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Die Bundesliga als Objekt wirtschafts- und kulturgeschichtlicher Betrachtungen - Essay | 50 Jahre Fußball-Bundesliga | bpb.de

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Die Bundesliga als Objekt wirtschafts- und kulturgeschichtlicher Betrachtungen - Essay

Nils Havemann

/ 17 Minuten zu lesen

Ist es aus geschichtswissenschaftlicher Sicht lohnend, sich mit der Bundesliga zu beschäftigen? Bei flüchtiger Betrachtung ist diese Frage klar zu verneinen. Das Wissen darum, dass vor rund 50 Jahren ein gewisser Timo Konietzka für Borussia Dortmund das erste Bundesligator markierte, ist für das Verständnis der Geschichte der Bundesrepublik ziemlich belanglos. Ebenso wenig verdient die Tatsache, dass Borussia Mönchengladbach und der FC Bayern München in den 1970er Jahren die beiden dominierenden Mannschaften im bundesdeutschen Fußball waren, irgendeine besondere Beachtung, wenn es darum geht, die politische, wirtschaftliche und soziale Entwicklung dieses Landes zu beleuchten. Und dass der FC Schalke 04 seit mehr als einem halben Jahrhundert darauf wartet, die Meisterschale in die Höhe zu recken, mag für seine vielen Anhänger schmerzvoll sein – Historiker sollten daran nicht einmal eine Fußnote verschwenden. Kein Zweifel: Wird die Geschichte der Bundesliga auf die Nacherzählung von wichtigen Spielen, auf die Beschreibung von spektakulären Toren oder die Auflistung von Ergebnisstatistiken reduziert, tendiert ihr Erkenntniswert gegen null.

Anders verhält es sich hingegen, wenn die Bundesligahistorie mit kultur- und wirtschaftshistorischen Problemstellungen verknüpft wird. Sobald solche bewährten Fragen und Methoden aus der Geschichtswissenschaft auf die 50 Jahre des Kampfes um Tore, Punkte und Meisterschaft angewandt werden, offenbart sich das enorme Erkenntnispotenzial der Bundesligageschichte. Mehr noch: Dadurch eröffnen sich Einsichten, welche die Beschäftigung mit scheinbar wichtigeren und seriöseren Themen kaum noch zu bieten vermag. Schon ein erster Blick auf die nackten Zahlen verrät, dass es erhebliche Schwierigkeiten bereitet, ein gesellschaftliches Phänomen zu benennen, das in den vergangenen 50 Jahren größeren Zulauf erfuhr als der Fußball im Allgemeinen und die Bundesliga im Besonderen. Welchen 1963 etablierten Parteien, Verbänden oder Glaubensgemeinschaften in der Bundesrepublik gelang es wie dem Deutschen Fußball-Bund (DFB), den Mitgliederbestand mehr als zu verdreifachen? Und welches Ereignis vermag im Jahre 2013 die Bevölkerung noch in einem derart hohen Ausmaß zu elektrisieren wie ein Spiel zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München? Eine wichtige Regierungserklärung, die gefeierte Neuinszenierung einer Wagner-Oper oder eine bedeutsame Verlautbarung der Deutschen Bischofskonferenz jedenfalls schon lange nicht mehr.

Doch mit welchen Fragestellungen und mit welcher Methodik lassen sich der Bundesligageschichte Einsichten entlocken, die für das Verständnis der bundesrepublikanischen Geschichte aufschlussreich sind? Unübersehbar handelt es sich bei Fußball- zunächst um Kulturgeschichte, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der im Grunde profane Kampf um das Tor in der Vergangenheit stets mit unterschiedlichen Sinnbezügen aufgeladen wurde. Dass dieser Sport eine wichtige Quelle für nationale Mythen geworden ist, die ins kollektive Gedächtnis der Bundesrepublik eingegangen sind, ist schon 2004 klar geworden, als sich das "Wunder von Bern" – der als Sensation empfundene Sieg der Nationalmannschaft über Ungarn bei der Weltmeisterschaft 1954 in der Schweiz – zum 50. Mal jährte. Die Spiele um das runde Leder – genauer: die Gespräche und die Fachsimpeleien darüber – sind aufgrund der enormen Popularität des Sports und seiner Breitenwirkung offenkundig zu zuverlässigen Indikatoren für Stimmungen und die geistige Verfassung einer Gesellschaft geworden.

