Dieser Beitrag hatte im Laufe seiner Entstehungsgeschichte mindestens drei verschiedene Einleitungen. Sie alle sind meinem Unbehagen angesichts aktueller Schlagzeilen, die Europa betreffen, zum Opfer gefallen. Denn keinesfalls möchte dieser Beitrag Europaskeptikern Vorschub leisten, nach dem Motto "Man muss die Entscheidungsmacht unseres Landes stärken, selbst wenn dies jene von Europa begrenzt".
Warum darf die EU-Kommission ihre Mitgliedstaaten in Steuerfragen verklagen? Die europäische Integration begann bereits in den 1960er Jahren unter ökonomischen Vorzeichen. Waren und Dienstleistungen, Kapital, Unternehmen und Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten sollten Grenzen möglichst ungehindert passieren dürfen. Damals jedoch galt es zunächst, im Rahmen der regionalen Wirtschaftsintegration die Mobilität der Waren über steuerpolitische Maßnahmen zu unterstützen, denn "der freie Warenverkehr war nun einmal schon viel weiter hergestellt als das freie Niederlassungsrecht und der freie Kapitalverkehr", so der damalige Leiter der Generaldirektion Steuern.
Aber auch schon in den 1960er Jahren sollte die grenzüberschreitende Mobilität von Unternehmen und Kapital nicht durch eine doppelte Besteuerung behindert werden. Die europäischen Harmonisierungsmaßnahmen galten insbesondere diesem Ziel. Eine deutliche Dynamisierung dieses Ziels brachte seit Ende der 1990er Jahre die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH). Beide Entwicklungen trugen dazu bei, dass einzelstaatliche steuerliche Gesetzesmaßnahmen, die darauf gerichtet waren, Steuervermeidungsstrategien der Unternehmen einzudämmen, nahezu unmöglich wurden. Dies war und ist der Nebeneffekt von Niederlassungsfreiheit und freiem Kapitalverkehr. Die Mitgliedstaaten reagierten hierauf aber nicht mit Kooperation. Das heißt: Die Steuern, die nicht bewusst in ihrer Gestaltungshoheit verlagert wurden, wurden und werden im europäischen Steuerwettbewerb geschliffen – ebenfalls mit Folgen für die nationale Steuersouveränität.
Mehrwertsteuer.
"In dieser Legislaturperiode wird es keine Initiative in Sachen Mehrwertsteuer geben", so Regierungssprecher Steffen Seibert auf der Regierungspressekonferenz am 4. Januar 2013.
Die Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer begann bereits 1967 mit dem Beschluss, europaweit zum 1. Januar 1970 ein einheitliches System einzuführen. Fünf der damals sechs Mitgliedsländer mussten daraufhin ihre Steuersysteme weitreichend verändern – worüber in den jeweiligen nationalen Öffentlichkeiten breit debattiert und gestritten wurde. Der Abbau von Zöllen im gemeinsamen Markt sollte nicht durch andere Maßnahmen ersetzt werden, die den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft behindern könnten. Es wurde ein Modell entwickelt, das den steuerlichen Ausgleich an den Grenzen der Mitgliedstaaten ermöglichte. Die Aufhebung der Grenzkontrollen im Rahmen des Binnenmarktprojektes zum 1. Januar 1993 machte schließlich ein neues Modell nötig, denn rund 80 Prozent der Kontrollen an den Grenzen galten zu der Zeit Steuertatbeständen. Nach langen Verhandlungen einigten sich die Staaten darauf, den Grenzausgleich dem Prinzip nach schlicht ins Binnenland zu verlegen. Exporte und Importe werden seither bei den örtlichen Finanzverwaltungen bearbeitet. Überwacht wird dieses Verfahren durch ein innergemeinschaftliches Kontrollverfahren, wonach jedes umsatzsteuerpflichtige Unternehmen eine eigene Identifikationsnummer erhält und die Liste seiner grenzüberschreitenden Transaktionen regelmäßig beim Finanzamt vorlegen muss.
