"In Zeiten der Globalisierung zählt nicht, ob man selber erschöpft ist." (Angela Merkel)
Am 9. August 2010 kam es auf dem John F. Kennedy Flughafen in New York zu einem denkwürdigen Ereignis. Nach der Landung des Fluges JB 1052 griff sich Flugbegleiter Steven Slater, vermeintlich nach einem Streit mit einer Passagierin, das Bordmikrofon und bedachte die Fluggäste mit einer heftigen Tirade. Dann nahm er sich zwei Bier aus dem Bordkühlschrank, aktivierte die Notrutsche, verließ über selbige seinen Arbeitsplatz und fuhr nach Hause. Dort wurde er kurz darauf festgenommen. Doch noch bevor ihm der Prozess wegen Gefährdung der Sicherheit gemacht wurde, nahm der Fall eine eigenartige Wendung: Nachdem Slaters Story weltumspannend von Medien verbreitet wurde, formierte sich ein Unterstützernetzwerk mit Hunderttausenden Beteiligten, das ihn als Helden feierte – und seiner Bewunderung in Kommentaren, Devotionalien und sogar in gut zwei Dutzend Folksongs Ausdruck verlieh.
Dabei wirft die weitreichende Begeisterung über Slaters buchstäblichen "Ausstieg", ganz unabhängig von ihrer Bewertung, interessante soziologische Fragen auf. Was macht eine – auf den ersten Blick isolierte, in ihren Folgen scheinbar arg begrenzte – Affekthandlung so interessant, dass sie globale Aufmerksamkeit erlangt? Und was macht sie, darüber hinaus, so populär, dass sich um sie sofort ein (wenn auch kurzlebiger) Kult erhebt? Entscheidend ist hier, dass Slaters "Ausraster" eben nicht als isoliertes Ereignis, sondern als Ausbruch aus einer sozialen Logik gesehen wird, die von seinen Bewunderern als Quelle systematischer Überforderung erlebt wird. Um nur einen der Liedermacher zu zitieren:
Ain’t we all had a day
When we just had enough
Ain’t it true each one of us
Has been battered, worn, and rough
Ain’t you never felt irate
And won’tcha get irater
Well, my friends, we have a hero now
I speak of Steven Slater
(…)
Perhaps it’s great to keep your cool
But sometimes it is greater
To bid one final fuck you too
As did Steven Slater
In dieser Perspektive ist Slater kein Egomane, der seinen eigenen Impulsen nachgibt und damit andere gefährdet, sondern derjenige, der – indem er sich der Beherrschung seiner Gefühle verweigert – ein Zeichen gegen emotionale Ausbeutung setzt. Slaters Frust wird so zum paradigmatischen Fall modernen Leidens und seine Impulshandlung zum emanzipativen Akt:
They turn a kind man to a hater
Won’t nobody stand up to this?
One man: Steven Slater
Von besonderem Interesse ist diese Konstellation auch darum, weil sie an eine der Gründungsfiguren der Emotionssoziologie anschließt. In einer grundlegenden Studie untersuchte die US-amerikanische Soziologin Arlie Hochschild nämlich bereits 1983, inwiefern es in zunehmenden Maße zum Anforderungsprofil von Stewardessen gehörte, ihre Gefühle in bestimmter, in Handbüchern und Verhaltensrichtlinien schriftlich festgehaltener Weise zu bearbeiten, um den Passagieren einen möglichst angenehmen Flug zu ermöglichen. Damit sind sie für Hochschild prototypische Betroffene einer tief greifenden gesellschaftlichen Transformation, in deren Rahmen sich eine globalisierte Serviceökonomie zunehmend auf die Normierung und Kommerzialisierung von Gefühlen stützt. Doch diese Manipulation habe ihren Preis, denn "wenn das massenhaft herzustellende Produkt ein Lächeln, eine Stimmung, ein Gefühl oder eine Beziehung ist, dann wird es immer mehr Teil des Unternehmens oder der Organisation und gehört immer weniger zum Selbst. Das ist auch ein Grund dafür, warum (…) die Menschen sich privat zu fragen beginnen (…): Was sind meine echten, wahren Gefühle, was empfinde ich wirklich?"