Indes sind diese Bedeutungszuschreibungen, die der Fußball im Laufe seiner Geschichte erfahren hat, oft nur zu verstehen, wenn sie vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklungen und Verwertungsinteressen im Fußball betrachtet werden. Hier ist Hans-Ulrich Wehler zuzustimmen, der im letzten Band seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte Stellung gegen eine Kulturgeschichte bezog, die in der Tat in einer bisweilen weltfremden Weise ökonomische Fragestellungen schlichtweg ignoriert und daher nicht die "Synthesefähigkeit" wie die Gesellschaftsgeschichte entwickelt hat. Dabei ist Fußball seit der Zeit der Weimarer Republik ein gewaltiges Geschäft – eine Tatsache, die viele Historiker, die sich mit dem Sport beschäftigen, bislang nahezu vollständig ausgeklammert haben, weil sie sich ausschließlich mit Sport als Stifter von Identitäten und als Vehikel zur Verbreitung von Ideologien beschäftigten.

Doch welche Schlüsse können aus einer Geschichte der Bundesliga gezogen werden, die sich ihr unter kultur- und wirtschaftshistorischen Aspekten zu nähern versucht? Die Erkenntnisse, die im Rahmen eines dreijährigen Projekts an der Universität Stuttgart zutage gefördert wurden, sind nicht zuletzt aufgrund der Auswertung einer Vielzahl bislang unbekannter Dokumente derart vielfältig, dass an dieser Stelle lediglich drei Aspekte in einer stark verkürzten und daher etwas zugespitzten Form dargestellt werden können.

Gemeinschaftsdiskurse, ökonomische Interessen und kaufmännische Seriosität

Der Fußball eignete sich stets dazu, ihn mit bestimmten Vorstellungen von Gemeinschaft zu verbinden. Als sich dieser Sport zum Ausgang des 19. Jahrhunderts in Deutschland auszubreiten begann, behaupteten seine zumeist bürgerlichen Repräsentanten, dass das Spiel den nationalen Gedanken fördere. In der Weimarer Zeit waren vermehrt Stimmen zu vernehmen, die den völkerverbindenden Charakter des runden Leders hervorhoben, während im "Dritten Reich" der profane Kampf um das Tor dem "Volksgemeinschaftsgeist" Vorschub leisten sollte. Nach dem Krieg hingegen, als dieser Gedanke diskreditiert war, wurde eine unverfänglichere Variante von Gemeinschaftsvorstellung gefunden, welcher der Fußball vermeintlich diene: Nun war der Sport angeblich von "Kameradschaft" beseelt, einer Eigenschaft, mit der das "Wunder von Bern" erklärt wurde und als deren vornehmster Repräsentant sich Fritz Walter, der legendäre Kapitän der Weltmeisterelf, profilieren konnte.

Solche sympathischen Zuschreibungen hatten zwei gravierende Wirkungen. Zum einen trugen sie dazu bei, die Akzeptanz des Fußballs in der bildungsbürgerlich orientierten bundesdeutschen Gesellschaft zu steigern. Immerhin galt es, den wenig schmeichelhaften Ruf dieses Sports als billiges Massenvergnügen zu überwinden. Zum anderen erleichterten sie es den Verantwortungsträgern in den großen Vereinen und beim DFB, unter dem fußballbegeisterten Publikum die Illusion zu erzeugen, als handelte es sich bei den großen Stars der 1950er und 1960er Jahre um biedere Amateure, zumindest Halbamateure, die nur bescheiden für ihre Ballkünste entlohnt wurden. Dabei erhielten die besten Spieler bereits auf legalem Wege etwa das Sechsfache des damaligen durchschnittlichen Verdienstes eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers in der Bundesrepublik. Hinzu kamen nicht selten zusätzliche Einkünfte über Scheinarbeitsplätze, Sponsoringverträge, die Einrichtung von Kleinbetrieben oder Zahlungen aus "schwarzen Kassen", die viele Vereine der Oberligen, ab 1963 der Bundesliga, außerhalb der offiziellen Bilanzen unterhielten. In anderen Worten: Die großen Fußballstars der Bundesrepublik waren schon in der Zeit des Wiederaufbaus großzügig entlohnte Profis, die sich oft nur noch zum Schein in anderen Berufen ablichten ließen und nicht zuletzt über versteckte kommerzielle Aktivitäten finanziert wurden.

