Die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität beherrscht die (rechts-)politische Agenda in Deutschland seit den späten 1980er Jahren. Zwar hat sich die mediale Aufmerksamkeit – und in deren Fahrwasser auch die der Politik – nach dem 11. September 2011 verschoben und konzentriert sich seither primär auf die Prävention und Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Dennoch erscheinen die speziell auf den Terrorismus ausgerichteten Verschärfungen des Straf- und Strafprozessrechts im direkten Vergleich als eher punktuelle Eingriffe. Der Schwerpunkt der Änderungen nach "9/11" lag eindeutig im Polizeirecht, dem Aufenthalts- und Ausländerrecht und anderen verwaltungsrechtlichen Materien. Hingegen waren und sind es bis heute die Initiativen gegen die Organisierte Kriminalität (OK), die das deutsche Straf- und Strafprozessrecht besonders nachhaltig verändert haben. Infolge der extremen Seltenheit terroristischer Vorfälle beziehen sich auch Maßnahmen, deren Notwendigkeit mit der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der OK gerechtfertigt wird, in der Praxis vor allem auf den letzteren Kriminalitätsbereich. Hinzu kommt, dass die Berufung auf vermeintliche Erfordernisse im Anti-Terror-Kampf mitunter auch als politisches Rechtfertigungsmuster herhalten muss, in Wahrheit aber andere Deliktsbereiche wie die OK im Fokus hat. Und umgekehrt können für Ermittlungen bei Terrorismus auch viele der Instrumente nutzbar gemacht werden, die im Laufe der 1990er Jahre mit einem expliziten Fokus auf die OK implementiert worden sind. Der Rekurs auf das Geldwäschekontrollregime zur Eindämmung von Terrorismusfinanzierung ist hierfür ein besonders augenfälliges Beispiel.
Die charakteristischen Merkmale der OK
Auch auf europäischer und internationaler Ebene prägt die OK die rechtspolitische Agenda. Eine Vielzahl internationaler Abkommen bestimmt die nationale (Straf-)Rechtspolitik nicht unwesentlich. Und für Deutschland als Mitgliedstaat der Europäischen Union ist der gesetzgeberische Handlungsspielraum noch weiter eingeschränkt. Denn mit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages ist die primäre Gesetzgebungskompetenz für die OK auf die Europäische Union übergegangen; sie ist jetzt eine der Kernmaterien des Unionsstrafrechts.
Erweitertes Strafrecht
Neue Deliktsformen schlagen sich gemeinhin zunächst in Anpassungen der Tatbestände im Strafgesetzbuch nieder. Dies war bei der OK von Anfang an anders. Über den traditionellen Organisationstatbestand hinaus, der die Unterstützung oder Beteiligung an einer kriminellen Organisation unter Strafe stellt (§129 StGB), gibt es in Deutschland keine allgemeine Strafnorm "OK". Dies ist nicht verwunderlich in Anbetracht der Vielgestaltigkeit der Phänomene, die sich zudem in verschieden Kategorien der Primärkriminalität, die der unmittelbaren Gewinnerzielung dient, und der Sekundär- beziehungsweise Begleitkriminalität (Korruption, Geldwäsche sowie die interne und externe Gewaltausübung) unterteilen lassen.
Sichtbarster Ausdruck der Anpassung des strafrechtlichen Normenbestandes auf die OK war die Kriminalisierung der Geldwäsche und damit zusammenhängend die Neuordnung der bereits existierenden Normen zur Vermögensabschöpfung. Damit wird die klassische Konzeption strafrechtlicher Intervention, die auf personale Abschreckung zugeschnitten ist, um einen konsequent ökonomisch beziehungsweise betriebswirtschaftlich orientierten Ansatz erweitert, der auf kriminologischen Rational-choice-Theorien basiert. Ziel ist der möglichst effektive Entzug der illegalen Profite. Damit soll zum einen die Triebfeder der OK, nämlich ihre Profitgier, neutralisiert werden. Wolfgang Hetzer hat dieses ins Unmäßige gesteigerte Profitstreben sehr prägnant als Raison d’Être der OK bezeichnet.
