Im heutigen Kroatien
In diesen Gebieten ist der Begriff ethnisch gespaltene Gesellschaft zutreffend. Die Spaltung manifestiert sich in getrennten Stadtvierteln, Cafés und Vereinen und sogar in verschiedenen Sprachen und Schriften.
Im Rahmen dieses Beitrags wird allerdings nur der Umgang mit der jüngeren Vergangenheit betrachtet.
Mechanismen der Vergangenheitsaufarbeitung
Ein juristischer Mechanismus der Vergangenheitsaufarbeitung in Kroatien sind nationale Kriegsverbrecherprozesse, die sich ausschließlich mit Fällen extremer Menschenrechtsverletzungen beschäftigen. Für alle anderen Verbrechen, die während des Krieges stattfanden, wurde eine Amnestie beschlossen, wobei deren Bedingungen mehrdeutig formuliert sind und somit oft einer Prüfung des Einzelfalls unterliegen.
Während der Bereich der juristischen Aufarbeitung Fortschritte machte, wurden andere Mechanismen, die gewöhnlich als Teil von Prozessen der Transitional Justice gesehen werden gar nicht oder auf fragwürdige Weise durchgeführt. Ein Beispiel für nicht durchgeführte Maßnahmen der Vergangenheitsaufarbeitung ist die Überprüfung von Staatsbediensteten hinsichtlich ihrer Rolle während des Konflikts. Auch wenn es vereinzelt dazu kam, dass Staatsbedienstete, die unter dem Verdacht standen, während des Krieges in Verbrechen verwickelt gewesen zu sein, unauffällig "ersetzt" oder in Rente geschickt wurden, gab es keine Form der öffentlichen Aufarbeitung.
Als Beispiel für Mechanismen der Transitional Justice, die aufgrund ihrer einseitigen Betrachtung der Vergangenheit kritisierbar sind, kann ein 2006 geschaffenes Dokumentationszentrum herangezogen werden. Bereits der Name der Institution – Kroatisches Zentrum zur Erinnerung und Dokumentation an den Vaterländischen Krieg
Gedenkstätten in Kroatien
In Kroatien erinnern unzählige Gedenkstätten an den Krieg der frühen 1990er Jahre. Wie in anderen Regionen des ehemaligen Jugoslawien geben sie meist ausschließlich die Interpretation der Geschichte wieder, die im betreffenden Gebiet von der Mehrheit der ansässigen Bevölkerung vertreten wird.
Außerhalb der Stadt, am Originalschauplatz, erinnert ein Gedenkraum an ein Massaker, bei dem mehr als 200 kroatische Zivilisten ermordet wurden. Ebenfalls außerhalb der Stadt befindet sich ein Friedhof für die Opfer der Belagerung. Die Gräber der gefallenen Kämpferinnen und Kämpfer auf Seiten der Kroaten sind an einem schwarzen Marmorgrabstein zu erkennen. Dieser ist verziert mit der Inschrift, dass hier eine Heldin oder ein Held des vaterländischen Krieges bestattet ist. Innerhalb der Stadt gibt es fünf weitere Gedenkorte: Ein großes Marmorkreuz an der Donau, das an die Getöteten erinnert, sowie die Ruine eines im Krieg zerstörten Wasserturms sind jeweils zu einer Art Wahrzeichen von Vukovar geworden. Zwei Ausstellungen geben ebenfalls Auskunft über die Zeit der Belagerung. Als fünfte und jüngste Gedenkstätte innerhalb der Stadt wurde 2011 ein Gedenkraum an einer Zufahrtsstraße eröffnet, in welcher zu Beginn der Belagerung der Vormarsch der einrückenden Panzer aufgehalten werden konnte und es zu gewaltigen Verlusten unter den serbischen Angreifern kam.
Ähnlich wie das bereits erwähnte Dokumentationszentrum vermitteln die sieben genannten Gedenkstätten ein einseitiges Bild der Vergangenheit. Die kroatischen Verteidigerinnen und Verteidiger werden zu Helden, der getöteten serbischen Zivilsten wird nicht gedacht. Dies mag auf den ersten Blick nicht verwundern, da – wie bereits beschrieben – die Kroaten am Enden des Krieges siegreich waren. Allerdings war und ist Vukovar noch immer eine Stadt mit einem signifikanten serbischen Bevölkerungsanteil,
Auch wenn die Situation in Vukovar nicht verallgemeinert werden darf, zeigt der kurze Überblick über die sieben Denkmäler und ihre Perzeption in Vukovar dennoch, dass Gedenkstätten auf das Zusammenleben der ethnischen Gruppen trennend wirken können, wenn sie nur die Geschichte einer Gruppe darstellen. In einer Region, in der die Geschichte ein umkämpftes Gut ist, wird eine Gedenkstätte dann zu einem steinernen Argument der Sichtweise jener Konfliktpartei, welche die Gedenkstätte errichtet hat. Dennoch lässt sich in Vukovar immer häufiger eine Annäherung zwischen Personen der ehemals verfeindeten ethnischen Gruppen erkennen – jedoch findet diese nicht wegen, sondern trotz der Gedenkstätten statt.
