Schaffen Waffen Frieden und Stabilität? Zuletzt erregte diese Frage vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien die Gemüter. Während Russland und der Iran die Truppen des Assad-Regimes bereits seit Langem mit Kriegsgerät versorgten, begannen Saudi-Arabien und Katar wohl Ende 2012 damit, kleine und leichte Waffen an Rebellengruppen zu liefern. Die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Frankreich kündigten unlängst an, diesem Beispiel womöglich folgen zu wollen. Ihr Argument: Die Menschen in Syrien hätten ein Recht, sich gegen ein Regime zur Wehr zu setzen, welches offenbar Krieg gegen die eigene Bevölkerung führe. Zudem böte eine militärische Parität bessere Chancen, einen Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien zu verhandeln. Aber auch Russland rechtfertigt seine Rüstungshilfen mit Verweis auf friedenspolitische Erwägungen: Nur ein starker syrischer Staat könne perspektivisch Stabilität garantieren; zerfällt er komplett, drohe ein gefährliches Machtvakuum, das die Intensivierung und Ausweitung kriegerischer Auseinandersetzungen zur Folge hätte.
Die Begründungen für Waffenlieferungen nach Syrien verdeutlichen zwei grundlegende Positionen, die seit jeher in Debatten einen kausalen Zusammenhang zwischen Rüstung und Stabilität – oder sogar Frieden – konstruieren. Auf der einen Seite steht die Behauptung, ein "Gleichgewicht des Schreckens" könne Konfliktparteien zügeln und so bewaffnete Gewaltanwendung zwar nicht völlig verhindern, im Grad und Ausmaß aber erheblich einschränken. Auf der anderen Seite heißt es oft, eine nachhaltige Befriedung gesellschaftlicher Räume bedürfe eines "starken Staates", der ein effektives Gewaltmonopol durchsetzen kann. Inwiefern können diese Positionen – auch jenseits der Syrien-Debatte – unter friedenspolitischen Gesichtspunkten als Begründung für Rüstungslieferungen dienen?
Stabilität durch Abschreckung?
Nach aktuellen Zahlen des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) gehörten zwischen 2008 und 2012 vor allem Staaten aus dem asiatischen Raum sowie dem Nahen und Mittleren Osten zu den zehn größten Importeuren von Rüstungsgütern.
Rüstungsexporte in die Konfliktherde Asiens und des Nahen und Mittleren Ostens orientieren sich häufig an den Sicherheitsinteressen und machtpolitischen Ambitionen der Empfängerländer sowie an den militärstrategischen Kalkülen der Lieferländer. Immer wieder begründen Staaten Waffenexporte aber auch damit, dass sie der regionalen Stabilität dienten. Dieses Argument ist nicht ohne theoretische Substanz. Es gründet auf der Annahme der Realistischen Schule, dass beidseitiges Aufrüsten einen Abschreckungseffekt erziele, der potenzielle Konfliktparteien von einem Waffengang abhalte und möglicherweise dazu veranlasse, in einen Dialog zu treten. Paradebeispiel bleibt die Verhinderung eines Atomkriegs zwischen den USA und der Sowjetunion. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Kenneth Waltz argumentierte noch 2012 in der Juli/August-Ausgabe des "Foreign Affairs"-Magazins, dass ein atomar bewaffneter Iran die Konfliktlage nicht gefährlicher, sondern stabiler machen würde. Diese Grundidee leitet im Übrigen keinesfalls nur Überlegungen zu zwischenstaatlichen Beziehungen und Atombomben an. Die US-amerikanische Waffenlobby führt ähnliche Argumente ins Feld, wenn sie auf die vermeintlich friedensstiftenden Effekte einer bewaffneten Bürgerschaft pocht.
Indes darf bezweifelt werden, dass es wirklich zu einem Stabilitätsgewinn kommt, wenn sich Staaten oder Individuen in einem "Gleichgewicht des Schreckens" gegenseitig in Schach halten. Nicht zuletzt der Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte den gefährlichen Trugschluss eines derartigen Denkens vor Augen. Ein Mehr an Waffen schafft in der Regel kein Mehr an Sicherheit, sondern eine allumfassende Verunsicherung, die alle Parteien zu einer stetigen Aufrüstung animiert.
In kaum einer anderen Weltregion wird so massiv aufgerüstet wie im Nahen und Mittleren Osten.
