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Entschuldigung und Versöhnung in der internationalen Politik | Wiedergutmachung und Gerechtigkeit | bpb.de

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Entschuldigung und Versöhnung in der internationalen Politik

Christopher Daase

/ 17 Minuten zu lesen

Seit den 1990er Jahren ist es üblich geworden, sich für historisches Unrecht öffentlich zu entschuldigen. Der Papst bat um Entschuldigung für die Inquisition, Bill Clinton für den Sklavenhandel, die Schweiz für die Einlagerung des Nazi-Golds, die Queen für die Unterdrückung der Maoris in Neuseeland, der französische Präsident Jacques Chirac für die Dreyfus-Affäre. 2008 entschuldigte sich endlich auch der australische Premierminister Kevin Rudd bei den Ureinwohnern Australiens für die gewaltsame Landnahme, für ihre Unterdrückung und insbesondere die Trennung der Kinder von ihren Eltern, um sie zu "zivilisierten Bürgern Australiens" zu machen. Die Bedeutung dieser Entschuldigung kann nur verstehen, wer den jahrelangen Kampf um die Anerkennung der Verantwortung Australiens kennt und weiß, wie beharrlich frühere Regierungen sich weigerten, eine offizielle Entschuldigung auszusprechen.

Der hier angedeutete Trend zu politischen Entschuldigungen kann als Ausdruck eines politisch-moralischen Fortschritts verstanden werden. Einige Autoren sehen in ihm den Auftakt zu einer neuen Versöhnungspolitik und die Entstehung einer normativen Ordnung, in der sich Kollektive auch für lange vergangene Taten rechtfertigen müssen. Man kann diesen Trend aber auch als "zivilreligiöses Bußritual" kritisieren und bezweifeln, dass er zur Versöhnung zwischen den Menschen beiträgt.

Vorschnelle Urteile sollten aber vermieden werden. Entscheidend ist, politische Entschuldigungen zu verstehen. Was ist überhaupt Schuld, und welche Formen der Sühne gibt es in der internationalen Politik? Warum sind einige Staaten eher bereit sich zu entschuldigen als andere? Warum wird bei einigen Untaten um Entschuldigung gebeten, bei anderen aber nicht? Und welchen Einfluss haben Entschuldigungen tatsächlich auf den Versöhnungsprozess zwischen ehemals verfeindeten Akteuren?

Es geht bei diesen Fragen, wohlgemerkt, nicht um ein selbstgerechtes Wetteifern um die bessere Versöhnungspolitik und ebenso wenig um den Vergleich von Kriegsverbrechen und das Aufrechnen von Schuld und Entschuldigung. Es geht einzig um den Vergleich historischer Fähigkeit, eigene Untaten – wie ähnlich oder unähnlich auch immer – zu bekennen, Verantwortung zu übernehmen und politisch um Entschuldigung zu bitten.

Politische Schuld und Sühne

Nach wie vor ist Karl Jaspers mit seinem 1946 erschienenen Buch "Die Schuldfrage" eine maßgebliche Instanz, wenn es um die Frage geht, was politische Schuld ist. Jaspers unterscheidet vier Formen der Schuld: Kriminelle Schuld, politische Schuld, moralische Schuld und metaphysische Schuld. Kriminelle Schuld können nur Individuen auf sich laden, kollektive kriminelle Schuld ist für Jaspers undenkbar. Kriminelle Schuld wird durch Strafe vergolten, die durch ein Gericht verhängt wird. Politische Schuld ist demgegenüber kollektiv. Sie wird nach einem Krieg vom Sieger auferlegt und das ganze Volk wird kollektiv in Haftung genommen. Moralische Schuld betrifft wiederum nur das Individuum, das vor der Instanz seines eigenen Gewissens seine Schuld bekennt und Reue übt. Metaphysische Schuld ist schließlich sowohl individuell als auch kollektiv denkbar (Jaspers ist an dieser Stelle nicht sehr klar) und besteht dann, wenn man sich vor Gott schuldig fühlt, ohne juristisch, politisch oder moralisch schuldig zu sein. Sühne, so kann man wohl schließen, ist dann in der Beichte zu finden und in dem, was theologisch "Umkehr" genannt wird.

