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Strategien zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität – Beispiel Strafrecht | Organisierte Kriminalität | bpb.de

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Strategien zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität – Beispiel Strafrecht

Michael Kilchling

/ 16 Minuten zu lesen

Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität beherrscht die (rechts-)politische Agenda in Deutschland seit den späten 1980er Jahren. Zwar hat sich die mediale Aufmerksamkeit – und in deren Fahrwasser auch die der Politik – nach dem 11. September 2011 verschoben und konzentriert sich seither primär auf die Prävention und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dennoch erscheinen die speziell auf den Terrorismus ausgerichteten Verschärfungen des Straf- und Strafprozessrechts im direkten Vergleich als eher punktuelle Eingriffe. Der Schwerpunkt der Änderungen nach "9/11" lag eindeutig im Polizeirecht, dem Aufenthalts- und Ausländerrecht und anderen verwaltungsrechtlichen Materien. Hingegen waren und sind es bis heute die Initiativen gegen die Organisierte Kriminalität (OK), die das deutsche Straf- und Strafprozessrecht besonders nachhaltig verändert haben. Infolge der extremen Seltenheit terroristischer Vorfälle beziehen sich auch Maßnahmen, deren Notwendigkeit mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der OK gerechtfertigt wird, in der Praxis vor allem auf den letzteren Kriminalitätsbereich. Hinzu kommt, dass die Berufung auf vermeintliche Erfordernisse im Anti-Terror-Kampf mitunter auch als politisches Rechtfertigungsmuster herhalten muss, in Wahrheit aber andere Deliktsbereiche wie die OK im Fokus hat. Und umgekehrt können für Ermittlungen bei Terrorismus auch viele der Instrumente nutzbar gemacht werden, die im Laufe der 1990er Jahre mit einem expliziten Fokus auf die OK implementiert worden sind. Der Rekurs auf das Geldwäschekontrollregime zur Eindämmung von Terrorismusfinanzierung ist hierfür ein besonders augenfälliges Beispiel.

Die charakteristischen Merkmale der OK haben neue Bekämpfungskonzepte entstehen lassen, die nicht nur zum Teil grundlegende Veränderungen des Straf- und vor allem des Strafprozessrechts mit sich gebracht, sondern – national wie europaweit – auch das Gesamtgefüge der Zuständigkeiten in der Polizei – und sogar in der Gesetzgebungshoheit verändert haben. Diese Veränderungen sind Konsequenz und Antwort auf den Charakter der OK als Transaktionskriminalität, als profitorientierte, als verdeckte und arbeitsteilig angelegte sowie als transnational agierende Kriminalität.

Auch auf europäischer und internationaler Ebene prägt die OK die rechtspolitische Agenda. Eine Vielzahl internationaler Abkommen bestimmt die nationale (Straf-)Rechtspolitik nicht unwesentlich. Und für Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union ist der gesetzgeberische Handlungsspielraum noch weiter eingeschränkt. Denn mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages ist die primäre Gesetzgebungskompetenz für die OK auf die Europäische Union übergegangen; sie ist jetzt eine der Kernmaterien des Unionsstrafrechts. Dem Bundesgesetzgeber bleibt lediglich noch ein gewisser – gesetzestechnischer – Gestaltungsspielraum bei der inhaltlich zwingenden Umsetzung des EU-Rechts. Schon zuvor hatte die EU die Anti-OK-Politik konsequent als Aktionsfeld für die Erweiterung ihrer Kompetenzen besetzt. Ein Beispiel hierfür ist die Umwandlung der Empfehlungen internationaler Fachgremien wie der Financial Action Task Force (FATF) in umsetzungspflichtiges EU-Recht. Dies ist zum einen schon deshalb problematisch, weil solche Empfehlungen eigentlich keinen Rechtscharakter haben und daher internationalrechtlich unverbindlich sind, zum anderen aber auch deshalb, weil die von der OECD eingesetzte FATF wie auch andere zwischenstaatliche Expertengremien keine demokratische Legitimation hat. Die verschiedenen Elemente der Geldwäschebekämpfung, die sich international zu der wichtigsten und kontrollintensivsten Komponente bei der Bekämpfung der OK entwickelt hat, stelle ich im Weiteren noch ausführlicher dar und konzentriere mich dabei auf das deutsche Recht und die deutsche Praxis.

