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Rumänien und Bulgarien: Hoffen auf Europa

Silviu Mihai

/ 11 Minuten zu lesen

Kurz nach dem Beitritt Ihrer Länder zur Europäischen Union zum 1. Januar 2007 glaubten viele Rumänen und Bulgaren, dass sich ihre Hoffnungen auf blühende Landschaften schon bald erfüllen würden: Westeuropäische Investoren überfluteten die Wirtschaft mit Kapital, der Zugang zu Geldern aus EU-Fonds versprach eine rasche Lösung alter Infrastrukturprobleme. Moderne Autobahnen und Flughäfen konnten endlich gebaut werden, Eisenbahnstrecken, Schulen und Krankenhäuser wurden modernisiert, eine groß angelegte Aktion zur energetischen Sanierung alter Plattenbauten startete. Zahlreiche Windenergieprojekte wurden entwickelt, den größten Windpark auf europäischem Boden baute ein tschechisches Unternehmen in der Dobrudscha, an der rumänischen Schwarzmeerküste.

Eine Arbeitsproduktivität, die jährlich um zehn Prozent wuchs, ließ Regierungen und Arbeitgebern genügend Spielraum, so dass auch die realen Einkommen deutlich stiegen. Viele Haushalte konnten die verstaubten Möbel und Haushaltsgeräte aus den 1980er Jahren endlich ausrangieren. Europa war in den Küchen und Wohnzimmern angekommen. Der alte Traum vieler Generationen, die Entwicklungsunterschiede endlich nachzuholen und im eigenen Land "wie im Westen" leben zu können, schien in unmittelbare Nähe gerückt zu sein.

Inzwischen sieht alles etwas komplizierter aus. Die Konsum- und Immobilienblase platzte, und die Entwicklung kam zu einem plötzlichen Halt. Die westeuropäischen Kreditinstitute und Hypermarktketten, von der Wiener Ersten Bank über die Société Générale bis zu Carrefour, Kaufland, Penny und Praktiker, die jahrelang ihre Kunden mit "unwiderstehlichen Angeboten" gelockt hatten, mussten auf einmal mit Verlusten rechnen. Zahlreiche Schuldner, die einst leichtfertig Kredite erhalten hatten (häufig reichte die Vorlage des Personalausweises), konnten nicht mehr zahlen. Und als sich die Krise im Wirtschaftspartner- und Nachbarland Griechenland verschärfte, ahnten die Regierungen in Rumänien und Bulgarien Schlimmes.

Erschütterungen durch die Wirtschaftskrise

Bogdan Hossu sitzt in seinem Büro, mitten im Bukarester Studentenviertel. Der Mann mit strahlenden Augen und gepflegtem Bart schaut aus dem großen Fenster. Unweit von hier liegt der Cotroceni-Palast, Sitz des Staatspräsidenten und gleichzeitig ein Symbol der Macht. Er sagt: "Kurz nach der Wende, als die alten staatssozialistischen Unternehmen eins nach dem anderen kollabierten, als wir auf dem harten Weg lernten, uns als Arbeitnehmer unter den neuen kapitalistischen Bedingungen zu organisieren, haben wir nie den Optimismus verloren." Hossu leitet seit 1990 den Verband Alfa, eine der ersten und größten unabhängigen Arbeitnehmerorganisationen in Rumänien. Er vertritt mehr als eine Million Menschen aus allen Branchen der Privatwirtschaft sowie des öffentlichen Dienstes. "Der Kurs in Richtung eines Wohlstandsstaates nach westeuropäischem Muster scheint zwar immer noch unausweichlich zu sein, aber nicht so einfach, wie wir früher dachten." Den Rumäninnen und Rumänen ist klar geworden, dass die Wirtschaftskrise andauern wird. Was Ende 2009 unerwartet aus dem Westen kam und am Anfang eher als eine Art Zwischenfall betrachtet wurde, erwies sich als ernst und durchaus längerfristig. Die damalige Mitte-Rechts-Regierung unter Ministerpräsident Emil Boc sah sich plötzlich mit einer massiven Kapitalflucht konfrontiert. Trotz einer Steuer von nur 16 Prozent auf alle Einkommen nahmen die österreichischen Banken und die französischen Handelsketten die Standortvorteile auf einmal nicht mehr wahr. Premier Boc und Staatspräsident Traian Băsescu beschlossen, beim Internationalen Währungsfonds (IWF) einen Notkredit in Höhe von 20 Milliarden Euro aufzunehmen – unter strengen Auflagen, die es zu erfüllen gilt.

