Wenn von 50 Jahren Bundesliga als Erinnerungsort
Vor allem die Nationalmannschaft der Bundesrepublik mit ihren zwei Welt- und Europameistertiteln genoss bei Fans in der DDR hohe Wertschätzung. Demgegenüber gelang es der DDR-Elf nur einmal, bei der WM 1974, an der Endrunde eines internationalen Turniers teilzunehmen. "Freundschaftsspielweltmeister" und "Qualifikationsversager" sind die von Enttäuschung geprägten Bezeichnungen, mit denen diese vergleichsweise magere Bilanz im Volksmund belegt wurde. Bei olympischen Fußballturnieren trumpfte der DDR-Fußball hingegen mehrfach auf: Nach Bronze 1964 und 1972 erreichte die DDR-Elf 1976 sogar den Olympiasieg und errang 1980 noch einmal eine Silbermedaille. Doch war das Interesse an diesen Auszeichnungen gering, da der olympische Wettbewerb im Gegensatz zum Profifußball unter Amateuren ausgetragen wurde.
Die Begeisterung der DDR-Fans für die westdeutschen Kicker war für die SED-Führung, die seit Mitte der 1950er Jahre auf scharfe Abgrenzung von der Bundesrepublik bedacht war, ein peinliches Phänomen. Für die Verfechter einer "sozialistischen Nation"
Im Rahmen des Möglichen wurde der deutsch-deutsche Doppelpass von den westdeutschen Vereinen auch zurückgespielt: So ermöglichte es etwa Werder Bremen, dass ostdeutsche Fans heimlich eine Mitgliedskarte erhielten. Und FC-Bayern-Präsident Fritz Scherer schmuggelte an einem Winterabend 1981 ein von allen Spielern signiertes Mannschaftstrikot unter seinem Pullover nach Ost-Berlin, als Überraschungsgeschenk für einen der treuesten Fans im Osten.
Im Unterschied zur jüngsten wissenschaftlichen Erforschung der bundesdeutschen Fußballgeschichte fehlt bislang jedoch eine vergleichbare Auseinandersetzung mit 40 Jahren DDR-Fußball. Das ist umso bedauerlicher, als gerade eine systematische Untersuchung der auch in Ostdeutschland populärsten Sportart einen breiten Zugang zum Verständnis der Gesellschaftsgeschichte der DDR erschließen kann. Im Folgenden soll anhand von zwei Forschungsfeldern das Potenzial des Themas ausgelotet werden: Zunächst wird mit der Verfasstheit des Sports in der DDR, einer "Vereinskultur ohne Vereine", das Spannungsverhältnis zwischen politischer Durchherrschung und Versuchen zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation umrissen. Anschließend wird der Frage der politisch bedingten In- und Exklusion im Bereich des Spitzenfußballs nachgegangen. Die Ausgrenzung sportlicher Leistungsträger aus ideologischen Gründen zeigt, welche Restriktionen die ostdeutsche Diktatur der Entwicklung des Fußballsports auferlegte und hiermit auch zu einem Modernisierungsdefizit beitrug. Gleichzeitig ist die "Kaltstellung" von Personen stets auch mit der moralischen Frage des "SED-Unrechts" verbunden, das auch im Sport deutliche Spuren hinterließ.
Vereinskultur ohne Vereine
Ein grundlegendes Desiderat der Fußballgeschichte der DDR ist zunächst nach wie vor eine Organisationsgeschichte der Verbandsstruktur, also des ostdeutschen Pendants zum Deutschen Fußball-Bund (DFB), des Deutschen Fußball-Verbandes (DFV) der DDR.
Die "Entbürgerlichung"
1966 wiederum erfolgte ein weiteres grundlegendes Revirement, als mit der Gründung von zehn "Fußballclubs" die parteilich gewollten "Leistungsschwerpunkte" im Fußball endgültig definiert und entsprechend ausgestattet wurden. Doch trotz der Vielzahl staatlicher und parteilicher Eingriffe bewahrten die Betriebssportgemeinschaften und Fußballclubs ihre Anhängerschaft beziehungsweise fanden sie aufs Neue. Das neue Gewand des Fußballs wurde letztendlich angenommen – selbst einem Club mit dem sperrigen Titel "ZSK Vorwärts Berlin" zollten die Fans Respekt und Treue, denn die Armeekicker schossen eine Menge Tore.