Die hervorragenden Verdienstmöglichkeiten, die sich jungen Fußballspielern eröffneten, wurden im Zuge der Bundesligagründung mit Bedacht geheim gehalten. Ein Grund war das Bewusstsein dafür, dass eine zu stark sichtbare Kommerzialisierung des Fußballs mit dem Harmonie-, Kompromiss- und Sozialgedanken des Rheinischen Kapitalismus nicht zu vereinbaren war. Viele Vorstände bevorzugten es angesichts der in den Medien und in der Anhängerschaft verbreiteten Empörung über die "Geschäftemacherei", das gesamte Ausmaß der Bedeutung des Geldes im Fußball möglichst zu kaschieren. Dies erschien ihnen umso notwendiger, als sie großen Wert darauf legten, als gemeinnützig anerkannt zu bleiben, so dass sie in den Genuss einer Vielzahl steuerlicher Privilegien kamen (z.B. Befreiung von der Körperschaftssteuer, Vermögenssteuer und ab Ende der 1960er Jahre von der Vergnügungssteuer).

Aufschlussreich für die Charakterisierung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik waren die tatsächlichen Verhältnisse, die sich unter den Bedingungen eines scheinbar "gezügelten Kapitalismus" einstellten: Während der DFB und die großen Vereine große Anstrengungen unternahmen, in der Öffentlichkeit das Bild von einem solidarisch und wirtschaftlich maßvoll operierenden Fußballbetrieb aufrechtzuerhalten, stellten sich im Hintergrund geradezu anarchisch anmutende Verhältnisse ein. Spieler und Trainer wurden derart großzügig entlohnt, dass trotz eines regen Zuschauerzuspruchs 14 der 18 Bundesligavereine im Frühjahr 1971 erhebliche Liquiditätsschwierigkeiten hatten. Die meisten Lizenzspielerabteilungen konnten nur dadurch vor der Insolvenz bewahrt werden, dass die Kommunen ihnen mit juristisch äußerst fragwürdigen Rettungsaktionen zu Hilfe eilten, Steuerschulden erließen oder mit sonstigen Subventionen aus der Misere halfen. Geduldet, teilweise sogar gefördert durch politische Institutionen, hatte sich im Fußballoberhaus ein gehöriges Maß an Wirtschaftskriminalität in Form von Bilanzmanipulationen und Steuerhinterziehung ausgebreitet. Der große Bundesligaskandal von 1971, der Kauf von zahlreichen Spielen, erklärt sich aus dieser jahrzehntelangen Finanzanarchie im deutschen Berufsfußball und war daher auch kein Novum: Schon zuvor hatte es Bestechungsversuche gegeben, mit denen der Ausgang einzelner Partien beeinflusst werden sollte.

Nun stellt die Bundesliga zweifellos nur einen Ausschnitt der Gesellschaft dar. Doch gerade weil die Vorstände der Vereine und Verbände in einem auffällig hohen Maß von Kaufleuten, Unternehmern und Juristen beherrscht wurden, stellt sich die Frage, ob angesichts der oft zu hörenden Klage über den vermeintlichen "Raubtierkapitalismus" der Gegenwart die verklärende Verherrlichung der sozialen Marktwirtschaft der frühen Bundesrepublik nicht unangemessen ist. Vielmehr drängt sich die Hypothese auf, dass Geschäftsinteressen, Gewinnorientierung und die angeblich so große "Gier" von "Eliten" bis weit in die 1980er Jahre hinein lediglich besser hinter der gesellschaftlich erwünschten Fassade von Maß, Solidarität und möglichst geringen sozialen Ungleichheiten versteckt werden konnten als in Zeiten der "Globalisierung". Anders gewendet: Was heute – aus welchen Gründen auch immer – in der Öffentlichkeit heftig skandalisiert und als Ausdruck "wachsender Ungleichheit" gegeißelt wird, drang früher entweder nicht an die Öffentlichkeit oder rief keine sonderlich große Aufregung hervor. Daher sollten gegenwärtig hitzig diskutierte Fälle von prominenten "Steuersündern" aus der Bundesliga über eine Tatsache nicht hinwegtäuschen: Im Vergleich zu den 1960er, 1970er und teilweise auch 1980er Jahren ist die kaufmännische Seriosität, Solidität und Integrität im heutigen Fußballoberhaus erheblich gestiegen. Dies wird nicht zuletzt daran ersichtlich, dass die 36 Vereine und Kapitalgesellschaften der beiden obersten Ligen immerhin wieder Steuern und Abgaben zahlen – laut Auskunft der Deutschen Fußball Liga (DFL) allein in der Saison 2010/11 knapp 719 Millionen Euro. In der Saison 1970/71 hingegen hatten zahlreiche Bundesligisten die Entrichtung fälliger Steuern und Abgaben eingestellt oder arbeiteten mithilfe des DFB bei den zuständigen Justiz- und Finanzbehörden an weiteren Subventionen für ihre Lizenzspielerabteilungen.

