Die Finanzkrise ist eine Krise des Rechtsstaats und der Demokratie. Hätten Deutschland und andere europäische Staaten in der Zeit vor der Krise nicht in einem kontinuierlichen Rechtsbruch die Staatsschulden auf ein kaum tragbares Maß erhöht, die Krise wäre wahrscheinlich schon gemeistert, der Schaden für die Gemeinwesen, für den sozialen Staat und die Demokratie, wäre jedenfalls deutlich geringer. Das Europarecht setzt der Staatsverschuldung klare Grenzen. Das geplante oder tatsächliche öffentliche Defizit darf nicht drei Prozent, der öffentliche Schuldenstand nicht 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu Marktpreisen überschreiten. Neben anderen europäischen Staaten verletzen auch die sogenannten Musterschüler Deutschland und Frankreich seit rund zehn Jahren – also bereits vor der Finanzkrise – diese Referenzwerte. Seit dem Jahr 2010 wahren nur Estland, Luxemburg und Finnland, also lediglich drei der 17 Eurostaaten dieses Maß. Der Schuldenstand beträgt im Euroraum durchschnittlich gegenwärtig nicht die geforderten 60, sondern über 90 Prozent des BIP.
Deutschland hat aber nicht nur die europäischen, sondern auch die grundgesetzlichen Schuldengrenzen kontinuierlich missachtet. Seit den 1970er Jahren wurde der Kredit entgegen den Vorgaben des Grundgesetzes zu einem selbstverständlichen Finanzierungsmittel der öffentlichen Hand. Historisch hätte die umgekehrte Entwicklung näher gelegen. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten einzigartige Aufbauarbeiten von vergleichsweise wenigen Menschen geleistet werden. Die Politik versuchte später, Staatsschulden damit zu rechtfertigen, dass eine Sondersituation zum Nutzen späterer Generationen zu meistern sei. Zu keinem Zeitpunkt der Geschichte der Bundesrepublik war diese Argumentation treffender als unmittelbar nach dem Krieg – Schulden wurden aber kaum aufgenommen.
Den Paradigmenwechsel im Umgang mit den Staatsschulden mag der Rücktritt des Bundesfinanzministers Alex Möller im Frühjahr 1971 verdeutlichen. Möller wollte eine Kreditaufnahme des Bundes von umgerechnet über acht Milliarden Euro nicht verantworten und trat in Sorge um die "finanzpolitische Solidität" zurück.
Die Folgen der Rechtsvergessenheit sind dramatisch. Die expliziten Schulden der Bundesrepublik betragen gegenwärtig über 2.000 Milliarden Euro, also im Vergleich zum Beginn der 1970er Jahre mehr als das 30-Fache.
Die Staatsschuldenpolitik war und ist "zukunftsvergessen". In der Zeit vor der Finanzkrise, in den Jahren 1950 bis 2008, haben Bund, Länder und Gemeinden rund 1.600 Milliarden Euro an Krediten aufgenommen und etwa 1.500 Milliarden Euro für Zinsen ausgegeben.
Der kontinuierliche Rechtsbruch hat die Finanzkrise dramatisch verschärft und die parlamentarische Demokratie nachhaltig geschwächt. Dies liegt für Griechenland auf der Hand. Doch auch der Entscheidungsraum des Deutschen Bundestags hat sich deutlich verkleinert, wenn dieser im zweitgrößten Haushaltsposten jährlich rund 30 Milliarden Euro allein für Schuldzinsen ausgibt,
Nach Jahrzehnten der Missachtung des Stabilitätsrechts setzen Deutschland und Europa nun auf das Recht, um die Finanzkrise zu bewältigen. Mit den Reformen in den Jahren 2009 und 2012 wurde für einen Weg zurück zum Recht Übergangsrecht geschaffen.
Modell des sozialen Staats
Demokratie und der soziale Rechtsstaat sind Voraussetzungen legitimer öffentlicher Gewalt. Die hohe Staatsverschuldung stellt gegenwärtig insbesondere die Fragen nach der Sicherheit sozialer Leistungen, nach dem Bestand von Geldvermögen, aufgrund der niedrigen Zinsen auch nach dem Erhalt von Versicherungsleistungen, die für viele für das Auskommen nach dem Erwerbsleben maßgeblich sind, und schließlich nach der Gleichheit in der Zeit und nach der Lastenverteilung zwischen den Generationen. Selbstredend sollte sich keine öffentliche Hand sozialstaatliche Hypertrophien leisten. Doch sind die Hilfen für Bedürftige, die hohen Standards in den Krankenversicherungen, allgemein die sozialstaatlichen Leistungen zentrale Errungenschaften unseres Gemeinwesens, die beizubehalten sind. Die Finanzkrise darf nicht dazu führen, den sozialen Staat zu vernachlässigen. Dieser muss vielmehr – wie Rechtsstaat und Demokratie – zu einem Modell, zum Maß für andere Staaten werden.
