Was haben Sie getan, als Sie zuletzt etwas nicht oder nicht genau wussten? Rein theoretisch ließe sich hier eine breite Palette unterschiedlicher Quellen und Vorgehensweisen benennen: vom Gespräch mit einer Freundin oder dem Kollegen über den Anruf beim Experten oder einer Informationshotline bis hin zum Blick ins Nachschlagewerk, das rasch aus dem Regal gezogen wird. Die meisten Personen würden aber vermutlich angeben, den gesuchten Begriff zunächst erst einmal in den Suchschlitz der Suchmaschine ihrer Wahl eingegeben zu haben – zumindest dann, wenn sie grundsätzlich über eine Internetverbindung verfügen. Das World Wide Web nimmt so gesehen eine bevorzugte Stellung ein, wenn es um die Beschaffung von Informationen geht. Es ist, wenn man so will, ein von vielen präferierter "guter Informant".
Wer mittels einer Suchmaschine im Netz recherchiert, dem geht es in der Regel um eine schnelle Orientierung zum Gesuchten. Dabei geht der Suchende davon aus, dass das Internet hier tatsächlich hilfreich sein kann. Die Motivation zur Suche im Netz erwächst also zum einen aus einer einfachen und unkomplizierten Zugriffsmöglichkeit, zum anderen aber auch aus der Erfahrung, dass die dort verfügbaren Informationen im Allgemeinen ausreichend für das aktuelle Informationsbedürfnis sind. Tatsächlich hat sich das World Wide Web innerhalb nur weniger Jahre zu einem Informationsreservoir von historischem Ausmaß und geradezu leitmedialer Dominanz entwickelt; ein Ort, an dem das Wissen der Welt wie nirgends sonst und niemals zuvor gebündelt und zugänglich wird. Zugleich ist das World Wide Web aber auch ein Ort, an dem neue Spielregeln für den Umgang mit Wissen gelten.
Wissen und Gesellschaft – Wissen in Gesellschaft
Dabei lässt sich gar nicht ohne Weiteres davon sprechen, dass es sich bei den im Rahmen einer Suchanfrage im Internet gefundenen Informationen auch um Wissen handelt, denn Wissen kann weder gespeichert noch übertragen werden. Der Weg von der Information hin zum Wissen stellt vielmehr einen individuellen Verarbeitungs- beziehungsweise Aneignungsprozess dar.
Gleichwohl leben, handeln und denken Menschen im Allgemeinen nicht in absoluter Isolation, sondern sind mehr oder weniger fest in die Strukturen einer Gesellschaft eingebunden. Auf diese Weise erhält auch das individuelle Wissen eine soziale Komponente, weil die Art und Weise, wie wir Informationen aufnehmen und verarbeiten (können), gesellschaftlich und damit auch kulturell vorgeprägt ist.
Eine zentrale Institution im Diskurs um das Wissen in unserer Gesellschaft stellt die Wissenschaft dar. Das System Wissenschaft hat ein engmaschiges Netz aus Normen, Regeln, Strukturen, Rollenmustern und Vorgehensweisen (Methoden) entwickelt, das nicht nur ihren eigenen Erhalt sichert, sondern auch eine ganz bestimmte Kultur des Umgangs mit Wissen hervorgebracht hat.
Vorgeprägt ist die soziale Wirklichkeit aber auch und vielleicht noch entscheidender durch die Medien, die Informationen speichern und prozessieren, soziale Kommunikation ermöglichen und zugänglich machen und damit Gesellschaft gewissermaßen überhaupt erst entstehen lassen. Das strukturierende Potenzial liegt dabei im Medium selbst begründet, das in entscheidender Weise die Wahrnehmung von Informationen prägt. So kann das Aufkommen eines neuen Mediums die Struktur und das Denken von Gesellschaften grundlegend verändern.