Internationaler Strafgerichtshof
Gedenkstätten als eine lokale Art des Umgangs mit der Vergangenheit bieten bereits beim Bau die Möglichkeit eine bestimmte Deutung der Geschichte darzustellen, die dann häufig auch von Besuchern genauso perzipiert wird. Im Gegensatz dazu ist der ICTY, der im Folgenden dargestellt wird, ein Projekt der Vereinten Nationen, sodass man erwarten könnte, dass er überparteiisch arbeitet und auch von den Einwohnern Kroatiens als solches wahrgenommen wird.
Im Mai 1993 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ins Leben gerufen, verhandelt der in Den Haag ansässige ICTY Kriegsverbrechen aus allen Kriegsregionen im ehemaligen Jugoslawien und hat bis heute insgesamt 161 Personen angeklagt.
Gotovina war 1995 als führender General maßgeblich an den Rückeroberungen der von serbischen Separatisten gehaltenen Gebiete auf kroatischem Territorium beteiligt. Diese Rückeroberungen sicherten die territoriale Einheit des kroatischen Staates und machten Ante Gotovina zu einem Helden des kroatischen Volkes. Vielen Serben sehen Gotovina jedoch als Kriegsverbrecher, weil die von ihm herbeigeführte militärische Niederlage der serbischen Separatisten dazu führte, dass es zu einem serbischen Exodus aus Gebieten kam, die teils schon seit Jahrhunderten serbisch besiedelt waren. Die Anklageschrift des ICTY aus dem Jahr 2001 berief sich auf diese Vorfälle und warf Gotovina vor, massiv gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen zu haben. Im Speziellen wurde ihm vorgeworfen, persönlich oder zusammen mit anderen (u.a. wird der damalige Präsident Kroatiens Franjo Tuđman namentlich genannt) die Verantwortung für die Tötung von mindestens 150 in der sogenannten Krajina lebenden Serben sowie für Plünderungen und Vertreibung inne zu haben.
In erster Instanz verurteilte der ICTY im April 2011 Gotovina zu einer langjährigen Freiheitsstrafe, die zu Protesten in Kroatien führte. Die Tatsache, dass es Demonstrationen gegen das Urteil eines internationalen Strafgerichtshofs gab, zeigt, welch hohe Bedeutung diesem Prozess in Kroatien zugemessen wurde. Der Prozess gegen Gotovina wurde als ein Infragestellen der nationalen Ehre gesehen, der Schuldspruch im Jahr 2011 als eine Demütigung der ganzen kroatischen Nation. Erklären lässt sich dies zum einen durch den Status, den Gotovina als Volksheld innehatte, und zum anderen durch ein generelles Interpretationsmuster der jüngeren Geschichte Kroatiens, wie es von einem Großteil der kroatischen Bevölkerung geteilt wird. Der Kern dieses Interpretationsmusters geht auf die offizielle Position der kroatischen Regierung unter Präsident Tuđman zurück, die postulierte, dass im Kontext des kroatischen Verteidigungskriegs seitens der kroatischen Verteidiger keine Kriegsverbrechen begangen wurden. Die im Jahre 1994 von dem damaligen Präsidenten des Verfassungsgerichts Kroatiens, Milan Vuković, gemachte Aussage: "Kriegsverbrechen werden durch Aggressoren begangen, diejenigen, die sich verteidigen, können nur Verbrechen im Krieg begehen,"
Da die Richter des ICTY dieser Sichtweise nicht folgten, kam es zu einer starken Ablehnung des ICTY unter der kroatischen Bevölkerung. Dabei spielte der eigentliche Gerichtsprozess in dieser Wahrnehmung nur eine untergeordnete Rolle, da er meist gar nicht aufmerksam verfolgt wurde. Viele Bewohner Kroatiens hatten sich ein Urteil gebildet, das nicht auf Fakten und Beweisen basierte, sondern auf der Perzeption, die von der eigenen ethnischen Gruppe geprägt wurde. So wurde die Verurteilung Gotovinas von vielen Kroaten als negativ, von vielen Serben jedoch als positiv betrachtet. Diese Art der lokalen Interpretation des Prozesses schwächte die Legitimität des internationalen Strafgerichtshofs. Anstelle von Zeugenaussagen und kriminalistischen Beweisen entschied ethnische Zugehörigkeit darüber, was als gerechte Urteilsfindung wahrgenommen wurde. Verstärkt wurde dieser Prozess dadurch, dass viele Medien in Kroatien sich (auch heute noch) entweder an serbische oder an kroatische Konsumenten richteten. Eine differenzierte Betrachtung der Vergangenheit anhand eines solchen Gerichtsprozesses fand und findet kaum statt. Anstatt zu zeigen, dass es auf allen Seiten sowohl Opfer als auch Täterinnen und Täter gab, führte der Gotovina-Prozess dazu, dass sich viele Kroaten von der internationalen Gemeinschaft ungerecht behandelt fühlten. Die Frage, ob die Vorwürfe berechtigt waren, wurde nicht gestellt, auch weil nationale kroatische Medien sie vermieden.
