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Frauen in den italienischen Mafias

Alessandra Dino,

/ 16 Minuten zu lesen

Lange haben sich Überlegungen und Analysen zum Thema Mafia nur am Rande mit Frauen beschäftigt und zudem schwer damit getan, die Existenz einer spezifisch weiblichen Realität in den mafiösen kriminellen Lebenswelten anzuerkennen. Es handelt sich um eine ignorierte Wirklichkeit, einerseits aufgrund von hartnäckigen geschlechterspezifischen Vorurteilen, andererseits aufgrund mangelnder Kenntnisse des Phänomens, was auch in die Bereiche Fahndung, Ermittlung und Justiz hineinwirkt. Von den Mitgliedern der Mafia ist diese weibliche Realität verdunkelt und verfälscht worden, doch hat sie eine zentrale Bedeutung. Aus der verbreiteten Unterschätzung der Rolle von Frauen in ihren Kreisen haben die Mafiosi in Momenten, in denen sie sich massivem Druck durch die Justizbehörden ausgesetzt sahen, beträchtliche Vorteile gezogen. So zum Beispiel indem Frauen die Kontrolle über das Territorium und die Leitung der illegalen Geschäfte übertragen wurde, im Vertrauen darauf, dass ihnen Straffreiheit garantiert würde.

Durch den männlichen Blick gefiltert hat das Bild der Frauen in Mafias deformierte Züge angenommen und somit Gemeinplätze und falsche Mythen genährt, wodurch ihnen eine marginale Rolle und die Stellung des Opfers zugedacht oder dämonische Eigenschaften angedichtet wurden. Studien über die Rolle von Frauen in den Mafias setzen in Italien erst Anfang der 1990er Jahre ein. Und als handele es sich um eine reine Genderproblematik, sind es fast immer Wissenschaftlerinnen, die das Thema aufgreifen und gleiche Berücksichtigung von weiblichen Figuren fordern, sowohl wenn es darum geht, die Gewalt anzuklagen, der sie zum Opfer fielen, als auch bei der Aufdeckung ihrer Komplizenschaft in den Machenschaften der Organisationen.

In der Tat, die Dynamiken von Inklusion und Exklusion von Frauen innerhalb der Mafia unterscheiden sich kaum von denen, die sich außerhalb der mafiösen Kontexte finden. Es ist daher notwendig, das Phänomen vor diesem Hintergrund zu betrachten, um Gettoisierung und Vorurteile zu vermeiden. Heute können wir sagen, dass – bei allen Unterschieden, die den spezifischen Eigenheiten der kriminellen Gruppen geschuldet sind – Frauen in den mafiösen Kontexten in vergleichbarer Form ausgeschlossen werden, wie es in der Gesellschaft insgesamt zu beobachten ist: Auch hier werden sie in den Schaltstellen der Macht und in der öffentlichen Sphäre oft an den Rand gedrängt und sind in der Minderheit.

Zwischen Fremdheit und Inklusion

Das Stereotyp, dem zufolge Frauen in den organisierten Gruppen der mafiösen Kriminalität keinen Raum hätten, hat weite Verbreitung gefunden. So ist selbst in Situationen, in denen die Fakten auf Strafbarkeit hinwiesen, oft vermieden worden, ein Strafverfahren einzuleiten, weil man meinte, Frauen seien unfähig, verantwortlich und autonom zu handeln. Bis in die 1990er Jahre wurden viele von Frauen begangenen Vergehen, die den mafiösen Straftaten zuzuordnen wären, zurückgestuft in die Kategorie persönlicher Vorteilsnahme – ein Verbrechen, das gemäß Artikel 384 des italienischen Strafgesetzbuchs nicht verfolgbar ist, sofern es durch einen Verwandten begangen wird – oder sie wurden als psychische Pathologien klassifiziert. Diese Herangehensweise hat dazu geführt, dass der weibliche Beitrag zu den Aktivitäten der mafiösen Familien in falschen Dimensionen dargestellt wurde. Weiterhin wurde hierdurch eine zweigleisige Bewertung gerechtfertigt, die typisch mafiöse, jedoch von Frauen verübte Vergehen mit größerer Milde behandelt. Die Ergebnisse der Untersuchungen zum Thema haben gezeigt, dass diese sozio-juridische Rekonstruktion der Prüfung problematisch ist, da sie zu einer unterschiedlichen Bewertung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Frauen im Fall von mafiösen Straftaten führte. In der Folge kam es in Italien nach 1990/91 zu einem bedeutenden Anstieg der Fälle, in denen gegen Frauen wegen Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung nach Art der Mafia Strafanzeige erhoben wurde.