Internet als Leitmedium der digitalen Wissensgesellschaft
Prägend für die Wissenskultur unserer gegenwärtigen westlichen Gesellschaften ist zweifellos das Internet. Innerhalb nur weniger Jahre ist es zu einem zentralen Medium der Selbstvergewisserung über die Welt geworden. Die große Stärke des Internet ist dabei, dass es rund um die Uhr und an theoretisch jedem Ort zugänglich ist. Mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablet-PCs intensivieren diese Eigenschaft noch. Das Internet bedient zudem unterschiedslos alle Interessenbereiche; alles ist rasch und unkompliziert digital auffind- und abrufbar. Dass dies so ist, ist freilich kein Zufall, denn unsere Gesellschaft hat kollektiv ein großes Interesse daran. Und: Sie stellt sich zugleich mehr und mehr darauf ein.
Wenn man so will, leben wir inzwischen in einer digitalen Wissensgesellschaft – verstanden als die konsequente Fortschreibung der Wissensgesellschaft mit digitalen Mitteln. Das Konzept der Wissensgesellschaft
Das Internet als Informationsmedium antwortet nun in einzigartiger Weise auf diese Anforderungen, indem es sowohl die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit der sich beständig erweiternden und verändernden Wissensbestände gewährleistet, als Partizipationsmedium aber auch die Gestaltbarkeit von Wissen strukturell bereits enthält. In diesem Sinne fungiert das Internet geradezu als Leitmedium der digitalen Wissensgesellschaft, denn es greift ein gesellschaftliches Bedürfnis nicht nur auf, sondern verhilft diesem zugleich auch zu neuer Geltung und verstärkt es ähnlich einem Katalysator. Im Ergebnis dieses Wechselspiels entstehen neue Rahmenbedingungen für die gesellschaftliche Wissenskultur.
"Wikipediatisierung" des Alltagswissens
Die öffentliche Diskussion um den digitalen Wandel des Wissens, dessen Bedeutung und Auswirkungen setzte etwa zeitgleich mit dem Aufkommen des Begriffs des Web 2.0
Das Web 2.0, das heißt die Einführung von Anwendungen, die den Nutzer unmittelbar an der Herstellung von Webcontent beteiligen und die gerade daraus ihren Mehrwert beziehen, hat die Grenze zwischen Produzent und Konsument von Inhalten zumindest potenziell aufgehoben.
Das Paradebeispiel für diese fluide Form des kollektiven Laien-Expertentums ist die Online-Enzyklopädie Wikipedia.
Laut der Ergebnisse der ARD/ZDF-Online-Studie 2012 nutzen 72 Prozent der deutschsprachigen Onlinenutzer ab 14 Jahren die Wikipedia gelegentlich, 30 Prozent sogar regelmäßig.
Die Bildungsinstitutionen Schule und Universität stehen der Nutzung der Wikipedia als Informationsquelle in der Regel allerdings skeptisch gegenüber. Grund dafür ist der Mangel an Verlässlichkeit der in den Artikeln zu findenden Informationen. Da jeder jederzeit Eintragungen und Änderungen vornehmen kann, ist die Qualität nicht garantiert. Zwar wurde in verschiedenen Vergleichsstudien nachgewiesen, dass die Wikipedia klassischen Enzyklopädien in diesem Punkt keineswegs nachsteht,
Digitale Wissenschaft
Neben dem Wandel im allgemeinen gesellschaftlichen Umgang mit Wissen vollziehen sich auch im Inneren der Wissenschaft seit einiger Zeit weitgreifende Veränderungen. Der dabei verschiedentlich beschworene Paradigmenwechsel
Analytisch interessant und relevant ist der Fakt, dass Forschungsinfrastrukturprojekte und der Einsatz von Hochleistungsrechnern zu Forschungszwecken eine datenintensive Wissenschaft begründen, in welcher die Technik selbst zunehmend zum Akteur im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess wird. Diese Beobachtung bewegte den amerikanischen Informatiker Jim Gray Ende des ersten Jahrzehnts unseres neuen Jahrtausends zu der These, hier zeichne sich ein viertes Paradigma der Wissenschaft ab: Nach der (1) auf Anschauung und Beobachtung basierenden Wissenschaft der Antike (observational science), der (2) modell- und theoriebasierten Wissenschaft der akademischen Moderne (analytical science) sowie der (3) computergestützten und auf komplexen Simulationen beruhenden Wissenschaft (computational science) seien wir nun ins Zeitalter der data exploration, der E-Science eingetreten, die Theorie, Experiment und Simulation vereine.