So plausibel Jaspers Einteilung zunächst aussieht, so gibt es doch eine Reihe von Problemen. Insbesondere die Reduzierung politischer Schuld auf das Dekret des Siegers und die Verkürzung moralischer Schuld auf das Gefühl von Individuen erscheinen zweifelhaft. Es scheint eine Kategorie zu fehlen, ohne die man den Trend zur Entschuldigungspolitik nicht verstehen kann, nämlich die politisch-moralische Schuld von Kollektiven. Und Jaspers selbst gibt auf diese Kategorie der Schuld einen Hinweis, wenn er am Ende seines Essays von einem "Analogon von Mitschuld" spricht, das alle Deutschen an den Ereignissen des "Dritten Reichs" hätten: "Nicht die Haftung des Staatsangehörigen, sondern die Mitbetroffenheit als zum deutschen geistigen und seelischen Leben gehörender Mensch, der ich mit den anderen gleicher Sprache, gleicher Herkunft, gleichen Schicksals bin, wird hier zum Grund nicht einer greifbaren Schuld, aber eines Analogons von Mitschuld."

Die Instanz, vor der sich dieses Kollektiv zu verantworten hätte, wäre vielleicht mit dem Begriff human consciousness aus dem Völkerrecht zu umschreiben. Es ist mehr als das individuelle moralische Räsonieren, und etwas ganz anderes als das vom Sieger dekretierte Verdikt. Es sind die im Rahmen der Weltöffentlichkeit diskursiv hergestellten ethischen und politischen Grundprinzipien, die normative Ordnung der Welt, wenn man so will. Die angemessene Sühne ist, so meine These, die öffentliche politische Entschuldigung.

Ein zweites Problem bei Jaspers betrifft die Tatsache, dass er die Frage historischer Schuld für Ereignisse, deren Zeitzeuge man nicht selber ist, ausklammert. Angesichts der überwältigenden Problematik der "deutschen Schuldfrage" 1946 ist das verständlich. Für die langfristige Bearbeitung und "Heilung" von historischem Unrecht ist die Frage aber von entscheidender Bedeutung, in welchem Sinne auch die Nachgeborenen von Schuld und Sühne betroffen sind. Jaspers bietet deshalb zwar einen guten Ausgangspunkt für Überlegungen zu Schuld und Sühne, muss aber an wichtigen Punkten ergänzt werden.

In den internationalen Beziehungen haben sich spezielle Formen der Sühne für die unterschiedlichen Formen der Schuld etabliert. Die klassische Form, mit Schuld in der internationalen Politik umzugehen, ist, dem Verlierer eines Kriegs die Verantwortung und die Kosten des Konflikts aufzubürden. Reparationen dienen in diesem Sinne dazu, eine neue Machtkonstellation symbolisch zu festigen und einen einseitigen Ausgleich für erlittenes Unrecht zu erhalten. Eine andere Form der Sühne ist mit den Tribunalen nach dem Zweiten Weltkrieg in Nürnberg und Tokio eingeführt worden. Sie dienten der De-Kollektivierung von politischer Schuld und der individuellen Verfolgung krimineller Verstöße gegen Recht und humanitäre Grundprinzipien. Dem gleichen Ziel, kriminelle individuelle Schuld insbesondere bei Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu verfolgen, dient der Internationale Strafgerichtshof, der 2002 seine Arbeit in Den Haag aufnahm. Eine dritte Form der Sühne hat sich zunächst in Lateinamerika, dann in Afrika etabliert, und zwar mit den Wahrheitskommissionen, die nicht täterzentriert, sondern opferzentriert arbeiten und eine Überwindung des Konflikts durch Heilung und Versöhnung zum Ziel haben. Die sich nun abzeichnende Praxis internationaler politischer Entschuldigung scheint eine neue Form der Sühne zu sein, die einer kollektiven politisch-moralischen Schuld entspricht.