Richtet man den Blick auf das Innere des mafiösen Universums, so stellen wir fest, dass Frauen oft als fremde Figuren betrachtet werden. Die weibliche Andersartigkeit ist eine beunruhigende; Frauen führen eine Grenzexistenz, die es ihnen schwer macht, sich einen Raum und Ausdruck zu verschaffen. Ihre Geschichten sind voller Schweigen. In zweitklassige Rollen verbannt, werden ihre Befugnisse als minderwertige betrachtet. Allerdings wird vergessen, dass es in Machtstrukturen wie den kriminellen mafiösen Vereinigungen nur wenige Spitzenfiguren geben kann, und dass es "normal" ist, dass darunter nur wenige Frauen sind. Dagegen gibt es viele Mitläufer und Unterstützer; die, ohne selbst zu schießen, der Organisation erlauben, zu existieren. Unter anderem indem sie flüchtigen Verbrechern Unterstützung bieten, Nachrichten überbringen, den pizzo, das Schutzgeld, abkassieren. All diese Aktivitäten, werden häufig von Frauen ausgeführt.

Die vielfältigen Bereiche, in denen "weibliche" Pflichten innerhalb der Mafia liegen, sind, wenn auch nicht alle auf die Sphäre der Kriminalität zurückzuführen, doch von zentraler Bedeutung für die Organisation: Durch Zwangsverheiratung wird die Bande zwischen den mafiösen Familien gestärkt, Frauen erziehen die Kinder im Sinne und nach den Regeln der Organisation, pflegen die religiösen Beziehungen und üben eine strategische Rolle in den kommunikativen Prozessen aus. Frauen sind das Vehikel für ein Bild von Normalität, das Zustimmung im Umfeld der Mafia herstellt. In Momenten der Not erfüllen sie Aufgaben von hoher Verantwortung (angefangen von der Sammlung von Lösegeldern bis zur Führung des Clans), wobei sie die Kontrollen der Polizeikräfte sowie die Repressionen der Justiz umgehen; sie sind symbolische Instrumente und Opfer von Racheakten.

Frauen der Cosa Nostra

Die Frauen der Cosa Nostra spielen – sowohl im strikt kriminellen Bereich wie im mafiösen Alltag – eine herausragende Rolle. Als Erzieherinnen und Gedächtnis der individuellen und familiären Erinnerung kommt den Frauen die Aufgabe zu, den Kult der Toten weiterzutragen und das Verhältnis zur Religion zu pflegen. Hinter der formalen Beachtung der religiösen Vorschriften verbirgt sich eine erhebliche Instrumentalisierung der Religion zugunsten der mafiösen Organisation und der eigenen Familienmitglieder.