Die Umsetzung dieses Konzeptes bedeutete freilich eine Abkehr vom traditionellen Verständnis des heute als Geldwäsche definierten Handelns als nicht selbstständig strafbare Nachtat. Überhaupt passt dieser internationale Straftatbestand, der eine amerikanische Erfindung der 1980er Jahre ist, eigentlich nicht in das Gefüge der Vermögensstraftaten im StGB. Darüber hinaus besteht weder Klarheit über das Rechtsgut der Norm, noch lässt sich die zum Teil eklatante Diskrepanz zwischen der Strafandrohung des Geldwäsche-Straftatbestands §261 StGB und dem Strafrahmen in seinem Umfeld erklären. Um nämlich §261 in den Katalog der Anlassstraftaten für die Telekommunikations- und akustische Wohnraumüberwachung aufnehmen zu können, hat man im Zuge des 1998er-Reformpakets zur Änderung von Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) die Mindeststrafandrohung auf drei Monate Freiheitsstrafe angehoben;
Um die illegal erworbenen beziehungsweise gewaschenen Vermögenswerte auch einziehen zu können, bedarf es ferner effektiver Regeln zur Vermögensabschöpfung. Sie bilden neben der Strafnorm zur Geldwäsche die zweite Komponente der vermögensorientierten Doppelstrategie. Eigentlich unterlag deliktisch erworbenes Vermögen in Deutschland schon immer dem staatlichen Zugriff (Verfall und Einziehung, §§73ff. StGB); es ist, wie das Bundesverfassungsgericht schon in den 1960er Jahren entschieden hat,
Verschärfte Ermittlungsmaßnahmen
Der Erfolg des finanzbezogenen Strafverfolgungsmodells steht und fällt mit gezielt hierauf abgestimmten Ermittlungsmöglichkeiten. Zu diesem Zweck wurde das Konzept der Finanzermittlungen entwickelt. Der Geldwäschekontrollansatz verfolgt, über das materielle Strafrecht hinaus, verschiedene weitere kriminalstrategische Zielsetzungen.
Auf der Basis des §111b StPO hat die Praxis auch das im Gesetz ursprünglich nicht vorgesehene Instrument der Rückgewinnungshilfe entwickelt. Durch die Zurverfügungstellung der Erkenntnisse aus den Finanzermittlungen soll Opfern die Durchsetzung ihrer Ansprüche erleichtert werden. Über den unmittelbaren Nutzen für die individuell Geschädigten hinaus liegt der kriminalpolitische Mehrwert der Rückgewinnungshilfe auch darin, zu verhindern, dass verdächtiges Vermögen eventuell an Täter zurückgegeben werden müsste.
Da Geldwäsche stets als Indikator für OK gilt, fungiert ein Geldwäscheverdacht auch als nützlicher door opener für die vereinfachte internationale Rechtshilfe. Anders als in anderen Kriminalitätsbereichen können die nationalen Strafverfolgungsbehörden innerhalb Europas hier direkt miteinander kommunizieren und sind nicht auf den oft mühsamen formalen Rechtshilfeweg angewiesen.
Diese heimlichen Ermittlungsmaßnahmen sind ein weiteres Kennzeichen der Ermittlungsarbeit in OK-Verfahren. Anders als in Fällen, wo es um konkrete Taten in der Vergangenheit geht, konzentriert sich die Ermittlungsarbeit im OK-Bereich häufig auf verdächtige Personen und Gruppen, deren Aktivitäten begleitend ausermittelt werden; die Ermittlungsrichtung ist somit auch zukunftsorientiert. Durch Beobachtung sollen Erkenntnisse zu konkreten Straftaten, durch die Auswertung des Kommunikationsverhaltens solche zu interpersonalen Zusammenhängen gewonnen werden. Weitere technische Methoden wie die Rasterfahndung (§98a StPO) oder die automatisierte Kfz-Kennzeichenüberwachung (§100h StPO) können dabei ebenfalls zur Anwendung kommen. Solche Struktur- und Vorfeldermittlungen bewegen sich nicht selten in dem nicht exakt definierbaren Grenzbereich zwischen polizeilicher Präventions- und justizieller Strafverfolgungstätigkeit. Im Kontext solcher Fälle ist die Heimlichkeit von entscheidender kriminalstrategischer Bedeutung. Denn die Ausführung offener Maßnahmen wie Vernehmung oder Durchsuchung lassen die Ermittlung nach außen offenbar werden. Diesen Moment möchte man besonders in komplexen OK-Verfahren so lange wie möglich hinauszögern, um mögliche Ermittlungserfolge nicht zu gefährden.
