Die Fülle an Publikationen, die sich im weitesten Sinne mit der Frage nach dem Menschen auseinandersetzen, vermittelt den Eindruck, dass es zum Menschsein dazugehöre, irgendeine Vorstellung darüber zu haben, was den Menschen im Wesentlichen ausmacht. Offenkundig helfen uns solche Bilder vom Menschen, zu bestimmen, "was wir als unsere fundamentalen Eigenschaften annehmen". Da Begriffe nicht nur der Bezeichnung von Dingen dienen, sondern auch ihrer Unterscheidung voneinander, beschreiben Menschenbilder nicht nur positiv, was den Menschen ausmacht. Vielmehr umfassen sie auch explizit all jene Eigenschaften, die den Menschen von Nicht-Menschen – Tieren, Pflanzen und Maschinen – unterscheiden. Dabei handelt es sich lediglich um Vorstellungen vom Menschen. Denn "das Wort Mensch ist kein Mensch. Wir müssen hinzulernen: Es gibt nichts, was als Einheit eines Gegenstandes dem Wort entspricht." So sind Menschenbilder stets als Konstruktionen zu betrachten, die "nicht einfach vorgefunden werden oder unabhängig vom Menschen existieren, sondern (…) nach Bedarfslage, Zielsetzung und weltanschaulicher Orientierung" immer wieder neu entworfen werden müssen. Trotz ihres Anspruchs auf universelle Geltung gehen Menschenbilder also immer aus einem bestimmten geschichtlichen Kontext hervor und sind daher historisch kontingent. Der Prozess ihrer Veränderung verweist nicht nur auf den Wandel von menschlichen Selbstverständnissen, sondern spiegelt zudem gesamtgesellschaftliche Veränderungen wider.
Die Funktion von Menschenbildern beschränkt sich nicht auf die Bestimmung der wie auch immer gearteten menschlichen Natur. Weitaus wichtiger ist ihr idealisierender Charakter, zumal jede Vorstellung vom Menschen in gewisser Weise auch eine Umschreibung dessen ist, was als menschliche Idealität gilt. Jedes Menschenbild geht daher einher mit der normativen Erwartung, jenem theoretisch entworfenen Bild zu entsprechen. Durch diesen normativen Aspekt erlangen Menschenbilder gleichsam eine politische Relevanz. Denn um eine bestimmte Vorstellung vom idealen Menschen geltend und damit verbindlich für alle Mitglieder der Gesellschaft zu machen, bedarf es zwangsläufig gewisser politischer Instrumente (wie etwa Erziehungsmaßnahmen) und folglich auch der Besetzung von einschlägigen Machtpositionen. Konflikte zwischen konkurrierenden Menschenbildern, von denen jedes für sich die Gesellschaft gemäß seinen eigenen Annahmen über die menschliche Natur gestalten möchte, sind daher unvermeidlich. Diese für das politische Feld charakteristischen Kämpfe "um die legitime Durchsetzung der Sicht- und Teilungsprinzipien der sozialen Welt" verdeutlichen die enge Verwobenheit von Menschenbildern und politischen Strukturen. Ob man immer zugleich auch von Politik spricht, wenn man von Menschenbildern redet, soll hier nicht weiter erörtert werden. Fest steht jedoch, dass die Frage, ob ein konkretes Menschenbild tatsächlich geeignet ist, reales menschliches Verhalten adäquat zu beschreiben, zumindest in politischen Zusammenhängen eine eher untergeordnete Rolle spielt. Politisch bedeutsam sind Menschenbilder vor allem deshalb, weil man immer wieder auf sie zurückgreift, um bestehende Herrschaftsverhältnisse zu legitimieren, Teile der Gesellschaft auszugrenzen, Fremde oder Feinde als defizitäre Menschen zu stigmatisieren oder ihnen gar ihr Menschsein als solches abzuerkennen.
Der begrenzte Mensch der Antike.