In einem von Gewalt und Überwältigung gekennzeichneten Alltag leben die Frauen im beständigen Kontakt mit der Todesangst. Auch weil sie diesen Zustand verinnerlicht haben und darin Selbstschutz finden, verteidigen sie die mafiöse Tradition nach außen, indem sie öffentlich die Unschuld ihrer Familienangehörigen proklamieren und die weibliche Komponente der famiglia betonen. So wundern auch nicht die heftigen Reaktionen der Verwandten und Familienangehörigen, gegenüber sogenannten pentiti, ehemalige Mafiosi, die mit der Justiz zusammenarbeiten (man spricht auch von Kollaborateuren der Justiz): Beschimpfungen, Spott, gnadenlose Anschuldigungen, sogar Verstoßung von Ehemännern und Söhnen. So der Fall von Marianna Bruno, die, nachdem sie davon erfahren hatte, welche Rolle ihre Söhne Emanuele und Pasquale Di Filippo bei der Festnahme des Bosses Leoluca Bagarella gespielt hatten, der Presse erklärte: "Der Schmerz ist zu groß. Ich betrachte Emanuele und Pasquale nicht länger als meine Söhne. Ich möchte sie nicht wiedersehen."

Innerhalb der Familiengemeinschaft ist die Stellung der Frau überaus vieldeutig, so wie das Fühlen und Handeln vieler Mafia-Frauen ambivalent ist. In den nicht seltenen Fällen, in denen es auf den Versuch ankommt, die verwandtschaftliche Familie vor der kriminellen zu "retten", sind sie verpflichtet, die eigenen Gefühle und Leidenschaften "einzufrieren". Wenngleich sie scheinbar respektiert sind, werden Frauen oft Opfer der internen Gewalt von Ehemännern und anderen Familienmitgliedern. Zu den Prozessen der Aufnahme in die Organisation sind sie nicht zugelassen, weil – wie Gioacchino Pennino, ein Kollaborateur der Justiz, erklärte – die Cosa Nostra Frauen stets als unmännliche Subjekte, Wesen ohne Charakterstärke betrachtet habe. Trotzdem sprechen die Ehrenmänner dem Umstand große Bedeutung zu, dass sie in ihren Ehefrauen Partnerinnen haben, die sich "ihrer Rolle bewusst" sind, sowohl in ihren Beziehungen zur Außenwelt als auch in der Ausübung der illegalen Aktivitäten.

So verhindert der formale Ausschluss der Frauen von der ordentlichen Aufnahme in die Organisation nicht, dass sie Aufgaben erster Ordnung erfüllen. Giusy Vitale, vormals Mitglied einer machtvollen Mafia-Familie aus Partinico in der Provinz Palermo, nach ihrer Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung mafiösen Typs zu einer Kollaborateurin der Justiz geworden, berichtet: "Die Rolle der Frau als solche lässt es nicht zu, dass sie offiziell in die Cosa Nostra aufgenommen wird, jedoch ist die Frau in der Praxis die Säule, die das Gebäude stützt." Es ist schwierig zu bestimmen, ob die Elemente von "Emanzipation" oder die traditionellen Formen von Unterordnung überwiegen: Die Auseinandersetzung mit den Frauenrollen der Mafias geht über die Gegensätze hinaus, die das dialektische Modell von Modernität und Tradition anbietet. Sie stellen sich als wesentlich vielgestaltiger dar. In einem ambivalenten Wechsel von Zugehörigkeit und Ausschluss, von Ausgrenzung und Protektionismus, von Schwäche und Stärke und angetrieben von gravierenden zufallsabhängigen Umständen (Verhaftungen, unvorhergesehene wirtschaftliche Notlagen) sind die Frauen die neuen Interpretinnen der mafiösen kommunikativen Strategie geworden. Ihr Verhalten hat einen unumkehrbaren Bruch mit einer Vergangenheit des Schweigens geschaffen.