Gleichzeitig gelang es der SED jedoch nicht, den Fußball, der wie der Sport der DDR generell neben der Produktion von Leistung auch ein "organisiertes Weltbild"
Insofern wäre zu fragen, inwieweit der "Fußball Marke DDR" trotz seiner organisatorisch völlig anders gearteten Grundlage auch im Osten zu einem Fixpunkt von – staatlich nicht erwünschter – Selbstorganisation werden konnte. Hierzu gehört auch, dass ehrgeizige Betriebssportgemeinschaften wie Stahl Brandenburg es schafften, den materiell und kaderpolitisch privilegierten, und damit für die Oberliga prädestinierten Fußballclubs die Stirn zu bieten. Mit Hilfe großzügiger Prämien und gezielter Rekrutierung von Talenten verstanden es Kombinatsdirektoren, die sportpolitisch programmierte Überlegenheit der FC zu konterkarieren und den Traum vom Aufstieg zu verwirklichen.
Doch war auch der Fußballsport der DDR in weiten Teilen von Dirigismus der Partei und Stasi-Verstrickungen geprägt. Diese Durchherrschung ist von Hanns Leske für den in dieser Hinsicht besonders einschlägigen BFC Dynamo, dessen Ehrenvorsitzender der Minister für Staatssicherheit Erich Mielke war, gründlich erforscht worden.
Verhängnis Fair Play: Heinz Krügel
2014, wenn die Fans bei der WM in Brasilien mitfiebern, werden zahlreiche Medien auch an das 40-jährige Jubiläum der Fußball-WM von 1974 erinnern, bei der nicht nur die Bundesrepublik Weltmeister wurde, sondern Jürgen Sparwasser sein berühmtes Überraschungstor für die DDR gegen das bundesdeutsche Team erzielte. Doch für viele DDR-Fußballanhänger ist mit dem Jahr 1974 vor allem die legendäre Nacht von Rotterdam verbunden, als der 1. FC Magdeburg am 8. Mai den Sieg im Europapokal der Pokalsieger und damit den größten Erfolg des DDR-Fußballs erreichte. Unvergessen sind die Fernsehbilder, als die erschöpften, aber glücklichen Magdeburger in weißen Malimo-Bademänteln ihre Ehrenrunde über das Spielfeld im Stadion "De Kuip" drehten, während die mit 2:0 geschlagenen Titelverteidiger des AC Milan fassungslos die Köpfe hängen ließen.
Zum Helden wurde an diesem Abend auch Heinz Krügel. Einst hatte der Sachse als jüngster Trainer der Oberliga in Leipzig begonnen und von 1959 bis 1961 die Verantwortung für die DDR-Nationalmannschaft übernommen, bevor Mitte der 1960er Jahre seine Zeit beim 1. FC Magdeburg begann, mit dem er zwei Pokalsiege und drei Meisterschaften feierte. Nach dem Erfolg von Rotterdam versprach das Los im Europapokal der Landesmeister noch im selben Jahr einen weiteren Höhepunkt: das Aufeinandertreffen mit dem Bundesliga-Meister Bayern München. Am 6. November 1974 kam es beim Rückspiel in Magdeburg jedoch zu einem politischen Fauxpas des altgedienten Trainers: "Das Schlimmste war nach der Halbzeitpause, da kommt einer von der Stasi zu mir und sagt: 'Herr Krügel, wir möchten Sie aufmerksam machen, wir haben zur Halbzeit von Herrn Lattek alles gehört, was er gesagt hat gegen uns.‘"
Krügel lag bereits seit längerer Zeit mit der SED-Bezirksleitung im Streit:
Büßen für den Sohn: Walter Jahn
Ein zweites Beispiel für die Rücksichtslosigkeit, mit der das SED-Regime verdiente Fußball-Idole aussortierte und diffamierte, sobald sie politisch in Ungnade gefallen waren, ist das Schicksal von Walter Jahn, "Vaterfigur des Jenaer Nachwuchsfußballs",
Nicht allein im Fußballclub, auch im Kombinat von Carl Zeiss agierte der parteilose Walter Jahn an verantwortlicher Stelle: Die von ihm geleitete Forschungsabteilung entwickelte eine Multispektralkamera, die bei Sigmund Jähns Weltraumfahrt zum Einsatz kam. Er schaffte es sogar, dem Kosmonauten nicht nur die Kamera, sondern auch einen Vereinswimpel mit auf die Reise zu geben.
