Für deutsche Politiker, gleich welcher Partei, war es seit dem Besuch des Bundeskanzlers Konrad Adenauer in Moskau im Jahr 1955 Usus, sich für die Familienzusammenführung der in der Sowjetunion lebenden Deutschen mit ihren Verwandten in Deutschland einzusetzen. Als Wendepunkt der parlamentarischen Behandlung der Frage einer Freizügigkeit für Russlanddeutsche kann der am 19. Oktober 1984 von den Fraktionen der CDU/CSU und der FDP in den Bundestag eingebrachte Antrag gelten, in dem es unter anderem hieß: "Es ist jedoch keineswegs das Ziel dieses Antrages, die Probleme der Volksgruppe der Deutschen in der UdSSR ausschließlich durch Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland zu lösen. Deshalb steht an der Spitze der Forderungen (…) die Verwirklichung der individuellen Menschenrechte der Deutschen in der Sowjetunion und ihre Nichtdiskriminierung."
Binnen wenigen Jahren ist die Zahl der Aussiedler aus der UdSSR von 753 im Jahr 1987 auf 147.950 im Jahr 1990 gestiegen. Da zeitgleich auch die Zahl der Aussiedler aus Polen auf etwa 134.000, aus Rumänien auf über 111.000
Aus der Sicht der Betroffenen war die Lage dort hoffnungslos: Nach dem Auseinanderbrechen der UdSSR setzte die Transformation der Sowjetrepubliken hin zu souveränen Nationalstaaten ein. Sie war von Gewaltausbrüchen und wirtschaftlichem Niedergang begleitet. Russen, Juden, Polen, Griechen, Ukrainer und andere haben Kasachstan und die mittelasiatischen Republiken fluchtartig verlassen müssen. Die Russlanddeutschen sahen ihr rettendes Ufer in Deutschland, das sie als ihre historische Heimat sahen. An eine vollständige Rehabilitierung, geschweige denn an die Wiederherstellung der Autonomen Republik der Wolgadeutschen (ASSRdWD) glaubte zu dieser Zeit kaum noch jemand.
Kontingentierung und Steuerung des Aussiedlerzuzugs
Bis einschließlich 1987 war es selbstverständlich, dass Spätheimkehrer (so die amtliche Bezeichnung) in den Ort zuziehen konnten, in dem ihre Angehörigen ansässig waren. Ab 1987 begann sich die Aufnahmebereitschaft mit der steigenden Aussiedlerzahl zu ändern. Mit dem Aussiedleraufnahmegesetz von 1990 wurde das Vorliegen eines Aufnahmebescheids zur Voraussetzung für die Aufnahme im Bundesgebiet gemacht. Das war für die Russlanddeutschen nur in sehr wenigen Fällen ein Hindernis, denn sie haben ihre Einreiseanträge ohnehin von ihrem Wohnsitz in der GUS aus gestellt. Die Aufnahmekriterien, insbesondere der Grad der Beherrschung der deutschen Sprache, wurden aber verschärft.
Die Liberalisierung der Grenzkontrollen in Europa und Flüchtlinge aus dem auseinandergebrochenen Jugoslawien, der Türkei, dem Mittleren Osten und afrikanischen Ländern ließen die Zahl der Asylsuchenden von 256.000 im Jahr 1991 auf mehr als 438.000 im Jahr 1992 und über 322.000 im Jahr 1993 ansteigen.
Voraussetzung für eine Aufnahme war nun der Nachweis von Kenntnissen der deutschen Sprache oder einer der Mundarten, die im familiären Umfeld vermittelt wurden. Vorhandene Deutschkenntnisse erleichterten ohne Zweifel die Eingliederung der Aussiedler, nur wurde bei dieser Regelung ausgeblendet, dass Russlanddeutsche in der Ukraine und in Sibirien seit 1938/1939 und die aus der ASSRdWD seit 1941 keinen Deutschunterricht mehr in den Schulen hatten. Entsprechend wurde in regierungsamtlichen Mitteilungen und in der Publizistik wiederholt darauf hingewiesen, dass ein Großteil der potenziellen Antragsteller, die zur Sprachprüfung vor der Abgabe ihres Übernahmeantrags als Aussiedler eingeladen wurden, zur Sprachprüfung nicht erschien oder diese nicht bestehen konnte.