Politische Entschuldigungen

Aber gibt es so etwas überhaupt oder handelt es sich um ein Phantom? Die Beantwortung dieser zunächst so einfach erscheinenden Frage hat ungeahnte theoretische, philosophische und theologische Weiterungen, die hier nur angedeutet werden können. Denn um öffentliche politische Entschuldigungen verständlich zu machen, muss nicht nur geklärt werden, was, erstens, Entschuldigungen überhaupt sind, sondern auch, zweitens, ob es kollektive Akteure gibt, die als Subjekte für Entschuldigungshandlungen in Frage kommen. Es stellt sich drittens die Frage, inwiefern es kollektive politisch-moralische Schuld gibt und ob viertens eine solche Schuld auch für Vergangenes besteht, wenn die individuellen Täter längst nicht mehr leben. Darauf aufbauend lässt sich fünftens fragen, ob kollektive Reue denkbar ist, und ob sie sechstens in öffentlicher Form den ehemaligen Opfern als Entschuldigung entgegengebracht werden kann. Schließlich ergibt sich daraus siebtens die Frage, ob die Opfer (individuell oder kollektiv) die Entschuldigung annehmen, sie, achtens, sogar Schuld vergeben können und ob das, neuntens, auch dann möglich ist, wenn sie selber nur die Nachfahren der tatsächlichen Opfer sind.

An jedem einzelnen Punkt dieser Argumentationskette kann man begründeten Einspruch erheben, um zu zeigen, "dass es die Moral nicht gibt", wie es Hermann Lübbe ausdrückte, "die es erlaubte, die Angehörigen eines gegenwärtigen Staatsvolks mit ihren höchst differenten kontingenten Herkunftsgeschichten als verantwortliche Erben von Vätersünden zu identifizieren". Wenn man dem zustimmen würde, wäre kollektive politische Schuld undenkbar und öffentliche Entschuldigungspolitik sinnlos.

Aber beginnen wir mit der noch relativ einfachen Frage, was eine Entschuldigung überhaupt ist. Eine Entschuldigung ist die Anerkennung einer begangenen Verletzung oder eines Schadens mit dem Eingeständnis der Verantwortung und der Bitte um Vergebung. Diese Bitte macht den um Entschuldigung Bittenden selber verwundbar, weil er riskiert, sein Verschulden einzugestehen, ohne entschuldigt zu werden. Für Psychologen liegt hierin der eigentliche Sinn von Entschuldigungen, nämlich dass der einst mächtige Übeltäter durch sein Eingeständnis machtlos und verletzbar wird, und der Verletzte durch die Möglichkeit des Verzeihens ermächtigt und in seiner Ehre wiederhergestellt wird. Entschuldigungen sind also ein symbolischer Tausch, in dem für den zugefügten Schaden nichts anderes als "ein Ausdruck des Bedauerns" gegeben wird. Das unterscheidet Entschuldigungen von materiellen Wiedergutmachungen, von Reparationen.

Eine geglückte Entschuldigung ist eigentlich erst mit der Vergebung oder zumindest mit der Annahme der Entschuldigung durch das Opfer erreicht. Trotzdem ist die Vergebung keine Voraussetzung für eine Entschuldigung und der Sich-Entschuldigende muss auf die Gefahr hin um Entschuldigung bitten, dass ihm nicht vergeben wird. Erst dann bietet eine Entschuldigung die Möglichkeit, eine Konfliktsituation zu transformieren und verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. "Es gibt Verletzungen, die können nur durch eine Entschuldigung geheilt werden." Sie können das Vergangene nicht ungeschehen machen, aber die Gegenwart verändern und dadurch eine gemeinsame Zukunft ermöglichen.