Erweitertes Strafrecht

Neue Deliktsformen schlagen sich gemeinhin zunächst in Anpassungen der Tatbestände im Strafgesetzbuch nieder. Dies war bei der OK von Anfang an anders. Über den traditionellen Organisationstatbestand hinaus, der die Unterstützung oder Beteiligung an einer kriminellen Organisation unter Strafe stellt (§129 StGB), gibt es in Deutschland keine allgemeine Strafnorm "OK". Dies ist nicht verwunderlich in Anbetracht der Vielgestaltigkeit der Phänomene, die sich zudem in verschieden Kategorien der Primärkriminalität, die der unmittelbaren Gewinnerzielung dient, und der Sekundär- beziehungsweise Begleitkriminalität (Korruption, Geldwäsche sowie die interne und externe Gewaltausübung) unterteilen lassen. Diese werden im Wesentlichen durch die allgemeinen Straftatbestände abgedeckt, wobei die organisierte Begehungsweise mit den traditionellen Qualifikationsformen der "Gewerbs-" beziehungsweise "Bandenmäßigkeit" erfasst wird. Darüber hinaus ist die organisierte Begehungsweise im deutschen Recht, anders als mitunter im Ausland, weder eine eigene Rechtsfigur noch ein genereller Strafschärfungsgrund.

Sichtbarster Ausdruck der Anpassung des strafrechtlichen Normenbestandes auf die OK war die Kriminalisierung der Geldwäsche und damit zusammenhängend die Neuordnung der bereits existierenden Normen zur Vermögensabschöpfung. Damit wird die klassische Konzeption strafrechtlicher Intervention, die auf personale Abschreckung zugeschnitten ist, um einen konsequent ökonomisch beziehungsweise betriebswirtschaftlich orientierten Ansatz erweitert, der auf kriminologischen Rational-choice-Theorien basiert. Ziel ist der möglichst effektive Entzug der illegalen Profite. Damit soll zum einen die Triebfeder der OK, nämlich ihre Profitgier, neutralisiert werden. Wolfgang Hetzer hat dieses ins Unmäßige gesteigerte Profitstreben sehr prägnant als Raison d’Être der OK bezeichnet. Zum anderen soll das Betriebskapital für weitere illegale Aktivitäten der Organisationen entzogen werden. Im Hinblick auf das präventive Potenzial erscheint der Zugriff auf die Gewinne sogar zielführender als die "klassische" strafrechtliche Reaktion, die sich in der Regel auf die temporäre Inhaftierung einzelner Beteiligter beschränkt, die jederzeit ersetzbar sind.

Die Umsetzung dieses Konzeptes bedeutete freilich eine Abkehr vom traditionellen Verständnis des heute als Geldwäsche definierten Handelns als nicht selbstständig strafbare Nachtat. Überhaupt passt dieser internationale Straftatbestand, der eine amerikanische Erfindung der 1980er Jahre ist, eigentlich nicht in das Gefüge der Vermögensstraftaten im StGB. Darüber hinaus besteht weder Klarheit über das Rechtsgut der Norm, noch lässt sich die zum Teil eklatante Diskrepanz zwischen der Strafandrohung des Geldwäsche-Straftatbestands §261 StGB und dem Strafrahmen in seinem Umfeld erklären. Um nämlich §261 in den Katalog der Anlassstraftaten für die Telekommunikations- und akustische Wohnraumüberwachung aufnehmen zu können, hat man im Zuge des 1998er-Reformpakets zur Änderung von Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) die Mindeststrafandrohung auf drei Monate Freiheitsstrafe angehoben; lediglich bei der leichtfertigen Geldwäsche (§261 Abs. 5 StGB) ist seither noch Geldstrafe vorgesehen. Hingegen ist bei der Mehrzahl der Geldwäsche-Vortaten stets auch eine Geldstrafe möglich. Dass der nachfolgende Umgang mit deliktisch erworbenem Vermögen – und dazu zählt nach der weiten deutschen Definition bereits der bloße Besitz – einen höheren Unrechtsgehalt haben soll als dessen krimineller Erwerb, ist nur schwer erklärbar. Die Geldwäsche ist letztlich ein artifizielles, technisches Delikt. Kriminalstrategischer Ansatzpunkt ist die Sekundärkriminalität, mit deren Verfolgung implizit auch die Primärkriminalität verhindert werden soll. Für diese Strategie hat man in den USA die Metapher "Al Capone-Prinzip" kreiert: Alfonso Capone konnte nie wegen Mordes oder anderer Kapitalverbrechen verurteilt werden, wohl aber wegen Steuerhinterziehung; heute würde man ihm sicherlich wegen Geldwäsche den Prozess machen.

