Die syrische Gesellschaft zeichnet sich durch eine komplexe religiöse, ethnische und kulturelle Zusammensetzung aus. Geprägt durch eine sehr diverse kulturräumliche Gliederung des Landes zwischen bewaldeten Gebirgszügen am Mittelmeer und ariden Steppen Nordmesopotamiens und eine lange gemeinsame historische Erfahrung lebten verschiedenste muslimische, christliche und jüdische Konfessionen und Gruppen über die Jahrhunderte relativ friedlich nebeneinander. Dabei machte sich die soziale Heterogenität Syriens nicht nur durch religiöse oder ethnische Identitäten bemerkbar, sondern auch durch einen starken Unterschied städtischer, agrarisch-ländlicher oder beduinischer Lebensweisen. Die sozioökonomischen Veränderungen in den vergangenen Jahrzehnten haben ferner dazu geführt, dass sich kulturelle Lebensarten einkommensstarker Schichten in den großen Städten Aleppo und Damaskus immer deutlicher von urbanen und ruralen Peripherien unterscheiden. Um die soziale Dynamik des Landes zu verstehen, sind also neben der historischen Entwicklung der Bevölkerungsstruktur besonders auch die großen Umbrüche der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu betrachten.
Historisches Erbe
Die kaleidoskopische Vielfalt des Landes liegt ursächlich in seinem reichen und bedeutenden historischen Erbe begründet. Das heutige Syrien ist als Teil des "syrischen" Kulturraums (Bilad al-Scham) seit frühgeschichtlicher Zeit Wiege zahlreicher Zivilisationen. Es war nicht nur ein wichtiger Bestandteil der sumerischen, akkadischen, assyrischen und phönizischen Zivilisationen des alten Orients, sondern spielte auch in der hellenistischen und römischen Antike eine beachtliche Rolle. Neben dutzenden versunkenen Städten wie Ebla, Ugarit, Apameia, Palmyra oder Bosra bergen die vier großen Städte im Korridor zwischen Küstengebirge und Steppe, Aleppo, Hama, Homs und Damaskus, beeindruckende Zeugnisse dieser historischen Epochen des Altertums. Die religiöse Pluralität des Landes entstand primär in der Spätantike, als es eine wichtige Provinz des byzantinischen Reiches war, und in frühislamischer Zeit. Im Zuge der arabischen Eroberungen im 7. Jahrhundert wurde Damaskus zwischen 661 und 750 Hauptstadt der ersten islamischen Dynastie der Ommayyaden und damit Zentrum eines Weltreiches, das von Spanien bis nach Zentralasien reichte. Beginnende Arabisierung, aber auch religiöse Toleranz gegenüber den rivalisierenden und so sich weiter verästelnden christlichen Gruppen zeichneten diese Epoche aus. Nach der politischen Zersplitterung des arabischen Reiches ab dem 9./10. Jahrhundert wurden türkische und kurdische Eliten immer wichtiger. Die Zeit der Kreuzzüge belastete primär orientalische Christen, während die Mongolenstürme ganze Landstriche entvölkerten. Als Teil des osmanischen Reiches ab 1516 blühten syrische Städte – besonders Aleppo – kulturell und wirtschaftlich auf und waren wie schon in den Jahrhunderten zuvor durch eine hohe soziale Mobilität gekennzeichnet. Ein Großteil der urbanen Eliten des frühen 20. Jahrhunderts war in den vier osmanischen Jahrhunderten zugewandert (unter anderem aus dem Irak und kurdischen Gebieten). Nach einem beachtlichen kulturellen Wandel im 19. Jahrhundert und einer zum Teil erzwungenen Ansiedlung von tscherkessischen und armenischen Flüchtlingen entstand mit dem Ende des Osmanischen Reiches der Nahe Osten und somit auch Syrien in seinen heutigen politischen Grenzen im Zuge der kolonialen Grenzziehungen. Als "Mandatsgebiet" stand das junge Land ab 1920 unter direkter französischer Kontrolle und damit ebenfalls unter europäischem Einfluss. Am 17. April 1946 erlangte Syrien durch eine Revolution seine Unabhängigkeit und feierte die Gründung der Syrischen Arabischen Republik.
Gesellschaftliche Struktur
Die Gesellschaft unterteilt sich in mehr als 15 religiöse und ethnische Gruppen. Neben der arabischen Mehrheit leben Kurden, Armenier, Turkmenen, Tscherkessen, Aramäer und Assyrer in Syrien.