Was auf individueller Ebene noch relativ einleuchtend ist, wird auf der Ebene sozialer Kollektive problematisch. Gibt es überhaupt kollektive Subjekte, die Verbrechen begehen und anderen kollektiven Subjekten Unrecht zufügen können? Theoretisch ist diese Frage höchst umstritten. Vertreter des methodologischen Individualismus behaupten, dass alle sozialen Phänomene auf die Handlungen individueller Akteure reduziert werden können. Berühmt ist Max Webers Position, es gäbe so etwas wie kollektive Persönlichkeiten, die handeln könnten, gar nicht. Also nicht Deutschland hat den Zweiten Weltkrieg angezettelt, sondern die Nazis, und noch nicht einmal die Nazis, wenn man damit eine Gruppe meint, sondern einzelne Individuen, die sich als Nationalsozialisten bezeichneten. Gleichwohl sprechen wir beständig von Kollektiven, die handeln: "Deutschland hat den Krieg begonnen", "Die USA sind in den Krieg eingetreten", und so weiter. Wenn solches Reden nicht vollkommen sinnlos sein soll, dann muss man von der Idee einer kollektiven Identität ausgehen und – etwa in der Tradition von Durkheim oder Simmel – die Möglichkeit sogenannter pluraler Subjekte anerkennen.

Aber können plurale Subjekte auch Verantwortung haben und, sofern sie dieser nicht gerecht werden, "schuldig" werden? Klingt das nicht nach "Kollektivschuld" etwa im Sinne von Daniel Goldhagen, der argumentierte, dass alle Deutschen der Nazizeit nicht nur als "schuldig", sondern auch als "kriminell" betrachtet werden müssten, weil sie nicht nur willenlose Räder in einer Maschine, sondern eben "Hitlers willige Vollstrecker" waren? Sicher hängt hier vieles von der Definition der "Schuld" ab, und der Art des "Kollektivs" von dem man spricht. Die Vorstellung, dass Kollektive rechtlich schuldig werden können, ist jedoch nicht vollkommen abwegig. Eine solche Konzeption wurde 1945 vom Nürnberger Militärtribunal gewählt, als nicht nur gegen 24 Hauptkriegsverbrecher, sondern auch gegen sechs "verbrecherische Organisationen" Anklage erhoben wurde. Ein ganzes Volk zu kriminalisieren ist allerdings problematisch und trägt den individuellen Umständen in keiner Weise Rechnung. Deshalb hatte sich Jaspers gegen die kollektive Kriminalisierung der Deutschen gewandt, aber, wie oben gezeigt, eine Art kollektive moralische Mit-Schuld anerkannt, die aus der Zugehörigkeit zu einem Kollektiv entsteht, das als solches schuldig geworden ist. Wollte man also von kollektiver Verantwortung und Schuld sprechen, dann nicht als Verantwortung und Schuld jedes einzelnen Mitglieds eines Kollektivs, sondern als Verantwortung und Schuld dieses Kollektivs als Ganzem.

Überträgt sich aber so eine Verantwortung oder Schuld auch noch auf spätere Generationen? Es kann ja eingewandt werden, dass man auch moralisch kaum für etwas schuldig sein kann, was man nicht selber getan hat, und schon gar nicht, wenn die Tat zu einer Zeit begangen wurde, zu der man noch gar nicht gelebt hat. Die Schuld an einem kollektiven Vergehen wäre dann spätestens mit den letzten Zeitgenossen der Tat vergangen.

Es ist bemerkenswert, dass diese Argumentation insbesondere von denen vorgebracht wird, die gleichzeitig behaupten, dass es sehr wohl möglich sei, für die eigene Nation Stolz zu empfinden. Man soll also stolz sein auf die Nation, aber für sie keine Schuld empfinden können. Allerdings scheint das Eine nicht ohne das Andere zu haben zu sein. Das gilt auch für Kritiker der Nationalstolz-These, die argumentieren, man könne nicht stolz auf die Nation sein, weil man selber gar nichts dazu beigetragen hat, worauf man stolz sein könne. Dies äußern zumeist diejenigen, die eine kollektive Schuld für die Vergangenheit sehr wohl für möglich halten. Beide Argumentationen sind meines Erachtens gleichermaßen kurzschlüssig. Wenn die Möglichkeit kollektiven (beispielsweise nationalen) Stolzes anerkannt wird, dann muss auch die Möglichkeit kollektiver (nationaler) Schuld und Reue akzeptiert werden. Denn in dem Maße, in dem man sich als Mitglied eines Kollektivs versteht, ist man auch Teilhaber beider Dinge: seiner Leistungen und seiner Untaten, seiner Größe und seiner Schuld, auch wenn diese aus Zeiten herrühren, in denen man noch nicht gelebt hat.

