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Steuererhöhungen: Maß des Sozialen und des Rechts | Steuerpolitik | bpb.de

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Steuererhöhungen: Maß des Sozialen und des Rechts

Gregor Kirchhof

/ 12 Minuten zu lesen

Die Finanzkrise ist eine Krise des Rechtsstaats und der Demokratie. Hätten Deutschland und andere europäische Staaten in der Zeit vor der Krise nicht in einem kontinuierlichen Rechtsbruch die Staatsschulden auf ein kaum tragbares Maß erhöht, die Krise wäre wahrscheinlich schon gemeistert, der Schaden für die Gemeinwesen, für den sozialen Staat und die Demokratie, wäre jedenfalls deutlich geringer. Das Europarecht setzt der Staatsverschuldung klare Grenzen. Das geplante oder tatsächliche öffentliche Defizit darf nicht drei Prozent, der öffentliche Schuldenstand nicht 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu Marktpreisen überschreiten. Neben anderen europäischen Staaten verletzen auch die sogenannten Musterschüler Deutschland und Frankreich seit rund zehn Jahren – also bereits vor der Finanzkrise – diese Referenzwerte. Seit dem Jahr 2010 wahren nur Estland, Luxemburg und Finnland, also lediglich drei der 17 Eurostaaten dieses Maß. Der Schuldenstand beträgt im Euroraum durchschnittlich gegenwärtig nicht die geforderten 60, sondern über 90 Prozent des BIP.

Deutschland hat aber nicht nur die europäischen, sondern auch die grundgesetzlichen Schuldengrenzen kontinuierlich missachtet. Seit den 1970er Jahren wurde der Kredit entgegen den Vorgaben des Grundgesetzes zu einem selbstverständlichen Finanzierungsmittel der öffentlichen Hand. Historisch hätte die umgekehrte Entwicklung näher gelegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten einzigartige Aufbauarbeiten von vergleichsweise wenigen Menschen geleistet werden. Die Politik versuchte später, Staatsschulden damit zu rechtfertigen, dass eine Sondersituation zum Nutzen späterer Generationen zu meistern sei. Zu keinem Zeitpunkt der Geschichte der Bundesrepublik war diese Argumentation treffender als unmittelbar nach dem Krieg – Schulden wurden aber kaum aufgenommen.

Den Paradigmenwechsel im Umgang mit den Staatsschulden mag der Rücktritt des Bundesfinanzministers Alex Möller im Frühjahr 1971 verdeutlichen. Möller wollte eine Kreditaufnahme des Bundes von umgerechnet über acht Milliarden Euro nicht verantworten und trat in Sorge um die "finanzpolitische Solidität" zurück. Aus vergleichbaren Motiven ist seitdem kein Finanzminister zurückgetreten, obwohl die beschriebenen Gefahren größer geworden sind. Vielmehr erlaubt die 2009 in Kraft getretene neue Schuldenbremse des Grundgesetzes (GG) dem Bund nun, Kredite in Höhe von 0,35 Prozent des BIP aufzunehmen. Dies wären gegenwärtig rund neun Milliarden Euro und damit etwas mehr als der Betrag, der den Finanzminister rund 40 Jahre zuvor zum Rücktritt bewegte.

Die Folgen der Rechtsvergessenheit sind dramatisch. Die expliziten Schulden der Bundesrepublik betragen gegenwärtig über 2.000 Milliarden Euro, also im Vergleich zum Beginn der 1970er Jahre mehr als das 30-Fache. Hinzu treten die schwer zu bemessenden, aber deutlich höheren impliziten Staatsschulden, die auf zukünftige Leistungen aus den umlagefinanzierten Sozialversicherungen und Versorgungsansprüchen der Beamten zurückzuführen sind. Die Gesamtlast wird sich aufgrund der wenig vitalen demografischen Entwicklung in Deutschland beträchtlich erhöhen.

Die Staatsschuldenpolitik war und ist "zukunftsvergessen". In der Zeit vor der Finanzkrise, in den Jahren 1950 bis 2008, haben Bund, Länder und Gemeinden rund 1.600 Milliarden Euro an Krediten aufgenommen und etwa 1.500 Milliarden Euro für Zinsen ausgegeben. Die Finanzkraft der öffentlichen Hand wurde durch die Kreditaufnahme also kaum erhöht. Die immensen Zins- und Tilgungslasten werden das Gemeinwesen aber lange behindern.