Indem sie über den zunehmenden Zwang zur Gefühlsarbeit einen Zusammenhang zwischen kapitalistischer Modernisierung und individueller Entfremdung herstellt, wandelt Hochschild auf den Spuren jener soziologischen Tradition, die sich – etwa in Person von Karl Marx, Max Weber oder Sigmund Freud – für die subjektive Kehrseite gesellschaftlicher Modernisierung interessiert. Als deren gemeinsamen Fluchtpunkt lässt sich die Einsicht ausmachen, dass diese "Kehrseite" ihren Ausdruck in einem unspezifischen Gefühl – der "Entfremdung" (Marx), der "Entzauberung" (Weber) oder des "Unbehagens" (Freud) – findet, das als solches kaum bewusst, aber dennoch – als Quelle von Störungen – sozial wirkmächtig ist. Die Auseinandersetzung mit ihrer emotionalen Seite lässt soziale Prozesse dabei jeweils in einem neuen Licht erscheinen, das ihre Reproduktion als problematischer denn gemeinhin angenommen offenbart.
In diesem Sinne lassen sich auch die Aufmerksamkeit und die Begeisterung, die Slaters emotionale Unbeherrschtheit auf sich zieht, als Hinweis auf die zentrale und dabei keineswegs unproblematische Rolle der Gefühle in sozialen Wandlungsprozessen verstehen. In Fällen wie diesem, ließe sich behaupten, artikuliert sich ein Unbehagen an der globalisierten Welt, das sprachlich nur unvollständig artikuliert, aber deshalb nicht weniger folgenreich ist.
Indem sie soziale Erschütterungen auf diese Weise gleichsam seismografisch abbilden, bieten Gefühle einen privilegierten Zugang, um zeitgenössische Entwicklungen in ihrer Problematik zu verstehen. Allerdings werden soziologische Erklärungen diesem Potenzial in aller Regel kaum gerecht: Weder verfügen die meisten soziologischen Theorien über einen adäquaten Gefühlsbegriff, noch gelten Gefühle überhaupt als selbstverständlicher Bestandteil soziologischer Modelle. Um die Frage des vorliegenden Textes nach der Rolle der Gefühle in Zeiten der Globalisierung zu beantworten, ist es deshalb unvermeidlich, im Folgenden zunächst zu klären, was wir unter Gefühlen überhaupt verstehen können und welche soziale Bedeutung ihnen demnach zukommt. Auf dieser Grundlage wende ich mich dann, vor allem unter dem Stichwort der Globalisierung, der affektiven Dimension der Gegenwart und ihrer spezifischen emotionalen Problematik zu.
Gefühle – Körper oder Kognition?
Gefühle, durchaus grundlegender Bestandteil klassischer Philosophien, sind mit zunehmender Verwissenschaftlichung des modernen Denkens in den Hintergrund getreten. Dies dürfte daran liegen, dass es, wie Freud sagte, "nicht bequem (ist), Gefühle wissenschaftlich zu bearbeiten".
Physiologische Emotionstheorien verstehen Gefühle als Wahrnehmungen autonomer Körperprozesse. Ein bestimmter Reiz löst demnach ein bestimmtes Reaktionsbündel aus: Ich begegne einem Hund, der mich anknurrt; bekomme Herzklopfen, spanne die Muskeln an, schneide eine Grimasse und verspüre den Drang zu flüchten; und das Bewusstsein dieser Veränderungen macht das Gefühl der Furcht aus. Jüngere neurowissenschaftliche Forschungen ordnen solche "Basisemotionen" zudem spezifischen Mustern von Hirnaktivität zu. Aus dieser Sicht sind "Hirnzustände und körperliche Reaktionen (…) die grundlegenden Tatsachen einer Emotion", die bewussten Gefühle dagegen nur der "Zuckerguss".