Um die illegal erworbenen beziehungsweise gewaschenen Vermögenswerte auch einziehen zu können, bedarf es ferner effektiver Regeln zur Vermögensabschöpfung. Sie bilden neben der Strafnorm zur Geldwäsche die zweite Komponente der vermögensorientierten Doppelstrategie. Eigentlich unterlag deliktisch erworbenes Vermögen in Deutschland schon immer dem staatlichen Zugriff (Verfall und Einziehung, §§73ff. StGB); es ist, wie das Bundesverfassungsgericht schon in den 1960er Jahren entschieden hat, kein schutzwürdiges Eigentum im Sinne von Art. 14 GG. Obwohl vom Gesetz zwingend ausgestaltet, kam der Verfall in der Gerichtspraxis dennoch fast nie zur Anwendung. Daher wurden die Vorschriften durch das OrgKG 1992 umgestaltet. Wichtigste Änderung war die Umstellung vom Netto- auf das Bruttoprinzip. Kriminelle sollten das Kostenrisiko tragen und Aufwendungen für ihre häufig sehr aufwendige Logistik nicht (mehr) in Abzug bringen können. Weitere wichtige Elemente sind der Wertersatzverfall (§73a StGB), der den direkten Zugriff auf legale Vermögenswerte ermöglicht, wenn die ursprünglichen deliktischen Erträge verschoben wurden oder aus anderen Gründen nicht auffindbar sind, sowie der erweiterte Verfall (§73d StGB), mit dessen Hilfe in OK-Fällen auch Profite aus anderen, aktuell nicht angeklagten Taten eingezogen werden können. Schließlich setzt die effektive Durchsetzung dieser Maßnahmen eine möglichst zeitnahe vorläufige Sicherung der verdächtigen Vermögenswerte voraus. Dies ist im Strafprozessrecht geregelt, das im Zentrum der rechtspolitischen Aktivitäten zur besseren Bekämpfung der OK steht.

Verschärfte Ermittlungsmaßnahmen

Der Erfolg des finanzbezogenen Strafverfolgungsmodells steht und fällt mit gezielt hierauf abgestimmten Ermittlungsmöglichkeiten. Zu diesem Zweck wurde das Konzept der Finanzermittlungen entwickelt. Der Geldwäschekontrollansatz verfolgt, über das materielle Strafrecht hinaus, verschiedene weitere kriminalstrategische Zielsetzungen. Mit der Rückverfolgung verdächtiger Finanzströme (die sogenannte Papierspur) können verschiedene kriminalistische Erkenntnisse, im Idealfall auch Beweismittel, generiert werden. Diese können einen Tatverdacht begründen, die Beteiligung verdächtiger Personen indizieren oder zur Identifizierung bislang unbekannter Tatbeteiligter und Angehöriger von kriminellen Netzwerken beitragen. Weiteres Ziel ist die möglichst umfassende Aufklärung des finanziellen Hintergrundes verdächtiger Personen oder Firmen, um so die Basis für die vorläufige Sicherung der illegalen und – wenn diese nicht greifbar sind – auch legalen Vermögenswerte zu schaffen. Um diese zu erleichtern und zu beschleunigen, wurde 1998 die Verdachtsschwelle des §111b Strafprozessordnung (StPO) durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der OK auf den Anfangsverdacht herabgesetzt. Allerdings muss sich der Umfang der vorläufigen Maßnahmen an dem voraussichtlichen Wert der möglichen späteren Verfallsanordnung orientieren; es dürfen nicht einfach, sozusagen auf Vorrat, Vermögenswerte in unbegrenzter Höhe blockiert werden.