Der Weg hin zur E-Science als "datenintensiver Wissenschaft" ging zunächst von den Natur- und Technikwissenschaften aus, da dort zuerst ein verstärkter Einsatz von Simulationen und ein enormer Zuwachs an Daten stattfand. Aber auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften gibt es inzwischen zahlreiche Projekte und Initiativen in Richtung E-Humanities. Hier geht es längst nicht mehr nur um den Aufbau digitaler Datenbanken zur Langzeitarchivierung und für den zeit- und ortsunabhängigen Zugriff auf verteilte Ressourcen (digital humanities), sondern auch um die Entwicklung von Algorithmen und Systemen zur Analyse digitaler Daten (computational humanities). Dies verändert den Charakter dieser Wissenschaftsbereiche, finden doch bislang nicht vorhandene Ansätze, Konzepte und Methoden Eingang in die Fachkultur.
Zunehmend ist die Frage zentral, wie Daten beziehungsweise Ressourcen und Anwender zusammengebracht werden können – wie also zwischen beiden zu vermitteln ist, denn eine der größten Herausforderungen der datenzentrierten Wissenschaft ist es, die entstehende Datenflut in sinnvoller Weise zu beherrschen. Auch dies ist im ersten Schritt eine technische Aufgabe, genauer: eine Aufgabe der Entwicklung geeigneter Schnittstellen, im technischen Sprachgebrauch auch Middleware genannt. Große Hoffnungen gehen hier in Richtung semantischer Lösungen. Intensiv wird daher seit Jahren an Ontologien und Möglichkeiten zur einheitlichen Meta-Beschreibung von Inhalten und deren sinnlogischer Verknüpfung geforscht.
Doch auch und gerade unter den Bedingungen einer zunehmend digitalisierten Wissenschaft stellen die sozialen Beziehungen zwischen den an Wissenschaft beteiligten Personen einen zentralen Faktor dar. Zwar erfahren die Bereiche Interaktion und Kommunikation auch innerhalb der Wissenschaftscommunity durch das Web 2.0 neue Impulse und höchstwahrscheinlich auch eine Intensivierung, doch zeichnen sich auch neue Herausforderungen ab.
Die erste Herausforderung betrifft die organisationalen Strukturen und Mechanismen des Systems Wissenschaft. Die digitale Wissenschaft verlangt nach Offenheit und Transparenz sowie der Bereitschaft, Daten und Ideen in einem möglichst frühen Stadium der Erkenntnisgewinnung mit anderen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, aber auch Personen außerhalb der Wissenschaft zu teilen und gemeinsam an möglichen Lösungen zu arbeiten. Diese Haltung steht den klassischen Strukturen des Wissenschaftssystems jedoch entgegen. So reibt sie sich etwa mit den klassischen Mechanismen der wissenschaftlichen Anerkennungskultur, die im Hinblick auf den Erwerb von Reputation nach wie vor darauf setzen, eine Erkenntnis als erstes und in einschlägig bekannten und prominent rezipierten Organen veröffentlicht zu haben. Die Preisgabe von Informationen im Vorfeld der eigenen Publikationen – auch zu Kooperationszwecken – muss in diesem Sinne eher als hinderlich, wenn nicht gar gefährlich betrachtet werden.
Die zweite Herausforderung verweist auf ein erkenntnistheoretisches Problem im Kontext der Digitalisierung von Wissenschaft. David Weinberger stellt in seinem Buch "Too big to know" die These auf, dass sich der wissenschaftliche Wissensbegriff grundlegend wandeln müsse.
Dem Wandel begegnen
Bleibt die Frage, wie sich dem digitalen Wandel des Wissens in seiner Vielgestaltigkeit begegnen lässt. Das große Versprechen des digital prozessierten Wissens ist zweifellos dessen Gestaltungspotenzial. Dieses Versprechen als Chance für sich nutzen zu können, setzt jedoch entsprechende Kompetenzen voraus, die durch die Schaffung geeigneter digitaler Lern- und Erfahrungsräume systematisch ausgebildet werden müssen. Vor allem aber ist es notwendig, den Wandel in aller Klarheit wahrzunehmen und als solchen zu verstehen. Hier kann die Analyse noch längst nicht als abgeschlossen betrachtet werden.