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Schaffen Waffen Frieden und Stabilität? | Internationale Sicherheit | bpb.de

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Schaffen Waffen Frieden und Stabilität?

Marc von Boemcken Jan Grebe

/ 14 Minuten zu lesen

Schaffen Waffen Frieden und Stabilität? Zuletzt erregte diese Frage vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs in Syrien die Gemüter. Während Russland und der Iran die Truppen des Assad-Regimes bereits seit Langem mit Kriegsgerät versorgten, begannen Saudi-Arabien und Katar wohl Ende 2012 damit, kleine und leichte Waffen an Rebellengruppen zu liefern. Die Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritannien und Frankreich kündigten unlängst an, diesem Beispiel womöglich folgen zu wollen. Ihr Argument: Die Menschen in Syrien hätten ein Recht, sich gegen ein Regime zur Wehr zu setzen, welches offenbar Krieg gegen die eigene Bevölkerung führe. Zudem böte eine militärische Parität bessere Chancen, einen Waffenstillstand zwischen den Konfliktparteien zu verhandeln. Aber auch Russland rechtfertigt seine Rüstungshilfen mit Verweis auf friedenspolitische Erwägungen: Nur ein starker syrischer Staat könne perspektivisch Stabilität garantieren; zerfällt er komplett, drohe ein gefährliches Machtvakuum, das die Intensivierung und Ausweitung kriegerischer Auseinandersetzungen zur Folge hätte.

Die Begründungen für Waffenlieferungen nach Syrien verdeutlichen zwei grundlegende Positionen, die seit jeher in Debatten einen kausalen Zusammenhang zwischen Rüstung und Stabilität – oder sogar Frieden – konstruieren. Auf der einen Seite steht die Behauptung, ein "Gleichgewicht des Schreckens" könne Konfliktparteien zügeln und so bewaffnete Gewaltanwendung zwar nicht völlig verhindern, im Grad und Ausmaß aber erheblich einschränken. Auf der anderen Seite heißt es oft, eine nachhaltige Befriedung gesellschaftlicher Räume bedürfe eines "starken Staates", der ein effektives Gewaltmonopol durchsetzen kann. Inwiefern können diese Positionen – auch jenseits der Syrien-Debatte – unter friedenspolitischen Gesichtspunkten als Begründung für Rüstungslieferungen dienen?

Stabilität durch Abschreckung?

Nach aktuellen Zahlen des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) gehörten zwischen 2008 und 2012 vor allem Staaten aus dem asiatischen Raum sowie dem Nahen und Mittleren Osten zu den zehn größten Importeuren von Rüstungsgütern. Aus dem letzten Konfliktbarometer des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK) geht zudem hervor, dass 2012 die Mehrzahl aller weltweiten Gewaltkonflikte mit hoher und mittlerer Intensität in diesen beiden Regionen stattfand. Die Waffen, die in diesen Kriegen zum Einsatz kommen, stammen in der Regel aus ausländischer Produktion. Die größten Exporteure sind dabei die USA und Russland sowie, wenngleich mit einigem Abstand, Deutschland, Frankreich und China.

Rüstungsexporte in die Konfliktherde Asiens und des Nahen und Mittleren Ostens orientieren sich häufig an den Sicherheitsinteressen und machtpolitischen Ambitionen der Empfängerländer sowie an den militärstrategischen Kalkülen der Lieferländer. Immer wieder begründen Staaten Waffenexporte aber auch damit, dass sie der regionalen Stabilität dienten. Dieses Argument ist nicht ohne theoretische Substanz. Es gründet auf der Annahme der Realistischen Schule, dass beidseitiges Aufrüsten einen Abschreckungseffekt erziele, der potenzielle Konfliktparteien von einem Waffengang abhalte und möglicherweise dazu veranlasse, in einen Dialog zu treten. Paradebeispiel bleibt die Verhinderung eines Atomkriegs zwischen den USA und der Sowjetunion. Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Kenneth Waltz argumentierte noch 2012 in der Juli/August-Ausgabe des "Foreign Affairs"-Magazins, dass ein atomar bewaffneter Iran die Konfliktlage nicht gefährlicher, sondern stabiler machen würde. Diese Grundidee leitet im Übrigen keinesfalls nur Überlegungen zu zwischenstaatlichen Beziehungen und Atombomben an. Die US-amerikanische Waffenlobby führt ähnliche Argumente ins Feld, wenn sie auf die vermeintlich friedensstiftenden Effekte einer bewaffneten Bürgerschaft pocht.

