Die demokratische Öffentlichkeit unterhält ein ambivalentes Verhältnis gegenüber Emotionen in der Politik.
Andererseits jedoch scheinen Gefühlsäußerungen in der politischen Kommunikation einer Aussage das Siegel der Authentizität zu verleihen; kein politischer Akteur darf als emotionslos erscheinen. Gefordert wird vielmehr, dass Politiker ihre "menschliche Seite", also Gefühle zeigen. Auch bezüglich der Bürgerinnen und Bürger ist in der Literatur die These zu finden, dass Emotionen notwendiger Ausgangspunkt politischen Engagements seien: Empörung wird als demokratische Bürgertugend beschrieben
Diese Ambivalenz in der öffentlichen Einschätzung der Rolle von Gefühlen in der Politik – störender Faktor der rationalen Ordnung versus notwendiger Bestandteil "menschlicher" Politik – spiegelt, wie wir im Folgenden zeigen wollen, die politisch-theoretische Deutungskonkurrenz zweier moderner ideengeschichtlicher Strömungen wider, deren idealtypologische Rekonstruktion eine systematische Formulierung des Problems in demokratietheoretischer Perspektive erlaubt: Westliche Demokratien sind in der Bearbeitung von Emotionen in der Politik und in der Sphäre des Politischen durch zwei sich widersprechende Paradigmen geprägt, den Liberalismus und den Republikanismus. Der bislang dominante, tendenziell emotionsaverse Liberalismus erweist sich dabei heute als ergänzungs- und korrekturbedürftig durch den prinzipiell emotionsaffineren Republikanismus. Ein daraus resultierendes Konzept politischen Emotionsmanagements muss die eigenen Verfahrensweisen transparent machen, öffentlich reflektieren und zur Diskussion stellen, um dem Vorwurf entgegenzutreten, es betreibe nur eine Manipulation der Bürgerinnen und Bürger.
Zunächst werden wir anhand der Leitdifferenz "liberal versus republikanisch" zwei idealtypische Konzeptionen von Demokratie hinsichtlich ihrer Bestimmung des Verhältnisses von Emotionen und Politik darstellen. Im nächsten Schritt wollen wir erläutern, warum eine republikanische Konzeption heute bezüglich der politisch-theoretischen Modellierung von Emotionen gegenüber dem liberalen Konzept plausibler erscheint und welche Gestalt eine "Politik der Emotionen" annehmen könnte. Im letzten Abschnitt diskutieren wir schließlich die demokratietheoretischen Folgerungen, die sich ergeben, wenn Politik (auch) als Emotionsmanagement verstanden wird.
Liberale Emotionsaversion und republikanische Emotionsaffinität
Stark vereinfachend lassen sich in der modernen politischen Philosophie seit ihren Anfängen im 17. Jahrhundert zwei paradigmatische Ansätze unterscheiden: der Liberalismus und der Republikanismus.
Im Zentrum des klassischen Liberalismus steht die "negative" Freiheit des Individuums, die sich durch die Abwesenheit von äußeren Beschränkungen und den Schutz vor staatlicher Willkür auszeichnet. Die Freiheit ist jedoch nicht nur äußeren, sondern auch inneren Gefährdungen ausgesetzt:
Der ökonomische Liberalismus in der Tradition von Adam Smith modelliert entsprechend den rationalen, nutzenmaximierenden Akteur in der Sphäre der Ökonomie;
Für den zeitgenössischen Liberalismus – den politischen Liberalismus, wie er beispielsweise von John Rawls paradigmatisch formuliert wurde – ist Neutralität zum zentralen Wert avanciert: Private religiöse und weltanschauliche Konzeptionen eines tugendhaften Lebens sind legitim, aber der Staat darf seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht autoritativ vorschreiben, wie sie zu leben haben, welchem Modell eines gelingenden Lebens sie ihre Lebensführung also anpassen sollen.
