Ist es aus geschichtswissenschaftlicher Sicht lohnend, sich mit der Bundesliga zu beschäftigen? Bei flüchtiger Betrachtung ist diese Frage klar zu verneinen. Das Wissen darum, dass vor rund 50 Jahren ein gewisser Timo Konietzka für Borussia Dortmund das erste Bundesligator markierte, ist für das Verständnis der Geschichte der Bundesrepublik ziemlich belanglos. Ebenso wenig verdient die Tatsache, dass Borussia Mönchengladbach und der FC Bayern München in den 1970er Jahren die beiden dominierenden Mannschaften im bundesdeutschen Fußball waren, irgendeine besondere Beachtung, wenn es darum geht, die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung dieses Landes zu beleuchten. Und dass der FC Schalke 04 seit mehr als einem halben Jahrhundert darauf wartet, die Meisterschale in die Höhe zu recken, mag für seine vielen Anhänger schmerzvoll sein – Historiker sollten daran nicht einmal eine Fußnote verschwenden. Kein Zweifel: Wird die Geschichte der Bundesliga auf die Nacherzählung von wichtigen Spielen, auf die Beschreibung von spektakulären Toren oder die Auflistung von Ergebnisstatistiken reduziert, tendiert ihr Erkenntniswert gegen null.
Anders verhält es sich hingegen, wenn die Bundesligahistorie mit kultur- und wirtschaftshistorischen Problemstellungen verknüpft wird. Sobald solche bewährten Fragen und Methoden aus der Geschichtswissenschaft auf die 50 Jahre des Kampfes um Tore, Punkte und Meisterschaft angewandt werden, offenbart sich das enorme Erkenntnispotenzial der Bundesligageschichte. Mehr noch: Dadurch eröffnen sich Einsichten, welche die Beschäftigung mit scheinbar wichtigeren und seriöseren Themen kaum noch zu bieten vermag. Schon ein erster Blick auf die nackten Zahlen verrät, dass es erhebliche Schwierigkeiten bereitet, ein gesellschaftliches Phänomen zu benennen, das in den vergangenen 50 Jahren größeren Zulauf erfuhr als der Fußball im Allgemeinen und die Bundesliga im Besonderen. Welchen 1963 etablierten Parteien, Verbänden oder Glaubensgemeinschaften in der Bundesrepublik gelang es wie dem Deutschen Fußball-Bund (DFB), den Mitgliederbestand mehr als zu verdreifachen? Und welches Ereignis vermag im Jahre 2013 die Bevölkerung noch in einem derart hohen Ausmaß zu elektrisieren wie ein Spiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München? Eine wichtige Regierungserklärung, die gefeierte Neuinszenierung einer Wagner-Oper oder eine bedeutsame Verlautbarung der Deutschen Bischofskonferenz jedenfalls schon lange nicht mehr.
Doch mit welchen Fragestellungen und mit welcher Methodik lassen sich der Bundesligageschichte Einsichten entlocken, die für das Verständnis der bundesrepublikanischen Geschichte aufschlussreich sind? Unübersehbar handelt es sich bei Fußball- zunächst um Kulturgeschichte, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der im Grunde profane Kampf um das Tor in der Vergangenheit stets mit unterschiedlichen Sinnbezügen aufgeladen wurde.
Indes sind diese Bedeutungszuschreibungen, die der Fußball im Laufe seiner Geschichte erfahren hat, oft nur zu verstehen, wenn sie vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklungen und Verwertungsinteressen im Fußball betrachtet werden. Hier ist Hans-Ulrich Wehler zuzustimmen, der im letzten Band seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte Stellung gegen eine Kulturgeschichte bezog, die in der Tat in einer bisweilen weltfremden Weise ökonomische Fragestellungen schlichtweg ignoriert und daher nicht die "Synthesefähigkeit" wie die Gesellschaftsgeschichte entwickelt hat.
Doch welche Schlüsse können aus einer Geschichte der Bundesliga gezogen werden, die sich ihr unter kultur- und wirtschaftshistorischen Aspekten zu nähern versucht? Die Erkenntnisse, die im Rahmen eines dreijährigen Projekts an der Universität Stuttgart zutage gefördert wurden, sind nicht zuletzt aufgrund der Auswertung einer Vielzahl bislang unbekannter Dokumente derart vielfältig, dass an dieser Stelle lediglich drei Aspekte in einer stark verkürzten und daher etwas zugespitzten Form dargestellt werden können.