Indes darf bezweifelt werden, dass es wirklich zu einem Stabilitätsgewinn kommt, wenn sich Staaten oder Individuen in einem "Gleichgewicht des Schreckens" gegenseitig in Schach halten. Nicht zuletzt der Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte den gefährlichen Trugschluss eines derartigen Denkens vor Augen. Ein Mehr an Waffen schafft in der Regel kein Mehr an Sicherheit, sondern eine allumfassende Verunsicherung, die alle Parteien zu einer stetigen Aufrüstung animiert. Ungeachtet etwaiger Abschreckungseffekte birgt dieses "Sicherheitsdilemma" ein erhebliches Eskalationsrisiko. Das gilt für zwischenstaatliche wie für zwischenmenschliche Beziehungen: 2011 kamen in den USA jeden Tag durchschnittlich 88 Menschen durch Schusswaffen ums Leben. In Syrien ist es mehr als fraglich, ob mehr Waffen tatsächlich für eine Abnahme der Gewalt sorgen werden. Auch die Rüstungsdynamiken in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens und Asiens sprechen gegen eine friedensstiftende Wirkung von Waffentransfers.

In kaum einer anderen Weltregion wird so massiv aufgerüstet wie im Nahen und Mittleren Osten. Im Globalen Militarisierungsindex des BICC gehören Staaten wie Saudi-Arabien, Kuwait, Bahrain, Oman und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) zu den 15 am stärksten militarisierten Ländern der Welt. Insbesondere die Golfmonarchien investieren einen erheblichen Teil ihrer Ölmilliarden ins Militär. Das Verhältnis zwischen Bruttoinlandsprodukt und Militärausgaben liegt hier um ein Vielfaches über dem weltweiten Durchschnitt von etwa 2,5 Prozent. Allein Saudi-Arabien erhöhte seinen Militärhaushalt zwischen 2003 und 2012 um real 111 Prozent auf 54,2 Milliarden US-Dollar. Ein großer Teil dieser Gelder fließt in die Beschaffung neuer Waffen. Da die Staaten der Region bisher nur in Ansätzen über eigene Rüstungsindustrien verfügen, müssen diese meist importiert werden. Zwischen 2004 und 2011 kauften die VAE für rund 20 Milliarden US-Dollar auf internationalen Rüstungsmärkten ein. Der wichtigste Rüstungslieferant in die Region sind dabei die USA. Die Regierung Saudi-Arabiens schloss 2011 einen Vertrag mit US-amerikanischen Rüstungskonzernen über den Einkauf von militärischer Hardware, in erster Linie Kampfflugzeugen, im Wert von mehr als 60 Milliarden US-Dollar. Einen größeren Waffendeal hat es in der US-amerikanischen Geschichte bisher noch nicht gegeben.

Aber auch Deutschland ist ein wichtiger Waffenlieferant für die Region. Im April 2013 bestätigte die Rüstungsfirma Kraus-Maffei Wegmann, dass das kleine Emirat Katar 62 Kampfpanzer und 24 Panzerhaubitzen im Wert von insgesamt 1,89 Milliarden Euro bestellt habe. Bereits zwei Jahre zuvor hatten Medien von der Entscheidung der Bundesregierung berichtet, den Export von 270 Kampfpanzern nach Saudi-Arabien zu erlauben. Der Genehmigungswert deutscher Rüstungsgüter in das Königreich belief sich allein 2012 auf 1,24 Milliarden Euro – das ist mehr als in den vorherigen 13 Jahren zusammen. Verteidigungsminister Thomas De Maizière begründete deutsche Waffenlieferungen an die Golfmonarchien im November 2012 damit, dass sie "angesichts Irans und anderer Auseinandersetzungen die Stabilität (in der Region) erhöhen".