Frauen der Camorra

Den historisch-soziologischen Zugang zu den Mafias mit Ansätzen aus den Genderstudies verknüpfend, hat Gabriella Gribaudi die Besonderheit der Frauenrollen in der Camorra betont. Es sind Rollen, die ein deutlicheres Profil haben und sich in historischer Perspektive betrachtet gewissermaßen als Vorreiterrollen kennzeichnen lassen. So kam es nicht selten dazu, dass Frauen führende Positionen und entsprechende Aufgaben in den Clans übernommen haben, mit Leitungsfunktionen in den wirtschaftlichen Aktivitäten der Gruppe und Befehlsverantwortung ausgestattet. Diese etwas unklarere Trennung der Geschlechterrollen in der Camorra steht überdies in der Tradition der Kultur der "Spanischen Viertel" Neapels, die sich seit dem 19. Jahrhundert durch eine "sehr geringe Segregation zwischen den männlichen und weiblichen Welten" kennzeichnen.

Ein weiterer Faktor, der die herausragende Stellung der Frauen der Camorra fördert, ergibt sich aus der Beschaffenheit der kriminellen Vereinigung, in der die geschäftliche Dimension Vorrang hat vor der Ausübung von politischer Kontrolle über das Territorium. Die Treue zur kriminellen Gruppe ist eine Andersartigkeit dieser Frauen, die – obgleich Protagonistinnen der Geschicke der Organisation, zudem mit Führungsrollen bekleidet – nicht als "emanzipiert" gelten können, denn oft "interpretieren sie Figuren, Rollen, soziale Kodizes, die in einer Geschichte und Tradition verwurzelt sind".

Nicht desto trotz gibt es unzweifelhafte Anzeichen von Neuerungen in den von ihnen unternommenen Lebenswegen; das geht soweit, dass die formale Unterscheidung zwischen den den Geschlechtern zugeordneten Rollen infrage gestellt werden muss; Gribaudi zufolge entstehe dadurch "ein sozialer Raum Mann-Frau, in dem die moralischen Kodizes, Praktiken, Rollen ein verschwommenes Kontinuum darstellen, aus dem die Menschen fischen, um sich ihre eigene Identität zusammenzustellen, bis zu der extremen Entscheidung, eine andere Identität zu wählen als jene, die die Kultur der biologischen Natur zuschreibt".

Die entscheidende Rolle, die Frauen in den neapolitanischen kriminellen Organisationen spielen, tritt zutage in den Nachrichten, die von Städten wie Neapel oder aus anderen Ortschaften der vesuvianischen Provinz berichten. Es stimmt, dass die Frauen der Camorra – soweit es ihnen möglich ist – dem Schicksal ihrer Männer folgen, indem sie ihnen bei der Flucht vor Strafverfolgung, bei bewaffneten Konflikten und bei den Aktivitäten der gesamten camorristischen Gruppe Unterstützung leisten. Es ist auch richtig, dass sie nur selten selbst Gewalt ausüben. Aber es ist ebenso wahr, dass sie unmittelbar und entscheidungsverantwortlich mit Verhandlungen über illegale Aktivitäten, der Bildung von kriminellen Allianzen und Netzwerken, der Organisation und Abwicklung von Geldwäsche und Reinvestitionen von gewaschenem Geld betreut sind.

Exemplarisch ist der Fall von Teresa Deviato, die, nachdem sie 1991 im Alter von 43 Jahren verwitwet war, den Posten ihres ermordeten Mannes und die Organisation der Schutzgelderpressung im Viertel der Via dei Tribunali im Zentrum von Neapel übernahm. Erwähnt sei auch das Schicksal von Immacolata Capone, zunächst Ehefrau des Camorrista Giorgio Saliero, dann mit einem Clan-Chef von Sant’Antimo liiert, die am 17. März 2004 nach Ritualen ermordet wurde, die echten Mafia-Bossen vorbehalten sind.