Die veränderte Aufnahmeregelung ermöglichte ihnen jedoch die Einreise als Familienangehörige von Spätaussiedlern, die keine Sprachkenntnisse nachweisen mussten. Sie hatten dadurch allerdings auch keinen Anspruch auf Integrationshilfen und wurden in den Statistiken als nichtdeutsche Familienmitglieder geführt. Damit wurden die Startbedingungen für einen Großteil der Spätaussiedler und ihrer Familienangehörigen soweit verschlechtert, dass verstärkt Sozialleistungen in Anspruch genommen werden mussten. In der medialen Darstellung wanderten plötzlich Nichtdeutsche ein, wodurch die Aufnahmebereitschaft weiter abnahm.
Am 1. Januar 1993 trat das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz in Kraft, mit dem nicht nur der Begriff "Aussiedler" durch "Spätaussiedler" ersetzt, sondern auch eine Kontingentierung eingeführt wurde. Pro Jahr durften nun 220.000 Spätaussiedler aufgenommen werden. 1999 wurde diese Quote auf die Zahl der Aussiedler des Jahres 1998 (103.080) abgesenkt. Die Zuwanderung der im Vergleich zur einheimischen Bevölkerung im Durchschnitt wesentlich jüngeren Aussiedler wurde nur kurze Zeit als willkommene Korrektur zum demografischen Wandel in Deutschland gesehen.
Nach der Einbeziehung der Aussiedler in das Zuwanderungsgesetz wurden ihre Ehegatten und Abkömmlinge hinsichtlich der Sprachkenntnisse und des Nachzugs Ausländern gleichgestellt. Das hatte einen Rückgang der Aussiedlerzahl auf 7.626 im Jahr 2006 und auf unter 2.000 Personen im Jahr 2012 zur Folge. Zudem sind im Aufnahmeverfahren von Spätaussiedlern Härtefälle aufgetreten, die auch durch das Neunte Gesetz zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG)
Laut Bundesverwaltungsamt (BVA) sollte dieses Verfahren "der Vermeidung von Härtefällen, die durch eine dauerhafte Familientrennung entstehen",
In der Politik wie in der Wissenschaft nannte man die Quotierung der Umsiedlung nüchtern "Steuerung der Zuwanderung", aus der Sicht der Umsiedlungswilligen und deren bereits nach Deutschland eingewanderten Angehörigen war es eine "Aussperrung", denn sie nahm keine Rücksicht auf die Motive der Russlanddeutschen. Eine Befragung aus den Jahren 1990 und 1991 zeigte, dass die mit Abstand wichtigsten Ausreisemotive ethnisch und historisch bedingt waren. An erster Stelle rangierte der Wunsch als "Deutsche unter Deutschen" leben zu wollen (87 Prozent) beziehungsweise der Wunsch, dass "meine Kinder Deutsche bleiben" (86 Prozent). Diesen Motiven folgten die Beibehaltung von Sprache und Kultur, die Aufrechterhaltung der Beziehungen zu Familienmitgliedern und Freunden.
Eingliederung nach veränderten Bedingungen
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Eingliederung der Aussiedler in der Bundesrepublik Deutschland wurden schon mit dem Wohnortzuweisungsgesetz 1989 verändert. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollten die Aussiedler auf alle Bundesländer proportional zur Wohnbevölkerung verteilt werden. Dadurch sollte die finanzielle Belastung der Länder und Kommunen durch Integrationsmaßnahmen ausbalanciert und die Bildung neuer Ballungszentren von Aussiedlern verhindert werden. In Kauf genommen wurde, dass neu einreisende Aussiedler von ihren bereits in Deutschland lebenden Angehörigen getrennt leben mussten und in den strukturschwachen ostdeutschen Bundesländern, aus denen die einheimische Bevölkerung in beträchtlicher Zahl auf der Suche nach Arbeit in die "alte" Bundesrepublik abwanderte, für Jahre auf die Unterstützung des Staates angewiesen blieben. 1992 wurde das Wohnortzuweisungsgesetz bis 1995 verlängert. 1996 wurden Sanktionen für das Verlassen des zugewiesenen Wohnortes eingeführt: Wer vor Ablauf von zwei Jahren den Wohnort wechselte, verlor den Anspruch auf Sozialleistungen. 1999 wurden das Gesetz bis 2009 und die Sperrfrist auf drei Jahre verlängert. Die vom Grundgesetz garantierte Freizügigkeit aller Deutschen, zu denen Spätaussiedler nach ihrer Aufnahme in Deutschland wurden, blieb eingeschränkt.