Tatsächlich kaufen die Golfmonarchien in großem Stil Kampfflugzeuge und Panzer ein, um eine Drohkulisse gegenüber ihrem Rivalen Iran aufzubauen. Die Militärausgaben Saudi-Arabiens allein belaufen sich Schätzungen zufolge auf fast das Vierfache dessen, was der Iran in seine Streitkräfte investiert. Selbst ohne Berücksichtigung der US-amerikanischen Militärpräsenz am Persischen Golf besitzen die Golfmonarchien insgesamt bereits häufig mehr – und sehr viel modernere – Waffensysteme als der Iran. Wenn die derzeit laufenden Rüstungsgeschäfte abgeschlossen sind, wird das militärische Ungleichgewicht weiter zunehmen. Es steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Iran sich dazu entscheiden könnte, auf die konventionelle Überlegenheit seiner Rivalen mit der Entwicklung atomarer Waffen zu reagieren. Zwar ist nicht erwiesen, dass die Islamische Republik tatsächlich ein Programm zur Herstellung von Atomwaffen betreibt; die massive Aufrüstung der Golfmonarchien wird sie aber kaum dazu bewegen, gegebenenfalls von einem solchen Pfad abzurücken. Israel wiederum würde einen atomar bewaffneten Iran kaum dulden und letztlich auch militärisch zu verhindern suchen.

Die asiatischen Staaten bleiben weiterhin die größten Kunden internationaler Rüstungskonzerne. Indien, China, Pakistan, Südkorea und Singapur waren zwischen 2008 und 2012 für 32 Prozent aller Rüstungsimporte verantwortlich. Gleichzeitig stiegen die Militärausgaben in Asien und Ozeanien um 22 Prozent von 312 auf 382 Milliarden US-Dollar. Zwar ermutigen die guten ökonomischen Voraussetzungen der wachsenden Volkswirtschaften Asiens viele Staaten zum Kauf neuer Waffen. Die Modernisierung und in einigen Fällen auch Vergrößerung ihrer Streitkräfte ist aber auch auf eine Vielzahl ungelöster Konflikte zurückzuführen. Viele Staaten sehen etwa in der nordkoreanische Führung und der von ihr betriebenen atomaren Aufrüstung eine große Gefahr. Auffällig sind zudem Auseinandersetzungen um territoriale Besitzansprüche: Thailand und Kambodscha können sich nicht auf ihre gemeinsame Landgrenze einigen, China und Japan erheben beide Ansprüche auf die Senkaku/Diaoyu-Inselgruppe im Ostchinesischen Meer, im Südchinesischen Meer sorgt der Konflikt um die Spratly- und Paracel-Inseln immer wieder für gefährliche Zusammenstöße zwischen China, Vietnam, Malaysia und den Philippinen.

Die Modernisierung ihrer Seestreitkräfte hat nicht zuletzt deshalb für viele dieser Staaten eine hohe Priorität. China ist mit seiner Aufrüstung und Neuausrichtung ein treibender Faktor und setzt insbesondere auf die Beschaffung von U-Booten. Andere Staaten sehen in dem zunehmenden Ungleichgewicht ein Bedrohungspotenzial und streben unter anderem ebenfalls nach U-Booten, um über ein Gegenmittel für die chinesische Strategie der Zugangsverweigerung zu bestimmten Seegebieten zu verfügen. Genau wie im Nahen und Mittleren Osten kommen diese Waffensysteme oft aus dem Ausland: Deutsche Firmen lieferten U-Boote nach Südkorea, schwedische U-Boote gelangten nach Singapur, und Russland exportierte U-Boote nach Vietnam.

