Steuerpolitik ist für viele der Inbegriff eines trockenen und komplizierten Politikfeldes. Die Freude am Dickicht verschiedener Paragrafen und Regelungen scheint lediglich Expertinnen und Experten vorbehalten zu sein. Dabei kristallisieren sich in kaum einem anderen politischen Handlungsfeld so stark unterschiedliche Vorstellungen von Politik und Gesellschaft heraus wie in der Steuerpolitik. Und dies nicht nur wegen der hohen Beträge, um die es dabei geht: Laut Schätzungen betrugen die deutschen Steuereinnahmen im Jahr 2012 rund 602 Milliarden Euro.
Steuern gelten als "Lebensader moderner Staaten". Die Einnahmen gewährleisten, dass die öffentliche Hand Aufgaben übernehmen kann, die der Allgemeinheit dienen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Neben Schulen, Krankenhäusern, (Verkehrs-)Infrastruktur und bezahlbarem Wohnraum gehört auch die Stabilisierung der Märkte (wie im Falle der Eurorettung) dazu. Gleichzeitig können gesellschaftliche Entwicklungen durch Steuern gefördert oder gebremst werden, indem durch Besteuerung oder steuerliche Begünstigung Anreize für ein bestimmtes Verhalten gesetzt werden.
Politisch heftig umkämpft ist die genaue Ausgestaltung des Prinzips der Besteuerung nach Leistungsfähigkeit, was verschiedene, teils konträre Verständnisse von Steuergerechtigkeit impliziert: Mit welcher Rechtfertigung tragen starke Schultern mehr als schwächere (progressive Besteuerung)? Warum wird die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalanlagen gegenüber der von Einkommen aus Erwerbsarbeit begünstigt (progressiver versus proportionaler Steuertarif)? Was folgt daraus im Hinblick auf ein europäisches Steuermodell? Es gilt, die Steuerdebatten zu entstauben – denn damit eng verknüpft sind Vorstellungen darüber, welche Aufgaben "der Staat" im Sinne eines "demokratischen und sozialen Bundesstaats" (Artikel 20 Absatz 1 Grundgesetz) hat, was "die Gesellschaft" bereit ist, dafür zu zahlen, und wer sich in welcher Form daran beteiligt.