Diese Jahre des erzwungenen Verbleibs in der Lage von Hilfeempfängern hat demoralisierend gewirkt, verzögerte die Eingliederung in das Berufsleben, hat zu einem noch stärkeren sozialen Abstieg als in den "alten" Ländern geführt und wirkte sich längerfristig auch mindernd auf die zu erwartende Berufsrente aus. Nur wer Arbeit in den westdeutschen Bundesländern finden konnte, durfte den ihm zugewiesenen Wohnort ohne Einbußen verlassen. Da binnen wenigen Jahren weitere Verschlechterungen folgten, kippte die Stimmung: In der russischsprachigen Presse in Deutschland wurde der Vorwurf erhoben, man sei erneut, dieses Mal in Deutschland, unter ein Regime der Sondersiedlung geraten.
Mit Inkrafttreten des Eingliederungsanpassungsgesetzes am 1. Januar 1990 bekamen Aussiedler im Falle von Arbeitslosigkeit nicht mehr eine lohnbezogene Arbeitslosenunterstützung, sondern Eingliederungsgeld. Die Bezugsdauer wurde von neun auf sechs Monate gekürzt. Mit Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes (1993) wurden Entschädigungen nach dem Kriegsgefangenengesetz und dem Häftlingshilfegesetz durch niedrigere Pauschalsätze abgelöst. Der Wegfall dieser Leistungen wurde von Aussiedlern als ungerecht empfunden und schwächte deren Startbedingungen für die Einrichtung an neuen Orten in Deutschland. Noch härter traf sie die Kürzung der Dauer von Sprachkursen von zwölf Monaten (1991) auf neun Monate (1992) und auf sechs Monate ab dem 1. Januar 1994. Ältere Aussiedler (ab dem 45. Lebensjahr) bekamen seit 1995 nur noch dann einen Sprachkurs finanziert, wenn eine Arbeitsplatzvermittlung als wahrscheinlich eingeschätzt wurde.
Bis in das Jahr 2011 konnte eine befriedigende Lösung bei der Anerkennung der in der UdSSR und später in der GUS erworbenen Berufsabschlüsse, insbesondere der Hochschulabschlüsse, nicht erreicht werden. Eine Verbesserung trat erst ab 2012 in geringem Ausmaß ein.
Eine weitere deutliche Verschlechterung trat mit der Änderung des Fremdrentengesetzes am 1. Januar 1992 ein. Die neue Situation wurde in einer Studie folgendermaßen zusammengefasst: "Aussiedler haben nunmehr Anspruch auf Renten in Höhe von nur noch 60 Prozent des Rentenniveaus einheimischer Deutscher. Wenn beide Ehepartner Rente beziehen, darf darüber hinaus ihr gemeinsames Renteneinkommen nicht das 1,6-Fache der Eingliederungshilfe übersteigen, deren Höhe auf 60 Prozent des Sozialhilfesatzes festgesetzt ist; ein Ehepaar erhält somit gemeinsam höchstens 96 Prozent einer Durchschnittsrente."
Bemühungen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, von Verbänden der Wohlfahrtspflege und Einzelpersonen, die zunehmende Altersarmut unter den (Spät-)Aussiedlern auf dem parlamentarischen und Rechtsweg abzuwenden, blieben bislang ohne Erfolg – ein aus der Sicht der Betroffenen unhaltbarer Zustand, die hierin eine Verletzung des Generationenvertrags sehen, denn die berufstätigen (Spät-)Aussiedler leisten Steuern und Abgaben gleich der einheimischen Bevölkerung. Die Berufstätigen müssen vielfach ihre unterversorgten Eltern aus ihren ohnehin niedrigeren Einkommen unterstützen.
Bild der Aussiedler in der Öffentlichkeit
Erscheinungsbild.