Dieses Verfahren bietet die Grundlage dafür, dass die Nationalstaaten oberhalb des Mindestsatzes eigene Steuersätze festlegen können und es nicht zu einem Wettbewerb unter ihnen kommt. Denn würde ein Produkt mit einem niedrigeren Steuersatz importiert, hätte es durch seinen niedrigeren Preis einen Wettbewerbsvorteil, der in der Folge den Druck erhöhen würde, die Steuersätze im Zielland des Imports ebenfalls zu senken. Nun ist das derzeitige Modell durch seine Möglichkeit des Vorsteuerabzuges durchaus betrugsanfällig. Aber auch diese Frage ist europäisch zu lösen – die Mitgliedstaaten haben hier keine autonomen Kompetenzen mehr.
Verbrauchsteuern.
Ähnlich vorstrukturiert sind die speziellen Verbrauchsteuern. Unter dem Druck der Vollendung des Binnenmarktes und der immanenten Notwendigkeit, Wettbewerbsverzerrungen für Unternehmen mindestens deutlich zu begrenzen, haben sich die europäischen Mitgliedstaaten 1992 auf eine weitgehende Vereinheitlichung der Verbrauchsteuern verständigt. Die Steuersysteme und -strukturen wurden angeglichen, Mindeststeuersätze – je nach Produktgruppe – beschlossen. So wurden die Regierungsvertreter auf der oben zitierten Pressekonferenz auch nach der Tabaksteuer gefragt – nach Veränderungen, die der Bundestag aber ebenfalls nicht autonom beschließen könnte. Die europäische Regulierung reicht auch hier bis ins Detail. Zum Beispiel dürfen Hülsenzigaretten nicht nach dem niedrigeren Steuersatz besteuert werden, der für Feinschnitttabak für Selbstgedrehte gilt. Eine solche Regelung musste in Deutschland nach einem EuGH-Urteil 2006 zurückgenommen werden – sie war nicht vereinbar mit dem europäischen Recht.
Aber auch andere – kleinere – Verbrauchsteuern sind betroffen, denn Steuern dürfen grundsätzlich weder den europäisch normierten Steuern ähnlich sein, noch in irgendeiner Weise potenziell grenzwirksam werden, was in der Folge des Beschlusses 1992 zu der Abschaffung ganzer Steuerarten in den Mitgliedstaaten führte. Heute muss jede neue Verbrauchsteuer der Kommission zur Prüfung vorgelegt werden: so beispielsweise auch die 2004 in Deutschland als Lenkungssteuer neu eingeführte Steuer auf "Alcopops".
Kapitalverkehrsteuern.
"EU-Finanzminister segnen Anti-Zocker-Steuer ab", so oder ähnlich war es in den Wirtschaftsteilen nahezu aller Zeitungen vom 23. Januar 2013 zu lesen. Elf Mitgliedstaaten haben sich von den übrigen europäischen Mitgliedstaaten im Wege der "Verstärkten Zusammenarbeit" dazu autorisieren lassen, die Finanztransaktionssteuer (FTT) einführen zu dürfen. Die Frage stellt sich auch hier: Hätte es Deutschland schnuppe sein können, was die anderen machen, und hätte der Gesetzgeber juristisch autonom eine FTT einführen können? Es wäre mindestens auf das Kleingedruckte angekommen, das von der EU-Kommission geprüft worden wäre.
Denn bereits im Jahr 1969 haben die europäischen Mitgliedstaaten beschlossen, dass die Gesellschaftsteuer die im Rahmen des Europarechts einzige zulässige Steuer auf wesentliche Teile des Kapitalverkehrs sein dürfe. Seit 2008 allerdings ist auch sie ein Auslaufmodell, denn die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital, das heißt die Gesellschaftsteuer (Steuer auf die Einbringungen in Gesellschaften), die Wertpapiersteuer und die Steuer auf Umstrukturierungen, seien die Ursache von Diskriminierungen, Doppelbesteuerungen und Unterschiedlichkeiten, die den freien Kapitalverkehr in der EU behinderten. Dasselbe gelte für andere indirekte Steuern mit denselben Merkmalen wie die Kapitalsteuer. Seit 1985 stand es den Mitgliedstaaten frei, die normierte Gesellschaftsteuer zu erheben (elf tun dies partiell heute noch) – oder sie wahlweise ganz abzuschaffen. Von dieser Möglichkeit hat auch Deutschland bereits im Finanzmarktförderungsgesetz des Jahres 1990 Gebrauch gemacht, zur "Beseitigung des Wettbewerbsnachteils der deutschen Finanzmärkte".