Der Vorwurf, der einer solchen Sicht zu machen ist, lautet, dass sich Gefühle nicht auf ein derart schlichtes Reiz-Reaktions-Schema reduzieren lassen. Nicht nur, dass weder Reiz noch Reaktion klar zu bestimmen sind; vor allem scheinen Gefühle über die Wahrnehmung der eigenen Körperreaktion hinaus auch eine bestimmte Wahrnehmung des vorausgehenden Reizes vorauszusetzen. Nicht jeder hat gleichermaßen Angst vor dem Hund. Vielmehr scheint unsere Angst ein bestimmtes Urteil über dessen Bedrohlichkeit zu implizieren.
Hier setzen kognitivistische Emotionstheorien an, die Gefühle als besondere, nämlich leiblich gespürte Urteile verstehen. Damit allerdings tun sich wiederum neue Fragen zum Verhältnis von gedachten und gefühlten Urteilen auf. Wie erklären wir etwa den Fall, dass wir den Hund für ungefährlich halten und trotzdem Angst verspüren? Oder dass Kleinkinder und Katzen sich ebenfalls vor ihm zu fürchten scheinen? Angesichts dieser Fragen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass "gefühlte Bewertungen" Kombinationen von Körper- und Denkvorgängen ganz eigener Art sind
An dieser Stelle besteht schließlich die dritte Möglichkeit darin, Gefühle gewissermaßen zwischen Körper und Denken anzusiedeln – nicht als bestimmte Wahrnehmung der Welt, sondern als Abdruck der Verunsicherung, die entsteht, wenn sich unsere Vorstellung der Welt als inadäquat erweist. Eine solche Position (die zum Beispiel von Brian Massumi vertreten wird)
Zu den Vorteilen einer solchen Konzeption zählt, dass sie mit der Bedeutung von Denkprozessen bei der Gefühlsbildung fertig wird, zugleich aber lediglich rudimentäre kognitive Fähigkeiten voraussetzt (nämlich die Fähigkeit zur Erwartungsbildung) und deren Verhältnis zu Körperprozessen klärt. Außerdem lässt sie Raum für die soziologisch fruchtbare begriffliche Unterscheidung zwischen Affekt – der körperlichen "Entladung" im engeren Sinne – und Emotion, der subjektiven Gefühlserfahrung im Ganzen, in der körperliche und gedankliche Inhalte eine unauflösliche Synthese eingehen.
Missing Link der Sozialtheorie
Entscheidend ist an dieser Stelle, dass Gefühle – verstanden als körperlich gespürtes Korrelat sozialer Verunsicherung – einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis sozialen Wandels leisten können, indem sie eine mögliche Antwort auf die sozialtheoretische Gretchenfrage nach dem Zusammenhang von Struktur und Handeln bieten.
Insoweit (negative) Affekte die Problematik sozialer Verhältnisse körperlich aufnehmen und die Energie der Betroffenen auf die Vermeidung und Reparatur von Verunsicherung ausrichten, wird einerseits deutlich, wie Handlungsunsicherheit durch Affekte moderiert wird. Gefühle sind in diesem Sinne Bewältigungsmechanismen für soziale Unsicherheit und machen als solche soziale Kontinuität verständlich, also wie das gesellschaftlich Neue an das Vorhergegangene anschließt. Andererseits legen uns Affekte, insofern sie gerade den Verlust von Handlungsgewissheit (beziehungsweise im Fall positiver Affekte deren Rückgewinnung) spiegeln, gerade nicht auf bestimmte Reaktionen fest. Vielmehr lösen sie, gleichzeitig mit instinktiven Impulsen wie dem Drang zu fliehen, im Regelfall einen Reflexionsprozess aus, in dessen Zuge Situationsdeutungen reformuliert werden. Dabei wird die Situation im Lichte der Spannung, die sie auslöst, neu bewertet. Zum bloß körperlichen Effekt der Verunsicherung treten Prozesse der Benennung, Attribuierung und Erklärung hinzu ("Angst, von dem Hund gebissen zu werden"), die den Affekt zur Emotion werden lassen und letztlich zur Neuausrichtung unseres Handelns führen.