Subventionen und Konkurrenzfähigkeit

Die strahlenden sportlichen Erfolge des bundesdeutschen Fußballs in den frühen 1970er Jahren täuschen also darüber hinweg, dass er damals schon schwer krank war und dass die große Krise, die er wenige Jahre später durchlaufen sollte, eine Folge jener Fehler war, die im Jahrzehnt zuvor begangen worden waren. Denn einer der stärksten Gründe für den verheerenden finanziellen Zustand des gesamten Bundesligabetriebs in jener Zeit war die enge Liaison zwischen den großen Vereinen und der öffentlichen Hand.

So sehr es Politiker lieben, Steuerehrlichkeit einzufordern, um das damit gewonnene Geld in Bildung investieren oder für die Herstellung "sozialer Gerechtigkeit" ausgeben zu können: Das Fußballoberhaus war ein exzellentes Beispiel dafür, wie politische Institutionen, in diesem Fall vor allem die örtlichen Kommunen, dazu neigen, sich mit dem eingetriebenen Steuergeld zum Anwalt starker Lobbygruppen zu machen und der Verschwendung öffentlicher Mittel – dem legalen Zwilling der Steuerhinterziehung – Vorschub zu leisten. Ständig gaben sie Forderungen aus dem Berufsfußball nach und mischten somit in einem wirtschaftlichen Bereich mit, der nicht zu ihren eigentlichen Hoheitsaufgaben gehörte. Diese Entwicklung, die in einigen Städten bereits in den 1920er Jahren zu beobachten war, verstärkte sich mit dem beeindruckenden Siegeszug des Fernsehens, das die gesellschaftliche Bedeutung des runden Leders immer deutlicher vor Augen führte und somit auch Politikern verlockende Möglichkeiten der Selbstinszenierung eröffnete. Hinzu kam die Hoffnung vieler Kommunen, über einen Bundesligaverein die lokale Wirtschaft stärken und das eigene Renomee fördern zu können.

Zahlreiche Bundesliga-Städte – Ausnahmen sind bislang nicht bekannt – halfen daher ihren sportlichen Aushängeschildern immer wieder über akute Liquiditätsschwierigkeiten hinweg, indem sie nicht nur Steuerschulden erließen und Zuschüsse leisteten, sondern bisweilen auch die halbseidenen Bilanzierungsmethoden der Vereine duldeten. Etliche Initiativen wurden gestartet, mit denen die Bundesligisten steuerlich weiter entlastet werden sollten, obgleich sie in der Realität die Zahlung von Steuern und Abgaben vielfach schon eingestellt hatten. Rechtliche Einwände innerhalb der Kommunen gegen solche Rettungspakete wurden unter anderem mit dem Verweis auf ihre vermeintliche Alternativlosigkeit weggewischt, und die Lizenzspielerabteilungen erhoben sich bisweilen selbst zu gleichsam systemrelevanten Institutionen zur Aufrechterhaltung des Breitensports. Insofern ist die Geschichte der Bundesliga auch ein hervorragendes Beispiel für die Funktionsweise des bundesdeutschen Steuerstaates. Sie verleiht dem gegenwärtigen Furor über prominente Steuerstraftäter eine heuchlerische Note, die vom eigentlichen Missstand ablenkt: einer seit Jahrzehnten verfehlten Steuer- und Finanzpolitik, die jene bestraft, die solide zu wirtschaften und auf eigenen Beinen zu stehen versuchen. Denn im Grunde lief es immer wieder darauf hinaus, durch geschickte Lobbyarbeit für einzelne Gruppen neue Gesetze, Verordnungen und damit auch neue Steuerschlupflöcher zu schaffen, mit denen lange Zeit geübte Praktiken zwielichtiger "Steuervermeidung" legalisiert wurden. Das Resultat dieser gewiss nicht nur in der Bundesliga zu beobachtenden Vorgehensweise war ein stetig komplizierter und absurder werdendes Steuerrecht, das selbst die Experten nicht mehr beherrschen und die angeblich angestrebte Einzelfallgerechtigkeit in ein hohes Maß an Rechtsunsicherheit verkehrt hat.