Gleichwohl verdeutlicht die Finanzkrise, dass Einsparungen bei den Ausgaben des Staates und der Europäischen Union vorzunehmen, die nationalen und europäischen Aufgaben der öffentlichen Hand zu überdenken und angemessen zurückzuschneiden sind. Nur dann wird der Schuldenabbau gelingen und ist der Ruf nach Steuererhöhungen politisch legitim. Etwaige Steuererhöhungen müssen das Maß des Sozialen und des Rechts wahren.
Die
Umsatzsteuer
ist die größte Steuerquelle des Staates. Eine Umsatzsteuererhöhung könnte die Staatseinnahmen daher erheblich steigern. Die Umsatzsteuer unterscheidet nicht unmittelbar nach der individuellen Leistungsfähigkeit, differenziert kaum nach den Gründen, warum umsatzsteuerpflichtige Leistungen entgegengenommen werden, ob jemand konsumieren muss oder eine leicht verzichtbare Kaufentscheidung trifft. Erhöhungen der Umsatzsteuer, wie auch der weniger ergiebigen Energie- oder Kfz-Steuern, drohen daher, die soziale Perspektive zu vernachlässigen, insbesondere Leistungsschwache übermäßig zu belasten. Die Umsatzsteuer sollte folglich nicht erhöht werden.
Eine maßvolle Erhöhung der
Erbschaftsteuer
würde aufgrund des geringen Aufkommens die Einnahmen kaum erhöhen. Gegenwärtig werden ernsthafte verfassungsrechtliche Einwände gegen das geltende Erbschafsteuersystem erhoben. Die Erbschaftsteuer werde – so die Kritik – nicht im Sinne einer Leistungsgerechtigkeit gleichmäßig erhoben.
Nicht zu Unrecht konzentriert sich die Diskussion über Steuererhöhungen auf die
Einkommensteuer.
Sie wird – trotz zahlreicher Steuerschlupflöcher und Systembrüche – als die gleichheitsgerechteste Steuer bezeichnet, weil sie am ehesten die subjektive Leistungsfähigkeit, die persönlichen Verhältnisse des Steuerpflichtigen berücksichtigt.
Schließlich wird erwogen, eine einmalige
Vermögensabgabe
einzuführen, um hierdurch die Lasten der Krise zu finanzieren. Eine solche Abgabe verletzt aber jedenfalls gegenwärtig die Verfassung, droht den rechtsstaatlichen Pfad zur Überwindung der Finanzkrise zu verlassen. Der Bund darf "einmalige Vermögensabgaben" im Sinne des Art. 106 Abs. 1 Nr. 5 (1) GG unter drei Voraussetzungen erheben.
Diese Deutung wurde jüngst in Teilen bestätigt – jedoch mit einem maßgeblichen Unterschied: Das GG fordere nur einen außerordentlichen Finanzbedarf des Bundes. Auf die Ursachen dieses Bedarfs, auf ein einzigartiges Ereignis komme es nicht an.
Im Zusammenhang mit dieser Diskussion wird gegenwärtig angenommen, die Finanzkrise verursache eine einmalige Finanzlast, die eine einmalige Vermögensabgabe rechtfertige. Der Gesetzgeber habe die Banken- und Finanzkrise bereits als außergewöhnliche Notsituation im Sinne der neuen grundgesetzlichen Schuldenbremse begriffen.
Doch unterscheiden sich die Vorgaben für einmalige Vermögensabgaben von den außergewöhnlichen Notsituationen, welche die neue Schuldenbremse regelt. Die Schuldenbremse erlaubt in Krisenlagen Kredite aufzunehmen, die aber in angemessener Frist zurückzuführen sind.