Aber auch Deutschland ist ein wichtiger Waffenlieferant für die Region. Im April 2013 bestätigte die Rüstungsfirma Kraus-Maffei Wegmann, dass das kleine Emirat Katar 62 Kampfpanzer und 24 Panzerhaubitzen im Wert von insgesamt 1,89 Milliarden Euro bestellt habe. Bereits zwei Jahre zuvor hatten Medien von der Entscheidung der Bundesregierung berichtet, den Export von 270 Kampfpanzern nach Saudi-Arabien zu erlauben. Der Genehmigungswert deutscher Rüstungsgüter in das Königreich belief sich allein 2012 auf 1,24 Milliarden Euro
Tatsächlich kaufen die Golfmonarchien in großem Stil Kampfflugzeuge und Panzer ein, um eine Drohkulisse gegenüber ihrem Rivalen Iran aufzubauen. Die Militärausgaben Saudi-Arabiens allein belaufen sich Schätzungen zufolge auf fast das Vierfache dessen, was der Iran in seine Streitkräfte investiert.
Die asiatischen Staaten bleiben weiterhin die größten Kunden internationaler Rüstungskonzerne. Indien, China, Pakistan, Südkorea und Singapur waren zwischen 2008 und 2012 für 32 Prozent aller Rüstungsimporte verantwortlich.
Die Modernisierung ihrer Seestreitkräfte hat nicht zuletzt deshalb für viele dieser Staaten eine hohe Priorität.
Rüstungsbeschaffungen sollen die jeweils andere Seite durch Abschreckung in Schach halten. Tatsächlich bleibt die Region derzeit durch eine gewisse strategische Stabilität gekennzeichnet. Andererseits beweisen Zwischenfälle auf See mit Fischerbooten, aber auch zwischen bewaffneten Schiffen immer wieder, dass eine Eskalation jederzeit möglich ist. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Misstrauens machen die bi- und multilateralen Territorialansprüche in dieser Region einen Griff zu militärischen Mitteln wahrscheinlicher. Grundsätzlich untergräbt der Rüstungswettlauf die Möglichkeiten, eine dauerhafte Lösung der vielfältigen Konflikte herbeizuführen, ist er doch zugleich Symptom und Motor für anhaltendes Misstrauen zwischen den Staaten und die fehlende Bereitschaft, Strategien und Mechanismen zur friedlichen Konfliktbeilegung – etwa im Rahmen des Verbandes Südostasiatischer Staaten (ASEAN) – zu suchen.
Waffenlieferungen als Entwicklungshilfe?
Eine zweite mögliche Begründung für Waffenlieferungen verweist auf das staatliche Gewaltmonopol als Garant friedlicher sozialer Koexistenz. Der Staatstheoretiker Thomas Hobbes schrieb bereits Mitte des 17. Jahrhunderts, dass das Prinzip gegenseitiger Abschreckung eine allenfalls prekäre Sicherheit erzeugen könne. Eine wirkliche Befriedung des Gesellschaftsraums sei nur durch einen allmächtigen "Leviathan" zu gewährleisten, der kraft seines Schwertes den naturgegebenen "Krieg aller gegen alle" zu überwinden vermag.
In einer Rede vor militärischem Spitzenpersonal prägte die deutsche Bundeskanzlerin deshalb das Schlagwort der "Ertüchtigung". Nicht zuletzt durch Waffenexporte sollen deutsche "Partner" weltweit dazu befähigt werden, sich für die "Bewahrung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden" einzusetzen.
Wie überzeugend ist das Ertüchtigungsargument in der Praxis? Zunächst gilt es festzustellen, dass es abseits politischer Rhetorik bislang noch keinen nennenswerten Niederschlag in der Rüstungsexportpolitik der größten Lieferstaaten gefunden hat. Der Großteil deutscher Rüstungslieferungen in Drittstaaten, also in Länder außerhalb der NATO oder EU, geht nicht als "Ausstattungshilfe" in "fragile" Staaten, sondern in Länder im Nahen und Mittleren Osten sowie in Asien, die sich in zwischenstaatlichen Rüstungswettläufen befinden. Die Streitkräfte Malis erhielten hingegen bislang 50 Splitterschutzwesten und Handsonden für Personenkontrollen, einige alte LKW der Bundeswehr sowie ein Feldlazarett.
Zweitens ist es nicht sicher, ob potenzielle Empfänger von Rüstungsgütern in "fragilen" Staaten überhaupt ein Interesse daran haben, ein staatliches Gewaltmonopol nach westlichem Vorbild herzustellen. Die Erfahrungen im Irak und in Afghanistan zeigen, dass sich dieses Ordnungsmodell keinesfalls ohne Weiteres auf andere Gesellschaften übertragen lässt. Viele der Länder des Globalen Südens sind zudem Rentierstaaten, beziehen den Großteil ihrer Einnahmen also aus Quellen außerhalb der eigenen Volkswirtschaft, etwa durch Rohstoffverkäufe ins Ausland oder Entwicklungshilfezahlungen. Anders als Regierungen, die primär von der Besteuerung heimischer Produktionsprozesse abhängig sind, braucht es in diesen Fällen – zumindest aus ökonomischer Sicht – keine Sicherung ganzer Populationen und der Befriedung größerer territorialer Räume.