Neben den unterschiedlichen ethnischen Gruppen unterteilt sich die syrische Bevölkerung in verschiedene Religionen und Konfessionen. Selbst die muslimische Mehrheit (zwischen 85 und 90 Prozent der Bevölkerung) besteht aus heterogenen religiösen Gruppierungen, darunter Sunniten (rund 73 Prozent der Bevölkerung), Alawiten (10 bis 11 Prozent), Drusen (etwa 3 Prozent), Ismailiten und Schiiten. Syrer christlichen Glaubens werden auf 10 bis 12 Prozent geschätzt
Obwohl manche Stadtteile und Dörfer überwiegend von einer bestimmten religiösen oder ethnischen Gruppe bewohnt sind, gibt es keine strikte religiöse oder ethnische Abgrenzung zwischen den Wohnorten. Dennoch bestimmt die religiöse oder ethnische Zugehörigkeit weitgehend die Landkarte Syriens. Die Mehrheit der Bewohner von Dörfern im sogenannten Tal der Christen (Wadi al-Nasara) oder im Qalamun-Gebirge sind zum Beispiel Christen. Manche Stadtteile in Aleppo, Damaskus und Homs sind historisch als Christenviertel bekannt. Drusen stammen traditionell hauptsächlich aus Suwaida oder dem Drusen-Gebirge (Jabal al-Druze oder Jabal al-Arab) in Südsyrien und haben sich im 20. Jahrhundert in dem Damaszener Vorort Jaramana angesiedelt. Alawitische Wohngebiete liegen ursprünglich im Küstengebirge im Nordwesten, vor allem rund um Latakia, Tartus, Jable und Baniyas. Ismailiten konzentrieren sich in der kleinen Stadt Salamiya südöstlich von Hama. Die heutige demografische Verteilung differenziert sich zunehmend entlang sozialer, politischer und wirtschaftlicher Faktoren aus. Besonders in urbanen Neubaugebieten mittlerer und hoher Einkommensschichten haben sich die Grenzen verwischt. Im Gegensatz zu den Dörfern, die meist durch eine überschaubare gesellschaftliche Struktur charakterisiert sind und die weitgehend ihre ursprüngliche Bevölkerungszusammensetzung behalten haben, sind die Städte im Zuge der zunehmenden Urbanisierung ein Spiegelbild des komplizierten ethnischen, religiösen und sozialen Pluralismus des Landes geworden.
In Syrien leben nicht nur Syrer, sondern auch palästinensische und irakische Flüchtlinge. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts kamen mit der Gründung Israels in mehreren Wellen Flüchtlinge aus Palästina; etwa eine halbe Million Palästinenser sind heute in Syrien zuhause. Irakische Flüchtlinge kamen nach dem Irakkrieg 2003 ins Land, Tausende sind geblieben. Sowohl Palästinenser als auch Iraker genießen zahlreiche bürgerliche Rechte in Syrien. Sie dürfen arbeiten und können ihre Kinder in staatliche Schulen schicken. Die "neuen" Bewohner haben ihre kulturellen und sozialen Spuren in manchen Außenbezirken von Damaskus hinterlassen, wie beispielsweise im Stadtteil Yarmouk, in dem ursprünglich nur Palästinenser wohnten, und Jaramana, wo sich der größte Teil der irakischen Flüchtlinge niedergelassen hat.
Die religiöse und ethnische Vielfalt war immer ein besonderer Reichtum der syrischen Gesellschaft. Zwar entlud sich sozial motivierte Gewalt im Laufe der Geschichte verschiedentlich entlang der religiösen Trennlinien (wie in Aleppo 1850 oder Damaskus 1860), doch kann man besonders im Vergleich zur europäischen Geschichte von einem lange existierenden und relativ friedlichen religiösen und ethnischen Pluralismus sprechen. Der Alltag der Menschen war meist durch gemeinsame soziokulturelle Werte und Respekt geprägt. Forschungen zu den vielen prachtvollen Wohnhäusern in den Altstädten von Aleppo und Damaskus aus osmanischer Zeit zeigen, dass Syrer aller Konfessionen in den Städten eine fast identische Wohnkultur pflegten, die sich primär nach Region und Einkommensgruppen ausdifferenzierte. Das berühmte Aleppozimmer einer christlichen Familie oder die Damaszener Wohnhausnische eines jüdischen Hausbesitzers im Berliner Pergamonmuseum sind dafür eindrucksvolle Beispiele.