Sowohl für die bildenden Künste in der Antike, als auch für die Philosophie, die sich von den ionischen Naturphilosophen mit ihrem Problem des Kosmos hin zum Problem des Menschen als zoon politikon entwickelt hat, waren Mensch, Menschwerdung und Menschendasein ein unerschöpfliches Thema. Zwei vielzitierte Forderungen des frühgriechischen Denkens dienen in diesem Zusammenhang als Leitmotive: der dem Dichter Pindar (5. Jahrhundert v. Chr.) zugeschriebene Satz "Werde, der du bist!" sowie das Mahnwort des Gottes Apollon "Erkenne dich selbst". Während der erste Satz offenkundig eine Aufforderung an den Menschen ist, Mensch zu werden, das heißt ein seinem wahren Selbst entsprechendes Leben zu führen, ist der zweite eine Aufforderung, eben jenes Selbst zu erkennen. Das Orakel Apollons ist zugleich eine Belehrung an den Menschen, sich der Grenzen seiner Erkenntnis gewahr zu werden: "Erkenne dich selbst" heißt demnach auch "erkenne dein Maß".
Der altgriechische Geist hat den Menschen stets im Gegensatz zur Gottheit gedacht und in seiner Auffassung des Menschen dessen Unvollkommenheit scharf von der Vollkommenheit Gottes abgegrenzt. So ist es nicht das eigene Wesen oder gar ein individueller Charakter, aus dem menschliche Antriebe und Fähigkeiten aufsteigen, sondern göttliche Kräfte, die diese bewirken. Mit anderen Worten: Die Antike denkt den Menschen als einen, der grundsätzlich von außen bestimmt ist. Erst das Eingreifen der Götter in das Geschehen verursacht eine Handlung. Exemplarisch für diese frühgriechische Auffassung menschlicher Handlungen sind die homerischen Erzählungen: "Wo immer ein Mensch mehr leistet oder mehr sagt, als sein bisheriges Verhalten erwarten läßt, führt Homer dies (…) auf das Eingreifen eines Gottes zurück." Somit stellt sich in der Tat heraus, dass Vieles, "was die Griechen an Wesentlichem für das europäische Denken gewonnen haben, in Formen hervorgetreten (ist), die (…) uns vertrauter zu sein pflegen aus der Sphäre des Religiösen als aus der Geistesgeschichte".
Der autonome Mensch der Moderne.
Während der Mensch der Antike fremdbestimmt (heteronom) ist, gilt im neuzeitlichen Denken die Autonomie als das bestimmende Moment menschlichen Handelns. Im Sinne Immanuel Kants bedeutet Autonomie in erster Linie moralische Autonomie als einziges Prinzip aller moralischen Gesetze: "Das Prinzip der Autonomie ist also: nicht anders zu wählen als so, daß die Maximen seiner Wahl in demselben Wollen zugleich als allgemeines Gesetz mit begriffen seien." Heteronomie hingegen ist, wenn der Wille "in der Beschaffenheit irgend eines seiner Objecte das Gesetz sucht, das ihn bestimmen soll (…). Der Wille giebt alsdann sich nicht selbst, sondern das Object durch sein Verhältnis zum Willen giebt diesem das Gesetz." Alle Maximen, die mit der eigenen allgemeinen Gesetzgebung des Willens nicht zusammen bestehen können, sind heteronom und daher unsittlich. Heteronom verhält sich somit jeder, der geltende Moralvorstellungen – selbst wenn sie zustimmungsfähig sein sollten – ungeprüft zum Prinzip seines Handelns macht. Wenn also ein moralisches Gesetz wie beispielsweise bei Homer göttlichen Ursprungs ist, wird es "zur Autonomie erst dann, wenn es zur Vorstellung (…) gemacht wird". Autonomie lässt daher keine Verbindlichkeit zu, die der eigenen Einsicht entzogen ist. Genau in diesem Sinne bedeutet sie "Selbstgesetzgebung" und "Selbstbestimmung".
Während antikes Denken noch von außen nach innen dachte, kann nun umgekehrt behauptet werden, dass neuzeitliches Denken von innen nach außen denkt, ohne jedoch "in eine Transzendenz, in ein metaphysisches Jenseits" zu gelangen. Im Gegenteil: Es zeichnet sich hier ein allmählicher Bruch mit der gesamten religiös-theologischen und der philosophischen Tradition ab. Die traditionelle prinzipielle Voraussetzung des Menschenbegriffs, der Gedanke des Transzendierens des Natürlichen als Wesensbestimmung des Menschen, wird immer mehr verdrängt. Das Bild vom Menschen ist nunmehr ein anthropozentrisches, und es ertönt die Forderung, den Menschen als ein radikal auf sich selbst gestelltes und nur aus sich selbst zu verstehendes Wesen zu denken: "Wo aber der Mensch den Grund seiner Humanität außer sich hat in einem, wenigstens seiner Vorstellung nach, nicht menschlichen Wesen, wo er also aus nicht menschlichen, aus religiösen Gründen menschlich ist, da ist er eben auch noch kein wahrhaft menschliches, humanes Wesen. Ich bin nur dann Mensch, wenn ich aus mir selbst das Menschliche tue, wenn ich die Humanität als die notwendige Bestimmung meiner Natur, als die notwendige Folge meines eigenen Wesens erkenne und ausübe."