Autonomieverluste durch Steuerwettbewerb
Im Bereich der persönlichen Einkommens- und Unternehmenbesteuerung zeigt sich hingegen, dass die rechtlichen Gestaltungsspielräume der europäischen Mitgliedstaaten deutlich weniger beschränkt sind. Verbindliche Regularien wurden seitens des Europäischen Rates und des EuGH in erster Linie zur Verhinderung von Doppelbesteuerungen für Private und Unternehmen getroffen sowie zur Förderung grenzüberschreitender Unternehmenszusammenschlüsse. Jede der Maßnahmen ist und war dabei in den Mitgliedstaaten teilweise massiv haushaltswirksam und schmälerte die Einnahmen zum Teil deutlich.
Dass die Unternehmen multinational Niederlassungen unterhalten, die auf der organisatorischen Ebene miteinander verwoben sind, erlaubt es diesen beispielsweise, in Niedrigsteuerländern allein zu dem Zweck Tochtergesellschaften zu gründen, um durch Transaktionen Gewinne dorthin zu verlagern und somit Steuern auf Kosten des Sitzlandes der Muttergesellschaft zu sparen. Umgekehrt können durch konzerninterne Transaktionen Verluste im Sitzland der Muttergesellschaft geltend gemacht werden. So können Unternehmen dank der Regelungen zur Verhinderung einer doppelten Besteuerung das Steuergefälle zwischen den Staaten ausnutzen.
Die EU-Kommission allerdings tat sich immer schwer damit, die Annäherung der Unternehmensbesteuerung dem EuGH zu überlassen. In mehreren Studien und Mitteilungen um die Jahrtausendwende verwies sie auf erhebliche steuerlich bedingte Schwierigkeiten bei der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Unternehmen innerhalb der EU. Unterschiedliche Regelungen zur Festsetzung der Steuerbemessungsgrundlage würden zahlreiche Probleme bei der Besteuerung von konzerninternen Vorgängen verursachen; die Befolgungskosten seien für die Unternehmen zu hoch und die Gefahr der Doppelbesteuerung sei nach wie vor existent. Eine der Maßnahmen, mit denen die Situation für die Unternehmen verbessert werden sollte, war eine auf mittelfristige Sicht einzuführende gemeinsame, konsolidierte Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage für grenzüberschreitende Unternehmenstätigkeiten mit dem Ziel, die Unternehmensteuersysteme der Mitgliedstaaten effizienter, wirksamer, einfacher und transparenter zu machen. Die Transparenz sollte dabei zum "fairen Steuerwettbewerb" der Mitgliedstaaten untereinander beitragen.
Doch auch bis heute ohne vollständig vereinheitlichte Bemessungsgrundlage haben die Maßnahmen der Angleichung den Steuerwettbewerb angeheizt: So sind Unternehmensteuersätze in einer Vielzahl von Ländern gesenkt worden. In den 27 Mitgliedstaaten der EU sanken diese von durchschnittlich 35,3 Prozent im Jahr 1996 auf 23,5 Prozent im Jahr 2012 ab.
Dazu muss gesagt werden, dass die Einkommensteuerspitzensteuersätze der Mitgliedstaaten – im Unterschied zu den im direkten Steuerwettbewerb befindlichen Unternehmensteuersätzen – nach wie vor deutlich unterschiedlich sind. Spitzenreiter sind Schweden mit 56,6 Prozent, Dänemark mit 55,4 und Belgien mit 53,7 Prozent. Schlusslicht ist Bulgarien mit 10 Prozent. Dort gilt – wie in einigen anderen Mitgliedstaaten – der Steuersatz als Flat Tax für alle Einkommensarten gleichermaßen: von Privaten, Unternehmen und aus Kapitaleinkünften. Auch die Slowakei ging diesen Weg. Es galt ein Einheitssteuersatz von 19 Prozent. Von diesem hat sich das Land gerade verabschiedet.
Die Frage ist also: Wollen wir ein Europa, das auf Kooperation, Ausgleich und die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse setzt und entsprechend bewusst weitere nationale Steuersouveränität an die Union abgibt, oder wollen wir ein Europa der Wettbewerbsstaaten, die sich bei der Besteuerung von Einkommen, Kapital, Erbschaften und Vermögen um den letzten Platz balgen?