"Die optimistische Grundeinstellung, dass die osteuropäischen Länder eher früher als später die gewaltigen Wohlstandsunterschiede zu Westeuropa nachholen werden, ist nach 20 Jahren nicht mehr so stark, doch sie ist noch da", kommentiert auch Hossus bulgarischer Kollege Wesselin Mitow von Podkrepa, dem zweitgrößten Gewerkschaftsverband im Land, die Lage. Die meisten politischen Beobachter in Sofia interpretieren die Situation ähnlich: Zwar hat sich Bulgariens Wirtschaft vom Schock der Krise bis heute noch nicht erholt, aber der Enthusiasmus für ein integriertes Europa, für seine Institutionen und seine Währung bleibt trotzdem erstaunlich groß. "Genau so groß wie das Misstrauen gegenüber dem eigenen politischen Establishment", erklärt Politologe Marin Lessinski vom Sofioter Institut für eine Offene Gesellschaft.

Das mangelnde Vertrauen in die politische Führungsklasse in Rumänien und Bulgarien ist zum Teil auf die demokratische Transition der 1990er Jahre zurückzuführen. Zu viele der neuen Figuren kamen aus den hinteren Reihen der staatssozialistischen Machtelite, zu tief waren die Verstrickungen mit den früheren Geheimdiensten, zu selten bekamen die Bürgerinnen und Bürger den Eindruck, dass ein klarer Bruch mit der Vergangenheit – wie in Ungarn, Polen oder Tschechien – stattgefunden hat. Ein anderer wichtiger Faktor, der das Vertrauen in die einheimischen Politiker ständig unterminiert, ist die endemische Korruption, deren Bekämpfung in den vergangenen Jahren sowohl für die einheimischen Medien, als auch für die EU-Kommission fast zu einem obsessiven Thema geworden ist. Sofia und Bukarest haben Sonderbehörden und separate Staatsanwaltschaften ins Leben gerufen, die Bürgermeister, Polizisten, Richter, Abgeordnete und Minister untersuchen. In Rumänien sitzt sogar Adrian Năstase, ein ehemaliger sozialdemokratischer Ministerpräsident, hinter Gittern. Doch die Liste der Verdächtigen ist lang, und die Verurteilten gehören meistens der jeweiligen Opposition an.

Wegen ähnlicher Bedenken blockieren derzeit die Niederlande den Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Schengen-Raum. Den Bürgerinnen und Bürgern in den zwei Ländern gefällt es zwar nicht, immer wieder als Europäerinnen und Europäer zweiter Klasse behandelt zu werden, sie können die Argumente jedoch nachvollziehen. Letztlich empören sie sich selbst jeden Tag über die Korruption. "Unser erster Reflex ist, dieses Phänomen in moralischen und juristischen Kategorien zu denken", stellt der Politologe Daniel Barbu von der Bukarester Universität fest. "Doch nichts wäre falscher. Korruption auf dem Balkan ist sehr alt und sozusagen systemisch, sprich, wir brauchen Korruption, wenn wir in einer armen Gesellschaft mit vielen Ungleichheiten und einem schwachen Staat überleben wollen. Wenn wir die Korruption tatsächlich bekämpfen wollen, müssen wir erst mehr Wohlstand und eine Grundlage für Solidarität liefern." Doch genau das ist in Rumänien und Bulgarien seit der Wirtschaftskrise noch schwieriger geworden. "Die einzige Antwort der Regierungen in beiden Ländern war bisher: mehr Wirtschaftsliberalismus, also mehr Ungleichheit", kritisiert der linke Bukarester Publizist und Blogger Costi Rogozanu.

