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Eckpunkte einer zukunftsfesten Fiskalpolitik | Steuerpolitik | bpb.de

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Eckpunkte einer zukunftsfesten Fiskalpolitik

Claus Schäfer

/ 12 Minuten zu lesen

Von einem großen Teil der Gesellschaft wird das Wirken des Staates als "belastend" ausgegeben, weil der Blick meist auf den staatlichen Einnahmen beziehungsweise die eigenen Abgaben ruht, während die öffentlichen Ausgaben beziehungsweise Leistungen oft noch nicht einmal "gefühlt" werden. Manchmal gilt das "Öffentliche" dem "Privaten" sogar als Feind. Doch weder diese Feindlichkeit noch der Fokus auf die Staatseinnahmen sind gerechtfertigt. Ein Blick auf das Wesentliche einer nachhaltigen Fiskalpolitik zeigt, wir brauchen das Öffentliche und seinen Garanten, den Staat, mehr denn je: aktuell als Stabilisator einzelner Märkte und danach als Marktregulierer, damit sich etwa die enormen Finanzmarkt-Rettungskosten seit 2008 nicht wiederholen oder Wohnungsmarktkrisen unterbleiben; generell als Sicherer des sozialen Friedens in Deutschland und Europa, der durch Umverteilungs- und Ungleichheitsprozesse bedroht ist; als Lieferanten von fundamentalen öffentlichen Gütern, ohne die die Gesellschaft auf Dauer nicht funktioniert oder auch als Schützer von Umwelt und Klima zur Erhaltung der Lebensbasis. Solche Herausforderungen waren immer gewaltig, aber auch lange zu bewältigen durch die Herausbildung des Sozialstaats europäischer Prägung. Erst zuletzt wurde sein Erfolg angezweifelt. Insofern muss man fast dankbar sein, dass die Finanzmarktkrise zu einer Neubetrachtung des Öffentlichen beziehungsweise des Staates beiträgt.

Dieser Prozess beginnt mühsam, wie die aktuelle EU-weite Sparpolitik zeigt, die zur Senkung von Staatsschulden die Staatsausgaben reduziert, damit aber die Binnennachfrage, das Volkseinkommen und die Steuereinnahmen ebenfalls senkt – und schließlich wieder bei einer noch höheren Schuldenquote landet. Soll zumindest die Krisenspirale nicht noch weiter gedreht und unweigerlich über die Nachfrageschwäche seiner Nachbarn auch Deutschland erfasst werden, muss das "infernalische Dreieck" zwischen Finanzmarkt, Staatsschulden und krisenverstärkender Sparpolitik gesprengt werden. Dies gelingt nur mit der politischen und ökonomischen Antwort auf die Fragen: Welche (Finanz-)Mittel braucht der Staat für seine Aufgaben und Ausgaben, um die Nachhaltigkeit von Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft zu sichern? Welche Aufgaben sollen genau verfolgt werden?

In einem wachsenden Diskurs werden fundamentale Staatsaufgaben als "gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen" bezeichnet, die auch die Erstellung der öffentlichen Infrastruktur und deren Nutzungserschließung für alle Bürgerinnen und Bürger durch öffentliches Personal umfassen. Daraus ergeben sich a priori zwei Hauptprobleme des gegenwärtigen Sozialstaats: Zugangsdefizite bei vorhandenen Angeboten öffentlicher Dienstleistungen und Angebotsdefizite beziehungsweise fehlende Dienstleistungen.

Durchaus berechtigte Kritik am Sozialstaat resultiert zunächst daraus, dass heute nicht alle die an sie adressierten staatlichen Leistungen auch erhalten. Ursache sind häufig faktische Zugangsbarrieren zu Leistungsansprüchen. So ist bekannt, dass von allen Zugangsberechtigten zum Hartz-IV-System nur 60 Prozent dessen Leistungen in Anspruch nehmen; die anderen 40 Prozent kennen ihren Anspruch nicht oder scheuen sich aus Scham oder aus Angst vor dem Antragsschritt. Ähnliche Dunkelziffern von Personen, die ihren Anspruch nicht wahrnehmen, gibt es mit teilweise noch höheren Quoten beispielsweise beim Kinderzuschlag zum Kindergeld oder dem Wohngeld. Allein der Abbau dieser Dunkelziffern bedeutet nicht nur eine andere Zugangspolitik, sondern auch Zusatzmittel für den Sozialstaat.