Auf der Basis des §111b StPO hat die Praxis auch das im Gesetz ursprünglich nicht vorgesehene Instrument der Rückgewinnungshilfe entwickelt. Durch die Zurverfügungstellung der Erkenntnisse aus den Finanzermittlungen soll Opfern die Durchsetzung ihrer Ansprüche erleichtert werden. Über den unmittelbaren Nutzen für die individuell Geschädigten hinaus liegt der kriminalpolitische Mehrwert der Rückgewinnungshilfe auch darin, zu verhindern, dass verdächtiges Vermögen eventuell an Täter zurückgegeben werden müsste. Dieses praxisorientierte Modell sucht in Europa seinesgleichen. Die Mehrzahl der Beschlagnahme- und Arrestordnungen erfolgt heute mit dem Ziel der Rückgewinnungshilfe. In der Absicht, diese weiter zu stärken, hat der Gesetzgeber 2006 das Instrument des "Auffangrechtserwerbs" geschaffen (§111i StPO). Demnach können Ansprüche unbekannter Geschädigter auf den Staat übergehen; diese erwerben dann einen Ausgleichsanspruch in Höhe des beschlagnahmten Vermögens gegen den Staat. Konzept und Gesetzestext sind allerdings so kompliziert geraten, dass das Verfahren in der Praxis kaum eine Rolle spielt.

Da Geldwäsche stets als Indikator für OK gilt, fungiert ein Geldwäscheverdacht auch als nützlicher door opener für die vereinfachte internationale Rechtshilfe. Anders als in anderen Kriminalitätsbereichen können die nationalen Strafverfolgungsbehörden innerhalb Europas hier direkt miteinander kommunizieren und sind nicht auf den oft mühsamen formalen Rechtshilfeweg angewiesen. Ferner ist die Geldwäsche Katalogtat für die neueren verdeckten Ermittlungsmaßnahmen wie Telekommunikationsüberwachung (§100a StPO), Verkehrsdatenüberwachung (§100g StPO), akustischen Wohnraumüberwachung (§100c StPO) und der Mobilfunkortung mit dem sogenannten IMSI-Catcher (§100i StPO). Dieser ermittlungstaktische Nutzen des Geldwäscheverdachts kann auch eine Erklärung für die Diskrepanz zwischen der recht hohen Zahl an Geldwäscheverfahren und der geringen Zahl an Verurteilungen sein.

Diese heimlichen Ermittlungsmaßnahmen sind ein weiteres Kennzeichen der Ermittlungsarbeit in OK-Verfahren. Anders als in Fällen, wo es um konkrete Taten in der Vergangenheit geht, konzentriert sich die Ermittlungsarbeit im OK-Bereich häufig auf verdächtige Personen und Gruppen, deren Aktivitäten begleitend ausermittelt werden; die Ermittlungsrichtung ist somit auch zukunftsorientiert. Durch Beobachtung sollen Erkenntnisse zu konkreten Straftaten, durch die Auswertung des Kommunikationsverhaltens solche zu interpersonalen Zusammenhängen gewonnen werden. Weitere technische Methoden wie die Rasterfahndung (§98a StPO) oder die automatisierte Kfz-Kennzeichenüberwachung (§100h StPO) können dabei ebenfalls zur Anwendung kommen. Solche Struktur- und Vorfeldermittlungen bewegen sich nicht selten in dem nicht exakt definierbaren Grenzbereich zwischen polizeilicher Präventions- und justizieller Strafverfolgungstätigkeit. Im Kontext solcher Fälle ist die Heimlichkeit von entscheidender kriminalstrategischer Bedeutung. Denn die Ausführung offener Maßnahmen wie Vernehmung oder Durchsuchung lassen die Ermittlung nach außen offenbar werden. Diesen Moment möchte man besonders in komplexen OK-Verfahren so lange wie möglich hinauszögern, um mögliche Ermittlungserfolge nicht zu gefährden.