Wie und inwieweit der Affekt rationalisiert wird, hängt dabei auch davon ab, wie komplex die Verunsicherung ist und welche psychischen und zeitlichen Ressourcen zu ihrer Bewältigung zur Verfügung stehen: Mit steigender Komplexität der Affektlagen wird auch deren Deutung problematischer. Das Ergebnis dieses Prozesses bestimmt schließlich, in welcher Form soziales Handeln die bestehende Ordnung reproduziert. Es ist dieser Umstand, der uns erlaubt, sozialen Wandel jenseits der strikten Alternative von Notwendigkeit und Offenheit zu verstehen – und der Steven Slaters "Ausrasten" aus der ordentlichen Reproduktionslogik sozialer Verhältnisse so interessant macht.
Globalisierung mit Gefühl
Was für soziale Verhältnisse im Allgemeinen gilt, gilt auch für die heutigen: Auch unsere Welt reproduziert sich über die affektiven Erschütterungen, die sie auslöst, und die kulturellen Strategien, mit denen diese verarbeitet werden. Unsere (globalisierte) Gegenwart lässt sich daher weder als Deus ex Machina noch als gezieltes politisches Projekt angemessen begreifen. Allerdings ist damit noch wenig darüber gesagt, inwiefern Slaters Überforderung tatsächlich Symptom einer allgemeineren Problematik ist – und nicht nur eine spektakuläre Anomalie darstellt. Dazu gilt es, die affektive Signatur unserer Gegenwart zu entschlüsseln, das heißt, wenigstens provisorische Antworten auf die Fragen zu finden, was die Spezifik dieser Gegenwart ausmacht und wie sie den gesellschaftlichen Gefühlshaushalt verändert.
Eine solche Bestimmung "unserer" Zeit ist zwar von notorischer Schwierigkeit, die ihren Beleg in der Vermehrung von Gesellschaftsbetitelungen ("Spaßgesellschaft", "Wegwerfgesellschaft") ebenso wie in der Vagheit umfassenderer Termini wie "Postmoderne" oder "Globalisierung" findet. Dennoch bietet die Vielfalt an Beschreibungen insofern einen gemeinsamen Ausgangspunkt, als diese in Grundzügen durchaus in dieselbe Richtung weisen. Übereinstimmung herrscht etwa darüber, dass die moderne Dynamisierung sozialer Verhältnisse – ihre technischen, institutionellen und kulturellen Innovationen – zu einer Verdichtung sozialer Beziehungen geführt hat, die sich in räumlicher Hinsicht als Globalisierung, in zeitlicher als Beschleunigung beschreiben lässt.
Zu den Begleiterscheinungen dieser immer engmaschigeren Vernetzung werden gemeinhin die zunehmende Komplexität, Flüchtigkeit und Fragmentierung sozialer Identitäten gezählt, die Werten wie Flexibilität und Mobilität zu zentraler Bedeutung verhilft.
Gleichzeitig bleiben jedoch entscheidende Fragen offen. So ist unter anderem strittig, ob ökonomische Struktureffekte oder politische Interessen die entscheidenden Antriebskräfte dieses Prozesses sind; ob das Ergebnis der Globalisierung eine zunehmende Vereinheitlichung ("McDonaldisierung") oder Spaltung ("Kampf der Kulturen") ist oder die Folgen differenzierter zu denken sind ("Hybridisierung"); und inwiefern dieser Prozess politischer Gestaltung zugänglich ist. Die Reproduktionslogik der Globalisierung stellt ein ungeklärtes Problem dar.