Die Anforderungen an den Sozialstaat wachsen weiter angesichts der Lücken bei öffentlichem Personal und öffentlichen Investitionen. Große bestehen etwa bei der Verkehrsinfrastruktur, die häufig nur noch – wenn überhaupt – repariert wird, oder der Kanalisation, deren Hauptleitungen teilweise noch aus dem 19. Jahrhundert stammen. Bedeutend sind auch die Lücken beim Bildungspersonal an Schulen und Hochschulen oder beim Personal der Finanzverwaltung. Selbst Personal zur Marktbeaufsichtigung im Kartellamt, der Bankenaufsicht oder Lebensmittelüberwachung fehlt. Dasselbe gilt für die noch immer fehlenden Kindertagesstätten, die fiskalisch eine kleinere, gesellschaftlich aber eine gravierende Herausforderung sind, weil ohne Vereinbarkeit von Familie und Beruf weder die Geburtenrate noch die Frauenerwerbsquote befriedigend steigen werden.

Und schließlich hat der Staat auch eine Stabilisierungsfunktion, die durch mehr oder besser verteiltes Geld soziale Gerechtigkeit herstellen oder in Konjunkturkrisen den Ausfall privater Nachfrage kompensieren und so Produktionsrückgänge, Arbeitslosigkeit und Armut vermeiden soll. Beide Unterziele sind in Deutschland schon vor der Finanzkrise massiv verletzt worden. Insbesondere die steuerliche Entlastung von hohen Einkommen, Unternehmen und Vermögen, der Ausbau des Niedriglohnsektors oder die allgemeine Lohnmoderation haben in Deutschland mehr Ungleichheiten geschaffen. Über gesenkte Lohnstückkosten und damit angeheizte Exporterfolge ist diese Ungleichheit nicht nur in andere Länder exportiert worden, die sich wegen deutscher Exportüberschüsse beziehungsweise heimischer Importüberschüsse zunehmend verschuldet und die Finanzmarktkrise verstärkt haben. Über die deutsche Ungleichheitsentwicklung sind auch die nationale Binnennachfrage bei privaten Haushalten, Unternehmen und Gebietskörperschaften geschwächt und Wachstumspotenzial nicht erschlossen worden. Noch schlimmer: Die verhaltene Binnennachfrage hat neben den vernachlässigten öffentlichen Investitionen auch die private Investitionstätigkeit geschädigt und damit die Substanz des ganzen Kapitalstocks belastet.

Dahinter steht ein Effekt, den die Ökonomen als "Multiplikator" von Staatsausgaben mit negativen oder auch positiven Folgen wiederentdecken. Selbst der Internationale Währungsfonds (IMF) muss inzwischen einräumen, dass die "Multiplikatorwirkung" des "Sparens" beziehungsweise geringerer Staatsausgaben auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nicht, wie oftmals behauptet, "halb so schlimm" ist beziehungsweise lediglich 0,5 betrage, sondern bis zu 1,5 und sogar mehr (das heißt: ein Euro weniger Staatsausgaben erzeugt 1,50 Euro oder mehr an Rückgang des BIP). Es ist deshalb unverständlich, dass weiter auf "Sparen" gesetzt wird – zumal der Multiplikator auch für andere Ausgabenrichtungen, nämlich Mehrausgaben, gilt: Eine Erhöhung um einen Euro hat über kumulativ angestoßene Wirkungen im ökonomischen Kreislauf deutlich mehr an gesamtwirtschaftlichem Einkommen zur Folge. Mit anderen Worten: Eine Kürzung der Staatsausgaben bedeutet wegen kontraproduktiver sozialer wie ökonomischer Effekte eine "Selbstkannibalisierung"; eine Erhöhung bewirkt dagegen eine "Selbstheilung", also nicht nur eine Verbesserung von ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen, sondern für den fiskalischen Aufwand auch eine erhebliche Selbstfinanzierung. Denn über den größer als eins ausfallenden Multiplikator entstehen zusätzliche Steuereinnahmen, die wiederum die Brutto-Mehrausgaben teilweise "billiger" machen.