Gemeinschaftsdiskurse, ökonomische Interessen und kaufmännische Seriosität
Der Fußball eignete sich stets dazu, ihn mit bestimmten Vorstellungen von Gemeinschaft zu verbinden. Als sich dieser Sport zum Ausgang des 19. Jahrhunderts in Deutschland auszubreiten begann, behaupteten seine zumeist bürgerlichen Repräsentanten,
Solche sympathischen Zuschreibungen hatten zwei gravierende Wirkungen. Zum einen trugen sie dazu bei, die Akzeptanz des Fußballs in der bildungsbürgerlich orientierten bundesdeutschen Gesellschaft zu steigern. Immerhin galt es, den wenig schmeichelhaften Ruf dieses Sports als billiges Massenvergnügen zu überwinden. Zum anderen erleichterten sie es den Verantwortungsträgern in den großen Vereinen und beim DFB, unter dem fußballbegeisterten Publikum die Illusion zu erzeugen, als handelte es sich bei den großen Stars der 1950er und 1960er Jahre um biedere Amateure, zumindest Halbamateure, die nur bescheiden für ihre Ballkünste entlohnt wurden. Dabei erhielten die besten Spieler bereits auf legalem Wege etwa das Sechsfache des damaligen durchschnittlichen Verdienstes eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers in der Bundesrepublik. Hinzu kamen nicht selten zusätzliche Einkünfte über Scheinarbeitsplätze, Sponsoringverträge, die Einrichtung von Kleinbetrieben oder Zahlungen aus "schwarzen Kassen", die viele Vereine der Oberligen, ab 1963 der Bundesliga, außerhalb der offiziellen Bilanzen unterhielten. In anderen Worten: Die großen Fußballstars der Bundesrepublik waren schon in der Zeit des Wiederaufbaus großzügig entlohnte Profis, die sich oft nur noch zum Schein in anderen Berufen ablichten ließen und nicht zuletzt über versteckte kommerzielle Aktivitäten finanziert wurden.
Die hervorragenden Verdienstmöglichkeiten, die sich jungen Fußballspielern eröffneten, wurden im Zuge der Bundesligagründung mit Bedacht geheim gehalten. Ein Grund war das Bewusstsein dafür, dass eine zu stark sichtbare Kommerzialisierung des Fußballs mit dem Harmonie-, Kompromiss- und Sozialgedanken des Rheinischen Kapitalismus nicht zu vereinbaren war. Viele Vorstände bevorzugten es angesichts der in den Medien und in der Anhängerschaft verbreiteten Empörung über die "Geschäftemacherei", das gesamte Ausmaß der Bedeutung des Geldes im Fußball möglichst zu kaschieren. Dies erschien ihnen umso notwendiger, als sie großen Wert darauf legten, als gemeinnützig anerkannt zu bleiben, so dass sie in den Genuss einer Vielzahl steuerlicher Privilegien kamen (z.B. Befreiung von der Körperschaftssteuer, Vermögenssteuer und ab Ende der 1960er Jahre von der Vergnügungssteuer).
Aufschlussreich für die Charakterisierung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik waren die tatsächlichen Verhältnisse, die sich unter den Bedingungen eines scheinbar "gezügelten Kapitalismus" einstellten: Während der DFB und die großen Vereine große Anstrengungen unternahmen, in der Öffentlichkeit das Bild von einem solidarisch und wirtschaftlich maßvoll operierenden Fußballbetrieb aufrechtzuerhalten, stellten sich im Hintergrund geradezu anarchisch anmutende Verhältnisse ein. Spieler und Trainer wurden derart großzügig entlohnt, dass trotz eines regen Zuschauerzuspruchs 14 der 18 Bundesligavereine im Frühjahr 1971 erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten hatten. Die meisten Lizenzspielerabteilungen konnten nur dadurch vor der Insolvenz bewahrt werden, dass die Kommunen ihnen mit juristisch äußerst fragwürdigen Rettungsaktionen zu Hilfe eilten, Steuerschulden erließen oder mit sonstigen Subventionen aus der Misere halfen.
