einer kathartischen Aufarbeitungsbereitschaft gewandelt und in der Anerkennung des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs ihren nationalen Grundkonsens gefunden hat.
Wie es scheint, hat sich das seit den 1960er Jahren gegen den anfänglichen Schweigekonsens der deutschen Mehrheitsgesellschaft anrennende Projekt der zeithistorischen Aufklärung über eine heillose Vergangenheit kraftvoll durchgesetzt. Der Wille zur historischen Offenlegung ist noch in der Bonner Republik erfolgreich gegen alle Schlussstrichforderungen angegangen, er hat mit Hilfe der aufkommenden Zeitzeugen, der massenmedialen Thematisierung und der akademischen Forschung den zunächst übermächtigen Wunsch nach historischer Selbstversöhnung und Schuldentlastung gebrochen, und er hat den in der Kontroverse um die Wehrmachtsausstellung Mitte der 1990er Jahre zum letzten Mal machtvoll aufgeflammten Vorwurf der nationalen Nestbeschmutzung endgültig hinter die Grenzen des gesellschaftlich ungestraft Sagbaren verbannt.
Die Bereitschaft zur schonungslosen Auseinandersetzung mit dem noch kein Menschenalter zurückliegenden Grauen des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs trägt der vereinigten Bundesrepublik weltweit Anerkennung ein. Noch auf der anderen Seite der Weltkugel, wie etwa in Kapstadt, haben sich der Auseinandersetzung mit dem deutschen Völkermord gewidmete Lernorte als nicht zuletzt von der Kulturpolitik des Auswärtigen Amtes gern genutzte Foren der kulturellen Begegnung etabliert – das Holocaust Centre gleichsam als moderne Form der Goethe-Gemeinde, wie sie Friedrich Meinecke nach dem Zweiten Weltkrieg als Mittel einer geistigen Erneuerung nach der "deutschen Katastrophe" hatte initiieren wollen.
Für immer immun?
Doch die Annahme, dass auf diese Weise die Historie ihre politische Indienstnahme dauerhaft abgewehrt, gleichsam Immunität gegen Instrumentalität eingetauscht habe, führt in die Irre. Insbesondere der seit dreißig Jahren ansteigende Geschichtsboom, der die Erforschung der Vergangenheit aus dem Ghetto einer universitären Spezialdisziplin in die Mitte der Gesellschaft katapultiert hat, stellt zugleich die Mechanismen der fachlichen Selbstkontrolle auf neue Proben. Neben der freien akademischen Befassung haben sich heute auch in der historischen Disziplin verschiedenste Spielarten der wissenschaftlichen Auftragsforschung etabliert. So setzt der Bund im Rahmen seiner Forschungsförderung eigene inhaltliche Schwerpunkte auch in den Geisteswissenschaften.
In der historischen Unternehmensforschung hat sich lange Zeit eine Tradition der Firmengeschichte behauptet, die sich mit methodischer Konventionalität und darstellerischer Distanzlosigkeit zum hagiografischen Sprachrohr unternehmerischer Selbstdarstellung machen ließ. Als Subdisziplin von "fragwürdigem wissenschaftlichem Wert" ist dieser Zweig der Unternehmensgeschichte daher bereits seit Längerem in den Fokus auch innerfachlicher Kritik geraten.
Die Janusköpfigkeit der historischen Instrumentalisierung beschränkt sich nicht auf ihre intentionale Inanspruchnahme. Sie findet unvermeidbar bereits dort statt, wo die Geschichtsschreibung ihre analytische und reflexive Distanz gegen den geschichtskulturellen Konsens der Gegenwart eintauscht. Allein der Glaube, dass aus der Geschichte gelernt und damit ihre Wiederholung verhindert werden könne, sichert der Historie in unserer Zeit materielle und immaterielle Ressourcen, die ihrer disziplinären Leistungskraft enorm zugute kommen – und nimmt sie gleichzeitig in den Dienst eines volkspädagogischen Zwecks, der die kritische Auseinandersetzung mit den gesellschaftlich anerkannten Meistererzählungen ihrer eigenen Zeit erschwert. Im epochalen Paradigma der "Aufarbeitung" hat die Zusammenführung von politisch-kulturellen und wissenschaftlichen Standards der Auseinandersetzung mit der heillosen Vergangenheit des 20. Jahrhunderts breite Anerkennung erfahren, während die Risiken dieser liaison dangereuse von Geschichtspolitik, Zeitzeugenkultur und Wissenschaft bislang nur in Ausnahmefällen ins Bewusstsein treten.