Gegen diese Konzeption des liberalen, weltanschaulich neutralen und hauptsächlich im Medium des Rechts operierenden Staates sind klassische Einwände formuliert worden: Erstens ist es in empirischer Perspektive fraglich, ob ein rational-kognitivistisch verengter Staat Bestand haben kann, denn aufgrund welcher motivationalen Ressourcen wären seine Bürgerinnen und Bürger bereit, ihn zu verteidigen? Der Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böckenförde formulierte das Theorem, wonach der liberale demokratische Rechtsstaat auf Voraussetzungen beruht, die er selbst nicht garantieren kann.
Wenn zweitens die politische Arena vor allem dazu dient, Interessen auszuhandeln und nutzenmaximierend eine für alle Beteiligten kalkulierbare Lösung zu erreichen, verkleinert sich der Bereich des Politischen: Das Emotionale charakterisiert zwar das gesellschaftliche Leben (zum Beispiel in Form von Anerkennungsverhältnissen, die für unsere psychische Integrität zentral sein können), es darf jedoch als Politisches nicht thematisiert werden. Zudem verschwinden Wertfragen aus der Sphäre der Öffentlichkeit. Gerade das kalkulierend-egoistische Vorgehen des Einzelnen trägt ja nach liberaler Vorstellung zum Gemeinwohl bei, weil das Eigeninteresse genügt, um kooperatives Verhalten zu begründen. Der entscheidende Modus der Willensbildung ist nach liberalem Verständnis daher die freie, gleiche und geheime Wahl, in der der Einzelne seine Interessen geschützt und rational ausdrücken kann, ohne sich rechtfertigen zu müssen. Nach dem sogenannten best judge principle werden die Präferenzen der Bürgerinnen und Bürger als unhintergehbare Gegebenheiten konzipiert.
Der Liberalismus steht damit in der Tradition der klassischen hierarchisierenden Dichotomie zwischen Gefühlen und Rationalität, die ideengeschichtlich meist auf Platon und die von ihm stilbildend formulierte Leitdifferenz von Körper und Seele zurückgeführt wird. Die normativen Probleme einer solchen Konzeption der Emotionen offenbaren sich im Lichte egalitärer Ansprüche. Das liberale Ideal der gleichen Freiheit, das konstitutionelle Versprechen "all men are created equal" (amerikanische Unabhängigkeitserklärung 1776) und die historische Tendenz einer zunehmenden Inklusivität des Liberalismus brechen sich theoretisch wie empirisch an den Emotionen: Eine zentrale und von der feministischen Theorie seit Langem thematisierte Folge dieses Dualismus ist die Tendenz, Frauen auszuschließen. Denn werden Männer rational konnotiert und Frauen für ihre Fähigkeit zur Empathie gelobt, droht die Gefahr, Frauen das gefühlvolle Reich der Familie zuzuordnen, während Männer den rationalen, "unhysterischen" (politischen) Diskurs in der Öffentlichkeit zu führen haben. Die liberale Tradition läuft folglich Gefahr, im Namen einer rationalen Aggregation differierender Interessen Gefühle und für gefühlvoll erklärte Personen aus der Debatte auszuschließen – eine Tendenz, die in abgeschwächter Form heute noch in der klassischen Theorie der Deliberation fortbesteht und dort aus ähnlichen Gründen von feministischer Seite kritisiert wird.
Dies könnte erklären, warum Gefühlsäußerungen für Politikerinnen gefährlicher sind als für Männer: Sie riskieren, ein kulturell tradiertes sexistisches Klischee zu bedienen. Diese Erfahrung musste etwa Hillary Clinton machen, als sie 2008 im Vorwahlkampf um die Präsidentschaftskandidatur gegen Barack Obama Tränen vergoss, und auch Ségolène Royal, die als Kandidatin der französischen Sozialisten 2007 für ihren Wutanfall in einem Streitgespräch mit ihrem Konkurrenten Nicolas Sarkozy von den Wählerinnen und Wählern abgestraft wurde.