Dieser soziale und kulturelle Reichtum birgt jedoch auch die Gefahr einer Instrumentalisierung in Zeiten des Konflikts – wobei die religiöse und ethnische Zugehörigkeit keine Auskunft über politische Überzeugungen gibt. Mit Blick auf den aktuellen Konflikt laufen Pro- und Contra-Assad-Konfliktlinien quer durch viele christliche und drusische Familien, genauso wie konservativ-bürgerliche Sunniten mittlerer und besserer Einkommensschichten radikal-islamistische Aktivisten strikt ablehnen – obwohl letztere sich oftmals auf den sunnitischen Islam beziehen. Gesellschaftliche Entwicklungen folgen sozioökonomischen Dynamiken und persönlichen Erfahrungen und Überzeugungen und sind nicht alleine kulturalistisch oder durch einen religiösen Determinismus zu verstehen. Daher ist es wichtig, die gesellschaftlichen Strömungen des 20. Jahrhunderts zu verstehen, die zu großen Veränderungen in Syrien geführt haben.
Gesellschaftlicher Wandel seit der Unabhängigkeit
Die Phase nach der Unabhängigkeit war durch politische Instabilität gekennzeichnet und wurde wegen der vielfachen Coups d’État durch das Militär "Zeitraum der Putsche" genannt. Die politischen Entwicklungen waren divergent und erlebten unterschiedliche politische Strömungen, die zwischen Sozialismus/Kommunismus, Nationalismus, Panarabismus, Liberalismus und konservativen Ideologien variierten. Während die kommunistischen und sozial orientierten Parteien sehr populär in den ärmeren sozialen Schichten, vor allem auf dem Land, waren, gab es in den großen Städten Aleppo und Damaskus ein breiteres Spektrum von politischen Orientierungen. In diesem Rahmen entstand auch die Baath-Partei.
Die Baath-Partei (Arabisch-Sozialistische Baath-Partei), die bis heute Syrien regiert, kam 1963 durch einen Putsch mit der Parole "Einheit, Freiheit, Sozialismus" an die Macht. Sie entstand durch eine Vereinigung der ersten Baath-Partei, die sich aus Mitgliedern der urbanen intellektuellen Mittelschicht und Studentenschaft zusammensetzte, mit der Sozialistischen Arabischen Partei, deren Mitglieder sich aus Bauern und den armen Gesellschaftsschichten rekrutierten. Die Machtübernahme der Baath-Partei führte zu einem tief greifenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wandel in Syrien. Ihr Konzept von "Sozialismus" sah eine sozialistische Transformation der Gesellschaft durch Entmachtung der Bourgeoisie und Beseitigung von privatem Eigentum vor. Ihre Politik manifestierte sich in erster Linie in der entschiedenen Fortsetzung der Landreformen und Verstaatlichungen privater Unternehmen, die bereits während der Syrisch-Ägyptischen Einheit (Vereinigte Arabische Republik 1958 bis 1961) begonnen worden waren. Diese Politik zog nicht nur eine Erweiterung der Rolle des Staates in der Wirtschaft nach sich, ebenso waren der Verfall des privaten Sektors und die Abwanderung nationalen Kapitals direkte Folgen.
Die Bewohner ländlicher Gebiete haben von diesen Entwicklungen enorm profitiert. In den Folgegenerationen zog es immer mehr Bewohner ländlicher Peripherien zum Universitätsstudium in die nächstgelegenen großen Städte. Die Grundschulpflicht wurde eingeführt; Arbeitsplätze für Hochschulabsolventen waren überdurchschnittlich gut bezahlt. Die Jobmöglichkeiten auf dem Land blieben hingegen sehr begrenzt. Die lukrativen Jobangebote in den Städten zusammen mit der Verschlechterung der Lage der Landwirtschaft führten zu einer starken, bis heute fortwirkenden Landflucht. Die neuen Bildungschancen veränderten auch das Wertesystem in Syrien und entsprechend wurde gesellschaftlich großer Wert auf schulische und berufliche Bildung gelegt. Das soziale Prestige war damit nicht mehr nur von Herkunft, religiösem Hintergrund und familiärem Reichtum abhängig. Berufliche Position und manchmal auch politische Zugehörigkeit waren wichtige Elemente der sozialen Werteskala, und so sind bis heute zum Beispiel die Berufsbilder von Professoren, Lehrern, Ärzten, Ingenieuren und Anwälten hoch geschätzt. Zudem wurden Frauen unter dem Einfluss liberaler und kommunistischer Ideologien ermutigt, ein Universitätsstudium zu beginnen und leitende Positionen anzustreben – ein bedeutender Schritt in einer traditionell patriarchalischen Gesellschaft.