Der kontinuierliche Rechtsbruch hat die Finanzkrise dramatisch verschärft und die parlamentarische Demokratie nachhaltig geschwächt. Dies liegt für Griechenland auf der Hand. Doch auch der Entscheidungsraum des Deutschen Bundestags hat sich deutlich verkleinert, wenn dieser im zweitgrößten Haushaltsposten jährlich rund 30 Milliarden Euro allein für Schuldzinsen ausgibt, wenn die Gewährleistungen für die "Eurorettung" den Entscheidungsraum weiter verengen, wenn eine Zinserhöhung um ein Prozent die jährliche Zinslast des Bundes um rund zehn Milliarden Euro erhöhen würde und so eine Abhängigkeit der Politik vom Finanzmarkt deutlich wird. Absprachen zwischen Regierungen werden nicht zu Unrecht als notwendige Folge der europäischen Integration, der internationalen Zusammenarbeit und insbesondere der Krisenbewältigung verstanden. Doch dürfen sich die nationalen Parlamente nicht damit begnügen, die errungenen Kompromisse nur noch nachzuzeichnen. Bundestag und Bundesrat haben dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zugestimmt, ohne dass die Abgeordneten hierüber umfassend und kritisch debattiert hätten. Hätte eine solche Debatte stattgefunden, wäre wahrscheinlich besseres Recht gesetzt, zumindest aber das notwendige Vertrauen in die eingeschlagenen Wege gestärkt worden.

Nach Jahrzehnten der Missachtung des Stabilitätsrechts setzen Deutschland und Europa nun auf das Recht, um die Finanzkrise zu bewältigen. Mit den Reformen in den Jahren 2009 und 2012 wurde für einen Weg zurück zum Recht Übergangsrecht geschaffen. Dieser Weg ist – hier ist der Begriff treffend – alternativlos. Freiheit und Demokratie sind ohne das Recht nicht möglich. Der Schaden für den Rechtsstaat und der Vertrauensverlust wären kaum tragbar, wenn das neu erlassene deutsche und europäische Staatsschuldenrecht umgehend wieder verletzt würde. Ohne die parlamentarischen und öffentlichen Debatten über die Bewältigung der Finanzkrise wird das für diese Herkulesaufgabe notwendige Vertrauen der Bürger – auch der Finanzmärkte – kaum gewonnen.

Modell des sozialen Staats

Demokratie und der soziale Rechtsstaat sind Voraussetzungen legitimer öffentlicher Gewalt. Die hohe Staatsverschuldung stellt gegenwärtig insbesondere die Fragen nach der Sicherheit sozialer Leistungen, nach dem Bestand von Geldvermögen, aufgrund der niedrigen Zinsen auch nach dem Erhalt von Versicherungsleistungen, die für viele für das Auskommen nach dem Erwerbsleben maßgeblich sind, und schließlich nach der Gleichheit in der Zeit und nach der Lastenverteilung zwischen den Generationen. Selbstredend sollte sich keine öffentliche Hand sozialstaatliche Hypertrophien leisten. Doch sind die Hilfen für Bedürftige, die hohen Standards in den Krankenversicherungen, allgemein die sozialstaatlichen Leistungen zentrale Errungenschaften unseres Gemeinwesens, die beizubehalten sind. Die Finanzkrise darf nicht dazu führen, den sozialen Staat zu vernachlässigen. Dieser muss vielmehr – wie Rechtsstaat und Demokratie – zu einem Modell, zum Maß für andere Staaten werden.

Gleichwohl verdeutlicht die Finanzkrise, dass Einsparungen bei den Ausgaben des Staates und der Europäischen Union vorzunehmen, die nationalen und europäischen Aufgaben der öffentlichen Hand zu überdenken und angemessen zurückzuschneiden sind. Nur dann wird der Schuldenabbau gelingen und ist der Ruf nach Steuererhöhungen politisch legitim. Etwaige Steuererhöhungen müssen das Maß des Sozialen und des Rechts wahren.