Rüstungsbeschaffungen sollen die jeweils andere Seite durch Abschreckung in Schach halten. Tatsächlich bleibt die Region derzeit durch eine gewisse strategische Stabilität gekennzeichnet. Andererseits beweisen Zwischenfälle auf See mit Fischerbooten, aber auch zwischen bewaffneten Schiffen immer wieder, dass eine Eskalation jederzeit möglich ist. Vor dem Hintergrund des allgemeinen Misstrauens machen die bi- und multilateralen Territorialansprüche in dieser Region einen Griff zu militärischen Mitteln wahrscheinlicher. Grundsätzlich untergräbt der Rüstungswettlauf die Möglichkeiten, eine dauerhafte Lösung der vielfältigen Konflikte herbeizuführen, ist er doch zugleich Symptom und Motor für anhaltendes Misstrauen zwischen den Staaten und die fehlende Bereitschaft, Strategien und Mechanismen zur friedlichen Konfliktbeilegung – etwa im Rahmen des Verbandes Südostasiatischer Staaten (ASEAN) – zu suchen.

Waffenlieferungen als Entwicklungshilfe?

Eine zweite mögliche Begründung für Waffenlieferungen verweist auf das staatliche Gewaltmonopol als Garant friedlicher sozialer Koexistenz. Der Staatstheoretiker Thomas Hobbes schrieb bereits Mitte des 17. Jahrhunderts, dass das Prinzip gegenseitiger Abschreckung eine allenfalls prekäre Sicherheit erzeugen könne. Eine wirkliche Befriedung des Gesellschaftsraums sei nur durch einen allmächtigen "Leviathan" zu gewährleisten, der kraft seines Schwertes den naturgegebenen "Krieg aller gegen alle" zu überwinden vermag. Hobbes’ Gedanke bleibt auch fast 400 Jahre später aktuell: Ein Blick auf den Globalen Süden zeigt, dass nur wenige Staaten in der Lage sind, ein effektives Gewaltmonopol durchzusetzen. Die meisten Länder verfügen über keine eigenen Rüstungsindustrien, ihre Sicherheitskräfte sind schwach. Von den 20 der weltweit am wenigsten militarisierten Staaten stehen mehr als die Hälfte auf dem Index der 60 fragilsten Staaten der Welt, fünf davon auf den Plätzen bis 20. Unter den 20 am stärksten militarisierten Ländern finden sich hingegen nur zwei auf dem Index fragiler Staaten, nämlich Syrien und Libyen. Zumindest in der Theorie scheint es, als könne militärische beziehungsweise polizeiliche Ausstattungshilfe durchaus einem friedenspolitischen Zweck dienen.

In einer Rede vor militärischem Spitzenpersonal prägte die deutsche Bundeskanzlerin deshalb das Schlagwort der "Ertüchtigung". Nicht zuletzt durch Waffenexporte sollen deutsche "Partner" weltweit dazu befähigt werden, sich für die "Bewahrung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Frieden" einzusetzen. Nachdem die Afghanistan-Mission der NATO, gemessen an ihrer ursprünglichen Zielsetzung, als gescheitert gelten kann, lautet die neue Devise "Ertüchtigung statt Einmischung". Beispielhaft lässt sich die Debatte über Lieferungen deutscher Patrouillenboote nach Angola anführen. Der dortigen Marine sollte unter anderem dabei geholfen werden, ihre Hoheitsgewässer gegen illegale Fischerei zu schützen. Ein weiteres Beispiel stellt die Lieferung von Ausstattungshilfe an die malische Armee dar, damit sie Land und Bevölkerung vor dem Eindringen islamistischer Gruppen schützen kann.

Wie überzeugend ist das Ertüchtigungsargument in der Praxis? Zunächst gilt es festzustellen, dass es abseits politischer Rhetorik bislang noch keinen nennenswerten Niederschlag in der Rüstungsexportpolitik der größten Lieferstaaten gefunden hat. Der Großteil deutscher Rüstungslieferungen in Drittstaaten, also in Länder außerhalb der NATO oder EU, geht nicht als "Ausstattungshilfe" in "fragile" Staaten, sondern in Länder im Nahen und Mittleren Osten sowie in Asien, die sich in zwischenstaatlichen Rüstungswettläufen befinden. Die Streitkräfte Malis erhielten hingegen bislang 50 Splitterschutzwesten und Handsonden für Personenkontrollen, einige alte LKW der Bundeswehr sowie ein Feldlazarett.