Im Gegensatz zum Christentum, für welches Christus "das Menschenbild schlechthin" ist und welches die Verwirklichung der Wesensnatur des Menschen nur durch Jesus Christus möglich sieht, wird nun der neue, rein mundane Mensch auserkoren als einzig "vollständiger Mensch". Das Wesen des Menschen wird nicht mehr durch wie auch immer näher zu definierendes Göttliches bestimmt, sondern fortan beschrieben mit dem Begriff der als ahistorisch verstandenen Natur des Menschen.
Die Selbstbestimmungsfähigkeit des Menschen ist daher keineswegs als eine bloße Abwehr der Heteronomie zu verstehen. Vielmehr scheint hier eine Vorstellung vom Menschen durch, die dessen Natur als eine dynamische begreift. Menschsein ist demnach nicht einfach ein Zustand, in den der Mensch hineingeboren wird, sondern vielmehr "eine Aufgabe, der er durch bewußte Entwicklung seiner Fähigkeit" zu genügen hat. Es zeichnet sich aus durch ständige Tätigkeit und Schöpfungskraft. Während also noch Aristoteles ein beschauliches und kontemplatives Leben als das menschlichste von allen – weil der Gottheit am meisten verwandt – ansah, ist für neuzeitliche Denker die Entfaltung menschlicher Kräfte und Fähigkeiten allein durch ständige Tätigkeit möglich, nie durch bloße Kontemplation oder Rezeptivität. Denn erst durch "diesen produktiven Prozeß verwirklicht der Mensch sein eigenes Wesen, er kehrt zu seinem eigenen Wesen zurück".
Dies verändert die Stellung des Menschen im Kosmos in entscheidendem Maße. Er ist jetzt nicht mehr das Werkzeug irgendwelcher Götter, sondern mehr und mehr Schöpfer seines eigenen Lebens. Der neuzeitliche Umbruch beginnt also damit, dass der Mensch das Universum, die Natur und die Welt und schließlich sich selbst mit anderen Augen sieht. Er entdeckt die allgemeine Gesetzmäßigkeit des Universums ebenso wie seine Andersartigkeit und Sonderstellung als Vernunftwesen in diesem Universum. Schießpulver, Buchdruckerkunst, mechanische Uhren, Magnetnadel, Fernrohr und Mikroskop – all diese und andere mit dem 16. Jahrhundert beginnenden naturwissenschaftlichen Errungenschaften lassen die Natur nunmehr als Substrat erscheinen, das sich der Mensch mit Instrumenten und Technik heranholt und bearbeitet. Kurzum: Der Mensch tritt an die Stelle Gottes. Er sieht sich nicht mehr einer gottgegebenen Ordnung ausgeliefert, sondern kann diese durch Aneignung von Wissen über die natürlichen Gesetze mithilfe der Wissenschaften aktiv gestalten und sich dienstbar machen. Der Glaube an einen wissenschaftlich-technischen Fortschritt setzt sich allmählich durch.
Die Gestaltbarkeit von Welt beschränkt sich jedoch nicht auf die natürliche Umwelt des Menschen. Auch die soziale Ordnung verliert den Charakter ihrer Unveränderlichkeit. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit erscheint die bewusste Steuerung gesellschaftlicher Prozesse möglich. Mehr noch, der Mensch selbst avanciert zum Subjekt seiner Geschichte, die fortan als das Ergebnis spezifisch menschlicher Leistungen erachtet wird. Auch politische Herrschaft definiert sich demzufolge nicht mehr zeitlos aus sich selbst als natürlich oder göttlich gegeben, sondern ist letztlich ein Produkt des erkennenden und handelnden Menschen. Sie basiert auf einem Vertrag zwischen dem selbstbestimmten Subjekt, der damit seinen politischen Partizipationsanspruch zum Ausdruck bringt, und den staatlichen Akteuren, die von nun an ihr Handeln gegenüber den Bürgern rechtfertigen müssen. Während also in der Vormoderne die gesellschaftliche Ordnung auf der Ungleichheit von Ständen basierte, wird im 18. Jahrhundert die "extrasozietale Bestimmung der Individualität des Menschen" zum Leitmotiv des Menschenbildes. Die Eigenschaften des Menschen werden nicht mehr primär durch Zugehörigkeit zu einem Stand oder einer Familie bestimmt, sondern durch die Herauslösung des Menschen aus der sozialen Ordnung – eben durch seine ahistorisch verstandene, vorgesellschaftlich festgelegte Natur. Freiheit und Gleichheit bilden dabei die Grundkategorien.
