Im Mai 2013 wurde in Leipzig der 150. Jahrestag der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins am 23. Mai 1863 gefeiert. Er gilt als Geburtsdatum der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Auch die Bundeskanzlerin gratulierte. Doch die Geschichte der Arbeiterbewegung ist nicht allein eine der SPD oder anderer Parteien. Sie ist eng verknüpft mit der Geschichte der deutschen Demokratie. Die Organisation der Arbeiterbewegung in politischen, gewerkschaftlichen und kulturellen Zusammenhängen war ein wichtiger Faktor auf dem Weg zur Mitbestimmung und Mitregierung der Arbeiterklasse und benachteiligter Schichten insgesamt.
Der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter im 19. Jahrhundert um politische Gleichheit sowie um Zugang zum und Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand ist indes älter, als es das Gründungsdatum der ersten politischen Partei, die sich dieses Ziel auf die Fahnen schrieb, zu suggerieren scheint. Bereits die Französische Revolution wurde getrieben vom Prinzip, Lebenschancen von der sozialen Herkunft einer Person loszulösen. Der republikanische, demokratische und soziale Rechtsstaat ist die verfassungsrechtliche Verkörperung dieses Prinzips, das auch auf Ideen des Liberalismus gründet.
Welche Bedeutung hat die Arbeiterbewegung heute für eine humane Gestaltung der Arbeitsbeziehungen? Zwar konnten in den Industriestaaten Verarmung, Verelendung und Ausbeutung wie zu Zeiten der Frühindustrialisierung weitgehend überwunden werden, aber der Widerspruch im Verhältnis zwischen Arbeit und Kapital ist auch in der Marktwirtschaft wirkmächtig. Nicht zuletzt die Finanz- und die Eurokrise verdeutlichen, dass Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen Regulierung benötigen und der Kapitalismus der "Zähmung" bedarf. Der jahrzehntelange Kernkonflikt innerhalb der Arbeiterbewegung – Wandel der sozialen Verhältnisse durch Revolution oder durch Reformen – ist heute kaum mehr bestimmend. Vielmehr gilt es zu klären, wer heute als Subjekt der Arbeiterbewegung gelten kann. Von welchem Verständnis von Arbeit muss ausgegangen werden? Welche Auswirkungen haben sich globalisierende Handels- und Marktbeziehungen auf die sozialen Verhältnisse? Welche Konsequenzen erfordern die regelmäßigen Krisen des Kapitalismus?