Damaskus als Hauptstadt und Aleppo als Handels- und Industriezentrum haben in dieser historischen Phase einen tief greifenden gesellschaftlichen Wandel durchlebt. Die alte Mittel- und Oberschicht, die seit dem 19. Jahrhundert aus Grundbesitzern, Bürgerlich-Intellektuellen und hohen Beamten, Händlern sowie Unternehmern entstanden war, verlor durch die Verstaatlichung und Landreform an sozialer, politischer und wirtschaftlicher Bedeutung. Gleichzeitig entwickelten sich neue Eliten und ebenso eine neue Mittelschicht, die aufgrund ihrer politischen Position zahlreiche wirtschaftliche Privilegien erhalten hatte. Neben der neuen politischen und militärischen Elite aus Mitgliedern der Baath-Partei, die oft einen ländlichen Hintergrund hatten, gehörten Studenten und Mitarbeiter des wachsenden staatlichen Sektors (Verwaltung und Produktion) zur neuen Mittelschicht. Die zugezogenen Stadtbewohner siedelten sich hauptsächlich in den Neubaugebieten am Rande der Stadt an, während ärmere Landflüchtige in die nicht mehr als zeitgemäß bewerteten und daher vernachlässigten Altstädte zogen.
Sozioökonomische Entwicklung
Mit der Machtübernahme der Baath-Partei unter Hafis al-Assad wurde Syrien offiziell zum "Sozialistischen Staat mit Planwirtschaft". Jegliche politische Opposition wurde unterdrückt und das sozialistische Wirtschaftsmodel adaptiert. Um die verbliebene städtische Bourgeoisie auf seine Seite zu bringen und politische Stabilität zu gewährleisten, definierte Assad "Sozialismus" neu. Der soziale und wirtschaftliche Entwicklungsprozess erforderte in Assads Lesart die Partizipation aller Gesellschaftsschichten, einschließlich der "nationalen" Bourgeoise. In der Realität durften allerdings nur Geschäftsleute, die das Regime politisch unterstützten, an diesem Prozess teilnehmen. Es entwickelten sich Klientelismus und Nepotismus zwischen den wirtschaftlichen und politischen Eliten, die bis heute die Wirtschaft und die Politik des Landes monopolisieren.
Während die politische Eilte sich aus Mitgliedern der Baath-Partei, der Armee und der Assad-Familie nahestehenden Staatsbeamten zusammensetzt (meist Alawiten), besteht die Wirtschaftselite überwiegend aus städtischen sunnitischen Geschäftsleuten.
Als Nachfolge für den im Jahr 2000 verstorben Vater kam mit einer Verfassungsänderung sein Sohn Baschar al-Assad an die Macht. Der junge Präsident versprach Korruptionsbekämpfung, Wirtschaftsreformen, politischen Pluralismus und den Aufbau der Zivilgesellschaft. Besonders die städtische Mittelschicht konnte sich mit dem modern wirkenden Präsidentenpaar identifizieren. Nach ersten vielversprechenden Liberalisierungs- und Reformmaßnahmen verpufften jedoch die meisten Versprechen. Korruption und politische Unterdrückung kehrten schnell an die Tagesordnung zurück; neue gesellschaftliche Strukturen, wie die erstmalig erlaubten Nichtregierungsorganisationen, wurden vom Geheimdienst unterlaufen und kontrolliert. Notfalls übernahm die Präsidentengattin direkt den Vorsitz. Die verstärkt neoliberal ausgerichtete Wirtschaftspolitik, verbunden mit einer auf den Assad-Clan konzentrierten Konzessionspraktik, begünstigte zum einen die mafiaartige Vernetzung zwischen Regime und privater Wirtschaft. Zum anderen führte sie zusammen mit der abnehmenden Erdölförderung und einer Dürre zur Verschlechterung der Lage vieler sozialer Schichten, vor allem der Agrarbevölkerung und der Arbeitnehmer mit mittleren und niedrigen Einkommen.