Die Erfolge der Wissenschaften bringen allerdings auch mit sich, dass sich zunehmend eine verwissenschaftlichte Auffassung vom Menschen etabliert. Vor allem durch den Naturforscher Charles Darwin kristallisiert sich mithin ein Menschenbild heraus, das den Menschen als ein in der Evolution entstandenes Lebewesen versteht. Er unterliegt somit den gleichen Prozessen der Variation und Selektion wie die Tiere. Mit Darwin wird der Mensch auf radikale Weise in die Natur reintegriert. Obwohl auch hier seine Sonderstellung nicht infrage gestellt wird, beruht diese jedoch "nicht mehr auf kategoriellen, sondern auf graduellen Differenzen zu seinen nächsten nichtmenschlichen Verwandten". Parallelen zum naturalistischen Menschenbild der gegenwärtigen Neurobiologie und Neurophilosophie, welche den freien Willen des Menschen als Illusion abtun, sind deutlich erkennbar. Klar dürfte aber auch sein, dass eine derartige Sichtweise im Widerspruch zum Menschenbild der Aufklärung steht, wo doch Kants Autonomiebegriff sich auch und vor allem gegen eine Fremdbestimmung durch Naturkausalität richtet.
Auch die säkulare Auffassung von Geschichte, die historische Vorgänge nicht mehr als das Resultat göttlicher Lenkung oder allgemeiner als das Wirken außerweltlicher Kräfte verstehen will, hat eine einschneidende Konsequenz: Sie bringt eine Geschichtswissenschaft hervor, die mit der Absicht antritt, eine Ordnung in ihren Gegenstandsbereich zu bringen und ihn nach dem Vorbild der exakten Wissenschaften zu systematisieren. Die Annahme, dass auch historische Entwicklung nichts anderes ist als ein zwangsläufiger und nach quasi-natürlichen Gesetzmäßigkeiten ablaufender Prozess, liegt hier also recht nahe. So gibt es nicht wenige Theorien von sozialem Wandel, die gesamtgesellschaftliche Veränderungen als vom Menschen unabhängig stattfindende evolutionäre Prozesse begreifen und auf diese Weise zumindest teilweise die Auffassung vom seine Geschichte machenden Menschen ausschließen. Insbesondere Michel Foucault stellte dem gängigen Grundpostulat eines souveränen Schöpfersubjekts einen Ansatz gegenüber, der das Subjekt als Produkt gesellschaftlicher Machtverhältnisse und nicht als Urheber einer gesellschaftlichen Ordnung entwirft. Der Mensch sei nur "eine Erfindung".
Bruch oder Kontinuität?