Frauen der ’Ndrangheta

Auch in der kalabresischen ’Ndrangheta bekleiden die Frauen eine erstrangige Rolle, akzentuiert durch den Umstand, dass die Organisationsstruktur grundsätzlich auf verwandtschaftlichen Beziehungen basiert. Oftmals stimmen die Blutsfamilie und die kriminelle Familie überein. Eine intensive gefühlsmäßige Betroffenheit (die Beziehung zum Ehemann, Freund oder Verlobten, Bruder oder Vater) kann zu extremen Verhaltensweisen führen. Mehr als in anderen verbrecherischen Kontexten hat im Fall der ’Ndrangheta ein enges Universum von geschlossenen und traditionellen Beziehungen die Frauen in Rollen verbannt, die als randständig und passiv betrachtet werden müssen. Verschiedene Zeugnisse berichten davon, dass ihnen Gewalt und Demütigungen nicht erspart wurden, gleichsam als wolle man die Unveränderlichkeit der Machtbeziehungen innerhalb der Familie, der Gesellschaft und der Organisation bekräftigen.

Auch im Umfeld der kalabresischen Mafia besetzen Frauen unterschiedliche Räume und erfüllen vielfältige Aufgaben: angefangen vom Übermitteln und Zustellen von Nachrichten an inhaftierte oder flüchtige Verwandte über den Einzug von Schutzgeldern und Teilhabe in den wirtschaftlichen Aktivitäten der Organisation. Nicht zu unterschätzen sind die Anbahnung von strategischen Hochzeiten, die die Basis der Allianzen zwischen den mafiösen Familien bilden und für die Erziehung der Kinder grundlegend sind. So wird verständlich, warum in der ’Ndrangheta die Möglichkeit existiert, den Frauen, die sich in besonderem Maße für die Organisation verdient gemacht haben, einen Ehrentitel zu verleihen: sorelle d’omertà (Schwestern der omertà). Schon in den Gerichtsakten des ausgehenden 19. Jahrhunderts sind Spuren von der Präsenz von Frauen in den kriminellen Vereinigungen zu finden sowie Beweise dafür, dass einige von ihnen "als Männer verkleidet" den Schwur geleistet haben, um der lokalen picciotteria beizutreten.

Die Prozesse der Modernisierung und der Expansion der ’Ndrangheta außerhalb des kalabresischen Territoriums haben dazu beigetragen, die weiblichen Rollen sichtbarer und zugleich diffuser zu machen. Signifikant ist die Geschichte der Maria Morello, vollkommen in die lombardische ’Ndrangheta integriert und vom Clan der Mazzaferro damit betraut, die Ziele von Raubüberfällen zu identifizieren, Waffen zu verstecken, Netzwerke zum Schutz der Mitglieder des Clans zu bilden. Die unbestrittenen Qualitäten Morellos sind von der ’Ndrangheta anerkannt worden, die ihr die höchsten Auszeichnungen verliehen hat: die "Mitgift" der santista (einer der höchsten Grade innerhalb der Hierarchie der Organisation) zusammen mit jener der sorella di omertà.

Die Nachrichten und Untersuchungen der Richterschaft haben nach und nach die Beteiligung von Frauen in den kalabresischen verbrecherischen Organisationen zutage gefördert. Im Laufe der Untersuchungen im Zusammenhang mit den Mafiamorden in Duisburg am 15. August 2007 haben die Richter 51 Haftanordnungen erteilt, 8 davon betrafen Frauen, die wegen Mitgliedschaft zu oder Begünstigung von mafiösen Vereinigungen angeklagt wurden: Es sind Mütter, Ehefrauen, Töchter, Schwestern und Schwägerinnen der ’Ndranghetisti, die als Drahtzieher des Massakers gelten. Sie wurden gefilmt oder abgehört, während sie die Täter auf ihrer Flucht geleiteten oder den Kauf der Kalaschnikows verhandelten, die als Mordwaffen zum Einsatz kamen. Das Urteil in erster Instanz hat die Schuld von Sonia Carabetta bestätigt, die zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.