Die

Umsatzsteuer

ist die größte Steuerquelle des Staates. Eine Umsatzsteuererhöhung könnte die Staatseinnahmen daher erheblich steigern. Die Umsatzsteuer unterscheidet nicht unmittelbar nach der individuellen Leistungsfähigkeit, differenziert kaum nach den Gründen, warum umsatzsteuerpflichtige Leistungen entgegengenommen werden, ob jemand konsumieren muss oder eine leicht verzichtbare Kaufentscheidung trifft. Erhöhungen der Umsatzsteuer, wie auch der weniger ergiebigen Energie- oder Kfz-Steuern, drohen daher, die soziale Perspektive zu vernachlässigen, insbesondere Leistungsschwache übermäßig zu belasten. Die Umsatzsteuer sollte folglich nicht erhöht werden.

Eine maßvolle Erhöhung der

Erbschaftsteuer

würde aufgrund des geringen Aufkommens die Einnahmen kaum erhöhen. Gegenwärtig werden ernsthafte verfassungsrechtliche Einwände gegen das geltende Erbschafsteuersystem erhoben. Die Erbschaftsteuer werde – so die Kritik – nicht im Sinne einer Leistungsgerechtigkeit gleichmäßig erhoben. Von einer Erbschaftsteuererhöhung sollte daher jedenfalls gegenwärtig Abstand genommen werden.

Nicht zu Unrecht konzentriert sich die Diskussion über Steuererhöhungen auf die

Einkommensteuer.

Sie wird – trotz zahlreicher Steuerschlupflöcher und Systembrüche – als die gleichheitsgerechteste Steuer bezeichnet, weil sie am ehesten die subjektive Leistungsfähigkeit, die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen berücksichtigt.

Schließlich wird erwogen, eine einmalige

Vermögensabgabe

einzuführen, um hierdurch die Lasten der Krise zu finanzieren. Eine solche Abgabe verletzt aber jedenfalls gegenwärtig die Verfassung, droht den rechtsstaatlichen Pfad zur Überwindung der Finanzkrise zu verlassen. Der Bund darf "einmalige Vermögensabgaben" im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 (1) GG unter drei Voraussetzungen erheben. Das Adjektiv einmalig und der Begriff der Abgabe betonen, dass die Vermögensabgabe in Abgrenzung zur Vermögensteuer nur einmal und nicht laufend erhoben werden darf (einmalige Erhebung), um einen besonderen Bedarf des Bundes zu finanzieren (Zweckbindung im Bundeshaushalt). Das GG sprach in seiner ursprünglichen Fassung von "einmaligen Zwecken dienenden Vermögensabgaben". Im Jahr 1955 wurde der Wortlaut in die geltende Fassung geändert, ohne das Regelungskonzept zu ändern. Die Verfassung bestätigt so die Debatten im Parlamentarischen Rat, wonach eine einmalige Abgabe geregelt werden sollte, "die unter Umständen erhoben werden muss", die "bei Notständen" abzuführen sei (einzigartige Situation und Finanzlast).

Diese Deutung wurde jüngst in Teilen bestätigt – jedoch mit einem maßgeblichen Unterschied: Das GG fordere nur einen außerordentlichen Finanzbedarf des Bundes. Auf die Ursachen dieses Bedarfs, auf ein einzigartiges Ereignis komme es nicht an. Wortlaut, Entstehungsgeschichte, System und Regelungsgrund der Bestimmung stehen dieser Deutung allerdings entgegen. Rein aus den Kosten ist die Einmaligkeit der Vermögensabgabe, ist der "Notstand", sind die "einmaligen Zwecke" kaum zu definieren. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass der Bund maßlos Finanzmittel ausgibt, etwa die Garantien für die Eurorettung deutlich erhöht, um einmalige Vermögensabgaben zu rechtfertigen. Die Vermögensabgabe will in einer Not die für ihre Linderung maßgeblichen Mittel bereitstellen, nicht aber jeden besonderen Finanzbedarf des Bundes stillen. Die öffentliche Hand greift durch die einmalige Abgabe auf Vermögen zu, die zu einem bestimmten Zeitpunkt eine gewisse Höhe erreicht haben. Die Vermögensabgabe muss sich daher in besonderer Weise vor dem Gleichheitssatz rechtfertigen, weil – anders als bei der Vermögensteuer – Vermögen, die kurz vor oder nach dem Stichtag das abgabenpflichtige Maß erreichen, nicht herangezogen werden. Diese Rechtfertigung gelingt aufgrund der einzigartigen Situation, die anders nicht zu meistern ist. Nur in diesen Fällen erlaubt das Grundgesetz, durch die Vermögensabgabe und Vermögensteuer doppelt auf das Vermögen zuzugreifen.