Zweitens ist es nicht sicher, ob potenzielle Empfänger von Rüstungsgütern in "fragilen" Staaten überhaupt ein Interesse daran haben, ein staatliches Gewaltmonopol nach westlichem Vorbild herzustellen. Die Erfahrungen im Irak und in Afghanistan zeigen, dass sich dieses Ordnungsmodell keinesfalls ohne Weiteres auf andere Gesellschaften übertragen lässt. Viele der Länder des Globalen Südens sind zudem Rentierstaaten, beziehen den Großteil ihrer Einnahmen also aus Quellen außerhalb der eigenen Volkswirtschaft, etwa durch Rohstoffverkäufe ins Ausland oder Entwicklungshilfezahlungen. Anders als Regierungen, die primär von der Besteuerung heimischer Produktionsprozesse abhängig sind, braucht es in diesen Fällen – zumindest aus ökonomischer Sicht – keine Sicherung ganzer Populationen und der Befriedung größerer territorialer Räume. Im Gegenteil: Wird Gewalt im Inneren eingesetzt, dann häufig nicht, um primär die Sicherheit der Bürger und Bürgerinnen zu gewährleisten; vielmehr geht es, drittens, in der Regel darum, die personalisierten Macht- und Wirtschaftsinteressen der Regierung gegen die eigene Bevölkerung durchzusetzen. Nicht zuletzt mutet die russische Begründung für Waffenlieferungen an das Assad-Regime zynisch an: Nicht das Gewaltmonopol per se ist friedenspolitisch erstrebenswert, sondern, wenn überhaupt, dessen demokratische Legitimierung. Eine solche sucht man auch in vielen Empfängerländern deutscher Rüstungsexporte aber vergeblich.

Im Oktober 2011 überrollten und töteten ägyptische Panzer offenkundig friedliche Demonstranten. Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass es sich dabei um Radpanzer vom Typ "Fahd" handelte, die Ägypten mit Lizenz und Materialpaketen aus Deutschland herstellt. Menschenrechte werden ebenso im autoritären Saudi-Arabien verletzt. Die dortigen Sicherheitskräfte sind mit Sturmgewehren "Made in Germany" ausgestattet. Die geplanten deutschen Panzerlieferungen an das saudische Königshaus sind nicht minder problematisch. Kurz nach Beginn des "Arabischen Frühlings" schickte Saudi-Arabien Panzer zur Niederschlagung von Protesten ins benachbarte Bahrain. Auch Indonesien, das jüngst einen Vertrag mit Deutschland über den Kauf von mehr als 100 Kampf- und 50 Schützenpanzern abgeschlossen hat, könnte diese Waffen zur Bekämpfung von Aufständischen oder zur Niederschlagung von Oppositionsgruppen nutzen. Ihr militärischer Nutzen wäre in der von gebirgigen und bewaldeten Inseln geprägten Region ansonsten sehr begrenzt.

Angesichts der friedenspolitischen Risiken ist eine politische Kontrolle und Einhegung des globalen Waffenhandels dringend geboten. Auf internationaler Ebene gibt es bislang nur wenige Regulierungsmechanismen. Am 2. April 2013 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen einen weltweiten Waffenhandelsvertrag (Arms Trade Treaty, ATT), den viele Beobachter als Meilenstein auf dem Weg zu einer weltweiten Kontrolle sehen. Der Vertrag soll die Verfügbarkeit von Waffen in Spannungs- und Krisengebieten reduzieren. Dadurch sollen gewaltsame Eskalationen verhindert und Rüstungslieferungen an Regime, die Menschenrechte missachten, erschwert werden. Doch weckt der ATT gelegentlich falsche Hoffnungen: Auch wenn es nun erstmals globale Kriterien zur Bewertung von Waffentransfers gibt, bleibt die Entscheidung über Rüstungsexporte unverändert in der Souveränität der Staaten. Erschwerend kommt hinzu, dass der Vertrag bei etwaigen Verstößen keine Sanktionen vorsieht.