Das Fußballoberhaus war also Anfang der 1970er Jahre auf dem direkten Wege, zu einer Staatsbundesliga zu werden, in der grundlegende marktwirtschaftliche Regeln wie freier Wettbewerb, Eigenverantwortung, Gesetzestreue oder die Koppelung von Gewinnaussicht und Verlustrisiko außer Kraft gesetzt worden waren. Die Konsequenzen dieser Missachtung marktliberaler Grundprinzipien waren gravierend: Anstatt bankrotte Vereine in die Insolvenz zu entlassen, flossen aus den Kassen der öffentlichen Hand beträchtliche Summen in die Bundesliga, mit denen wiederum nicht vornehmlich die Rechnungen kleiner Gläubiger bezahlt oder der Sportbetrieb der wirklichen Amateure finanziert, sondern die Ansprüche begehrter Kicker befriedigt wurden. Die kontinuierliche finanzielle Unterstützung der Bundesligisten durch den Staat trug zu einer Verlotterung aller guten Kaufmannssitten bei, begünstigte in Einzelfällen die Korruption und schläferte bei etlichen Vorständen den Ehrgeiz ein, die Vereine auf eine betriebswirtschaftlich gesündere Basis zu stellen.

Von dieser Warte aus hatte der große Bundesligaskandal von 1971 auch etwas Gutes: Die Kommunen begannen – nicht zuletzt unter dem Druck einiger unabhängiger Finanzbehörden und eigener finanzieller Probleme – ihr Verhältnis zum Berufsfußball zu überdenken. Dies bedeutete zwar nicht, dass sich der Staat vollständig von der Unterstützung der Bundesliga zurückzog. Auch in den Jahrzehnten darauf sollte es zahllose verwegene Aktionen zur Rettung bankrotter Lizenzspielerabteilungen geben. Aber zweifellos war eine allmähliche Abkehr von der Dauersubventionierung zu beobachten. Dies verdeutlichte den Vereinen, sich nach neuen Geldquellen umschauen zu müssen, wenn sie sich finanziell über Wasser halten wollten. Clubs wie dem Hamburger SV, dem FC Bayern München oder dem SV Werder Bremen wurde daher bewusst, dass es neuer Ideen bedurfte, um eine anspruchsvolle Profimannschaft finanzieren zu können. Sie beschlossen, den Geschäfts-, Entertainment- und Konkurrenzcharakter des Berufsfußballs nicht mehr hinter der bigotten Fassade des alten Wahlspruchs "Elf Freunde müsst ihr sein" zu verstecken. Vielmehr ermöglichten sie durch den Übergang vom versteckten zum offenen Sponsoring eine neue Aufrichtigkeit im Umgang mit dem Kommerz. Andere Vereine hingegen wie Hertha BSC Berlin, der TSV 1860 München oder der FC Schalke 04, die sich weiterhin vornehmlich auf die staatlichen Quellen bei der Geldbeschaffung verließen, verloren den Anschluss an die Konkurrenz und verschwanden somit für viele Jahre in die sportliche Bedeutungslosigkeit. Die zum Teil beachtlichen Erfolge, die Vereine wie der FC Bayern München, der Hamburger SV und der SV Werder Bremen in den 1980er und 1990er Jahren im Gegensatz zu den anderen genannten Traditionsvereinen feiern durften, können folglich als schlagender Beleg dafür gewertet werden, dass der Staat mit Subventionen die Konkurrenzfähigkeit von Wirtschaftsbranchen eher beeinträchtigt als befördert.