Nun stellt die Bundesliga zweifellos nur einen Ausschnitt der Gesellschaft dar. Doch gerade weil die Vorstände der Vereine und Verbände in einem auffällig hohen Maß von Kaufleuten, Unternehmern und Juristen beherrscht wurden, stellt sich die Frage, ob angesichts der oft zu hörenden Klage über den vermeintlichen "Raubtierkapitalismus" der Gegenwart die verklärende Verherrlichung der sozialen Marktwirtschaft der frühen Bundesrepublik nicht unangemessen ist. Vielmehr drängt sich die Hypothese auf, dass Geschäftsinteressen, Gewinnorientierung und die angeblich so große "Gier" von "Eliten" bis weit in die 1980er Jahre hinein lediglich besser hinter der gesellschaftlich erwünschten Fassade von Maß, Solidarität und möglichst geringen sozialen Ungleichheiten versteckt werden konnten als in Zeiten der "Globalisierung". Anders gewendet: Was heute – aus welchen Gründen auch immer – in der Öffentlichkeit heftig skandalisiert und als Ausdruck "wachsender Ungleichheit" gegeißelt wird, drang früher entweder nicht an die Öffentlichkeit oder rief keine sonderlich große Aufregung hervor. Daher sollten gegenwärtig hitzig diskutierte Fälle von prominenten "Steuersündern" aus der Bundesliga über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen: Im Vergleich zu den 1960er, 1970er und teilweise auch 1980er Jahren ist die kaufmännische Seriosität, Solidität und Integrität im heutigen Fußballoberhaus erheblich gestiegen. Dies wird nicht zuletzt daran ersichtlich, dass die 36 Vereine und Kapitalgesellschaften der beiden obersten Ligen immerhin wieder Steuern und Abgaben zahlen – laut Auskunft der Deutschen Fußball Liga (DFL) allein in der Saison 2010/11 knapp 719 Millionen Euro.
Subventionen und Konkurrenzfähigkeit
Die strahlenden sportlichen Erfolge des bundesdeutschen Fußballs in den frühen 1970er Jahren täuschen also darüber hinweg, dass er damals schon schwer krank war und dass die große Krise, die er wenige Jahre später durchlaufen sollte, eine Folge jener Fehler war, die im Jahrzehnt zuvor begangen worden waren. Denn einer der stärksten Gründe für den verheerenden finanziellen Zustand des gesamten Bundesligabetriebs in jener Zeit war die enge Liaison zwischen den großen Vereinen und der öffentlichen Hand.
So sehr es Politiker lieben, Steuerehrlichkeit einzufordern, um das damit gewonnene Geld in Bildung investieren oder für die Herstellung "sozialer Gerechtigkeit" ausgeben zu können: Das Fußballoberhaus war ein exzellentes Beispiel dafür, wie politische Institutionen, in diesem Fall vor allem die örtlichen Kommunen, dazu neigen, sich mit dem eingetriebenen Steuergeld zum Anwalt starker Lobbygruppen zu machen und der Verschwendung öffentlicher Mittel – dem legalen Zwilling der Steuerhinterziehung – Vorschub zu leisten. Ständig gaben sie Forderungen aus dem Berufsfußball nach und mischten somit in einem wirtschaftlichen Bereich mit, der nicht zu ihren eigentlichen Hoheitsaufgaben gehörte. Diese Entwicklung, die in einigen Städten bereits in den 1920er Jahren zu beobachten war, verstärkte sich mit dem beeindruckenden Siegeszug des Fernsehens, das die gesellschaftliche Bedeutung des runden Leders immer deutlicher vor Augen führte und somit auch Politikern verlockende Möglichkeiten der Selbstinszenierung eröffnete. Hinzu kam die Hoffnung vieler Kommunen, über einen Bundesligaverein die lokale Wirtschaft stärken und das eigene Renomee fördern zu können.
Zahlreiche Bundesliga-Städte – Ausnahmen sind bislang nicht bekannt – halfen daher ihren sportlichen Aushängeschildern immer wieder über akute Liquiditätsschwierigkeiten hinweg, indem sie nicht nur Steuerschulden erließen und Zuschüsse leisteten, sondern bisweilen auch die halbseidenen Bilanzierungsmethoden der Vereine duldeten. Etliche Initiativen wurden gestartet, mit denen die Bundesligisten steuerlich weiter entlastet werden sollten, obgleich sie in der Realität die Zahlung von Steuern und Abgaben vielfach schon eingestellt hatten. Rechtliche Einwände innerhalb der Kommunen gegen solche Rettungspakete wurden unter anderem mit dem Verweis auf ihre vermeintliche Alternativlosigkeit weggewischt, und die Lizenzspielerabteilungen erhoben sich bisweilen selbst zu gleichsam systemrelevanten Institutionen zur Aufrechterhaltung des Breitensports. Insofern ist die Geschichte der Bundesliga auch ein hervorragendes Beispiel für die Funktionsweise des bundesdeutschen Steuerstaates. Sie verleiht dem gegenwärtigen Furor über prominente Steuerstraftäter eine heuchlerische Note, die vom eigentlichen Missstand ablenkt: einer seit Jahrzehnten verfehlten Steuer- und Finanzpolitik, die jene bestraft, die solide zu wirtschaften und auf eigenen Beinen zu stehen versuchen. Denn im Grunde lief es immer wieder darauf hinaus, durch geschickte Lobbyarbeit für einzelne Gruppen neue Gesetze, Verordnungen und damit auch neue Steuerschlupflöcher zu schaffen, mit denen lange Zeit geübte Praktiken zwielichtiger "Steuervermeidung" legalisiert wurden.