Das gleiche gilt auch für den Gemeinsamen Standpunkt der Europäischen Union zu Rüstungsexporten aus dem Jahr 2008 – das bislang konkreteste zwischenstaatliche Abkommen zur Regulierung und Kontrolle von Waffenhandel. Die EU-Mitglieder einigten sich auf insgesamt acht Kriterien, die bei der Genehmigung von Rüstungsexporten berücksichtigt werden sollten. Diese reichen von der Menschenrechtssituation im Empfängerland über die Konfliktlage in der Region bis zur Gefahr, dass Rüstungsgüter an Dritte weiterverkauft werden oder Waffenlieferungen die Entwicklungsbemühungen einzelner Staaten behindern. Eine supranationale Verbindlichkeit schafft dieses Regelwerk jedoch nicht. Auch im Falle des Gemeinsamen Standpunkts bleibt die letztendliche Entscheidung über Rüstungsexporte eine souveräne Entscheidung der einzelnen EU-Mitgliedstaaten. Die meisten EU-Staaten berücksichtigen die Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts. Ihre Auslegung ist aber von Land zu Land verschieden. So finden sich in der Genehmigungspraxis der EU-Mitgliedstaaten zahlreiche Widersprüche, etwa bei dem Export von Rüstungsgütern nach Libyen oder Russland.

Deutsche Rüstungsexportpolitik

In Deutschland sind die Kriterien des Gemeinsamen Standpunkts der EU in die "Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern" eingeflossen, die am 19. Januar 2000 formuliert wurden. Sie weisen in einem entscheidenden Punkt über den Gemeinsamen Standpunkt der EU hinaus. "Der Export von Kriegswaffen" in Drittstaaten außerhalb von NATO und EU, so heißt es darin, "wird nicht genehmigt, es sei denn, dass im Einzelfall besondere außen- oder sicherheitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutschland (…) für eine ausnahmsweise zu erteilende Genehmigung sprechen. Beschäftigungspolitische Gründe dürfen keine ausschlaggebende Rolle spielen." Es geht also nicht nur darum, eine Genehmigung zu versagen, wenn das Empfängerland zum Beispiel bestimmte Menschenrechtsstandards nicht erfüllt. Vielmehr bedarf es einer aktiven Begründung, warum ein Rüstungsexport im außen- und sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands liegt.

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um Waffenlieferungen in einen Drittstaat als Ausnahme politisch rechtfertigen zu können? Wenn überhaupt, dann können Rüstungslieferungen nur für eine sehr kurzfristige Stabilität sorgen; mittel- bis langfristig unterminieren sie meist jene friedenspolitischen Bemühungen, die darauf abzielen, Vertrauen zwischen Konfliktparteien zu schaffen und nach Wegen zu einer "gemeinsamen Sicherheit" zu suchen. Die "Ertüchtigung" fragiler Staaten mit militärischer Ausstattungshilfe mag in Einzelfällen wiederum Sinn machen, stößt in der Praxis aber auf viele Probleme. Für eine stärker sichtbare und durchdachte außen-, sicherheits- oder gar friedenspolitische Strategie bei deutschen Rüstungsexporten in den Nahen und Mittleren Osten und nach Asien bedarf es zum einen einer größeren Transparenz bei Begründungen von Exportgenehmigungen sowie einer parlamentarischen Kontrolle. Zum anderen gehören Waffenlieferungen an Länder in Krisenregionen und mit schlechten Menschenrechtsstandards grundsätzlich auf den Prüfstand.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. SIPRI (ed.), SIPRI Yearbook 2013, Oxford 2013.