Im Zusammenhang mit dieser Diskussion wird gegenwärtig angenommen, die Finanzkrise verursache eine einmalige Finanzlast, die eine einmalige Vermögensabgabe rechtfertige. Der Gesetzgeber habe die Banken- und Finanzkrise bereits als außergewöhnliche Notsituation im Sinne der neuen grundgesetzlichen Schuldenbremse begriffen. Das Bundesverfassungsgericht werde diese Einschätzung in einem möglichen Verfahren gegen eine einmalige Vermögensabgabe kaum beanstanden.

Doch unterscheiden sich die Vorgaben für einmalige Vermögensabgaben von den außergewöhnlichen Notsituationen, welche die neue Schuldenbremse regelt. Die Schuldenbremse erlaubt in Krisenlagen Kredite aufzunehmen, die aber in angemessener Frist zurückzuführen sind. Demgegenüber geht Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 (1) GG von einem höheren Finanzbedarf aus, der gerade nicht zeitnah durch die allgemeinen Staatseinnahmen gemeistert werden kann. Dieser Bedarf könnte in Orientierung am Bundeshaushalt, am allgemeinen Steueraufkommen bemessen werden, weil er sich – auch nach einer Steuererhöhung – hieraus nicht finanzieren lässt. Es bestehen ernstliche Zweifel, dass die Finanzkrise solche Lasten für Deutschland bewirkt. Jedenfalls müsste der Bundestag die Einzigartigkeit der Finanzkrise und des durch sie verursachten Finanzbedarfs darlegen. Dies ist bislang aus guten Gründen nicht geschehen. Die Folgen der Finanzkrise sind deshalb so dramatisch, weil zahlreiche Staaten das Stabilitätsrecht kontinuierlich über Jahrzehnte hinweg verletzt haben. Hier von einem einmaligen Ereignis zu sprechen, liegt fern. Die Finanzkrise rechtfertigt jedenfalls gegenwärtig, in einer Zeit der Konsolidierung, keine einmaligen Vermögensabgaben.

Ohnehin würde die Abgabe nur schwer den grundrechtlichen Vorgaben genügen. Vermögen wird regelmäßig aus einem bereits versteuerten Einkommen erworben. Hinzu treten die indirekten Steuern beim Erwerb – die Umsatzsteuer oder die Grunderwerbsteuer – sowie bei Grundstücken die Grundsteuer. In dieser Kumulation der Steuerlasten darf die Vermögensteuer nicht dazu führen, dass das Eigentum schrittweise konfisziert wird. Sie muss folglich – so fährt das Bundesverfassungsgericht fort – die Vermögenssubstanz unberührt lassen und aus den üblicherweise zu erwartenden Vermögenserträgen entrichtet werden können.

Fraglich ist, ob dieser für die Vermögensteuer entwickelte Maßstab auf einmalige Vermögensabgaben übertragen werden kann. Aufgrund ihres einmaligen Zugriffs scheint eine maßvolle Vermögensabgabe kaum Gefahr zu laufen, das Eigentum zu konfiszieren. Jedoch könnte die Vermögensabgabe zur Vermögensteuer treten. Das Vermögen würde dann doppelt und möglicherweise unzumutbar belastet. In einer völkerrechtlichen Perspektive hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass einmalige Vermögensabgaben keinen "konfiskatorischen Effekt" haben dürfen. Später führte es aus, dass Notlagen – als Beispiele werden das Reichsnotopfergesetz und der Kriegslastenausgleich genannt – auch eine Belastung der Vermögenssubstanz rechtfertigen können. In solchen Fällen dürfen auch einmalige Vermögensabgaben erhoben werden. Doch darf die Abgabe auch dann das Eigentum nicht übermäßig belasten, dieses nicht konfiszieren, sind Ausnahmeregelungen für Härtefälle vorzusehen.