Nun ist die Frage, ob diese kollektive Schuld auch kollektiv bereut werden kann, und, wenn ja, wie diese Reue aussehen soll. Man kann sich kollektive Reue sehr unterschiedlich vorstellen. Erstens als die Summe individueller Reue. Eine Gruppe würde dann Reue empfinden, wenn alle Mitglieder der Gruppe für die individuellen Taten persönliche Reue empfinden. Wenn also alle Mitglieder einer Gruppe sagen, "Ich bereue das, was ich getan habe", könnte man von kollektiver Reue sprechen. Allerdings ist das nur dann denkbar, wenn auch jedes Mitglied persönlich verantwortlich ist, was im Falle kollektiver historischer Schuld ausscheidet. Zweitens kann man sich kollektive Reue als die Summe individueller Reue über das Gruppenverhalten vorstellen. Wenn jemand sagt: "Ich bereue, was meine Gruppe getan hat", empfindet er kollektive Reue als Mitglied. Dabei kann er selber völlig schuldlos sein und wissen, dass er sich ehrenhaft verhalten hat. Und trotzdem kann er an der kollektiven Reue teilhaben. Streng genommen handelt es sich aber auch hier noch nicht um kollektive Reue, sondern um ein Aggregat individueller Mitglieds-Reue. Deshalb hat Margaret Gilbert vorgeschlagen, von einer dritten Art kollektiver Reue zu sprechen, nämlich der Gruppen-Reue. Gruppen-Reue besteht, wenn die Gruppe als Ganzes eine Tat bereut, also die Gruppenmitglieder gemeinsam Reue verspüren und etwa sagen: "Wir bereuen, was wir getan haben." Ihrer Meinung nach drückt eigentlich nur diese Formulierung wirklich kollektive Reue aus.

Wie aber lässt sich kollektive Reue als Entschuldigung öffentlich kommunizieren? Mitglieds-Reue ist offenbar nur als individuelle oder persönliche Entschuldigung für die Taten der Gruppe denkbar. Auch ein Nachgeborener kann sich deshalb noch für die Taten der Gruppe persönlich entschuldigen. Wirklich kollektive Reue als Gruppen-Reue muss dagegen von der ganzen Gruppe vermittelt beziehungsweise durch einen offiziellen Repräsentanten überbracht werden. Dies ist der Grund, warum politische Gruppen-Reue die öffentliche Entschuldigung eines Präsidenten oder einer Präsidentin erfordert (oder einer anderen hohen Persönlichkeit) und zwar nicht in einem persönlichen Bekenntnis, sondern in offizieller Mission und Repräsentanz für die gesamte Gruppe. Erst dann lässt sich von einer internationalen politischen Entschuldigung sprechen.

Die Frage, ob solche Entschuldigungen auch angenommen werden können und politische Schuld vergeben werden kann, wirft noch einmal andere Fragen auf, denen hier nicht nachgegangen werden soll. Wichtig war hier zunächst, die Möglichkeit politischer Entschuldigungen zu beschreiben. Sie sind Ausdruck kollektiver Reue für politische Taten, die auch lange vergangen sein können. Ihr Sinn besteht in der Anerkennung kollektiver Schuld und Verantwortung und in der vorbehaltlosen Bitte um Vergebung, selbst wenn diese unmöglich erscheint.

Entschuldigung und Versöhnung

Unter welchen Bedingungen tragen Entschuldigungen zur Versöhnung bei? Nicht jede Entschuldigung ist erfolgreich. Manch unvollständig gegebene oder rechtfertigende Entschuldigung führt zum Gegenteil ihrer Absicht und zu neuem Misstrauen. Offenbar gibt es "Kriterien guter Entschuldigung", deren Beachtung zwar keine Garantie für Versöhnung bietet, aber die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Reue als aufrichtig anerkannt, die Bitte um Vergebung angenommen und ein neues Vertrauensverhältnis aufgebaut werden kann.