Im Oktober 2011 überrollten und töteten ägyptische Panzer offenkundig friedliche Demonstranten. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass es sich dabei um Radpanzer vom Typ "Fahd" handelte, die Ägypten mit Lizenz und Materialpaketen aus Deutschland herstellt. Menschenrechte werden ebenso im autoritären Saudi-Arabien verletzt. Die dortigen Sicherheitskräfte sind mit Sturmgewehren "Made in Germany" ausgestattet. Die geplanten deutschen Panzerlieferungen an das saudische Königshaus sind nicht minder problematisch. Kurz nach Beginn des "Arabischen Frühlings" schickte Saudi-Arabien Panzer zur Niederschlagung von Protesten ins benachbarte Bahrain. Auch Indonesien, das jüngst einen Vertrag mit Deutschland über den Kauf von mehr als 100 Kampf- und 50 Schützenpanzern abgeschlossen hat, könnte diese Waffen zur Bekämpfung von Aufständischen oder zur Niederschlagung von Oppositionsgruppen nutzen. Ihr militärischer Nutzen wäre in der von gebirgigen und bewaldeten Inseln geprägten Region ansonsten sehr begrenzt.
Angesichts der friedenspolitischen Risiken ist eine politische Kontrolle und Einhegung des globalen Waffenhandels dringend geboten. Auf internationaler Ebene gibt es bislang nur wenige Regulierungsmechanismen. Am 2. April 2013 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen einen weltweiten Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty, ATT), den viele Beobachter als Meilenstein auf dem Weg zu einer weltweiten Kontrolle sehen. Der Vertrag soll die Verfügbarkeit von Waffen in Spannungs- und Krisengebieten reduzieren. Dadurch sollen gewaltsame Eskalationen verhindert und Rüstungslieferungen an Regime, die Menschenrechte missachten, erschwert werden. Doch weckt der ATT gelegentlich falsche Hoffnungen: Auch wenn es nun erstmals globale Kriterien zur Bewertung von Waffentransfers gibt, bleibt die Entscheidung über Rüstungsexporte unverändert in der Souveränität der Staaten.
Das gleiche gilt auch für den Gemeinsamen Standpunkt der Europäischen Union zu Rüstungsexporten aus dem Jahr 2008 – das bislang konkreteste zwischenstaatliche Abkommen zur Regulierung und Kontrolle von Waffenhandel. Die EU-Mitglieder einigten sich auf insgesamt acht Kriterien, die bei der Genehmigung von Rüstungsexporten berücksichtigt werden sollten. Diese reichen von der Menschenrechtssituation im Empfängerland über die Konfliktlage in der Region bis zur Gefahr, dass Rüstungsgüter an Dritte weiterverkauft werden oder Waffenlieferungen die Entwicklungsbemühungen einzelner Staaten behindern. Eine supranationale Verbindlichkeit schafft dieses Regelwerk jedoch nicht. Auch im Falle des Gemeinsamen Standpunkts bleibt die letztendliche Entscheidung über Rüstungsexporte eine souveräne Entscheidung der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Die meisten EU-Staaten berücksichtigen die Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts. Ihre Auslegung ist aber von Land zu Land verschieden. So finden sich in der Genehmigungspraxis der EU-Mitgliedstaaten zahlreiche Widersprüche, etwa bei dem Export von Rüstungsgütern nach Libyen oder Russland.
Deutsche Rüstungsexportpolitik
In Deutschland sind die Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts der EU in die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" eingeflossen, die am 19. Januar 2000 formuliert wurden.
Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um Waffenlieferungen in einen Drittstaat als Ausnahme politisch rechtfertigen zu können? Wenn überhaupt, dann können Rüstungslieferungen nur für eine sehr kurzfristige Stabilität sorgen; mittel- bis langfristig unterminieren sie meist jene friedenspolitischen Bemühungen, die darauf abzielen, Vertrauen zwischen Konfliktparteien zu schaffen und nach Wegen zu einer "gemeinsamen Sicherheit" zu suchen. Die "Ertüchtigung" fragiler Staaten mit militärischer Ausstattungshilfe mag in Einzelfällen wiederum Sinn machen, stößt in der Praxis aber auf viele Probleme. Für eine stärker sichtbare und durchdachte außen-, sicherheits- oder gar friedenspolitische Strategie bei deutschen Rüstungsexporten in den Nahen und Mittleren Osten und nach Asien