Während die liberale Tradition Politik als System der Ermöglichung des privaten Glücksstrebens konzipiert, geht die republikanische Tradition idealtypisch davon aus, dass Emotionen sowohl passiv vom politischen System aufgenommen und verarbeitet werden müssen, als auch aktiv gefördert, ja hergestellt werden sollen.
Politik dient nach republikanischem Verständnis gerade nicht dazu, bereits definierte private Interessen auszugleichen, sondern in einem offenen Prozess das gemeinsame Interesse aller zu definieren. Die im Liberalismus stark akzentuierte Unterscheidung zwischen privatem Glücksstreben und öffentlicher Rechtskonformität wird hier zurückgewiesen: Normen sollen nicht nur erfüllt, sondern als Ausdruck von Werten nachdrücklich bestätigt werden. Typisch ist die Hintergrundmetaphorik der Familie: Die Republik hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, ihre "Kinder" zu erziehen oder in zivilreligiösen Festen zu patriotischen Gefühlen anzuleiten. Wut, Empörung, aber auch Stolz und Vaterlandsliebe gehören zu den Tugenden des republikanischen citoyen.
Während idealtypisch also der Liberalismus für die möglichst weitgehende Exklusion von Emotionen aus der politischen Sphäre plädiert, bejaht sie der Republikanismus als integralen Bestandteil des Politischen und strebt ihre kollektive Reflexion und Erziehung an.
Deliberative Demokratie
Als dritte Position, welche die jeweiligen Vorzüge von Liberalismus und Republikanismus zu verbinden und gleichzeitig deren Defizite zu vermeiden beansprucht, präsentiert sich die deliberative Demokratietheorie von Jürgen Habermas.
Autorinnen wie Iris Marion Young und Lynn Sanders kritisieren daher auch, dass in rationalen Diskursen Emotionen oder individuelle (emotionale) Betroffenheit nicht den Status von Begründungen besäßen. Sprache, so lautet die abstrakte Kritik, sei – anders als dies die erste Generation der deliberativen Theoretiker unterstellte – kein neutraler Werkzeugkasten zur kommunikativen Vermittlung von Inhalten.
Die scharf konturierte Zuschneidung der politisch-theoretischen Paradigmen darf jedoch nicht verkürzt als Realitätsbeschreibung missverstanden werden: Obwohl der Liberalismus in der Ideengeschichte deutungsmächtiger war als der Republikanismus und eine höhere politische Prägekraft besessen hat,
Von der Aufklärung der Emotionen zur Politik als Emotionsmanagement
Innerhalb des philosophischen Diskurses hatte es immer schon Kritiker des Platon zugeschriebenen Dualismus gegeben (Spinoza, Hegel, Nietzsche). Doch insbesondere in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten haben Forschungen aus ganz verschiedenen Disziplinen immense Fortschritte gemacht, die unser Verständnis von Rationalität und Emotionen grundlegend verändert haben. In der Geschichts- und Kulturwissenschaft,
Zugleich ist die Überblendung mit emotionaler Bedeutsamkeit historisch wandelbar und kulturell bedingt: Auch Gefühle sind erlernt. Das wohl stärkste Argument gegen den Dualismus von Gefühl und Vernunft ist der Nachweis der experimentellen Verhaltensökonomie, dass es keine neutralen Entscheidungsarchitekturen geben kann, die rationalen Akteuren einen Blick auf die Optionen ohne perspektivische Verzerrung erlauben würden: Jede Entscheidung ist auf die eine oder andere Weise emotional durch Rahmensetzungen aller Art (frames) mitbestimmt.