Das Vermögen müsste zudem gleichheitsgerecht bewertet und die Abgabe sodann gleichmäßig erhoben werden (Art. 3 Abs. 1 GG). In der Praxis werden erhebliche Probleme auftreten, wenn Immobilien, Kunstwerke, Möbel und Fahrzeuge zu bewerten und den Steuerpflichtigen zuzuordnen sind, wenn Altersbezüge und Versicherungen in die Bewertung aufgenommen werden und die Zahl der Abgabenpflichtigen sich dann sachwidrig erhöhen könnte. Selbst Studien, die sich für die Einführung einer einmaligen Vermögensabgabe aussprechen, weisen auf die hohen Erhebungskosten, die Schätzrisiken, Bewertungskonflikte, die aufwendigen Informationspflichten und die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten, welche die Abgabe mit sich bringen würde. Die Vermögensteuer ist Mitte der 1990er Jahr gescheitert, weil sie nicht gleichheitsgerecht erhoben wurde.

Die Finanzkrise rechtfertigt derzeit nicht, einmalige Vermögensabgaben zu erheben. Ohnehin müsste eine solche Abgabe schwer überwindbare grundrechtliche Hürden meistern. Bundesregierungen unterschiedlicher Zusammensetzung sind in der Vergangenheit mit guten Gründen Vorschlägen, einmalige Vermögensabgaben einzuführen, nicht gefolgt.

Recht und Gerechtigkeit

Die Höhe von Steuern und Staatsschulden wird nicht selten als Gerechtigkeitsfrage verstanden. Die "soziale" Gerechtigkeit fordere, Bedürftigen stärker zu helfen, die Staatseinnahmen – sei es durch Steuern oder Kredite – zu erhöhen. Steuergerechtigkeit bedeutet für manche, bestimmte Steuern zu erheben, für andere hingegen, bei steigenden Staatseinnahmen die Steuern zu senken. Die Sozialleistungen zu erhöhen, liegt der Steuergerechtigkeit jedoch fern. Die Generationengerechtigkeit wird schließlich als dringender Appell verstanden, den enormen Schuldensockel abzutragen, damit sich die Gemeinschaft nicht weiter auf Kosten ihrer Kinder finanziert. Dieser Gerechtigkeitsgedanke legt daher nahe, Steuern zu erhöhen und Sozialleistungen zu überprüfen. Die Frage nach der Gerechtigkeit greift in diesen unterschiedlichen Perspektiven, die zuweilen Gegenteiliges erwarten, über die Diskussion über das Gemeinwohl hinaus.

Seit der Aufklärung setzt die legitime öffentliche Gewalt nicht mehr auf ein vorgegebenes Gemeinwohl, sondern auf Rechtsstaat und Demokratie, auf Parlament und Regierung, die in den Grenzen des Rechts dem Wohl aller dienen. Zentraler Pfeiler dieser modernen öffentlichen Gewalt, den die Aufklärung errichtete und den das Grundgesetz und das Europarecht ausdrücklich anordnen, ist die Allgemeinheit des Gesetzes.

Die Menschen erwarten weniger eine inhaltlich bestimmte "gerechte Regel" vom Gesetzgeber – dass die Eurohilfen gesenkt oder Vermögensabgaben erhoben werden. Ein Gesetz wird dann als gerecht empfunden, wenn es dauerhaft für alle gilt und gleichmäßig angewandt wird, wenn es allgemein ist. Dieser Gerechtigkeitsgedanke fordert, das neue deutsche und europäische Staatsschuldenrecht in einem Willen zum Recht zu befolgen, er drängt, Abgaben, gegen die ernstliche verfassungsrechtliche Einwände erhoben werden, nicht einzuführen oder zu erhöhen, bevor diese Einwände ausgeräumt sind, und legt schließlich Gesetzesreformen nahe, durch Systembrüche und Vollzugsschwierigkeiten geprägte Rechtsbereiche etwa des Steuerrechts in sachgerechten vollziehbaren Verallgemeinerungen zu kodifizieren.