  2. Vgl. HIIK (ed.), Conflict Barometer 2012, Heidelberg 2013, S. 4.

  3. Vgl. SIPRI (Anm. 1).

  4. Vgl. Marc von Boemcken, Between Security Markets and Protection Rackets, Opladen u.a. 2013, S. 223.

  5. Vgl. John H. Herz, Idealist Internationalism and the Security Dilemma, in: World Politics, 2 (1950) 2, S. 157–180.

  6. Vgl. Garen J. Wintemute, Tragedy’s Legacy, in: The New England Journal of Medicine, 368 (2013) 5, S. 397–399.

  7. Vgl. Jerry Sommer, Aufrüstung im Nahen Osten, in: Marc von Boemcken et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2013, Berlin 2013, S. 84–97.

  8. Vgl. BICC (ed.), Global Militarization Index (GMI), Externer Link: http://www.bicc.de/old-site/index.php?page=ranking-table (19.7.2013).

  9. Vgl. J. Sommer (Anm. 7), S. 85.

  10. Vgl. SIPRI (Anm. 1).

  11. Vgl. BT-Drucksache 17/12440, 18.2.2013.

  12. Zit. nach: Der Spiegel, Nr. 48 vom 26.11.2012.

  13. Vgl. J. Sommer (Anm. 7), S. 90.

  14. Vgl. Paul Holtom et al., Trends in International Arms Transfers, 2012, SIPRI Fact Sheet, März 2013.

  15. Vgl. Sam Perlo-Freeman et al. Trends in World Military Expenditure, SIPRI Fact Sheet, April 2013.

  16. Vgl. Hans-Joachim Schmidt, Nordkoreas Schwäche, in: M. v. Boemcken et al. (Anm. 7), S. 292–303.

  17. Vgl. Jan Grebe/Christoph Schwarz, Sicherheitspolitische Implikationen maritimer Aufrüstung im asiatisch-pazifischen Raum, BICC Occasional Paper, Februar 2013.

  18. Vgl. Jan Grebe/Peter Kreuzer, Lässt sich der Drache zähmen?, in: M. v. Boemcken et al. (Anm. 7), S. 69–83.

  19. Vgl. Thomas Hobbes, Leviathan, Oxford 1998 [1651], S. 84.

  20. Vgl. Marc von Boemcken, Hochrüstung in armen Staaten?, in: Andreas Heinemann-Grüder et al. (Hrsg.), Friedensgutachten 2008, Berlin 2008, S. 129–140.

  21. Vgl. BICC (Anm. 8); Foreign Policy/Fund for Peace, Failed State Index 2012, Externer Link: http://www.foreignpolicy.com/failed_states_index_2012_interactive (19.7.2013).

  22. Rede der Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation in Strausberg, 22.10.2012, Externer Link: http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Rede/2012/10/2012-10-22rede-merkel-bundeswehr.html (19.7.2013).

  23. Vgl. M.v. Boemcken (Anm. 4), S. 139–145.

  24. Vgl. Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (Hrsg.), Rüstungsexportbericht 2012, Bonn–Berlin 2013.

  25. Vgl. Jan Grebe, Harmonized EU Arms Exports Policies in Times of Austerity?, Bonn 2013.

  26. Vgl. Externer Link: http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/A/aussenwirtschaftsrecht-grundsaetze,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf (5.8.2013).

  27. Vgl. Michael Brzoska, Waffen nach Mali und Saudi-Arabien?, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (2013) 2, S. 52–60; Joachim Krause, Gibt es eine Merkel-Doktrin?, in: Internationale Politik, (2013) 1, S. 100–105.

  28. Vgl. Jan Grebe/Sebastian Roßner, Parlamentarische Kontrolle und Transparenz von Rüstungsexporten, Bonn 2013.

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Dr. rer. pol., geb. 1976; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bonn International Center for Conversion (BICC), Pfarrer-Byns-Straße 1, 53121 Bonn. E-Mail Link: boemcken@bicc.de

M.A., geb. 1982; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am BICC (s.o.). E-Mail Link: grebe@bicc.de