Finanzierung

Die vielfältig begründbaren Mehrausgaben aber müssen in jedem Fall (vor-)finanziert werden, wofür in erster Linie Steuern und Abgaben, aber auch Kredite verfügbar sind. Letztere bieten sich gerade bei besonderen bis "historischen" Herausforderungen an. So sehen es jedenfalls klassische und keynesianische Positionen, die sich auch im deutschen Stabilitäts- und Wachstumsgesetz von 1967 niedergeschlagen haben. Doch nicht zuletzt aus neoliberaler Sicht wird diese Finanzierungsform zunehmend kritisiert. Der Kritik ist zwar entgegengehalten worden, es gebe keine ökonomisch begründbare Maximalgrenze für Staatsverschuldung; Staatsschulden seien keine Last für zukünftige Generationen, weil umgekehrt der heutige Verzicht auf schuldenfinanzierte Problembewältigung den Generationen morgen einen kaum noch beherrschbaren kumulierten Problemberg an Arbeitslosigkeit, Armut, sozialer Ausgrenzung, Bildungs- und Infrastrukturdefiziten aufbürden würde; auch stünden Staatsschulden immer Vermögens- und Zinsforderungen privater Gläubiger gegenüber, sei es direkt oder indirekt, wenn etwa Lebensversicherer die Verträge ihrer Versicherungsnehmer mit öffentlichen Schuldtiteln absichern. Es konnte auch am Beispiel Japans oder der USA gezeigt werden, dass eine häufig behauptete Proportionalität von Staatsschulden und Inflation nicht gegeben ist – wie sich aktuell in der Finanzmarktkrise und der folgenden Bankenrettung mit Staatsschulden erneut bestätigt. Trotzdem ist die politische Sorge vor steigenden Staatsschulden gewachsen und hat insbesondere in Europa zu institutionellen Schuldenbremsen geführt, die jetzt in definierten Zeitstufen nach und nach angezogen werden.

Doch zu bedenken bleibt: Hätte die Verpflichtung zu null Schulden für öffentliche Haushalte schon heute oder gar gestern gegolten, wäre ein erfolgreicher Kampf gegen die Finanzmarktkrise und ihre Folgen kaum möglich gewesen, und die aus Angst vor Staatsschulden verordnete Sparpolitik der öffentlichen Haushalte würde noch verheerender wirken. Die Finanzmarktkrise zeigt sogar eine Dilemmasituation auf, die sich gegen Schuldenbremsen richtet: Entweder man betreibt die Sparpolitik aus Angst vor Schulden weiter, muss dann aber wegen geringerer Volkseinkommen und sinkender Steuereinnahmen die entstehenden Löcher in den öffentlichen Haushalten wie die verheerenden Folgen für die betroffenen Gesellschaften doch wieder mit höheren Schulden aus dem In- oder Ausland stopfen. Oder man gibt nicht zuletzt wegen dieser Aussicht die Sparpolitik auf und versucht über öffentliche Mehrausgaben das Wachstum, die Beschäftigung, die soziale Lage und damit auch die fiskalische Situation zu verbessern.

Noch laviert die (Fiskal-)Politik in diesem Dilemma, indem sie die Schuldenbremse eher informell umgeht, statt sie formell wieder aufzugeben. So lassen die EU-Staaten Krisenbekämpfungsmittel in neu geschaffene "Rettungsschirme" auslagern, statt sie auf dem eigenen Schuldenkonto zu verbuchen. So bedienen sich nicht nur die deutschen Gebietskörperschaften der Public-private-Partnership bei der Finanzierung öffentlicher Investitionen, weil die im staatlichen Auftrag handelnden privaten Investoren anstelle des Staates Schuldenaufnahme betreiben. Dafür werden allerdings nicht nur höhere Kosten für die eigentlich öffentlichen Investitionen in Kauf genommen, sondern auch langfristige Probleme für Kommunen und Bürger. Vermutlich wird die Schuldenbremse auch den Druck zu "echter" Privatisierung öffentlicher Aufgaben und deren privater Finanzierung erhöhen, wie sie die EU-Kommission gerade bei der Wasserversorgung initialisieren will, obwohl die gesammelten Privatisierungserfahrungen mit schlechteren Leistungen und höheren Kosten und Preisen privater Anbieter wieder zu einer Re-Kommunalisierung führen müssten.