Selbst die gesetzliche Kriminalisierung der Auschwitzlüge oder der Leugnung des Genozids an der armenischen Bevölkerung macht wie jede andere gesellschaftliche Kodifizierung historischer Erkenntnisse Geschichte zum Instrument außerfachlicher Zwecke. Gesellschaftlich weithin anerkannt argumentieren Stimmen im Fachdiskurs, die der Erinnerung in der Figur des "moralischen Zeitzeugen" und seiner Authentizität einen von der Empirie gelösten Erkenntniswert zubilligen,
Dies führt zu dem gerade für die heutige Diktaturaufarbeitung so provokanten Satz Reinhart Kosellecks, dass Geschichte von den Siegern zwar erfolgreich gemacht, aber nicht erfolgreich geschrieben wird, und der geschichtliche Wandel im Gegenteil von den Besiegten zehrt, weil nur sie auf kritische Befragung statt auf bequeme Bestätigung des Status quo zielten.
Gebrauch und Missbrauch
Doch auf der anderen Seite gilt ebenso, dass Geschichte, wo immer sie aus der akademischen Sphäre heraustritt, nie zweckfrei ist, sondern immer auch eine Indienstnahme bedeutet. "Histotainment" in den Massenmedien und in der historischen Eventkultur ist Teil unseres Alltags, und die Bewirtschaftung der Vergangenheit hat im Zuge des Geschichtsbooms neben der populären Geschichtsvermittlung längst Felder erobert, in denen es weniger um die Vergangenheit als vielmehr um die Zukunft geht. Geschichtsmarketing zählt zu den wichtigsten Maßnahmen der Kundenbindung, gleichviel ob es sich im augenzwinkernden "Retrostyle" von Kleinwagen in der Autoindustrie zeigt oder in der geschichtstouristischen Vermarktung von Altstädten und Gedenkorten, in der Nutzung historischer Ikonen für das product placement oder in der Schaffung von Herstellervertrauen durch Traditionsversicherung, die noch bis in die Werbung für das tägliche Morgenbrötchen reicht: "Heiß drauf. Seit 1887."
So führt die Frage nach Geschichte als Instrument notwendigerweise zu einem widersprüchlichen Befund. Nicht jeder Gebrauch der Geschichte ist zwingend Missbrauch; von Instrumentalisierung lässt sich sinnvollerweise nur dort sprechen, wo die fachliche Erschließung der Vergangenheit beabsichtigt oder unbeabsichtigt zur außerfachlichen Beglaubigungsinstanz wird. Empirische Verfälschung, normative Fesselung und teleologische Verzerrung sind Spielarten einer Indienstnahme der Historie, denen die Geschichtswissenschaft mit ihren reflexiven Kräften immer wieder kritisch zu begegnen hat und auch erfolgreich begegnen kann. Darüber hinaus aber den öffentlichen Gebrauch der Geschichte selbst als grundsätzlich illegitim und verfälschend zu verdammen, würde nicht nur die fachlichen Wirkungs- und Entwicklungschancen verschenken, die sich aus der Inanspruchnahme historischer Expertise im politischen und gesellschaftlichen Raum ergibt. Es würde am Ende die Historie von der immer wieder bedrohten und zu verteidigenden Zweck- und Bindungsfreiheit in die offenbare Sinnlosigkeit überführen.