Interessanterweise kennen gerade wir in Deutschland diese Diskussion aus unseren nationalen Debatten. Gerade haben die Länder Bayern und Hessen eine Klage beim Bundesverfassungsgericht eingereicht – sie wollen im Länderfinanzausgleich weniger bezahlen, wollen einen kräftigen Schritt in Richtung Wettbewerbsföderalismus gehen.
In der deutschen fiskalpolitischen Debatte ist dabei – im Unterschied zur europäischen – völlig klar, dass es bei der Auseinandersetzung, ob es hier (weiter) einen kooperativen Föderalismus gibt oder Bund und Länder noch deutlich wettbewerbsföderalere Strukturen bekommen sollen, auch um eine zutiefst ideologische Frage geht. Denn die Antwort impliziert jeweils eine spezifische Ausprägung von Staat, von mehr oder weniger Aufgaben, die dieser für Bürgerinnen und Bürger erfüllen soll. Nicht anders ist dies bezogen auf Europa. Und dafür lohnt sich ein etwas genauerer Blick auf die verschiedenen fiskalföderalen Ausprägungen.
Dem vorwiegend aus der Feder von Ökonomen stammenden Konzept des Wettbewerbsföderalismus geht es in erster Linie um die regionale Autonomie der dezentralen Gliedstaaten beziehungsweise Gebietskörperschaften, eine klare Aufteilung der Aufgaben und Finanzen zwischen diesen Ebenen und einem Steuerwettbewerb um die mobilen Bemessungsgrundlagen – also Einkommen, Kapital und Unternehmensgewinne. Steuerwettbewerb ist hier entsprechend keine unerwünschte Erscheinung, sondern konstitutives Element föderaler Staatlichkeit. Demgegenüber setzt ein kooperativer Föderalismus auf die Zusammenarbeit der Ebenen und auf Ausgleichsmaßnahmen unter ihnen. Ziel ist eine größtmögliche Rechtseinheit und soziale Umverteilung: unter den Gliedstaaten und unter den Bürgerinnen und Bürgern.
Handlungsfähigkeit der Ebenen
Was aber bedeutet das im Hinblick auf die Nationalstaaten und auf Europa? Welche Alternativen zur steuerpolitischen Verfasstheit der Ebenen – Länder, Bund, Europa – gibt es? Was bedeuten die Entwicklungen für die nationalen Wohlfahrtsstaaten? Im Hinblick auf die tatsächliche Gestaltung des kooperativen Föderalismus und eines nationalen Wohlfahrtsstaates hat der Nationalstaat Deutschland heute mit einigen Problemen zu kämpfen. Die größtmögliche Rechtseinheit ist auf nationaler Ebene nicht mehr organisierbar – zu viele der Gestaltungsmöglichkeiten werden auf europäischer Ebene reguliert. Ein Selbsterfindungsrecht von Steuern gibt es kaum noch, jedwede neue Steuer muss der europäischen Ebene zur "Genehmigung" vorgelegt werden. Auch haben Mitgliedstaaten kaum noch Möglichkeiten ihre indirekten Steuersysteme nach sozialeren Kriterien umzubauen. "Null-Prozent-Steuersätze" oder Luxussteuersätze sind als nationale Entscheidungen nicht mehr zu treffen. Dazu müsste europäisches Sekundärrecht geändert werden.
Im Hinblick auf die direkten Steuern auf die verschiedenen Einkommensarten sind mehrere Anmerkungen notwendig. Die deutsche Bundesregierung vertritt auf europäischer Ebene bewusst den Wettbewerbsgedanken. Das unbewusst-bewusste Laisser-faire wie im Falle der Vorgängerregierungen hatte allerdings dieselbe Wirkung. Denn so wurden zwar der freie Kapitalverkehr und die Niederlassungsfreiheit immer weiter durchgesetzt. Die Konsequenzen, dass mobile Bemessungsgrundlagen unterschiedlich hohe Steuersätze nutzen (oder nur damit drohen) und damit einen Steuerwettbewerb auslösen, wurden aber kaum diskutiert. Dieser Steuerwettbewerb hatte wiederum Auswirkungen auf die nationalen Budgets – der Höhe nach, aber auch im Hinblick auf die Zusammensetzung unter Gerechtigkeitsaspekten und auf die umverteilende Wirkung.