Im April 2009, im Laufe der Operation "Artemisia", haben die Carabinieri der Region Kalabrien sechs Frauen verhaftet, die in bedeutendem Maße an kriminellen Aktivitäten mitgewirkt haben sollen, indem sie ihre Familien anlässlich militärischer Angriffe durch die rivalisierenden Clans zusammenhielten und die Rückkehr von Mafiosi aus dem Norden in ihre Heimatorte organisierten, um somit besser auf die Angriffe der Gegner reagieren zu können.

Es profilieren sich also ausgeprägtere und sichtbarere Rollen für die Frauen der ’Ndrangheta. Aber auch in diesem Fall kann man nicht von Emanzipation sprechen, da das Ungleichgewicht zu der von Männern ausgeübten Macht und Gewalt unverändert bestehen bleibt – einer Macht und Gewalt, die fürchterlich zuschlagen kann, wie das tragische Ende einiger Frauen der ’Ndrangheta belegt, die sich zur Zusammenarbeit mit der Justiz entschlossen hatten, und aufgrund dieser Entscheidung in ihren "Selbstmord" getrieben wurden.

Frauen in der Sacra Corona Unita

Eine andere Position haben die Frauen der Sacra Corona Unita (SCU) inne. Am 1. Mai 1983 gründete Giuseppe Rogoli im Gefängnis die Organisation, um der Anwerbung durch die Anhänger der Nuova Camorra Organizzata in den Haftanstalten Einhalt zu gebieten und das apulische Territorium vor der Infiltration durch diese Organisation zu verteidigen. Die Ursprünge der Vereinigung haben nicht nur die Konfiguration der Organisation vorbestimmt, sondern auch deren wichtigste Strategien, Aktionen und Entscheidungen. So haben sie auch die Rolle der Frauen geprägt, die – um ihre inhaftierten Angehörigen unterstützen zu können – in die kriminellen Aktivitäten einbezogen wurden.

Die Frauen, die der SCU nahestehen, gehen schnell über "von einer Phase der Gefügigkeit, von Passivität und unausgesprochener Unterstützung der Aktivitäten des Mannes, zu einer Phase, die sich durch eine innovative Aufgabe kennzeichnet und die sie allmählich aus dem Limbus der sogenannten Begünstigungen heraus- und hinführt zur Erlangung einer aktiven Rolle und damit zu einer gewissen Sichtbarkeit." Während sie zunächst gebraucht wurden, um einer Notsituation zu begegnen, hat sich ihre Position in der kriminellen Gruppe mit der fortdauernden Abwesenheit ihrer Angehörigen normalisiert und gleichsam institutionalisiert, wodurch die Grundlagen für eine unumkehrbare Situation gelegt wurden (auch für den Fall, dass die Angehörigen aus der Haft entlassen werden).

Auch in der SCU gibt es entsprechend der verschiedenen, innerhalb der mafiösen Organisation ausgeübten Funktionen unterschiedliche Bereiche, in die Frauen involviert sind. Zu den institutionalisierten Rollen gehören die messaggera, die Botin, "die die Verbindungsbrücke zwischen dem Gefängnis und der Außenwelt bildet und den inhaftierten Anverwandten Nachrichten übermittelt", die collettrice di denaro, die Geldsammlerin, "die sich damit beschäftigt, das aus den verschiedenen Aktivitäten der Gruppe zusammenkommende Geld zu sammeln und es unter den Gruppenmitgliedern nach Bedarf zu verteilen", ferner gibt es die amministratrice, die Verwalterin, "die praktisch mit der Steuerung von illegalen Geschäften oder einzelner Bereiche der kriminellen Märkte betraut ist" und schließlich die consigliera, die Beraterin, "die aufgefordert ist, ihre Meinung zu Fragen zu äußern, die mit laufenden Konflikten mit rivalisierenden Gruppierungen zu tun haben, die die Abrechnung innerhalb des eigenen Clans betreffen oder die Machtverteilung in einer Familie". Zahlreich sind auch die Beispiele von starken kriminellen Rollen, die von Frauen mit enormer Grausamkeit und Entschlossenheit ausgefüllt wurden.