Japan und Deutschland spielen in der Debatte um politische Entschuldigungen eine zentrale Rolle. Sie gelten, wie etwa in Ian Burumas Buch "Erbschaft der Schuld", als Prototypen eines gegensätzlichen Umgangs mit der Vergangenheit: Hier das verstockte Japan, das sich nie zu seiner Kriegsschuld bekannte, kaum Reparationen zahlte und es noch heute ablehnt, die Existenz von Zwangsarbeitern und Sexsklavinnen während des Zweiten Weltkriegs anzuerkennen. Dort das selbstkritische Deutschland, das sich zu seiner schlimmen Vergangenheit bekannte, großzügige Wiedergutmachungen leistete und auch heute noch bereit ist, individuellen Opfern von Zwangsarbeit Kompensationen zu zahlen. Doch so einfach ist es nicht. Weder hat Deutschland bereitwillig und widerstandslos den Weg der Aussöhnung beschritten, noch hat es Japan an Versuchen fehlen lassen, die historische Verantwortung anzuerkennen. Vielmehr hat es auch in Deutschland lange gedauert, bis sich ein klares Bekenntnis zur Kriegsschuld und zur Verantwortung für den millionenfachen Mord an den Juden durchsetzte. Noch Willy Brandts Kniefall in Warschau, heute eine Ikone internationaler Entschuldigung, war 1970 in der Gesellschaft heftig umstritten. Andererseits hat es auf Seiten Japans seit den 1950er Jahren über 50 offizielle Entschuldigungen für die Kriegsverbrechen und Gräuel während des Zweiten Weltkriegs gegeben, und es vergeht kein Staatsbesuch in China oder Korea, bei dem der japanische Gast nicht die unheilvolle Vergangenheit thematisieren würde.

Und doch trifft zu, dass die Versöhnung Deutschlands mit den Opfern des Zweiten Weltkriegs weiter fortgeschritten ist als die zwischen Japan und den einstmals besetzten Ländern in Asien. Die Entschuldigungen deutscher Politiker zeigen eine zunehmende Aufrichtigkeit des Schuldbekenntnisses und wachsende Vorbehaltlosigkeit der Bitte um Vergebung. Während Konrad Adenauer im September 1951 noch deutlich rechtfertigende Töne anschlug und behauptete, "die große Mehrheit des deutschen Volkes" habe die Verbrechen verabscheut, und Richard von Weizsäcker 1985 zwar eine historische Verantwortung vor der Geschichte, aber die Unmöglichkeit kollektiver Schuld betonte, bat Johannes Rau im Jahr 2000 in Jerusalem "um Vergebung für das, was Deutsche getan haben, für mich und meine Generation, um unserer Kinder und Kindeskinder willen, deren Zukunft ich an der Seite der Kinder Israels sehen möchte". Trotz der deutlichen Unterschiede war jede dieser Reden nicht nur ein angemessener Ausdruck des jeweils zu der Zeit geforderten Bedauerns, sondern auch ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Bereitschaft, sich zur Verantwortung für die Vergangenheit zu bekennen.