Auf der einen Seite sind Staaten darauf angewiesen, Steuereinnahmen zu erzielen, um soziale Rechte garantieren zu können wie etwa Transfereinkommen, soziale Dienste, die Sicherung von Gesundheit und Bildung oder auch um Interventionen aufgrund langsameren ökonomischen Wachstums und Arbeitslosigkeit zu finanzieren. Auf der anderen Seite stagnierten die Einnahmen aber bestenfalls oder sanken aufgrund von Steuerrechtsänderungen mit Blick auf den europäischen Steuerwettbewerb. In jedem Fall aber passen die Einnahmen seit einiger Zeit nicht (mehr) zu den Ausgaben.
Daneben hat auch eine Verschiebung stattgefunden – von direkten zu indirekten Steuern. Viele Mitgliedstaaten nutzten ihre Erhöhungsmöglichkeiten im Rahmen der Bandbreiten bei der Mehrwertsteuer und den speziellen Verbrauchsteuern, um die Senkung der Einkommensteuerspitzensätze und der Körperschaftsteuern auszugleichen oder zur Finanzierung der Folgen der Finanzkrise. Diese Veränderungen haben die Einkommensunterschiede in den jeweiligen Mitgliedstaaten nicht geschmälert, sondern deutlich vergrößert. Denn Mehrwert- und Verbrauchsteuern sind von allen Menschen in gleicher Höhe und unabhängig von der Höhe der individuellen Einkommen zu bezahlen. Und mit jeder Erhöhung der Steuersätze steigt auch die Belastung der Armen gegenüber den Reichen überproportional an.
Darüber hinaus wird die soziale Funktion der Besteuerung durch den Trend angegriffen, unterschiedliche Einkommensarten mit unterschiedlichen Steuersätzen zu belegen, wie es der dualen Einkommensteuer eigen ist: Immobile Lohneinkommen werden erheblich höher besteuert als mobiles Kapital und Unternehmen. In Deutschland werden Kapitalerträge seit 2009 nur noch mit 25 Prozent und nicht mehr mit dem persönlichen Einkommensteuersatz belegt. Auch dies verschärft die Einkommensdifferenzen je höher die Steuern auf Arbeit und je niedriger die Steuern auf Kapital und Unternehmensgewinne werden. Ganz zu schweigen davon, dass der Steuerwettbewerb zu Steuersatzsenkungen und damit zu einem Abflachen der Steuerprogression und damit der umverteilenden Wirkung des Steuersystems geführt hat.
Ist dies alles alternativlos? Keineswegs. Mitgliedstaaten können sich faktische Gestaltungsmöglichkeiten zurückholen – wenn sie Steuersouveränität an Europa abgeben und sie dort auch in einer kooperativen Weise nutzen. Dass sie heute gar keine gemeinsame autonomieschonende Lösung auf europäischer Ebene mehr suchen, hat mit einem Wandel zu tun: Steuerwettbewerb gilt heute als etwas Gutes und wird von den meisten politisch Verantwortlichen nicht infrage gestellt – mit den beschriebenen Auswirkungen in den Nationalstaaten.
Doch eine Rückkehr zum steuerpolitisch souveränen Nationalstaat kann es nicht geben – weil es im politischen Raum keinen Vernunftbegabten gibt, die oder der es angesichts der wirtschaftlichen Verflechtungen für machbar oder wünschbar hält, den gemeinsamen europäischen Markt aufzugeben. Und ein Binnenmarkt bedeutet eben auch freie Mobilität von Waren und Dienstleistungen, von Kapital und Arbeit. Dies wiederum bedeutet, dass es verbindliche Verabredungen darüber geben muss, wie Waren und Dienstleistungen, Kapital und Unternehmen besteuert werden sollen, sonst gäbe es neue (Steuer-)Grenzen. Aber es bedeutet nicht, dass es Steuerwettbewerb geben muss – mit negativen Auswirkungen für die nationalen Budgets und mit Restriktionen, welche die Korrektur der Wohlstandsverteilung immer unmöglicher macht und sich so um jedwede Legitimität bringt – in Deutschland und in Europa.