Kann angesichts dieser knapp skizzierten Pluralität moderner Menschenbilder tatsächlich von einem radikalen Bruch mit der Vergangenheit gesprochen werden, finden sich doch zahlreiche Elemente vormodernen Denkens in genuin modernen Vorstellungen von menschlicher Bestimmtheit wieder? Allen voran ist es sicherlich das moderne Verständnis von Menschenwürde, bei dem es sich um eine Umdeutung des traditionellen Konzepts der Gottesebenbildlichkeit zu handeln scheint. Der einzige Weg, dieses Ebenbild zu verwirklichen, besteht für den Christen darin, sich von der "Konstruktion von ‚Spinngeweben‘ und Zwängen, in denen er sich selbst verfängt", zu lösen und sich von der Entfremdung der Sünde zu befreien. Auch der Idee vom autonomen Menschen wohnt diese in gewisser Weise kritische und emanzipatorische Funktion inne. Denn allein in der theoretischen Isolierung gegenüber allen sozialen Bezügen und Formen der Fremdbestimmung liegt für Kant die Freiheit und moralische Selbstbestimmung des Menschen. Während für den christlichen Menschen also die völlige Entfaltung seines Menschseins dadurch erfolgt, dass er sich "dieselben Eigenschaften, die auch Gott kennzeichnen", aneignet, strebt der Mensch der Aufklärung nach vernünftiger Selbstverwirklichung. Trotz der Differenzen zwischen modernen und vormodernen Menschenbildern herrscht hier keineswegs eine Dichotomie vor. Vielmehr scheint durch, dass "auch in modernen oder sich modernisierenden Gesellschaften starke Traditionen, verbindliche und in der Vergangenheit wurzelnde" Denk- und Verhaltensweisen überdauern, ja dass die Inkorporierung traditionaler Elemente sogar eine notwendige Bedingung für Modernisierungsprozesse überhaupt ist.
Eine wesentliche Kritik an modernen Menschenbildern richtet sich an die Annahme von der unwandelbaren Natur des Menschen. Diese Vorstellung lasse die Tatsache außer Acht, dass der Mensch in erster Linie ein Ergebnis und Produkt sozialer Formungsprozesse ist. Darüber hinaus übersehe sie, dass es sich bei der Natur des Menschen um ein historisch konkret verortbares Konzept handelt und nicht um eine übergeschichtliche Kategorie. Dieses Verständnis von menschlicher Natur berge die Gefahr in sich, dass das eigene Menschenbild verabsolutiert und als Maßstab für andere Vorstellungen vom Menschen gesetzt wird. Angesichts auch der normativen Implikationen münde eine als naturgegeben angenommene Auffassung vom Menschen daher letztlich in einen moralischen Monismus. Andere Menschenbilder erscheinen in diesem Fall als falsch oder bestenfalls als defizitär. Die notwendige Grundlage für Rassismus, Kolonialismus oder Totalitarismus wäre somit gegeben. Unter Umständen kann dies sogar – wie es die Beispiele der Bolschewiki oder der Nationalsozialisten zeigten – zu Versuchen führen, einen neuen Menschen gemäß dem eigenen Ideal zu erschaffen, einhergehend mit der mehr oder weniger gewaltsamen Assimilierung von Widersachern, deren Menschsein infrage gestellt wird.
Kritik an modernen Menschenbildern wird auch von Seiten der monotheistischen Religionen formuliert. Dabei speist sich ein erheblicher Teil der Ablehnung aus der Überzeugung, ein Teil der göttlichen Schöpfung zu sein, was wiederum im reduktionistischen Menschenbild der modernen Wissenschaften nicht seinen Niederschlag finde. Dabei sei es nicht die menschliche Natur, sondern die einzigartige Beziehung des Menschen zu Gott, die ihn vom Rest der Schöpfung unterscheide. Die Gottesebenbildlichkeit sei dem Menschen "nicht nur als Wesenskonstitutivum, sondern auch als Zielpunkt aufgegeben", wobei Christus die Norm dessen sei, "was der Mensch ist". Hier deuten sich auch Unterschiede zwischen den Menschenbildern der monotheistischen Religionen an: Beispielsweise argumentiert Alija Izetbegović, bosnischer Politiker und Philosoph, dass während der reine Materialismus den Menschen als von äußerlichen Vorgängen determiniert sehe und ihm somit gewissermaßen das Menschsein abspreche, das Christentum ihm hingegen gänzlich die Möglichkeit verschließe, sich zu verwirklichen, denn nach christlichem Denken könne nur Gott selbst ein vollkommener Mensch sein.
Bei aller Differenz haben diese Kritiken eine Gemeinsamkeit; dass sie nämlich in keiner Weise als Aufruf interpretiert werden dürfen, in die Vormoderne zurückzukehren. Der muslimische Mystiker Mohammad Iqbal drückt es am präzisesten aus, indem er den modernen Muslim als jemanden charakterisiert, der angesichts der modernen Lebenswirklichkeit das gesamte Gedankengebäude des Islams neu denken müsse, ohne jedoch völlig mit der Vergangenheit zu brechen. All diese Einwände formulieren sich aus ihrer spezifischen Situation in der Moderne heraus – und sind damit ein wesentlicher Bestandteil der Moderne selbst.