Die empirische Forschung zur Verwobenheit von Emotionen und Rationalität lässt die republikanischen Argumente heute plausibler erscheinen – und Gefühlsaffinität angemessener als die liberale Gefühlsaversion. Emotionen motivieren unsere Handlungen, unterliegen unseren Wertvorstellungen und prägen unsere Situationsdeutungen, zudem sind sie historisch-sozial imprägniert. Vor diesem Hintergrund wird die republikanische Idee einer kollektiven Selbstbestimmung auch unter dem Aspekt einer Politik der Emotionen attraktiv, weil diese Selbstbestimmung gerade keine Neutralität gegenüber Vorstellungen des "guten Lebens" behauptet und insofern die affektive Dimension von Wertentscheidungen einbezieht. Politische Gemeinschaften ringen daher aus republikanischer Sicht zu Recht mit der Frage, wie die Bürgerinnen und Bürger zusammen leben wollen. Was ist es, das wir gemeinsam wollen und wertschätzen? Wovor wollen und sollen wir uns fürchten?
Akzeptiert man derartige Fragen als legitime Gegenstände der politischen Auseinandersetzung, so hat dies erhebliche Konsequenzen für das Verständnis von Politik. Die vermeintlich bloß symbolische Politik, wie sie in gefühlssteuernden Sprechakten zum Ausdruck kommt, wäre demnach Kerngeschäft von Politik überhaupt. Eine Aussage wie diejenige von Bundeskanzlerin Angela Merkel angesichts der weltweiten Finanzkrise – "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind" (in einem gemeinsamen Statement mit dem damaligen Finanzminister Peer Steinbrück im Oktober 2010) – ist aus dieser Perspektive primär ein Akt politischen Gefühlsmanagements, der Unsicherheiten zerstreuen und Vertrauen herstellen soll. Vertrauen gegenüber Politikerinnen und Politikern wird in einer stark technisierten und hochkomplexen Gesellschaft immer wichtiger, zugleich jedoch immer seltener.
Moderne Gesellschaften sind Wissensgesellschaften – doch mit der Zunahme an Wissen steigt auch das Maß an Unwissen und an politisch wie gesellschaftlich zu verarbeitender Unsicherheit. Vertrauen wird benötigt, um trotz dieser (existenziellen) Unsicherheiten individuell wie kollektiv handlungsfähig zu bleiben. Vertrauensmanagement als Teil eines politischen Emotionsmanagements gewinnt vor diesem Hintergrund grundlegende Bedeutung; es ist nicht nur symbolische Politik, es ist Politik.
Die Folgerungen aus dieser Sichtweise sind weitreichend, da sie die Perspektive eines möglichen emotional mainstreaming eröffnen. Analog zum gender mainstreaming, der systematischen Prüfung von politischen Maßnahmen auf ihre Konsequenzen für die Geschlechterverhältnisse, würde dies die systematische und explizite (!) Abschätzung emotionaler Auswirkungen von politischen Maßnahmen bedeuten. Unsystematisch und implizit findet eine solche Antizipation der atmosphärischen Konsequenzen immer schon statt; ihre Systematisierung würde jedoch bedeuten, dass beispielsweise ökonomische Vorteile, die eine bestimmte Politik verspricht (mehr Wachstum, mehr Mobilität, mehr Beschäftigung) gegen ihre emotionalen Auswirkungen (mehr Konkurrenz, mehr Stress, mehr Lärm) abzuwägen wären. Die klassisch liberale Argumentation, ökonomische Anreize seien emotional neutral, ließe sich dann nicht mehr aufrechterhalten: Jede Veränderung von Anreizstrukturen wirkt auf die Prioritäten der Akteure zurück, weil sich die Nachfrage immer auch am Angebot orientiert.