Der Gotovina-Prozess ist auch deshalb so interessant, weil der ICTY im Berufungsverfahren im November 2012 sein Urteil revidierte und Ante Gotovina sowie den Mitangeklagten Mladen Markač mit der Begründung freisprach, dass der Krieg ein legitimer Akt der Selbstverteidigung war.
Perzeption und Wirkung
Als Fazit lässt sich festhalten, dass die Vergangenheit oder genauer die Deutung der Vergangenheit im Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens nach wie vor ein hochgradig umkämpftes Gut ist. In der Politik und den Medien wurde und wird die Vergangenheit häufig einseitig dargestellt und die Gegenwart mit dieser einseitigen Perzeption der Vergangenheit erklärt. So werden Gerichtsurteile des ICTY von der Politik immer noch pauschal abgelehnt oder harmlose Raufereien unter Jugendlichen in den Medien thematisiert, sobald Mitglieder der verschiedenen ethnischen Gruppen beteiligt sind.
Die Analyse dieses Artikels zeigt, dass insbesondere zwei Formen der Instrumentalisierung auftreten können. Die erste Form kann man am Beispiel der Denkmäler erkennen, welches herausstellt, dass es lokale Mechanismen des Umgangs mit der Vergangenheit gibt, die häufig gar nicht das Ziel einer unabhängigen Aufarbeitung verfolgen. Im Gegenteil: Sie forcieren eine bestimmte Sichtweise der Vergangenheit. Nicht die Tatsache, dass mit den Denkmälern der kriegerischen Vergangenheit gedacht wird, sondern die einseitige Form und Wahrnehmung von Gedenkstätten führt dazu, dass viele Denkmäler nur von einer ethnischen Gruppe akzeptiert werden. Dadurch wird ein Konflikt zwischen ethnischen Gruppen reproduziert.
Die zweite Form betrifft internationale und lokale Mechanismen der Vergangenheitsaufarbeitung, die den Anspruch haben, unparteiisch zu sein. Die Instrumentalisierung von Urteilen des ICTY kann nicht nur auf Seiten der Perzeption der Bevölkerung beobachtet werden. Auch gab es in der Vergangenheit von den meisten Regierungen eine Politik der Obstruktion gegen das ICTY, anstatt die Arbeit des ICTY zu unterstützen, um eine Rechtsprechung zu ermöglichen, die Kriegsverbrecher verurteilt und der Wahrheitsfindung dient.
Abschließend bleibt festzuhalten, dass der Umgang mit der Vergangenheit im ehemaligen Jugoslawien häufig dazu führt, dass vermeintliche Differenzen zwischen den ethnischen Gruppen hervorgehoben werden; sei es auf lokaler Ebene in Städten wie Vukovar, in der die dort lebenden Kroaten und Serben zum Beispiel einseitige Denkmäler errichten lassen oder einfordern, oder auf nationaler Ebene wie im Falle der Kritik des serbischen Präsidenten am Urteil des ICTY. Entscheidend scheint also nicht die Implementierung von Mechanismen der Vergangenheitsaufarbeitung selbst zu sein, sondern die Frage wie deren Wahrnehmung von lokalen und nationalen Meinungsmachern beeinflusst wird.
Solange die Vergangenheit ein umkämpftes Gut ist und in der Bevölkerung, den Medien und der Politik nur ein schwacher Wille zu einer wirklichen Aufarbeitung gibt, wird die Vergangenheitsaufarbeitung auch an der Aufgabe scheitern, ein friedliches Zusammenleben der Bevölkerungen zu fördern. Und doch gibt es Hoffnung. Wie bereits zu Beginn dieses Artikels erwähnt, nimmt der Bezug der Bevölkerung auf die kriegerische Vergangenheit langsam ab. Diese Entwicklung birgt das Potenzial eines offeneren Umgangs mit der jeweils anderen Bevölkerungsgruppe. Gefördert wird dieser Prozess auch von positiven Beispielen der Vergangenheitsaufarbeitung. Ein solches Beispiel war das Zusammentreffen des damaligen serbischen Präsidenten Tadić mit seinem kroatischen Amtskollegen Josipović in Vukovar im November 2010.