Hier verspricht die Einbeziehung von Gefühlen ihren Nutzen. Denn indem Letztere, wie gezeigt, die Verunsicherung von Handlungsroutinen reflektieren, verweisen sie auf Kontingenzen (Unsicherheiten) in der gesellschaftlichen Entwicklung, die sich dann auf ihre Ursachen und Entscheidung hin untersuchen lassen. So werden variierende Entwicklungspfade verständlich (etwa bezüglich der Sozialstaatsentwicklung oder Privatisierung) und politische Eingriffsmöglichkeiten deutlich. Zugleich macht der Blick auf Gefühle verständlich, warum der Fortgang der Globalisierung – wie die Politik, die ihn bewirkt, – kaum dem Ideal rationaler Deliberation (Entschlussfassung) entspricht: insofern nämlich die Lösung einer affektiven Spannung meist weniger anspruchsvollen argumentativen Kriterien genügen, als schnelle, unkomplizierte Erleichterung versprechen muss und deshalb meist eher defensiven, symptomlindernden Charakter hat.
Die Globalisierung lässt sich somit mit einer Lawine vergleichen, die prinzipiell an jedem Baum ihr Ende finden kann, de facto aber weit massivere Hindernisse überwindet – und die mit jeder erfolgreichen Konfrontation an Gewicht gewinnt, aber auch ihren Charakter verändert. In diesem Sinne ist auch die Situation von Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern zu verstehen. Die Konfrontation mit einer Passagierin oder einem Passagier erfordert die Überprüfung und Anpassung infrage gestellter Handlungsroutinen. In der konkreten, zeitlich und räumlich beschränkten Situation aber ist das Ergebnis meist der Weg des geringsten Widerstands (also der, auf kurze Sicht, geringsten Spannung) und damit die Bestätigung bestehender Tendenzen nach dem Muster: "Lächeln und weiterarbeiten!"
Affektive Problematik der Globalisierung
Verweilen wir noch einen Moment bei der Erfahrung der Flugbegleiter: Denn deren Dilemma endet in aller Regel nicht mit der Entscheidung zwischen Höflichkeit und Aufbegehren. Wie Hochschild in ihrer bereits eingangs zitierten Analyse schreibt: "Nach Auffassung des Schulungslehrers zeigt (der) Ärger (der Stewardess) nur, daß sie sich falsch einschätzt und den Mann (…) unrichtig wahrnimmt; kurz, sie ist einfach zu empfindlich. Das Verhalten des Fluggastes (…) signalisiere (…), daß etwas beim Angestellten nicht in Ordnung ist, und nicht etwa, daß mit den Annahmen des Kunden oder der Firma etwas nicht stimmt. (…) Auf diese Weise verlieren die Angestellten die Verbindung zu ihren Gefühlen (…) oder sie müssen sich gegen die Interpretation des Unternehmens zur Wehr setzen."
Mit Verinnerlichung der Arbeitgebererwartungen droht der Stewardess ein innerer Konflikt, für den keine einfache Lösung bereitsteht – und der ihre Verunsicherung auf Dauer stellt. Zwar reagieren Menschen darauf in der Regel mit der Abwertung entweder bestimmter eigener Bedürfnisse (bis hin zum Burn-out) oder ihrer Arbeit (bis hin zur "inneren Kündigung"). Doch solange die Diskrepanz zwischen inkohärenten Erwartungen nicht aufgelöst ist, bleibt – egal wie die Handlungsentscheidung ausfällt – eine Irritation, ein unverstandener affektiver Überschuss, der nur die Form eines anhaltenden, diffusen Gefühls des Ungenügens annehmen kann.
Es ist dies das gleiche Unbehagen, das Freud als den unvermeidlichen Begleiter menschlicher Kulturentwicklung identifiziert, wenn er konstatiert, der moderne Mensch habe "für ein drohendes äußeres Unglück (…) ein andauerndes inneres Unglück, die Spannung des Schuldbewußtseins, eingetauscht."
Der andauernde Rüstungswettlauf zwischen Rationalisierung und Verunsicherung führt überdies dazu, dass sich diese Spannung in der globalisierten Spätmoderne noch verstärkt. Dabei mag es zunächst scheinen, als sei der Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit in einer grenzenlosen Welt überwunden – erweckt die Ausdifferenzierung von sozialen Rollen, Identitätsangeboten und Handlungsoptionen doch den Eindruck, dass man müssen kann, was man will, und wollen kann, was man muss.