Die skizzierte, postdualistische Bestimmung des Verhältnisses von Emotionen und Rationalität spricht nicht nur für die Legitimität von Gefühlen wie Wut oder Empörung auf der Input-Seite des politischen Prozesses als Ausgangspunkt einer Interessenartikulation, sondern begründet auch auf der Output-Seite die Legitimität, ja Unvermeidbarkeit einer auf die Gefühle der Bürger abzielenden Politik. Demokratisch legitimierte Politik hätte dann nicht nur das Recht, den Bürgerinnen und Bürgern durch Gesetze vorzuschreiben, was sie tun oder lassen sollen, sondern auch zu beeinflussen, was sie begehren oder fürchten. Und selbstverständlich unternimmt der Staat eine solche Steuerung von Emotionen bereits überall dort, wo er in Schulen oder bei Gedenkveranstaltungen bestimmte Figuren als Vorbilder vorschlägt oder auf Zigarettenpackungen die Angst vor Krankheit und Tod schürt. Diese quasi zivilreligiösen Elemente der Politik wären dann jedoch nicht nur zufälliges und weitgehend unreflektiertes Element einer essenziell liberalen Politik, sondern selbst wesentlicher Bestandteil von Politik – und als solches auch Gegenstand öffentlicher Selbstverständigungsprozesse. Die symbolische und gefühlsmanagende Dimension von Politik rückte dann ins Zentrum der Aufmerksamkeit.
Gefährdet ein solcher Ansatz die Freiheit von Bevormundung? Dieser liberale Einwand setzt die Möglichkeit einer einflussfreien Situation voraus und operiert mit einem "negativen" Freiheitsbegriff, der die "Freiheit von" akzentuiert. Die republikanische Antwort würde lauten, dass eine auf die Gefühle der Bürgerinnen und Bürger abzielende Politik dann legitim ist, wenn sie das Ergebnis eines demokratischen Willensbildungsprozesses darstellt und gewisse Grenzen respektiert.
Wenn das Selbstmissverständnis einer emotionalen Neutralität demokratischer Politik aufgehoben ist, hat dies vor allem zur Folge, dass das Beschreibungsvokabular für die möglichen Folgewirkungen politischer Entscheidungen reichhaltiger wird. Die Leitfrage politischer Willensbildung lautete dann nicht mehr primär: "Who gets what?" Eine Herausforderung wie der demografische Wandel wäre dann nicht nur mit fiskalischen Mitteln allein anzugehen. Vielmehr wäre die hochgradig komplexe Frage zu stellen: Welche emotionalen Faktoren führen dazu, dass in Deutschland so wenige Kinder geboren werden? Welche emotionalen Auswirkungen haben prekäre Beschäftigungsverhältnisse, die Ausweitung von Zeitverträgen und erhöhte Mobilitätsanforderungen auf junge Erwachsene? Die bloß fiskalische Besserstellung von Familien mag sich dann als weniger effektiv erweisen, als eine systematische (!) Neuausrichtung von Anreizsystemen, welche die emotionalen Folgewirkungen von gesetzlichen Regeln nicht auf ein rein rationales Risikomanagement nutzenmaximierender Akteure reduziert.
Demokratisches und ökonomisches Gefühlsmanagement
Die hier vorgeschlagene Perspektive will den Ergebnissen möglicher Willensbildungsprozesse keineswegs vorausgreifen. Ob und inwiefern Glück ein sinnvolles Ziel von Politik sein kann, wird umstritten bleiben.
Um sich die Tragweite dieser Fragen vor Augen zu führen, reicht es, sich das Umfeld zu vergegenwärtigen, in dem politisches Gefühlsmanagement stattfindet. Politische Kommunikation ist nämlich bei Weitem nicht das einzige Medium einer kollektiven Beeinflussung von Gefühlen. Vielmehr bieten in einer funktional ausdifferenzierten Gesellschaft verschiedene Systeme zugleich die Option, Gefühle zu beeinflussen, zu erziehen oder überhaupt hervorzubringen. Die Kunst verspricht seit Aristoteles kathartische Wirkungen, die Religion bietet Trost, der Sport verkauft kollektive Ekstase, ein Wechselbad aus Triumphgefühlen und kollektiv organisierter Niedergeschlagenheit. Demokratische Politik muss diese Vielfalt an Angeboten einerseits zulassen, andererseits jedoch die Rolle eines souveränen Schiedsrichters einnehmen, sollte eines der Systeme hegemonial werden. Politik managt nicht nur selbst Gefühle, sondern verspricht den Bürgerinnen und Bürgern beispielsweise unter der Überschrift "Sicherheit" zugleich die Abwesenheit von Angst.