Ohnehin würde die Abgabe nur schwer den grundrechtlichen Vorgaben genügen. Vermögen wird regelmäßig aus einem bereits versteuerten Einkommen erworben. Hinzu treten die indirekten Steuern beim Erwerb – die Umsatzsteuer oder die Grunderwerbsteuer – sowie bei Grundstücken die Grundsteuer. In dieser Kumulation der Steuerlasten darf die Vermögensteuer nicht dazu führen, dass das Eigentum schrittweise konfisziert wird. Sie muss folglich – so fährt das Bundesverfassungsgericht fort – die Vermögenssubstanz unberührt lassen und aus den üblicherweise zu erwartenden Vermögenserträgen entrichtet werden können.
Fraglich ist, ob dieser für die Vermögensteuer entwickelte Maßstab auf einmalige Vermögensabgaben übertragen werden kann. Aufgrund ihres einmaligen Zugriffs scheint eine maßvolle Vermögensabgabe kaum Gefahr zu laufen, das Eigentum zu konfiszieren.
Das Vermögen müsste zudem gleichheitsgerecht bewertet und die Abgabe sodann gleichmäßig erhoben werden (Art. 3 Abs. 1 GG). In der Praxis werden erhebliche Probleme auftreten, wenn Immobilien, Kunstwerke, Möbel und Fahrzeuge zu bewerten und den Steuerpflichtigen zuzuordnen sind, wenn Altersbezüge und Versicherungen in die Bewertung aufgenommen werden und die Zahl der Abgabenpflichtigen sich dann sachwidrig erhöhen könnte. Selbst Studien, die sich für die Einführung einer einmaligen Vermögensabgabe aussprechen, weisen auf die hohen Erhebungskosten, die Schätzrisiken, Bewertungskonflikte, die aufwendigen Informationspflichten und die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten, welche die Abgabe mit sich bringen würde.
Die Finanzkrise rechtfertigt derzeit nicht, einmalige Vermögensabgaben zu erheben. Ohnehin müsste eine solche Abgabe schwer überwindbare grundrechtliche Hürden meistern. Bundesregierungen unterschiedlicher Zusammensetzung sind in der Vergangenheit mit guten Gründen Vorschlägen, einmalige Vermögensabgaben einzuführen, nicht gefolgt.
Recht und Gerechtigkeit
Die Höhe von Steuern und Staatsschulden wird nicht selten als Gerechtigkeitsfrage verstanden. Die "soziale" Gerechtigkeit fordere, Bedürftigen stärker zu helfen, die Staatseinnahmen – sei es durch Steuern oder Kredite – zu erhöhen. Steuergerechtigkeit bedeutet für manche, bestimmte Steuern zu erheben, für andere hingegen, bei steigenden Staatseinnahmen die Steuern zu senken. Die Sozialleistungen zu erhöhen, liegt der Steuergerechtigkeit jedoch fern. Die Generationengerechtigkeit wird schließlich als dringender Appell verstanden, den enormen Schuldensockel abzutragen, damit sich die Gemeinschaft nicht weiter auf Kosten ihrer Kinder finanziert. Dieser Gerechtigkeitsgedanke legt daher nahe, Steuern zu erhöhen und Sozialleistungen zu überprüfen. Die Frage nach der Gerechtigkeit greift in diesen unterschiedlichen Perspektiven, die zuweilen Gegenteiliges erwarten, über die Diskussion über das Gemeinwohl hinaus.
Seit der Aufklärung setzt die legitime öffentliche Gewalt nicht mehr auf ein vorgegebenes Gemeinwohl, sondern auf Rechtsstaat und Demokratie, auf Parlament und Regierung, die in den Grenzen des Rechts dem Wohl aller dienen. Zentraler Pfeiler dieser modernen öffentlichen Gewalt, den die Aufklärung errichtete und den das Grundgesetz und das Europarecht ausdrücklich anordnen, ist die Allgemeinheit des Gesetzes.
Die Menschen erwarten weniger eine inhaltlich bestimmte "gerechte Regel" vom Gesetzgeber – dass die Eurohilfen gesenkt oder Vermögensabgaben erhoben werden. Ein Gesetz wird dann als gerecht empfunden, wenn es dauerhaft für alle gilt und gleichmäßig angewandt wird, wenn es allgemein ist.
Die parlamentarische Demokratie wirkt durch die Parlamentsgesetze. Der Rechtsstaat fordert, das Recht zu wahren. Gerechtigkeit, Rechtsstaat und Demokratie erwarten in der Finanzkrise, allgemeine Gesetze zu erlassen, die begriffen und eingehalten werden.