Das Fußballoberhaus war also Anfang der 1970er Jahre auf dem direkten Wege, zu einer Staatsbundesliga zu werden, in der grundlegende marktwirtschaftliche Regeln wie freier Wettbewerb, Eigenverantwortung, Gesetzestreue oder die Koppelung von Gewinnaussicht und Verlustrisiko außer Kraft gesetzt worden waren. Die Konsequenzen dieser Missachtung marktliberaler Grundprinzipien waren gravierend: Anstatt bankrotte Vereine in die Insolvenz zu entlassen, flossen aus den Kassen der öffentlichen Hand beträchtliche Summen in die Bundesliga, mit denen wiederum nicht vornehmlich die Rechnungen kleiner Gläubiger bezahlt oder der Sportbetrieb der wirklichen Amateure finanziert, sondern die Ansprüche begehrter Kicker befriedigt wurden.
Von dieser Warte aus hatte der große Bundesligaskandal von 1971 auch etwas Gutes: Die Kommunen begannen – nicht zuletzt unter dem Druck einiger unabhängiger Finanzbehörden und eigener finanzieller Probleme – ihr Verhältnis zum Berufsfußball zu überdenken. Dies bedeutete zwar nicht, dass sich der Staat vollständig von der Unterstützung der Bundesliga zurückzog. Auch in den Jahrzehnten darauf sollte es zahllose verwegene Aktionen zur Rettung bankrotter Lizenzspielerabteilungen geben. Aber zweifellos war eine allmähliche Abkehr von der Dauersubventionierung zu beobachten. Dies verdeutlichte den Vereinen, sich nach neuen Geldquellen umschauen zu müssen, wenn sie sich finanziell über Wasser halten wollten. Clubs wie dem Hamburger SV, dem FC Bayern München oder dem SV Werder Bremen wurde daher bewusst, dass es neuer Ideen bedurfte, um eine anspruchsvolle Profimannschaft finanzieren zu können. Sie beschlossen, den Geschäfts-, Entertainment- und Konkurrenzcharakter des Berufsfußballs nicht mehr hinter der bigotten Fassade des alten Wahlspruchs "Elf Freunde müsst ihr sein" zu verstecken. Vielmehr ermöglichten sie durch den Übergang vom versteckten zum offenen Sponsoring eine neue Aufrichtigkeit im Umgang mit dem Kommerz. Andere Vereine hingegen wie Hertha BSC Berlin, der TSV 1860 München oder der FC Schalke 04, die sich weiterhin vornehmlich auf die staatlichen Quellen bei der Geldbeschaffung verließen,
Kritiker erblickten in der mit diesem Prozess einhergehenden Kommerzialisierung der Bundesliga den Verlust des kulturellen Wertes des Fußballs, der für viele Anhänger vor allem im rituellen Gemeinschaftserlebnis und im Ausdruck kollektiver, zumeist lokaler oder regionaler Identitäten bestand. Solche immer wieder zu vernehmenden Klagen über den vermeintlichen Verlust des "ideellen Kerns" im Sport sowie des beschaulichen Charakters der Bundesliga ignorierten, dass dieser "ideelle Kern" bereits im Spitzenfußball der 1920er Jahre nicht mehr existierte. Vielmehr wurden die vielen gewöhnlichen Geschäftsinteressen im Berufsfußball im Vergleich zu früheren Jahrzehnten lediglich transparenter. Da überdies die wirtschaftliche Entwicklung seit 1960 weltweit von einem gigantischen Wirtschaftswachstum und einer extremen Ausweitung der Geldmenge gekennzeichnet war,
Verflüchtigung traditioneller Identitäten und Spiritualisierung des runden Leders
Interessant an der Geschichte der Fußballbundesliga ist darüber hinaus, wie ein Teil der Anhängerschaft auf die Entwicklung vom versteckten zum offenen Kommerz reagierte. Jedenfalls stellen die regelmäßigen Kundgebungen in den Stadien "gegen den modernen Fußball" sowie die im Tenor ähnlichen Klagen vieler Journalisten über die Allgegenwart des Geschäfts viele herkömmliche Modernisierungstheorien infrage.