Kritiker erblickten in der mit diesem Prozess einhergehenden Kommerzialisierung der Bundesliga den Verlust des kulturellen Wertes des Fußballs, der für viele Anhänger vor allem im rituellen Gemeinschaftserlebnis und im Ausdruck kollektiver, zumeist lokaler oder regionaler Identitäten bestand. Solche immer wieder zu vernehmenden Klagen über den vermeintlichen Verlust des "ideellen Kerns" im Sport sowie des beschaulichen Charakters der Bundesliga ignorierten, dass dieser "ideelle Kern" bereits im Spitzenfußball der 1920er Jahre nicht mehr existierte. Vielmehr wurden die vielen gewöhnlichen Geschäftsinteressen im Berufsfußball im Vergleich zu früheren Jahrzehnten lediglich transparenter. Da überdies die wirtschaftliche Entwicklung seit 1960 weltweit von einem gigantischen Wirtschaftswachstum und einer extremen Ausweitung der Geldmenge gekennzeichnet war, veränderten sich lediglich der Umfang der Geschäftstätigkeit und die Möglichkeiten des Kommerzes, nicht aber das grundsätzliche Interesse an der ökonomischen Verwertung des Kulturguts Fußball.

Verflüchtigung traditioneller Identitäten und Spiritualisierung des runden Leders

Interessant an der Geschichte der Fußballbundesliga ist darüber hinaus, wie ein Teil der Anhängerschaft auf die Entwicklung vom versteckten zum offenen Kommerz reagierte. Jedenfalls stellen die regelmäßigen Kundgebungen in den Stadien "gegen den modernen Fußball" sowie die im Tenor ähnlichen Klagen vieler Journalisten über die Allgegenwart des Geschäfts viele herkömmliche Modernisierungstheorien infrage. Parolen wie "Holt euch das Spiel zurück" oder die verbreitete Trauer über den angeblichen "Niedergang des Volksfußballs" zeugen nicht minder von dem Widerwillen gegen die notwendige Weiterentwicklung des modernen Sports, der in den vergangenen beiden Jahrzehnten lediglich neuere Möglichkeiten und Entwicklungen in der Informationstechnologie, in der Fernsehlandschaft und auf den internationalen Märkten nutzte, um die schon in der Zeit der Weimarer Republik erkennbaren ökonomischen Verwertungsinteressen der Hauptakteure zu befriedigen. Zunächst verdeutlichen solche Proteste, dass nicht nur viele Verantwortungsträger in der Politik, in den Vereinen und Verbänden, sondern auch viele Fans an der Basis eine starke Aversion gegen den marktliberalen Teil der sozialen Marktwirtschaft hegen. Dabei wäre es eigentlich ziemlich einfach: Wer die Preise für die Tickets als überhöht, ein Abonnement für die Bezahlsender als maßlos teuer, die Gehälter der Spieler als "unmoralisch" oder die ständige Präsenz von Reklame als unerträglich empfindet, wird nicht gezwungen, ins Stadion zu gehen, die Liveübertragung einzuschalten oder sich das Produkt zu kaufen, für das der umjubelte Ballkünstler Werbung macht.

Dass ungeachtet dieses ständigen Gezeters über die große Rolle des Geldes die Popularität der Bundesliga kontinuierlich gewachsen ist, deutet daher auf ihre enorme kulturelle Werthaltigkeit hin. Ein wesentlicher Grund dafür, dass der offene Kommerz die Anhängerschaft nicht dauerhaft vergraulte, war die Überführung traditioneller Identifikationen ins Transzendente, wo sie sich jeglicher rationalen Überprüfung entzogen. Vereinfacht ausgedrückt: In den Augen vieler Fans blieb die Lieblingsmannschaft Repräsentant der eigenen Region, einer sympathischen Weltanschauung oder einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht, selbst wenn die Stars schon lange nicht mehr vornehmlich aus der Region kamen, eigentlich das glatte Gegenteil dieser sympathischen Weltanschauung verkörperten oder in ihrem Einkommen und Lebensstil längst der gesellschaftlichen Schicht entwachsen waren, der sie vielleicht ursprünglich einmal angehört hatten. Dies weist auf ein hohes Maß an Realitätsverdrängung in einem großen Teil der Anhängerschaft hin, die sich mit einer unübersehbaren Tendenz zu irrationalen, quasireligiösen Verhaltensmustern vermengte. Das anschaulichste Beispiel für diese Entwicklung ist der FC Schalke 04, dessen Mitglieder sich mehrheitlich lange Zeit sträubten, die Umgestaltung des Vereins zu einem professionell geführten Wirtschaftsunternehmen mitzugehen. Hans-Joachim Fenne war trotz seiner kaum bestreitbaren Kompetenzen als Präsident der "Königsblauen" auch deshalb nicht sonderlich beliebt, weil er 1981 behauptete: "Schalke als Weltanschauung, als Glaubensbekenntnis – das ist überholt." Hingegen sprach der damalige Schalker Trainer Peter Neururer den Fans aus der Seele, als er behauptete, dass Schalke 04 "ein sportliches Glaubensbekenntnis" sei.