Zukünftige Szenarien

Die hier geschilderten Rollen von Frauen innerhalb der italienischen Mafias weisen gewisse Ähnlichkeiten zu den weiblichen Aufgaben und Befugnissen in anderen internationalen Bereichen der Organisierten Kriminalität mafiöser Art auf. Unabhängig von den spezifischen Charakteristika, die sich aus den Unterschieden der einzelnen kriminellen Organisationen ergeben, zeigen die Analysen einige wiederkehrende Elemente: eine hohe Dunkelziffer von kriminell aktiven Frauen, ein enger Zusammenhang zwischen den Typologien der von Frauen begangenen Verbrechen und dem sozialen Kontext und Umfeld, in dem sie agieren, die Bereichsbezogenheit ihrer kriminellen Aktivitäten, die häufige Abkunft weiblicher krimineller Macht von jener der männlichen Familienmitglieder, die Schwierigkeit, Anerkennung für ihre Rollen zu finden und diese zu formalisieren oder ihre fast vollkommene Abwesenheit in den Zentralen der konkreten Machtausübung.

Mittlerweile verändern sich auch die Mafias schrittweise, indem sie immer engere Beziehungen zur Wirtschaftskriminalität knüpfen und auf diese Weise versuchen, eine fortschreitende formale Legalisierung der kriminellen Aktivitäten zu erwirken.

Es ist schwierig, in diesem fluiden Szenario die Veränderungsprozesse zu skizzieren, die weibliche Figuren betreffen. Indes ist das Auftauchen einer neuen, qualifizierten und professionell agierenden Figur von Frau zu bemerken, die aufgrund ihrer speziellen Kompetenzen in die jeweilige Organisation eingebunden ist und mit dieser eine immer organischere Beziehung eingeht, die traditionsgemäß in der erworbenen oder Blutsverwandtschaft verwurzelt bleibt – getreu des binomischen Erfolgsrezeptes Tradition-Innovation, das die Mafias seit Urzeiten auszeichnet.

Neben diesen Fällen von Anpassung stehen jene von Zusammenarbeit mit der Justiz, die oft einem Bedürfnis nach Freiheit entspringen, das in dem Verlangen nach "größerer persönlicher Autonomie" Ausdruck findet, während es sich nur schwer mit der Forderung nach geteilten Rechten verbindet.

Der Prozess des langsamen Eindringens in die öffentliche Sphäre produziert merkliche Konsequenzen für die Geschlechterbeziehungen innerhalb der Mafia-Organisationen. Immer mehr Aufgaben und Obliegenheiten werden aus Gründen der organisatorischen Funktionalität an Frauen delegiert, was Kreuzungsprozesse entfesselt, in denen Frauen in traditionellen Männerrollen agieren, wobei sie eigentümlich weibliche Emotionen mit einbringen. Trotz ihrer formalen Anerkennung stoßen die Frauen der Mafia noch auf enorme Hindernisse in einer männlich geprägten Welt, die sich vornehmlich durch Beziehungen von Kraft, Stärke und Ansehen gestaltet, und wo sehr darauf geachtet wird, die eigenen Privilegien zu wahren. Dennoch wird die veränderte Rolle dieser Frauen sicherlich die künftigen Ordnungen der mafiösen Vereinigungen sowie die Entwicklung der Beziehungen zwischen den kriminellen Organisationen beeinflussen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Teresa Principato/Alessandra Dino, Mafia donna. Le vestali del sacro e dell’onore, Palermo 1997; Giovanni Fiandaca (Hrsg.), Women and the Mafia, New York 2007.