Dass ungeachtet dieses ständigen Gezeters über die große Rolle des Geldes die Popularität der Bundesliga kontinuierlich gewachsen ist, deutet daher auf ihre enorme kulturelle Werthaltigkeit hin. Ein wesentlicher Grund dafür, dass der offene Kommerz die Anhängerschaft nicht dauerhaft vergraulte, war die Überführung traditioneller Identifikationen ins Transzendente, wo sie sich jeglicher rationalen Überprüfung entzogen. Vereinfacht ausgedrückt: In den Augen vieler Fans blieb die Lieblingsmannschaft Repräsentant der eigenen Region, einer sympathischen Weltanschauung oder einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, selbst wenn die Stars schon lange nicht mehr vornehmlich aus der Region kamen, eigentlich das glatte Gegenteil dieser sympathischen Weltanschauung verkörperten oder in ihrem Einkommen und Lebensstil längst der gesellschaftlichen Schicht entwachsen waren, der sie vielleicht ursprünglich einmal angehört hatten. Dies weist auf ein hohes Maß an Realitätsverdrängung in einem großen Teil der Anhängerschaft hin, die sich mit einer unübersehbaren Tendenz zu irrationalen, quasireligiösen Verhaltensmustern vermengte. Das anschaulichste Beispiel für diese Entwicklung ist der FC Schalke 04, dessen Mitglieder sich mehrheitlich lange Zeit sträubten, die Umgestaltung des Vereins zu einem professionell geführten Wirtschaftsunternehmen mitzugehen. Hans-Joachim Fenne war trotz seiner kaum bestreitbaren Kompetenzen als Präsident der "Königsblauen" auch deshalb nicht sonderlich beliebt, weil er 1981 behauptete: "Schalke als Weltanschauung, als Glaubensbekenntnis – das ist überholt."
Auf den ersten Blick scheint vielen dieser quasireligiösen Ausdrucksformen, die an jedem Spieltag zu beobachten sind, die Ernsthaftigkeit zu fehlen. Doch dies täuscht. Selbst die beiden großen christlichen Kirchen in der Bundesrepublik merkten schon in den 1950er Jahren, dass sie ihre Mitglieder auch an den Fußball verloren, der ihnen all das zu bieten vermochte, wofür ursprünglich die traditionellen Glaubensgemeinschaften sorgten: Gemeinschaft unter Gleichgesinnten, ekstatische Erlebnisse, eine feste zeitliche Struktur abseits der alltäglichen Verpflichtungen, rituelle Handlungen und in diesem Sinne religiöse Vollzüge. Diese verbreitete Emotionalisierung und Spiritualisierung des runden Leders erschüttern daher die Behauptung, wonach die westlichen Gesellschaften in den zurückliegenden Jahrhunderten einen Prozess der Aufklärung durchlaufen hätten, der geistesgeschichtlich oft als Sieg der Vernunft gefeiert wurde.
Zu diesen irrationalen Verhaltensweisen unter den Anhängern gehörte es, vor allem den DFB für den Verlust des "ideellen Kerns" im Fußball verantwortlich zu machen. In dem Maße, wie seit den 1970er Jahren der Kommerz nicht mehr schamvoll verhüllt wurde, sondern immer deutlicher an die Oberfläche trat, verfestigte sich das Feindbild von einer vermögenden Organisation, deren Funktionäre sich angeblich am Sport persönlich zu bereichern versuchten. Die Frustrationen über diesen scheinbar ungehemmten Materialismus gingen bisweilen mit der Behauptung einher, dass der DFB eine "konservative", "rechte" oder gar "faschistische" Vereinigung sei.
Die Bundesligageschichte hält also eine weitere wichtige Erkenntnis parat: Der Sport ist und bleibt ein Feld intensiver Vergemeinschaftungsprozesse, die nicht unbedingt aus einer gemeinsamen Begeisterung für eine widerliche Weltanschauung erwachsen müssen.