Doch wirkungsvoller als solche "Umwege" wäre ein besseres Staatsschuldenmanagement durch eine neue Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB). Die hat zweifellos ihren vorhandenen Spielraum schon gut genutzt. Insbesondere die Ankündigung im Jahr 2012, notfalls so viele Staatstitel wie möglich aufzukaufen, hat den Druck der Finanzmärkte nicht nur auf "Krisenländer" reduziert, sondern alle öffentlichen Haushalte durch sinkende Kapitalmarktzinsen entlastet. Gerade der deutsche Fiskus hat für seine Schuldenaufnahme zuletzt erheblich an Zinsen gespart und "verdient" so an der "Krisenbewältigung" und ihren Folgen in anderen EU-Ländern mit. Noch viel größer wäre diese Entlastung, wenn die EZB auch formal so handeln dürfte wie ihr britisches und US-amerikanisches Pendant, die ihren Regierungen direkt Kredite geben können: Bei einer Direktfinanzierung von Nationalstaaten durch die EZB würde der heutige Umweg über die Banken vermieden, die von der EZB Geld zu niedrigen Zinsen von rund ein Prozent bekommen, um es dann mit Aufschlag an Nationalstaaten weiterzuleihen; stattdessen würden die Staaten denselben niedrigen Zins wie die Banken zahlen.

Selbstverständlich sollte diese direkte Kreditvergabe nicht ohne Auflagen möglich sein. Ein Gremium aus EZB und Politik im Rahmen einer EU-weit abgestimmten Wirtschafts- und Finanzpolitik könnte und sollte Vergabebedingungen formulieren und einfordern können. So wäre etwa im Falle Griechenlands als Voraussetzung die Verpflichtung zur Herstellung eines funktionierenden Steuerwesens und insbesondere einer Eindämmung der massiven griechischen Steuerhinterziehung denkbar (gewesen). Doch auch zu einem solchen Schritt fehlt (noch) der entsprechende politische Mut, obwohl faktisch schon mit der aktuellen Krisenbekämpfung und der Einrichtung neuer Instrumente und Institutionen der unabweisbare Weg in eine europäische Wirtschaftsregierung und damit auch eine europäische Transferunion beschritten ist. Warum auch sollte ein System des Finanzausgleichs, das im deutschen Föderalismus jahrzehntelang funktioniert hat, nicht ebenfalls auf europäischer Ebene angezeigt sein?

Wenn also der politische Mut den faktischen Entwicklungen auch in diesem Fall hinterherhinkt, muss angesichts der Schuldenbremse zumindest eine weitere Maxime gelten: Wer auf die Schuldenbremse treten will, muss erst recht Steuergas geben – und nicht auch noch die Ausgabenbremse anziehen, weil das zum Crash führt. Und aktuell sind Steuererhöhungen nicht nur zur Bekämpfung der Krisenfolgen ein naheliegendes Finanzierungsinstrument, sondern auch zum erwähnten Defizitabbau bei öffentlichen Leistungen; Krisenbekämpfung und Zukunftssicherung gingen Hand in Hand. Allerdings muss dafür die Steuererhöhung bei solchen Einkommen und Vermögen ansetzen, deren Verkürzungen nicht konjunkturrelevant sind. Das trifft nun generell auf hohe Einkommen und Vermögen von Personen und Unternehmen zu, zumal diese in der ganzen EU jahrelang entlastet wurden.

Gerade der deutsche Fiskus hat sich mit diversen "Steuerentlastungsprogrammen" materiell entreichert und so wesentlich zu den aufgestauten Defiziten an öffentlichen Leistungen, zur Unterausschöpfung von Wachstumspotenzialen und zur Vergrößerung von Ungleichheiten beigetragen. Allein der Steuerentgang durch die unter Rot-Grün durchgeführte Einkommensteuerreform macht heute jährlich rund 50 Milliarden Euro aus – mit steigender Tendenz. Ein weiteres Beispiel ist der schon seit 1996 geübte politische Verzicht auf die Erhebung einer Vermögensteuer, obwohl das damalige Bundesverfassungsgerichtsurteil nur die Ungleichbehandlung von Geld- und Immobilienvermögen und nicht die Steuer selbst gerügt hatte.