In einer Studie des Bayerischen Landeskriminalamtes über die Kriminalität von Aussiedlern ist das Erscheinungsbild wie folgt zusammengefasst: "Die Diskussion über die Kriminalität von Aussiedlern wird derzeit (im Jahr 2000, Anm. A.E.) von einem diffusen Stimmungsbild beherrscht, das sich aus anklagender Presseberichterstattung, Auflistung spektakulärer Einzelfälle bei Stammtischdiskussionen und wissenschaftlichem Halbwissen zusammensetzt und nährt. Auf der Grundlage dieser Quellen wird ein verschwommenes Puzzle vom rauschgiftsüchtigen Aussiedler gelegt, der außergewöhnlich brutal und mit hoher krimineller Energie belastet eine Vielzahl von Straftaten in Deutschland begeht."
Politische Repräsentanz.
1997 wurde in der von Aussiedlern und für Aussiedler herausgegebenen russischsprachigen Zeitung "Vostočnyj ėkspress" (Ostexpress) eingehend über die Möglichkeiten einer Partizipation am politischen Leben in Deutschland diskutiert. Es wurde unter anderem die Gründung einer Partei erwogen, welche die Anliegen der Russlanddeutschen im Bundestag und anderen Parlamenten vertreten könnte (wozu es nicht kam).
Auffallend ist dagegen, dass die im Jahr 2011 vom russischen Präsidenten Wladimir Putin gegründete "Stiftung für Unterstützung und Schutz von Landsleuten, die im Ausland wohnhaft sind"
Landesweit gibt es eine stattliche Anzahl von kleinen Vereinen, die mit Bezeichnungen wie "Bundes" oder "International" den Anschein von Größe und gesellschaftlicher Relevanz zu erwecken suchen. In Veranstaltungen und Internetauftritten sprechen sie in unterschiedlicher Intensität Integrationsprobleme an oder verbreiten Thesen des Programms "Sootečestvenniki", die auf die Bildung von russischsprachigen Milieus hinauslaufen (russischsprachige Kindergärten und Sonntagsschulen, Bibliotheken, Theater, Betreuung von Landsleuten im Ausland und Unterstützung von Rückkehrwilligen). Der Landsmannschaft wird gerne vorgehalten, sie hätte sich gegen Kürzungen der Integrationshilfen des Staates und Erschwernisse beim Familiennachzug nicht durchsetzen können.
Aussiedler mit stärkerer konfessioneller Bindung stießen in den Gemeinden an ihrem neuen Wohnort nicht selten auf Unverständnis, manchmal auch Ablehnung. Das Schreckgespenst von Parallelgesellschaften machte die Runde. Dem haben sowohl Migrationsforscher als auch Aussiedlerbeauftragte von Landeskirchen und der Deutschen Bischofskonferenz überzeugend widersprochen. So unterstreicht etwa der Aussiedlerbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Oldenburg, dass zwischen den Parallelkulturen der einheimischen und der zugewanderten Deutschen eine ethnische Offenheit herrsche, es gäbe ein soziales Interaktionsfeld mit der Umgebung.
Wie offen Aussiedler der Aufnahmegesellschaft gegenüber sind, zeigte die Studie "Ungenutzte Potenziale" (2009). Während schon die erste Generation der Aussiedler zu 17 Prozent einheimische Ehepartner hat, steigt dieser Anteil bei der zweiten Generation auf 67 Prozent. Auffallend ist darüber hinaus, dass bei den Aussiedlern Mädchen häufiger als Jungen das Gymnasium besuchen und genauso viele Akademiker stellen wie die Männer. Mit 20 Prozent Hausfrauenquote ziehen sie mit den einheimischen Deutschen gleich.
Dieses insgesamt positive Bild wird aber dadurch getrübt, dass es auch die "übersehene" Generation (E.L. Born) der in Altersarmut geratenen Rentner und die "verlorene Generation" der über 40-jährigen Aussiedler gibt, die eine bessere Zukunft ihrer Kinder mit einem sozialen Abstieg und einer Unterversorgung im Alter bezahlen. Die Verbitterung dieser beiden Generationen hat die Aufnahmegesellschaft bislang nicht wahrgenommen.