Einige der verdeckten Ermittlungsbefugnisse wie die akustische Wohnraumüberwachung sind im Hinblick auf die OK neu eingeführt worden, andere wie die Telekommunikations- und Verkehrsdatenüberwachung wurden durch Anpassung der Anlassdelikte auf diesen Einsatzbereich zugeschnitten. Die meisten Instrumente sind parallel auch in den Gesetzen für die Bundes- und Landespolizeien und die Dienste verankert worden. Hinzuweisen ist ferner auf Kompetenzverlagerungen von den Ländern auf die Bundesebene und die EU-Ebene, wie sie noch in den 1980er und 1990er Jahren undenkbar gewesen wären.
Da eine erschöpfende strafrechtliche Definition fehlt, bilden die Katalogdelikte für die heimlichen Ermittlungsmaßnahmen, die im Wesentlichen deckungsgleich sind mit dem Vortatenkatalog bei der Geldwäsche, die Essenz dessen, was der Gesetzgeber heute konkret unter OK versteht. Mit Jörg Kinzig kann man feststellen, dass OK in der deutschen Konzeption weniger ein strafrechtlicher Begriff denn "Chiffre für einen neuen Strafprozess" ist.
Weitreichende banken- und steuerrechtliche Begleitmaßnahmen
Eine effektive strafrechtliche Geldwäschekontrolle wäre nicht realisierbar ohne die Pflicht zur Mitwirkung des Finanzsektors und anderer Wirtschaftszweige, die in das administrative Geldwäschekontrollregime eingebunden sind. Dieses ist auf die möglichst flächendeckende Kontrolle sämtlicher Finanztransaktionen ausgerichtet und stellt den inzwischen am dichtesten durch internationale Vorgaben determinierten Bereich dar.
Bei Inkrafttreten im Jahr 1993 war das GwG ausschließlich an Finanz- und Kreditinstitute adressiert und damit eigentlich eine bankenrechtliche Regelungsmaterie. Nach und nach wurde das System erweitert und bezieht jetzt auch viele andere Sektoren ein, namentlich Wirtschaftsprüfer, externe Buchprüfer, Angehörige rechtsberatender Berufe, Immobilienmakler, Spielbanken, Veranstalter und Vermittler von Glücksspielen im Internet sowie Personen, die gewerblich mit Gütern handeln. Als spezielles kriminalstrategisches Instrument zur Bekämpfung des organisierten Drogenhandels implementiert,
Schließlich hat man den Kampf gegen die OK dazu genutzt, die einst strikte Trennung von Straf- und Steuerrecht aufzuweichen. Mit der in mehreren Schritten vollzogenen Aufnahme bestimmter Formen der Steuerhinterziehung in den Vortatenkatalog zur Geldwäsche waren weitreichende Konsequenzen verbunden. Verfahrensrechtlich wurde eine Art erweiterter Informationsverbund geschaffen, in dem Steuer- und Strafverfolgungsbehörden sich gegenseitig informieren müssen. Die Steuerbehörden bekommen hierdurch Zugriff auf sämtliche im Zuge der administrativen Geldwäschekontrolle generierten Daten. Umgekehrt sind sie verpflichtet, Geldwäscheverdachtsfälle an die FIU – und damit indirekt auch an die Strafverfolgungsbehörden – weiterzuleiten. Ferner gehen mit der Verzahnung von Steuer- und Geldwäschestrafbarkeit auch verschärfte Abschöpfungsregeln einher.