Einige der verdeckten Ermittlungsbefugnisse wie die akustische Wohnraumüberwachung sind im Hinblick auf die OK neu eingeführt worden, andere wie die Telekommunikations- und Verkehrsdatenüberwachung wurden durch Anpassung der Anlassdelikte auf diesen Einsatzbereich zugeschnitten. Die meisten Instrumente sind parallel auch in den Gesetzen für die Bundes- und Landespolizeien und die Dienste verankert worden. Hinzuweisen ist ferner auf Kompetenzverlagerungen von den Ländern auf die Bundesebene und die EU-Ebene, wie sie noch in den 1980er und 1990er Jahren undenkbar gewesen wären.

Da eine erschöpfende strafrechtliche Definition fehlt, bilden die Katalogdelikte für die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen, die im Wesentlichen deckungsgleich sind mit dem Vortatenkatalog bei der Geldwäsche, die Essenz dessen, was der Gesetzgeber heute konkret unter OK versteht. Mit Jörg Kinzig kann man feststellen, dass OK in der deutschen Konzeption weniger ein strafrechtlicher Begriff denn "Chiffre für einen neuen Strafprozess" ist.

Weitreichende banken- und steuerrechtliche Begleitmaßnahmen

Eine effektive strafrechtliche Geldwäschekontrolle wäre nicht realisierbar ohne die Pflicht zur Mitwirkung des Finanzsektors und anderer Wirtschaftszweige, die in das administrative Geldwäschekontrollregime eingebunden sind. Dieses ist auf die möglichst flächendeckende Kontrolle sämtlicher Finanztransaktionen ausgerichtet und stellt den inzwischen am dichtesten durch internationale Vorgaben determinierten Bereich dar. Die Kontrollpflichten sind in Deutschland in dem Geldwäschegesetz (GwG) geregelt, das regelmäßig ergänzt und entsprechend den Vorgaben der EU-Geldwäscherichtlinien aktualisiert wird. Die gesetzlichen Pflichten umfassen vor allem die Überwachung aller Transaktionen und Kundenbeziehungen, die Speicherung aller Daten sowie die Pflicht, verdächtige Transaktionen bei der zentralen Meldestelle (Financial Intelligence Unit, FIU) des Bundeskriminalamts anzuzeigen und die auf Vorrat gespeicherten Daten dann im Verdachtsfall weiterzuleiten. Es mag erstaunen, warum sich hierzulande zwar die sechsmonatige anlasslose Speicherung der Telekommunikations-Verkehrsdaten zu einem so kontroversen politischen Streitpunkte entwickelt hat, während gleichzeitig die ebenfalls europarechtlich vorgegebene fünfjährige Zwangsspeicherung aller Bankdaten weitgehend unbeachtet geblieben ist – auch sie ist eine Vorratsdatenspeicherung, die so gut wie jeden Bürger betrifft.

Bei Inkrafttreten im Jahr 1993 war das GwG ausschließlich an Finanz- und Kreditinstitute adressiert und damit eigentlich eine bankenrechtliche Regelungsmaterie. Nach und nach wurde das System erweitert und bezieht jetzt auch viele andere Sektoren ein, namentlich Wirtschaftsprüfer, externe Buchprüfer, Angehörige rechtsberatender Berufe, Immobilienmakler, Spielbanken, Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im Internet sowie Personen, die gewerblich mit Gütern handeln. Als spezielles kriminalstrategisches Instrument zur Bekämpfung des organisierten Drogenhandels implementiert, wird die Kontrolle inzwischen auch zum Kampf gegen Finanz- und Wirtschaftskriminalität und Steuerstraftaten, die Terrorismusfinanzierung sowie seit einigen Jahren auch gegen Korruption eingesetzt.