Auf den ersten Blick scheint vielen dieser quasireligiösen Ausdrucksformen, die an jedem Spieltag zu beobachten sind, die Ernsthaftigkeit zu fehlen. Doch dies täuscht. Selbst die beiden großen christlichen Kirchen in der Bundesrepublik merkten schon in den 1950er Jahren, dass sie ihre Mitglieder auch an den Fußball verloren, der ihnen all das zu bieten vermochte, wofür ursprünglich die traditionellen Glaubensgemeinschaften sorgten: Gemeinschaft unter Gleichgesinnten, ekstatische Erlebnisse, eine feste zeitliche Struktur abseits der alltäglichen Verpflichtungen, rituelle Handlungen und in diesem Sinne religiöse Vollzüge. Diese verbreitete Emotionalisierung und Spiritualisierung des runden Leders erschüttern daher die Behauptung, wonach die westlichen Gesellschaften in den zurückliegenden Jahrhunderten einen Prozess der Aufklärung durchlaufen hätten, der geistesgeschichtlich oft als Sieg der Vernunft gefeiert wurde.

Zu diesen irrationalen Verhaltensweisen unter den Anhängern gehörte es, vor allem den DFB für den Verlust des "ideellen Kerns" im Fußball verantwortlich zu machen. In dem Maße, wie seit den 1970er Jahren der Kommerz nicht mehr schamvoll verhüllt wurde, sondern immer deutlicher an die Oberfläche trat, verfestigte sich das Feindbild von einer vermögenden Organisation, deren Funktionäre sich angeblich am Sport persönlich zu bereichern versuchten. Die Frustrationen über diesen scheinbar ungehemmten Materialismus gingen bisweilen mit der Behauptung einher, dass der DFB eine "konservative", "rechte" oder gar "faschistische" Vereinigung sei. Nicht zuletzt die oft skandalisierten Ereignisse um die Weltmeisterschaft 1978 in Argentinien, als der nach Buenos Aires emigrierte Altnazi Hans-Ulrich Rudel im DFB-Trainingsquartier in Ascochinga auftauchte und sich der Verband überdies weigerte, gegen die Verletzung der Menschenrechte im Gastgeberland zu protestieren, schienen dies zu bestätigen. Wie die Quellen nun belegen, laufen all diese Vorwürfe ins Leere: Zwar war der DFB in der Tat ein an betriebswirtschaftlichen Denk- und Handlungsweisen orientierter Verband, und es gab in der Bundesrepublik nur wenige Organisationen, die derart konsequent ihre Interessen bei den politischen Instanzen durchzusetzen vermochten. Doch wäre es nach den Vorstellungen des DFB gegangen, wäre der Kommerz weiterhin hinter der Fassade des gemeinnützigen Fußballs verborgen geblieben. Was seine Haltung zur Militärdiktatur in Argentinien anbelangte, so war es die sozialliberale Regierungskoalition unter Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher, die den Verband zur Zurückhaltung gegenüber den Generälen ermahnte: Nachdem DFB-Präsident Hermann Neuberger wenige Wochen vor dem WM-Start erklärt hatte, eventuell die Bemühungen von Amnesty International unterstützen und sich gezielt für politisch Verfolgte einsetzen zu wollen, wurde er von der damaligen Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Hildegard Hamm-Brücher, gemaßregelt, die im Namen der Regierung die Proteste der Menschenrechtsorganisation als eine unerwünschte Einmischung in innere Angelegenheiten bezeichnete. Und Rudel kam nicht auf offizielle Einladung des DFB, sondern als persönlicher Freund des damaligen Bundestrainers Helmut Schön ins Quartier: Sie hatten sich Jahrzehnte zuvor über Schöns Vorgänger Sepp Herberger kennengelernt.