Zögerliche Nutzbarmachung von Insiderwissen
Sehr viel zögerlicher als in anderen Ländern sind in Deutschland allerdings die Anreize zur Offenbarung von Insiderwissen ausgestaltet. Während zum Beispiel in Italien die pentiti-Gesetzgebung zu den traditionellen Instrumenten der Anti-Mafia-Politik zählt, auf deren Grundlage sich im Laufe der Zeit Hunderte von – zugegeben nicht unbedingt immer glaubwürdigen – Kronzeugen gemeldet haben, waren und sind Kronzeugenregelungen hierzulande stets umstritten. Insoweit dominiert dann wieder prinzipielles (um nicht zu sagen: punitives) Denken über funktionales. Dies führt dazu, dass weder für Täter noch für Opfer sonderlich attraktive Optionen existieren, um die nicht selten mit hohen Risiken verbundene Offenbarung von Insiderwissen zu honorieren.
Zwar wurde im Jahr 1994 die ursprünglich auf Täter aus dem Umkreis des deutschen Terrorismus abzielende Kronzeugenregelung auf Personen aus der OK erweitert.
Die gesetzgeberische Zurückhaltung gegenüber der Belohnung von Insiderwissen setzt sich auf der Opferseite fort. Zwar existieren neben den allgemeinen Opferschutzvorschriften der StPO auch spezielle Zeugenschutzprogramme für gefährdete (Opfer-)Zeugen;
Ausblick
In Anbetracht der sich ständig wandelnden Geldwäschetechniken wird auch in Zukunft mit weiteren Gegenmaßnahmen zu rechnen sein. Eine lückenlose Kontrolle von Finanztransaktionen würde letzten Endes aber wohl nur bei einer kompletten Abschaffung von Bargeld möglich sein. Eine Entwicklung in diese Richtung ist in einigen europäischen Ländern zu beobachten, wo Bartransaktionen ab einem bestimmten Betrag inzwischen verboten, mitunter sogar strafbar sind. Am weitesten fortgeschritten ist diese Entwicklung in Italien, wo die Bezahlung von Rechnungen in bar ab einem Betrag von Euro 1000,– seit Juli 2012 mit Verwaltungsstrafe bedroht ist. In Frankreich ist eine ähnliche Regelung in der Diskussion. Auch das britische Verbot von 500-Euro-Noten zielt in eine ähnliche Richtung. In diesem Kontext erscheint der Kampf der Europäischen Kommission um das Recht auf ein Bankkonto in einem anderen Licht. Dies wäre nämlich die Voraussetzung für eine noch weitergehende, auf mehr Kontrolle ausgerichtete Verbannung des Bargeldes aus dem täglichen Leben.
Dieser kursorische Überblick hat deutlich werden lassen, wie nachhaltig der Kampf gegen die OK das deutsche Recht verändert hat. Die intensive Überwachung des Finanzverkehrs ist nur ein Beispiel, das praktisch jeden Bürger betrifft. Insgesamt sind die weitreichendsten Veränderungen in dem Bereich des formellen Strafrechts eingetreten. Das hat dazu geführt, dass in Teilbereichen heute faktisch zwei unterschiedliche Strafverfahrensordnungen nebeneinander existieren: das "klassische" Ermittlungsverfahren sowie parallel hierzu das OK-Verfahren, bei dem den Behörden der gesamte Katalog der neuen, nicht nur sehr viel eingriffsintensiveren, sondern vor allem verdeckten Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung steht, deren Einsatzbereich neben terroristischen und schweren anderen Verbrechen vor allem auf die OK zugeschnitten und beschränkt ist. Die maßgeblich durch die strenge Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vorgezeichnete Tendenz, den Einsatz dieser neueren Befugnisse auf schwere und schwerste Straftaten zu beschränken, hat allerdings eine Konsequenz, die in der (rechts-)politischen Diskussion bislang so gut wie nicht thematisiert wird. Die faktische "Doppelspurigkeit" des strafprozessualen Ermittlungsrechts birgt aus der Opferperspektive ein beachtliches Potenzial an – zumindest gefühlter – Ungleichbehandlung: Denn zur Aufklärung herkömmlicher Straftaten wie Körperverletzung, Wohnungseinbruch, Betrug oder Diebstahl stehen den Strafverfolgungsbehörden sehr viel weniger Ermittlungsoptionen zur Verfügung.