Wegen Entlastungsmaßnahmen für hohe Einkommen und Vermögen bei Privatpersonen wie Unternehmen kann man Deutschland für diese Kreise heute als sehr günstigen Steuerstandort bezeichnen. So schreibt etwa die Bertelsmann Stiftung: "Das Niveau der Besteuerung in Deutschland ist in Relation zum angestrebten Niveau der Infrastruktur und des Sozialstaats relativ niedrig, worin eine Ursache der in der Vergangenheit aufgetretenen Haushaltsdefizite liegt. Anders gewendet: Geht man davon aus, dass eine Senkung der staatlichen Ausgaben nur begrenzt möglich und eine Verschuldung für die Länder ab 2020 gänzlich versagt sein wird, ist in Deutschland eine Steigerung der Steuereinnahmen erforderlich, um die gewünschten Aufgaben finanzieren zu können. Im internationalen Vergleich zeigt sich, dass insbesondere im Hinblick auf die Besteuerung von Kapital in der Bundesrepublik noch Raum besteht."

Das hier eingeforderte Steuergas sollte allerdings nicht nur die Revision der eben genannten förmlichen und faktischen Steuerentlastungen auf nationaler Ebene enthalten – was beim deutschen Staat zu Mehreinnahmen von etwa 90 Milliarden Euro jährlich führen könnte. Es sollte auch im Rahmen einer abgestimmten Wirtschafts- und Fiskalpolitik die Erschließung europaweiter Steuerquellen bedeuten. Mit der Finanzmarkttransaktionssteuer ist ein solches Instrument schon auf dem Weg und erlaubt etwa der EU-Kommission in Abstimmung mit einer EU-Wirtschaftsregierung die Finanzierung dringend notwendiger europäischer "Marshallpläne".

Und Steuergas müsste national wie europaweit auch eine stärkere Bekämpfung von Steuervermeidung zum Inhalt haben, deren Einnahmeverluste beispielsweise von der EU-Kommission auf mehrere Hundert Milliarden Euro pro Jahr veranschlagt werden. Hier fehlt es nicht nur an europäischer Solidarität, weil etwa Irland nach wie vor mit außerordentlich niedrigen Steuersätzen Konzerne anlockt, die jetzt auf Basis nationaler Steuerbestimmungen ihre in Europa verstreut anfallenden Betriebsgewinne steuersparend nach Irland transferieren. Hier fehlt auch die nötige politische Offenheit, das irische Verhalten wie das von anderen Steueroasen in Europa zum Anlass zu nehmen, deren Steuersysteme mit denen ihrer Partner auf einem nachhaltigen Niveau anzugleichen.

Zur Angleichung gehört etwa das Stopfen legaler Steuerschlupflöcher durch die Bereinigung von Ausnahmen und die Definition von steuerlichen (Mindest-)Bemessungsgrundlagen für Einkommen, Gewinne und Vermögen. Erst recht zählen dazu Maßnahmen gegen Steuerhinterziehung. Gegen Steuerflucht von Privatpersonen hilft etwa die anhaltende Drohung mit dem staatlichen Aufkauf von "Steuer-CDs" mit Daten von Steuersündern ausländischer Banken; oder die partielle Einführung der Besteuerung nach Geburtsort-Prinzip, sodass in der EU geborene und ausgebildete Reiche wie Gérard Depardieu sich auch als eingebürgerter Russe nicht mehr der Steuerpflicht entziehen könnten; oder das Einfrieren des im EU-Norden immer mehr angelegten "Beton-Golds" bei Immobilien durch Kapitalflüchtlinge aus Südeuropa, solange die Herkunft des Geldes und die entsprechende Steuerpflicht nicht geklärt sind.

Wirksam gegen Steuerverschiebung und Steuerflucht von Unternehmen wäre etwa der Übergang vom Betriebsstättenprinzip zum Besteuerungsprinzip nach dem übergeordneten Unternehmen als Summe der jeweiligen Niederlassungen in der EU: Dann könnten die innerhalb der EU erzielten Gewinne und Gewinnsteuern nach der in den jeweiligen Nationalstaaten entstandenen Wertschöpfung, der vorhandenen Beschäftigung oder weiteren Kriterien aufgeteilt werden.