Schließlich hat man den Kampf gegen die OK dazu genutzt, die einst strikte Trennung von Straf- und Steuerrecht aufzuweichen. Mit der in mehreren Schritten vollzogenen Aufnahme bestimmter Formen der Steuerhinterziehung in den Vortatenkatalog zur Geldwäsche waren weitreichende Konsequenzen verbunden. Verfahrensrechtlich wurde eine Art erweiterter Informationsverbund geschaffen, in dem Steuer- und Strafverfolgungsbehörden sich gegenseitig informieren müssen. Die Steuerbehörden bekommen hierdurch Zugriff auf sämtliche im Zuge der administrativen Geldwäschekontrolle generierten Daten. Umgekehrt sind sie verpflichtet, Geldwäscheverdachtsfälle an die FIU – und damit indirekt auch an die Strafverfolgungsbehörden – weiterzuleiten. Ferner gehen mit der Verzahnung von Steuer- und Geldwäschestrafbarkeit auch verschärfte Abschöpfungsregeln einher.

Zögerliche Nutzbarmachung von Insiderwissen

Sehr viel zögerlicher als in anderen Ländern sind in Deutschland allerdings die Anreize zur Offenbarung von Insiderwissen ausgestaltet. Während zum Beispiel in Italien die pentiti-Gesetzgebung zu den traditionellen Instrumenten der Anti-Mafia-Politik zählt, auf deren Grundlage sich im Laufe der Zeit Hunderte von – zugegeben nicht unbedingt immer glaubwürdigen – Kronzeugen gemeldet haben, waren und sind Kronzeugenregelungen hierzulande stets umstritten. Insoweit dominiert dann wieder prinzipielles (um nicht zu sagen: punitives) Denken über funktionales. Dies führt dazu, dass weder für Täter noch für Opfer sonderlich attraktive Optionen existieren, um die nicht selten mit hohen Risiken verbundene Offenbarung von Insiderwissen zu honorieren.

Zwar wurde im Jahr 1994 die ursprünglich auf Täter aus dem Umkreis des deutschen Terrorismus abzielende Kronzeugenregelung auf Personen aus der OK erweitert. Dieses befristete und mehrmals verlängerte Gesetz lief jedoch zum Jahrtausendwechsel aus, ohne dass man sich auf eine Nachfolgeregelung einigen konnte. In Kraft blieben lediglich begrenzte Strafmilderungs- und Strafverzichtsmöglichkeiten bei Personen, die auf der Grundlage der §§129 und 129a StGB angeklagt sind. Voraussetzung für deren Anwendung ist, dass geplante Straftaten tatsächlich verhindert werden können. Erst zehn Jahre später, im Juli 2009, trat die neue allgemeine Kronzeugenregelung des §46b StGB in Kraft. Obwohl eine nennenswerte oder gar exzessive Inanspruchnahme von niemandem ernsthaft beklagt wurde, hat man die Vorschrift bereits im Juni 2013 wieder geändert. Um die Möglichkeiten "übermäßiger Strafmilderung" zu beschränken, verlangt das Gesetz nun einen konkreten Zusammenhang zwischen eigener Tat und offenbartem Wissen. Wie auf diese Weise der Zweck der Regelung, geschlossene Täterkreise aufzubrechen, besser erreicht werden soll, erscheint fraglich. Die zögerliche Haltung des deutschen Gesetzgebers steht in Kontrast zum europäischen Recht, das Kronzeugenregelungen in Abweichung von seiner allgemein punitiven Grundorientierung als Instrument zur Bekämpfung der OK ausdrücklich gutheißt.

Die gesetzgeberische Zurückhaltung gegenüber der Belohnung von Insiderwissen setzt sich auf der Opferseite fort. Zwar existieren neben den allgemeinen Opferschutzvorschriften der StPO auch spezielle Zeugenschutzprogramme für gefährdete (Opfer-)Zeugen; deren Hürden sind allerdings hoch. Weitere individuelle Anreize, gar solche mit erkennbarem Belohnungscharakter, fehlen. Dies wird deutlich am Beispiel der Reform des Aufenthaltsrechtes von 2004. Dieses billigt Opfern von Menschenhandel zwar eine vorübergehende Duldung (§60a AufenthG) und gegebenenfalls sogar einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus (§25 Abs. 4a AufenthG) zu. Maßgeblich hierfür ist in der Regel jedoch ausschließlich das Informationsinteresse des Staates, nicht der Anreiz für die Opfer. Interne "Verräter" wie auch deren Angehörige sind im Übrigen, wenn sich die Gefährdung bei ihnen realisiert und sie Opfer von Racheakten werden, wegen "Unwürdigkeit" von Opferentschädigungsansprüchen nach dem OEG ausgenommen.