In Japan ist die Entwicklung widersprüchlicher und geht mit heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen einher. In den Dokumenten, die das Kriegsende im Pazifik besiegelten, ist von Aggression oder Kriegsschuld nicht die Rede. Erst in der gemeinsamen japanisch-chinesischen Erklärung von 1972 bekannte sich Japan dazu, "dass es dem chinesischen Volk durch den Krieg großen Schaden zugefügt" habe. Aber die sogenannte Schulbuchaffäre 1982 und ein missglückter Versuch von Ministerpräsident Yasuhiro Nakasone (1982–1987), einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu setzen, machten die Zeit der japanischen Besetzung zu einem diplomatischen Streitthema. Erst nach dem Tode Kaisers Hirohito 1989 konnten zaghafte Versuche unternommen werden, die historische Verantwortung Japans anzuerkennen. Als 1994 mit Tomiichi Murayama ein Sozialdemokrat Premierminister (bis 1996) wurde, waren die Hoffnungen groß. Aber langwierige Verhandlungen mit dem konservativen Koalitionspartner LDP verwässerten die geplante Erklärung so sehr, dass sie eher als Rechtfertigung denn als Entschuldigung wahrgenommen wurde. Die internationale Empörung konnte Murayama nur durch eine persönliche Erklärung zum 50. Jahrestag der Kapitulation auffangen, in der er seine "tiefe Reue" und "Entschuldigung" gegenüber den Kriegsgegnern von einst ausdrückte. Insbesondere der zweite Ausdruck ging weit über das bislang übliche Vokabular hinaus und wurde von Beobachtern als "historischer Durchbruch" bewertet. Innenpolitisch blieb das Thema aber so umstritten, dass beispielsweise Premierminister Junichiro Koizumi (2001–2006) öffentliche Entschuldigungsgesten in Richtung China und Korea regelmäßig mit einem Besuch des Yasukuni-Schreins "ausglich", in dem Kriegshelden, einschließlich verurteilter Kriegsverbrecher, verehrt werden, um die politischen Gegner zu besänftigen. Der seit 2012 amtierende Premierminister Shinzo Abe vermied zuletzt zwar einen Besuch des Schreins, distanzierte sich aber öffentlich von der Entschuldigung Murayamas.

Die Entschuldigungen Japans sind bislang regelmäßig hinter den Erwartungen der Opfer und der internationalen Gemeinschaft zurück geblieben. Zudem wurden sie häufig von konträren Äußerungen aus Regierungskreisen relativiert und konterkariert. Damit litt ihre Glaubwürdigkeit und so auch ihre Effektivität. Deshalb bleibt die historische Schuld Japans auf der internationalen Agenda und kann in Konfliktfällen mit China, wie denen um die Sengaku/Diaoyu- beziehungsweise Takeshima/Dokdo-Inseln, von Hardlinern auf beiden Seiten jeder Zeit zur Agitation der Gesellschaft und zur Verschärfung diplomatischer Krisen genutzt werden.

Fazit

Bei politischen Entschuldigungen zählt jedes Wort. Sorgsam vorgebrachte Entschuldigungen können Versöhnungsprozesse befördern und Misstrauen überwinden. Unaufrichtige oder unvollständige Entschuldigungen können dagegen Konflikte verschärfen und neues Misstrauen erzeugen. Die Beispiele Deutschland und Japan, aber auch andere Fälle zeigen, dass bestimmte Kriterien erfüllt sein müssen, damit Entschuldigungen als glaubwürdig wahrgenommen werden und zur Versöhnung beitragen. Zunächst muss ein Schaden oder eine Normverletzung festgestellt und anerkannt werden. Viele Versöhnungsprozesse scheitern schon daran, dass die ehemaligen Gegner das Leiden der Gegenseite nicht anerkennen oder kleinreden. Zweitens und drittens muss eine Verursachung anerkannt und eine politische Verantwortung übernommen werden. Häufig wird zwar ein Schaden eingeräumt, aber die eigene Verantwortung geleugnet. Viertens muss eine Bitte um Vergebung erfolgen, und das auch auf die Gefahr hin, dass dieser Bitte nicht entsprochen werden kann. Manch politische Entschuldigungen werden in langwierigen diplomatischen Verhandlungen formuliert. Die symbolische Kraft und der emotionale Wert einer Entschuldigung geht in diesem Prozess häufig verloren. Fünftens ist ein Versprechen notwendig, dass sich die Untaten nicht wiederholen werden. Solche Versprechen können auch implizit, etwa in Form der gemeinsamen Verantwortung für die zukünftigen Beziehungen, formuliert werden. Sechstens sind schließlich Wiedergutmachungen nötig, seien sie symbolischer oder materieller Natur.

Diese Liste ist keineswegs erschöpfend und, wie gesagt, keine Garantie für gelingende Versöhnung. Auch die politischen Rahmenbedingungen wie der Status desjenigen, der die Entschuldigung ausspricht, der Ort der Entschuldigung, der Stand der Beziehungen und die Bereitschaft des Opfers, auf die Entschuldigung einzugehen, spielen eine Rolle. Festzuhalten aber bleibt, dass trotz ihres umstrittenen theoretischen Status kollektive politische Entschuldigungen ein wichtiger Bestandteil politischer Versöhnungsprozesse sein können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Michael Cunningham, Saying Sorry: The Politics of Apology, in: The Political Quarterly, 79 (1999) 3, S. 285–293.