Auch wenn seit einiger Zeit – geringere – Schulden und Steuern des Staates im Zentrum vieler Debatten stehen: Sie sind "nur" Hilfsmittel, die von öffentlichen Aufgaben und gesellschaftlichen Bedarfen abhängen sollten. Daran gemessen aber sind mehr Schulden und noch mehr Steuern nötig – und besser sowie gerechter verteilte Steuerlasten.

Der Ökonom Lorenz von Stein schrieb 1878: "Ein Staat ohne Staatsschulden leistet entweder zu wenig für seine Zukunft, oder er fordert zu viel von seiner Gegenwart." Und das Motto der US-amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung kann man auch umkehren zu "No representation without taxation", um zu verdeutlichen, dass vor allem ein gerechtes und ergiebiges Steuersystem zu den Grundvoraussetzungen einer funktionierenden Demokratie gehört. Aber selbstverständlich müssen auch einige Aufgaben und Ziele des Staates selbst auf den Prüfstand, womit etwa die Bundestags-Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" gerade begonnen hat.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Peter Bofinger, Ist der Markt noch zu retten?, Berlin 2009.

  2. Ders., Das infernalische Dreieck, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (2012) 10, S. 51–62.

  3. Vgl. Jan Marco Leimeister/Christoph Peters, Gesellschaftlich notwendige Dienstleistungen, in: WISO Diskurs, Oktober 2012.

  4. Vgl. Irene Becker, Das kindliche Existenzminimum sichern!?, Vortrag auf der Tagung des Bündnisses Kindergrundsicherung am 4.5.2011 in Berlin.

  5. Vgl. Deutscher Bundesrat (Hrsg.), Bericht der Kommission "Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung", Dezember 2012.

  6. Vgl. Heike Joebges et al., Der Preis für den Exportweltmeister Deutschland: Niedrige Löhne und geringes Wirtschaftswachstum, in: IMK-Studies 4/2009.

  7. Vgl. IMF (ed.), World Economic Outlook, Washington, DC 2012.

  8. Vgl. Harald Schumann, Public-Private-Partnerships – Sabotage an der Schuldenbremse, in: Der Tagesspiegel vom 14.1.2013.

  9. Vgl. Siegfried Broß/Tim Engartner, Die Renaissance der Kommunen, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, (2013) 1, S. 90–96.

  10. Vgl. Achim Truger/Dieter Teichmann, IMK-Steuerschätzung 2010–2014, in: IMK-Report 49/2010.

  11. Vgl. Stefan Bach et al., Effective Taxation of Top Incomes in Germany, in: German Economic Review, Juni 2012.

  12. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.), Neuordnung der föderalen Finanzverfassung Deutschlands ab 2020, Gütersloh 2012, S. 32.

  13. Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB), Ein Marshallplan für Europa, 2012: Externer Link: http://www.dgb.de/themen/++co++985b632e-407e-11e2-b652-00188b4dc422 (6.2.2013).

  14. Vgl. Sol Picciotto, Towards Unitary Taxation of Transnational Corporations, 2012: Externer Link: http://www.taxjustice.net/cms/upload/pdf/Towards_Unitary_Taxation_1-1.pdf (6.2.2013); Tax Justice Network, Tax us if you can, 2012: Externer Link: http://www.taxjustice.net/cms/front_content.php?idcat=30 (6.2.2013).

  15. Lorenz von Stein, Lehrbuch der Finanzwissenschaft, Bd. 2, Leipzig 18784, S. 347.

  16. Vgl. Mark Schieritz, Raus aus dem Schuldenloch, in: Die Zeit, Nr. 31 vom 28.7.2011.

  17. Vgl. Sebastian Dullien/Till van Treeck, Ziele und Zielkonflikte der Wirtschaftspolitik und Ansätze für Indikatoren und Politikberatung, IMK Policy Brief, November 2012.

Dr. rer. pol., geb. 1948; Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts in der Hans-Böckler-Stiftung, Hans-Böckler-Straße 39, 40476 Düsseldorf. E-Mail Link: claus-schaefer@boeckler.de