Zu den finanziell wie inhaltlich bedeutendsten Konkurrenzsystemen eines politischen Emotionsmanagements gehört die Werbeindustrie. Mit einem jährlichen Umsatz von rund 30 Milliarden Euro gehört sie zu den wichtigsten Segmenten der deutschen Wirtschaft.
Politik als demokratisch legimitiertes kollektives Emotionsmanagement hätte aus dieser Perspektive auch die Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger vor einer überbordenden Beeinflussung durch ökonomische Akteure zu schützen. Dies gilt besonders in einer Zeit, in der die neurowissenschaftliche und verhaltensökonomische Fundierung von Werbung ein neues Niveau von Professionalität erreicht. Während eine von der liberalen Tradition inspirierte Position auf zivilgesellschaftliche Einsprüche (wie Boykottaufrufe) und auf freiwillige Selbstbindungen der Wirtschaft hoffen würde, wäre aus republikanischer Sicht gerade der kollektiv verbindliche Charakter entsprechender Regelungen bedeutsam. Kinder vor dem Zugriff der Werbewirtschaft zu schützen, wäre aus dieser Perspektive keine Aufgabe, die sinnvoll an die einzelnen Eltern delegiert werden kann, sondern eine Herausforderung, die gemeinschaftlich durch rechtliche Regelungen zu leisten ist.
Gerade aus einer postdualistischen Perspektive, die Emotionen und Rationalität nicht mehr als unvermittelte Größen denkt, rückt neben den rechtlichen Normen auch die symbolische Dimension in den Fokus. Eine Neuregelung der Prostitution in Deutschland etwa wäre aus dieser Sicht nicht nur geboten, um Personen vor Demütigung, Ausbeutung und Gewalt zu schützen. Auch die Frage, welche Haltungen und Menschenbilder durch Prostitution generell und insbesondere durch ihre gesetzliche Regulierung transportiert und gefördert werden, wäre aus republikanischer Sicht ein relevantes Thema demokratischer Selbstverständigung – und keine bloße Frage einer zu privatisierenden Konzeption des "guten Lebens".
Eine letzte Konsequenz dieser Perspektive soll kurz angedeutet werden: Wo Politik primär als rationale Auseinandersetzung über zu aggregierende Präferenzen modelliert wird, beschränkt sich die staatliche Bildungsaufgabe tendenziell auf die Ausstattung der Bürgerinnen und Bürger mit entsprechenden kognitiven Kompetenzen. Eine dualistische Theorie von Emotionen und Rationalität droht eine spezifische Akzentuierung in die bildungspolitischen Inhalte und Verfahren zu tragen. Werden Bildungseinrichtungen jedoch nicht bloß als Orte des Wissenstransfers verstanden, sondern zugleich als Orte emotionaler Reifung, so erlaubt dies, Grundkenntnisse über die Entstehung und die "Steuerung" von Emotionen zu vermitteln – beispielsweise durch Rhetorik –, welche die Bürger zu kompetenten Teilnehmerinnen und Teilnehmern an (politischen) Diskursen machen und der Gefahr rhetorischer Beeinflussung und Manipulation entgegenwirken. Hier wie auch sonst sind Reflexivität und Transparenz die Schlüssel zu einem demokratischen Emotionsmanagement, welches das emotionspolitische Feld nicht einfach privaten, demokratisch nicht legitimierten Akteuren überlässt.
Eine solche "Politik der Gefühle" wird in einer Demokratie nie die Form einer einvernehmlichen policy annehmen, also einer Gefühlspolitik, die analog zur Gesundheitspolitik systematisch auf Konsensziele hinarbeitet. "Politik der Gefühle" bezeichnet immer auch die politics, die konflikthafte Auseinandersetzung über eine zu wählende policy. Diese Auseinandersetzung bleibt unabgeschlossen. Doch sie kann nicht mehr mit dem Verweis auf eine vermeintliche emotionale Neutralität des Staates vermieden werden.