  2. Vgl. Joseph V. Montville, The Healing Function in Political Conflict Resolution, in: Dennis J.D. Sandole/Hugo van der Merwe (eds.), Conflict Resolution Theory and Practice, Manchester 1993, S. 112–127, hier: S. 123; Elazar Barkan, The Guilt of Nations. Restitution and Negotiating Historical Injustices, New York 2000.

  3. Hermann Lübbe, "Ich entschuldige mich". Das neue politische Bußritual, Berlin 2001, S. 41. Vgl. auch Michel Rolph-Trouillot, Abortive Rituals. Historical Apologies in the Global Era, in: Interventions, 2 (2000) 2, S. 171–186.

  4. Vgl. Karl Jaspers, Die Schuldfrage. Ein Beitrag zur deutschen Frage, Zürich 1946.

  5. Ebd., S. 56.

  6. H. Lübbe (Anm. 3), S. 75.

  7. Vgl. Carl D. Schneider, What It Means to be Sorry: The Power of Apology in Mediation, in: Mediation Quarterly, 17 (2000) 3, S. 265–280.

  8. Vgl. Aaron Lazare, On Apology, Oxford 2005.

  9. Vgl. Nicholas Tavuchis, Mea Culpa: A Sociology of Apology and Reconciliation, Stanford 1991.

  10. Das deutsche Wort "Entschuldigung" trägt dem mit seiner transitiven und intransitiven Bedeutung Rechnung.

  11. Vgl. Hiroshi Wagatsuma/Arthur Rosett, The Implications of Apology: Law and Culture in Japan and the United States, in: Law & Society Review, 20 (1986) 4, S. 461–498.

  12. Vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen 1995 (1922).

  13. Vgl. Margaret Gilbert, Who’s to Blame? Collective Moral Responsibility and Its Implications for Group Members, in: Midwest Studies in Philosophy, 30 (2006) 1, S. 94–114.

  14. Vgl. dazu die kontroversen Beiträge in Larry May/Stacey Hofman (eds.), Collective Responsibility. Five Decades of Debate in Theoretical and Applied Ethics, Savage, MD 1991.

  15. Daniel Goldhagen, Hitler’s Willing Executioners: Ordinary Germans and the Holocaust, London 1996, S. 482 passim.

  16. Diese Organisationen waren die Korps der politischen Leiter der NSDAP, SS und Sicherheitsdienst SD, SA, Reichsregierung, Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht und Gestapo.

  17. Vgl. K. Jaspers (Anm. 4), S. 49ff.

  18. Vgl. David Cooper, Collective Responsibility, ‘Moral Luck’, and Reconciliation, in: Aleksandar Jokic (eds.), War Crimes and Collective Wrongdoing, Oxford 2001, S. 205–215, hier: S. 206.

  19. Vgl. zu Folgendem ausführlich Margaret Gilbert, Collective Remorse, in: A. Jokic (Anm. 18), S. 216–235.

  20. Vgl. ebd., S. 231.

  21. Vgl. aber Peter Digeser, Forgiveness and Politics. Dirty Hands and Imperfect Procedures, in: Political Theory, 26 (1998) 5, S. 700–724.

  22. Ian Buruma, Erbschaft der Schuld. Vergangenheitsbewältigung in Deutschland und Japan, München 1994.

  23. Vgl. John W. Dower, Japan Adresses its War Responsibility, in: The Journal of the International Institute 3 (1995) 1, S. 8–11; Alexis Dudden, Troubled Apologies Among Japan, Korea, and the United States, New York 2008.

  24. J.W. Dower (Anm. 23), S. 3.

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Dr. phil., geb. 1962; Professor für Internationale Organisationen im Rahmen des Exzellenzclusters "Normative Orders" an der Goethe Universität Frankfurt am Main, Grüneburgplatz 1, 60323 Frankfurt/M. E-Mail Link: daase@normativeorders.net