Die Bundesligageschichte hält also eine weitere wichtige Erkenntnis parat: Der Sport ist und bleibt ein Feld intensiver Vergemeinschaftungsprozesse, die nicht unbedingt aus einer gemeinsamen Begeisterung für eine widerliche Weltanschauung erwachsen müssen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Wolfram Pyta, Sportgeschichte aus der Sicht des Allgemeinhistorikers, in: Andrea Bruns/Wolfgang Buss (Hrsg.), Sportgeschichte erforschen und vermitteln, Hamburg 2009, S. 9–21.

  2. Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 5: Bundesrepublik und DDR 1949–1990, München 2008, S. 362.

  3. Vgl. Erik Eggers, Fußball in der Weimarer Republik, Kassel 2001, S. 154ff.; Nils Havemann, Fußball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz, Frankfurt/M.–New York 2005, S. 67ff.

  4. Ähnlich trist ist der Zustand der sporthistorischen Literatur aus dem angelsächsischen Raum, worauf jüngst Stefan Szymanski verwiesen hat: Economists and Sport History, in: Journal of Sport History, 37 (2010), S. 76f.

  5. Die folgenden Ausführungen werden im Detail belegt in: Nils Havemann, Samstags um halb 4. Die Geschichte der Fußballbundesliga, München 2013.

  6. Vgl. Christiane Eisenberg, Fußball in Deutschland 1890–1914, in: Geschichte und Gesellschaft, 20 (1994), S. 190.

  7. Vgl. Rudolf Oswald, "Fußball-Volksgemeinschaft". Ideologie, Politik und Fanatismus im deutschen Fußball 1919–1964, Frankfurt/M.–New York 2008.

  8. Besonders häufig zu beobachten in Gelsenkirchen, München und Berlin. Vgl. N. Havemann (Anm. 5), S. 167ff., S. 327ff., S. 380ff.

  9. Vgl. DFL (Hrsg.), Bundesliga. Report 2012, o.O. 2012, S. 18.

  10. Beispielhaft dafür stand der Umgang mit der Vergnügungssteuer, die eigentlich jeder Bundesligist zu entrichten hatte: Ende der 1960er Jahre war die wirtschaftliche Situation der Vereine derart katastrophal geworden, dass viele von ihnen diese Abgabe schlicht nicht mehr an die Kommunen überwiesen. Diese strebten nach und nach die Streichung dieser Steuer an und billigten somit nachträglich die Zahlungsverweigerung. Vgl. N. Havemann (Anm. 5), S. 204, S. 277.

  11. Vgl. ebd., u.a. S. 171ff., S. 206f., S. 378f.

  12. Vgl. ebd., S. 327ff., S. 377ff.

  13. Vgl. Axel A. Weber, Humankapital, Schulbildung und Wirtschaftswachstum, in: Hans-Joachim Bodenhöfer/Robert K. von Weizsäcker (Hrsg.), Bildung und Wirtschaftswachstum, Berlin 1998, S. 59ff.

  14. Vgl. zum Stand der Modernisierungsdiskussion auch die treffenden Ausführungen von Nina Degele/Christian Dries, Modernisierungstheorie. Eine Einführung, Paderborn 2005, S. 15.

  15. Dietrich Schulze-Marmeling, Vom Spieler zum Fan, in: ders. (Hrsg.), "Holt Euch das Spiel zurück". Fans und Fußball, Göttingen 1995, S. 11.

  16. Das Schalker Herz wurde inzwischen vom Hirn eingeholt, in: Schalker Kreisel, Nr. 41 vom 25.10.1981.

  17. Neururer: Mit Kratzen, Beißen, Spucken aus dem Tief, in: Schalker Kreisel, Nr. 39 vom 2.5.1989.

  18. Vgl. zu solchen unsinnigen Behauptungen auch die erhellenden Erläuterungen von Markwart Herzog, Fußballsport in der Zeit des Nationalsozialismus, in: A. Bruns/W. Buss (Anm. 1), S. 51f.

  19. Vgl. N. Havemann (Anm. 5), S. 253f.

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Dr. phil., geb. 1966; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Historischen Institut der Universität Stuttgart, Keplerstraße 17, 70174 Stuttgart. E-Mail Link: ihingnha@hi.uni-stuttgart.de