Damit wuchs die Kluft zwischen Stadt und Land sowie zwischen Arm und Reich seit 2000 dramatisch. Kurz vor Beginn der Revolution im März 2011 galten etwa 30 Prozent der Gesamtbevölkerung als arm, davon 2,5 Millionen unter der Armutsgrenze.
Als Resultat der sozioökonomischen Entwicklungen ist die in Syrien traditionell starke Mittelschicht geschrumpft. Das Kapital kumuliert zunehmend in den Händen einer kleinen Gruppe von Geschäftsleuten und der Staatselite, die ein großes Interesse am Fortbestehen des korrupten politischen Systems und der Klientelwirtschaft haben.
Trotz der wirtschaftlichen Probleme blieben Spannungen entlang der unterschiedlichen sozialen Gruppen aus. Um die politische und soziale Stabilität zu sichern, hatte das Regime seit den 1970er Jahren eine gewisse Balance zwischen den Interessen verschiedener sozialer, religiöser und ethnischer Gruppen der Gesellschaft geschaffen. Hinter der säkularen Fassade des Assad-Regimes steckt ein kompliziertes Machtteilungssystem, das religiöse, ethnische und soziale Aspekte berücksichtigt. Um politischen Widerstand aus den Reihen der Religionsgemeinschaften zu vermeiden, hat die Staatsmacht eine Art Vereinbarung mit einflussreichen religiösen Protagonisten getroffen und verknüpfte deren relative Macht direkt mit dem politischen Schicksal des Regimes. Gleichzeitig versuchte es, ethnische Minderheiten zu spalten, indem es einzelne Gruppen privilegierte. Eine ähnliche Strategie wurde verfolgt, um die politische Opposition und die Business Community zu spalten. Somit findet man in Syrien sowohl regimetreue als auch oppositionelle Kommunisten, Nationalisten, Christen, Drusen, Alawiten, Sunniten, Staatsangestellte und Geschäftsmänner.
Diese kurz umrissenen sozioökonomischen Entwicklungen führten zusammen mit den anhaltenden politischen Repressionen ab März 2011 zum Volksaufstand. Anfänglich wurden nur eine Verbesserung der ökonomischen Lage, die Bekämpfung der Korruption und Vetternwirtschaft sowie eine Beschränkung der Allmacht der Geheimdienste gefordert. Infolge der brutalen militärischen Reaktionen des Regimes zur Niederschlagung des Protests wurden die Rufe nach Regimewechsel und Entmachtung der politischen Führung um Assad lauter. Das Syrien vor 2011 gehört der Vergangenheit an, die gesellschaftliche Entwicklung des Landes ist gegenwärtig nicht zu prognostizieren.
Pluralismus als Risiko?
Die Vielfalt der syrischen Gesellschaft und der Pluralismus politischer Opposition werden in der medialen Berichtserstattung über Syrien oft als potenzielles Risiko dargestellt, als "Fragmentierung und Spaltung" der Gesellschaft bezeichnet oder der Aufstand sogar als Religionskonflikt vereinfacht. So wird in den westlichen Medien immer wieder ein Konfessionskrieg in Syrien prognostiziert, sogar fast herbei beschworen. Das gleiche Szenario wird durch die Propaganda des Regimes entworfen, insbesondere um die Minderheiten von einer Unterstützung der Protestbewegung abzuhalten und um sich international als Wahrer des zerbrechlichen Gleichgewichts zu profilieren. Die Instrumentalisierung des gesellschaftlichen Pluralismus in Syrien ist als politische Strategie des Regimes deutlich zu erkennen. Bisher wirkt das plurale soziale Gefüge Syriens erstaunlich stabil, und es kam trotz des zunehmenden militärischen Konflikts mit der einhergehenden wirtschaftlichen und menschlichen Not in den Städten, mit ihrer ethnischen und religiös verdichteten Topografie, zu keinen konfessionell markierten Unruhen. Jedoch besteht durch die Internationalisierung des Konflikts mit der damit verbundenen Einflussnahme und gezielten Unterstützung verschiedener gesellschaftlicher Gruppen durch das Ausland die Gefahr, dass die Syrer einen hohen Preis für diesen Pluralismus zahlen müssen.