Die parlamentarische Demokratie wirkt durch die Parlamentsgesetze. Der Rechtsstaat fordert, das Recht zu wahren. Gerechtigkeit, Rechtsstaat und Demokratie erwarten in der Finanzkrise, allgemeine Gesetze zu erlassen, die begriffen und eingehalten werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bundesministerium der Finanzen (BMF) (Hrsg.), Monatsbericht Dezember 2012, Berlin 2012, S. 86f.

  2. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Schulden der öffentlichen Haushalte, Wiesbaden 2012, S. 23f.

  3. Vgl. Alex Möller, Genosse Generaldirektor, München 1978, S. 486; ders., Tatort Politik, München 1982, S. 366ff. Vgl. zur Kreditaufnahme: Statistisches Bundesamt (Anm. 2), S. 23f.

  4. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Bruttoinlandsprodukt 2011 für Deutschland, Wiesbaden 2012, S. 12.

  5. Vgl. BMF (Anm. 1), S. 83; Statistisches Bundesamt (Anm. 2), S. 21, S. 25.

  6. Vgl. Institut für den öffentlichen Sektor (Hrsg.), Runter vom Schuldenberg, 2011, S. 10f.: Externer Link: http://www.publicgovernance.de/docs/Positionspapier_Runter_vom_Schuldenberg.pdf (29.1.2013).

  7. Vgl. BMF (Anm. 1), S. 74.

  8. Vgl. Bund der Steuerzahler (Hrsg.), Zinsausgaben der öffentlichen Haushalte in Deutschland, Berlin 2011.

  9. Vgl. Art. 143d GG; Art. 12 ESM; Art. 3 Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion.

  10. Vgl. Andreas Voßkuhle, Rede zum Präsidentenwechsel beim Bundesverfassungsgericht am 14. Mai 2010 in Karlsruhe.

  11. Vgl. BFH vom 27.9.2012 – II R 9/11.

  12. Klaus Tipke et al., Steuerrecht, 20. völlig überarbeitete Auflage, Köln 2010, §9 Rn. 1.

  13. Vgl. Gregor Kirchhof, Vermögensabgaben aus verfassungsrechtlicher Sicht, in: Steuer und Wirtschaft, 88 (2011), S. 191ff. (m.w.H.).

  14. Art. 106 Abs. 1 GG vom 23. Mai 1949, BGBl. 1.

  15. Vgl. Änderung vom 23. Dezember 1955, BGBl. I, 817.

  16. Der Parlamentarische Rat: 1948–1949, Bd. 12, herausgegeben vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv, München 1999, S. 423f.

  17. Vgl. Joachim Wieland, Vermögensabgaben im Sinne von Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 GG, Rechtsgutachten, Düsseldorf 2012, S. 21ff., S. 33f.

  18. Vgl. BT-Drs. 16/12410, S. 11.

  19. Vgl. J. Wieland (Anm. 17), S. 27f.

  20. Vgl. Art. 115 Abs. 2 S. 6 bis 8, Art. 109 Abs. 3 S. 2 Alt. 2, S. 3 GG.

  21. Vgl. BVerfGE 93, 121 (138).

  22. Vgl. G. Kirchhof (Anm. 13), S. 199f.; J. Wieland (Anm. 17), S. 29.

  23. Vgl. BVerfGE 23, 288 (305).

  24. Vgl. BVerfGE 93, 121 (137f.).

  25. Vgl. Stefan Bach/Martin Beznoska/Viktor Steiner, Aufkommens- und Verteilungswirkungen einer Grünen Vermögensabgabe, Berlin 2010, S. 10ff., S. 67ff.

  26. Vgl. BVerfGE 93, 121 (142ff.).

  27. Vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG; Art. 288 Abs. 2 und 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU; Gregor Kirchhof, Die Allgemeinheit des Gesetzes, Tübingen 2009, S. 125ff., S. 174ff., S. 386ff.

  28. Vgl. Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts [1852–1865], 2. Teil, 1. Abteilung, Leipzig 19548, S. 35; Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie [1932], Heidelberg 1999, S. 26; Herbert L.A. Hart, The Concept of Law, Oxford 1961, S. 20.

Dr. jur., LL. M., geb. 1971; Professor für Öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht, Juristische Fakultät der Universität Augsburg, Universitätsstraße 24, 86159 Augsburg. E-Mail Link: sekretariat.kirchhof@jura.uni-augsburg.de