Ausblick

In Anbetracht der sich ständig wandelnden Geldwäschetechniken wird auch in Zukunft mit weiteren Gegenmaßnahmen zu rechnen sein. Eine lückenlose Kontrolle von Finanztransaktionen würde letzten Endes aber wohl nur bei einer kompletten Abschaffung von Bargeld möglich sein. Eine Entwicklung in diese Richtung ist in einigen europäischen Ländern zu beobachten, wo Bartransaktionen ab einem bestimmten Betrag inzwischen verboten, mitunter sogar strafbar sind. Am weitesten fortgeschritten ist diese Entwicklung in Italien, wo die Bezahlung von Rechnungen in bar ab einem Betrag von Euro 1000,– seit Juli 2012 mit Verwaltungsstrafe bedroht ist. In Frankreich ist eine ähnliche Regelung in der Diskussion. Auch das britische Verbot von 500-Euro-Noten zielt in eine ähnliche Richtung. In diesem Kontext erscheint der Kampf der Europäischen Kommission um das Recht auf ein Bankkonto in einem anderen Licht. Dies wäre nämlich die Voraussetzung für eine noch weitergehende, auf mehr Kontrolle ausgerichtete Verbannung des Bargeldes aus dem täglichen Leben.

Dieser kursorische Überblick hat deutlich werden lassen, wie nachhaltig der Kampf gegen die OK das deutsche Recht verändert hat. Die intensive Überwachung des Finanzverkehrs ist nur ein Beispiel, das praktisch jeden Bürger betrifft. Insgesamt sind die weitreichendsten Veränderungen in dem Bereich des formellen Strafrechts eingetreten. Das hat dazu geführt, dass in Teilbereichen heute faktisch zwei unterschiedliche Strafverfahrensordnungen nebeneinander existieren: das "klassische" Ermittlungsverfahren sowie parallel hierzu das OK-Verfahren, bei dem den Behörden der gesamte Katalog der neuen, nicht nur sehr viel eingriffsintensiveren, sondern vor allem verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung steht, deren Einsatzbereich neben terroristischen und schweren anderen Verbrechen vor allem auf die OK zugeschnitten und beschränkt ist. Die maßgeblich durch die strenge Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgezeichnete Tendenz, den Einsatz dieser neueren Befugnisse auf schwere und schwerste Straftaten zu beschränken, hat allerdings eine Konsequenz, die in der (rechts-)politischen Diskussion bislang so gut wie nicht thematisiert wird. Die faktische "Doppelspurigkeit" des strafprozessualen Ermittlungsrechts birgt aus der Opferperspektive ein beachtliches Potenzial an – zumindest gefühlter – Ungleichbehandlung: Denn zur Aufklärung herkömmlicher Straftaten wie Körperverletzung, Wohnungseinbruch, Betrug oder Diebstahl stehen den Strafverfolgungsbehörden sehr viel weniger Ermittlungsoptionen zur Verfügung.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe hierzu auch den Beitrag von Klaus von Lampe (Anm. d. Red.).

  2. Vgl. Art. 83 Abs. 1 AEUV.

  3. Die Kontroversen um die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten vermitteln erste Erfahrungen mit dem mit der Kompetenzverlagerung einhergehenden Verlust der politischen Gestaltungsfähigkeit des nationalen Gesetzgebers. Siehe Richtlinie 2006/24/EG vom 15.3.2006, ABl. L 105/54.