Doch spielte sein Engagement über Nacht keine Rolle mehr, als Sohn Roland, der mittlerweile als Bürgerrechtler in der Jenaer Friedensbewegung aktiv war, zum Staatsfeind erklärt und am 7. Juni 1983 gewaltsam in den Westen abgeschoben wurde. Bereits am nächsten Tag bekam auch der Vater die Reaktion des Staates zu spüren: Auf Weisung des Vereins wurden alle Arbeitsunterlagen zum Sportclub aus seiner Wohnung entfernt. Der führende Vereinsfunktionär und Inoffizielle Mitarbeiter "Günter Eisler" kündigte zudem der örtlichen Stasi an, Walter Jahns Kandidatur für die Vorstandswahlen im FC Carl Zeiss Jena zu verhindern. Es folgten weitere Diskriminierungen, sowohl durch die Sportführung des Bezirkes Gera als auch von Angehörigen des FC Carl Zeiss Jena. "Es wurde angewiesen, keine Gespräche mit mir zu führen. Wer mit mir spricht, sei politisch untragbar und setze seine Arbeit und seine weitere Karriere aufs Spiel. Ich war unter Sportlern unerwünscht und damit ein Störfaktor."
Erst zehn Jahre später, nach der Friedlichen Revolution 1989 und der Vereinigung im Fußballsport 1990, kam es zur "Wiedergutmachung". Zur Feier des 30-jährigen Clubjubiläums erhielt Jahn im Januar 1996 die Ehrentitel seines Vereins zurück. Als einer der Ersten – zeitgleich mit den frühesten historischen Forschungen zum DDR-Sport – suchte Walter Jahn nach Antworten und Verantwortlichen für sein Schicksal und fand sie in der papierenen Hinterlassenschaft der Diktatur. Im März 1995 stellte er einen Forschungsantrag bei der BStU zum "Einfluss des MfS auf den FC Carl Zeiss Jena".
Perspektiven der Forschung
Auch Heinz Krügel erfuhr noch zu Lebzeiten eine Rehabilitierung. Zudem wurde im Juni 2009, ein Jahr nach seinem Tod, der Platz vor dem Magdeburger Stadion nach ihm benannt. Doch muss betont werden, dass es für das Ende einer Sportkarriere in der SED-Diktatur nicht eines streitbaren Temperaments oder eines Bürgerrechtlers als Sohn bedurfte. So entzog ein "Fußballbeschluss" des DFV aus dem Jahr 1970 pauschal allen Fußballern mit Westverwandtschaft die Spielgenehmigung. Es ist wenig verwunderlich, dass Kritik an staatlicher Gängelung und an Übergriffen der SED und der Stasi zu den wichtigsten Vorwürfen vieler Delegierter gehörte, als es im Rahmen des achten DFV-Verbandstages am 31. März 1990 zur ersten freien Aussprache in diesem Gremium kam. Auch Heinz Krügel ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, die Verantwortlichen mit der unwürdigen Situation der Verwanzung der Bayern-Kabine zu konfrontieren.
Viele der handelnden Akteure des DDR-Fußballs und der Wendezeit sind mittlerweile verstorben. Historiker müssen sich beeilen, wollen sie die Geschichte des DDR-Fußballs nicht allein aus Akten rekonstruieren. Im April 2013 kündigte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach die Ausschreibung mehrerer Forschungsprojekte an, um die Organisations- und Clubgeschichte, die Kultur und Alltagsgeschichte sowie den Fußball im Vereinigungsprozess untersuchen zu lassen. Sollte der Ball der Aufarbeitung zügig ins Rollen kommen, könnten bereits im Jahr 2015, zum 25. Jahrestag der "Fußball-Einheit", die der erste Reformpräsident des Ost-Fußballs Hans-Georg Moldenhauer und DFB-Präsident Hermann Neuberger am 21. November 1990 in Leipzig mit einem historischen Handschlag besiegelten, erste Ergebnisse vorgestellt werden.