Der objektive Gewinn an Möglichkeiten wird überschattet von einer permanenten Angst vor der falschen Entscheidung: "Given this rapid rate of change, the increasing knowledge of risk and danger, the sense that the rules for survival no longer guarantee a good life, the commodification of all value, life is increasingly lived in a state of controlled panic."
So gesehen ist es zu einfach zu behaupten, dass die globalisierte Welt "erkalte", Affekte und Emotionen aus ihr also einfach verschwänden.
Ihren empirischen Ausdruck findet diese Gefahr überall dort, wo Handlungsfähigkeit durch die zunehmende Entfremdung der Selbst-, Sozial- und Naturverhältnisse nicht nur belastet, sondern überfordert wird. Für die Selbstverhältnisse wird das eindrücklich am Beispiel der Depression, deren Verbreitung epidemisch zuzunehmen scheint und die für den französischen Soziologen Alain Ehrenberg "die (unvermeidliche Kehrseite) eines Individuums, das nur es selbst sein will und diesem Anspruch nie gerecht wird"
Psychische Erkrankungen, Verdrossenheit und Entwurzelung sind zunächst normative Probleme, welche die Frage nach gerechterer Verteilung der Lasten der Globalisierung aufwerfen. Zugleich aber sind sie Quelle von Folgeproblemen, die den Modernisierungsprozess insgesamt gefährden. Erinnern wir uns des oben ausgeführten Arguments: Handlungsunfähigkeit bedeutet nicht die Abwesenheit von affektiver Energie, sondern die Unfähigkeit, diese in Handlungen umzusetzen. Mit innerer Ruhe hat sie nichts zu tun. Vielmehr bedeutet sie permanente Aktivierung, unentwegtes Suchen nach einem Ausweg, bei dem jede Lösung besser ist als keine.
Schlussfolgerungen
Verstanden als körperlich gespürte Korrelate sozialer Verunsicherung bieten Gefühle Orientierung (aber keine Gewissheit), wo unsere kognitiven Ressourcen unzuverlässig werden. Dadurch verweisen sie, angesiedelt an der Schnittstelle zwischen Struktur und Handeln, auf die Problematik sozialen Wandels – auf jene Stellen im Sozialen, wo sich die Frage nach (besseren oder schlechteren) Alternativen am dringendsten stellt.
Einer theoretischen Perspektive bieten Gefühle somit ein begriffliches Werkzeug, um die Funktionsweise der Globalisierung zugleich in ihrer Kontinuität und Veränderlichkeit zu verstehen. Einer empirischen Perspektive bieten sie einen Wegweiser zu den Brennpunkten sozialen Wandels, an denen sich die Probleme und die politischen Strategien, die um ihre Bewältigung ringen, untersuchen lassen. Und einer zeitdiagnostischen (oder -kritischen) Perspektive schließlich eröffnet die Einbeziehung der Gefühle einen differenzierteren Zugang zu den – gegenwärtigen und zukünftigen – Folgen von Globalisierung: So können wir der affektiven Signatur der Globalisierung bestimmte Probleme – wie die Überforderung von Flugbegleitern – zuordnen, und diese zugleich in ihren soziologischen Zusammenhängen verstehen. Im Unbehagen fordert die Globalisierung ihren Preis – und uns dazu auf, zu bewerten, ob dieser Preis gerechtfertigt ist oder sich die Bilanz gesellschaftlicher Modernisierung verbessern lässt.
Damit tritt zugleich die politische Dimension der Gefühle zutage: Denn insofern Affekte auf die Problematik des Sozialen verweisen, sind Emotionen weder automatisch destruktiv noch automatisch emanzipativ. Sie sind vielmehr zugleich gefährlich und produktiv, in dem gleichen Sinne, in dem für den Philosophen Michel Foucault Macht beides ist: Sie drohen mit Eskalation, aber wecken zugleich die Hoffnung auf Überwindung der Widersprüche. Doch gerade deshalb kann Politik nicht umhin, sich auf die Beschäftigung mit Affekten einzulassen – alles andere hieße, "dieses Gebiet denen zu überlassen, die die Demokratie untergraben wollen".