  4. Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei nicht so sehr auf der Vielzahl der einzelnen Gesetze oder Maßnahmen. Exemplarisch sei lediglich auf einige wegweisende Gesetzeswerke wie das OrgKG 1992 (Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität), das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994, das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität 1998, das Geldwäschegesetz 1993, das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche 2002 sowie das Geldwäschebekämpfungsergänzungsgesetz 2008 verwiesen. Das Interesse gilt vielmehr den großen strategischen Linien und den daraus resultierenden langfristigen Veränderungen.

  5. Vgl. Michael Kilchling, Organisierte Kriminalität, in: Brockhaus online, Externer Link: http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de (4.9.2013).

  6. Vgl. Wolfgang Hetzer, Finanzbehörden im Kampf gegen Geldwäsche und organisierte Kriminalität, in: Juristische Rundschau, 74 (1999) 4, S. 141–148.

  7. Vgl. BT-Drucks. 13/9661, S. 6.

  8. Vgl. BVerfG, 2 BvL 14/62 vom 12.12.1967, BVerfGE 22, S. 387.

  9. Vgl. Michael Kilchling, Geldwäsche, in: Brockhaus online, Externer Link: http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de (4.9.2013).

  10. Vgl. BT-Drucks. 13/8651, S. 15.

  11. Vgl. BVerfG, 2 BvR 1136/03 vom 14.6.2004; BVerfG, 2 BvR 820/06 vom 29.5.2006.

  12. Wegen des Opfervorranges in §73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist der staatliche Verfall gesperrt, selbst wenn konkrete Opfer nicht bekannt sind oder ihre Ansprüche nicht verfolgen können oder wollen.

  13. Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten vom 24.10.2006, BGBl. I, S. 2350.

  14. Vgl. Art. 34 der Warschauer Konvention des Europarates über Geldwäsche, Terrorismusfinanzierung sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten vom 16.5.2005; innerhalb der EU wird dies durch einheitliche Formulare noch vereinfacht.

  15. Jörg Kinzig, Die rechtliche Bewältigung von Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität, Berlin 2004, S. 787.

  16. Vgl. Michael Kilchling, Geldwäsche, in: Ulrich Sieber et al. (Hrsg.), Handbuch Europäisches Strafrecht, Baden-Baden 2011, §16.

  17. Vgl. Gesetz über das Aufspüren von Gewinnen aus schweren Straftaten (GwG) vom 13.8.2008, BGBl. I, S. 1690, zuletzt geändert durch Gesetze vom 4.7.2013, BGBl. I, S. 2178.

  18. Vgl. §8 Abs. 3 GwG, der Art. 30 der [dritten] EU-Geldwäscherichtlinie 2005/60/EG umsetzt.

  19. Das Geldwäschekonzept hat seinen Ursprung in der UN-Konvention gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Substanzen vom 20.12.1988 (Wiener Konvention).

  20. Vgl. §261 Abs. 1 Satz 2 StGB.

  21. Vgl. Art. 5 des Gesetzes zur Einführung einer Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten (Kronzeugenregelungsgesetz – KrZRG) vom 9.6.1989, BGBl. I, S. 1059, eingefügt durch Gesetz vom 28.10.1994, BGBl. I, S. 3186.

  22. Vgl. §§129 Abs. 6 Nr. 2, 129a Abs. 7 StGB.

  23. Vgl. 43. StrÄndG – Strafzumessung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe vom 29.7.2009, BGBl. I, S. 2288.

  24. Vgl. 46. StrÄndG – Beschränkung der Möglichkeit der Strafmilderung bei Aufklärungs- und Präventionshilfe vom 10.6.2013, BGBl. I, S. 1497.

  25. Vgl. BT-Drucksache 17/9695 vom 18.5.1012, S. 1.

  26. Vgl. ebd. vom 18.5.2012, S. 6.

  27. Artikel 4 EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (2008/841/JI) vom 24.10.2008, ABl. L 300/42.

  28. Vgl. Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen (Zeugenschutzharmonisierungsgesetz – ZSHG) vom 11.12.2001, BGBl. I, S. 3510.

  29. Vgl. §2 Abs. 2 Nr. 3 OEG.

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Dr. jur., geb. 1958; wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Günterstalstraße 73, 79100 Freiburg/Br. E-Mail Link: m.kilchling@mpicc.de