  2. Vgl. Renate Siebert, Le donne, la mafia, Mailand 1994; Anna Puglisi, Donne, mafia e antimafia, Palermo 1998.

  3. Vgl. Renate Siebert, Donne in terra di mafia: i riflessi del processo di emancipazione femminile, in: Il Mulino, 48 (1998) 1, S. 53–62; Alessandra Dino, Women and transnational organized crime: the ambiguous case of the italian Mafias, in: Felia Allum/Stan Gilmour (eds.), Routledge Handbook of Transnational Organized Crime, London – New York 2012.

  4. Vgl. Giovanni Fiandaca, La discriminante sessuale tra paradigmi giudiziari e paradigmi culturali, in: Segno, 13 (1997) 183, S. 19–28; Marina Graziosi, Infirmitas sexus. La donna nell’immaginario penalistico, in: Democrazia e Diritto, 33 (1993) 2, S. 99–143.

  5. Vgl. Tamar Pitch, Le differenze di genere, in: Marzio Barbagli/Uberto Gatti (Hrsg.), La criminalità in Italia, Bologna 2002.

  6. Zit. nach: l’Unità vom 30.6.1995.

  7. Vgl. Renate Siebert, Resoconti dal mondo accanto: quotidianità e criminalità, in: Mario Schermi (Hrsg.), Crescere alle mafie, Mailand 2010.

  8. Zit. nach: Corte d’Assise di Palermo, Sez. II, Sentenza nel proc. Pen. n. 4/04 Reg. Gen. Corte di Assise, n. 8/06 Reg. ins. sent., n. 269/04 N.R.S. 127.

  9. Siehe die Ausgabe der Zeitschrift Meridiana zum Thema Frauen in der Mafia: Donne di mafia, in: Meridiana, 67 (2010), S. 1–238.

  10. Vgl. Alessandra Dino, La mafia devota. Chiesa, religione, Cosa Nostra, Rom–Bari 2008; Francesca Viscone, La globalizzazione delle cattive idee, Soveria Mannelli 2005.

  11. Gabriella Gribaudi, Donne di Camorra e identità di genere, in: Meridiana, (Anm. 9), S. 145–154.

  12. Ebd., S. 154.

  13. Ebd., S. 153.

  14. Vgl. dies. (Hrsg.), Traffici criminali, Turin 2009.

  15. Vgl. Conchita Sannino, Il clan nell’appalto della Nato, in: L’Espresso vom 23.6.2006.

  16. Vgl. Enzo Ciconte, ’Ndrangheta dall’Unità a oggi, Rom–Bari 1992.

  17. Vgl. Antonio Zagari, Ammazzare stanca. Autobiografia di uno ’ndranghetista pentito, Cosenza 1992.

  18. Vgl. Ombretta Ingrascì, Donne, ’Ndrangheta, ’ndrine, in: Meridiana, 67 (2010), S. 35–54, hier: S. 41.

  19. In ihrem kriminellen Curriculum werden unter anderem Ausfertigung von ungedeckten Schecks, Unterschlagung von gepfändeten Dingen, Fälschung von Wertpapieren und Schuldscheinen, Drohung, Widerstand gegen öffentliche Gewalt und Schmuggel aufgeführt.

  20. Vgl. O. Ingrascí (Anm. 18), S. 45.

  21. Vgl. Agenzia Ansa vom 20.4.2009.

  22. Vgl. Alessandra Dino, Un mondo in frantumi, in: Narcomafie, 20 (2012) 3, S. 45–53.

  23. Vgl. Monica Massari/Cataldo Motta, Women in The Sacra Corona Unita, in: G. Fiandaca (Anm. 1), S. 56.

  24. Ebd., S. 57.

  25. Ebd., S. 65f.

  26. Vgl. Margaret Beare, Women and Organized Crime, Research and National Coordination Organized Crime Division Law Enforcement and Policy Branch, Public Safety Canada, Report Nr. 13/2010.

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Dr. phil., geb. 1963; Soziologin an der Universität von Palermo, Viale delle Scienze ed., 12, 90128 Palermo/Italien. E-Mail Link: alessandra.dino@unipa.it