Tatsächlich hat in Rumänien die Mitte-Rechts-Regierung unter Boc in den Jahren 2010 und 2011 drastische Sparmaßnahmen durchgesetzt, die in einem westeuropäischen Land kaum vorstellbar wären. So wurden sämtliche Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor um 25 Prozent gekürzt, etliche Sozialleistungen gestrichen, Krankenhäuser und Schulen geschlossen oder zusammengelegt, Zehntausende Beamte und Angestellte entlassen und gleichzeitig die Mehrwertsteuer von 19 auf 24 Prozent erhöht. Außerdem sind nach einer umfassenden Reform des Arbeitsrechts die Arbeitgeber und der Staat nicht mehr verpflichtet, landesweite Tarifverträge mit den Gewerkschaften abzuschließen. Gleichzeitig wurden die formalen Bedingungen für die Repräsentativität einer Arbeitnehmerorganisation verschärft, so dass einige von ihnen heute nicht mehr als offizielle Sozialpartner zählen. "Wir haben versucht, zu verhindern, dass die Politiker die Wirtschaftskrise ausnutzen, um eine neoliberale Agenda durchzusetzen. Dabei waren wir nur bedingt erfolgreich", sagt Gewerkschafter Bogdan Hossu. Staatspräsident Băsescu und seine Liberaldemokratische Partei (PDL) haben in den vergangenen Jahren "unter dem Vorwand der imminenten Gefahr einer Staatspleite à la Griechenland nicht nur den Sozialstaat geschwächt, sondern auch das Prinzip der Solidarität diskreditiert", kommentiert Publizist Rogozanu.

Gesellschaftliche Konflikte in Rumänien

Infolge der Sparmaßnahmen kam es zu zahlreichen Streiks und im Januar 2012 zu heftigen Protesten auf dem Universitätsplatz in der Bukarester Innenstadt. Wochenlang demonstrierten Tausende bei Minustemperaturen gegen den radikalen Sparkurs. Die Popularität der Boc-Regierung sank so rasant, dass die eigenen Abgeordneten ihr die Unterstützung verweigerten und sie Ende April bei einem Misstrauensantrag der damaligen Opposition fallen ließen. Seitdem regieren die Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Victor Ponta das Land. Bei den jüngsten Parlamentswahlen im Dezember 2012 gewann Pontas Sozialliberale Union (USL) fast 60 Prozent der Stimmen. Doch die Zusammenarbeit mit Präsident Băsescu, gegen den ein von der USL initiiertes Amtsenthebungsverfahren im August 2012 scheiterte, gestaltet sich schwierig bis unmöglich.

Auch die rumänische Gesellschaft ist politisch gespalten. Für viele Rumänen waren die Proteste der jüngeren Vergangenheit ein Signal für mehr Gleichheit und soziale Gerechtigkeit und gegen die Agenda der PDL. Doch für zahlreiche Anhänger Băsescus, die vor allem in Bukarest und in den wirtschaftsstarken Großstädten Siebenbürgens leben, gelten diese Ziele nicht nur als falsch, sondern schlechthin als illegitim: Die Überzeugung, dass Rentner, Kranke, Sozialhilfeempfänger, Roma und andere Benachteiligte der Gesellschaft "nur auf der Tasche liegen" kursiert im heutigen Rumänien in einer Form, die in Westeuropa schwer vorstellbar wäre. "Nur 20 Jahre nach der Wende möchten viele in der neuen Mittelschicht komplett vergessen, wo sie herkommen. Sie definieren sich selbst als die Guten, als die einzig dynamische Klasse, die die Modernisierung des Landes antreibt. Viele glauben ernsthaft, dass sie allein zivilisiert und europäisch sind, während der arme Rest noch in einer Art minderwertiger Barbarei und Ignoranz, kurz vor Russland lebt", glaubt Costi Rogozanu.

Seitdem die Sozialdemokraten regieren, ist zwar eine andere Akzentsetzung festzustellen, jedoch kein wesentlicher Kurswechsel zu merken. Die strengen Auflagen des Abkommens mit dem IWF werden unter Beaufsichtigung der EU-Kommission nach wie vor eingehalten: Strikte Haushaltsdisziplin ist angesagt, weitere Privatisierungen von Staatsunternehmen und eine komplette Liberalisierung des Energiemarkts sind geplant. "Jede Regierung hat jetzt Angst vor Herabstufungen durch Ratingagenturen und vor spekulativen Angriffen, die das Land in die Zahlungsunfähigkeit treiben könnten", erklärt Politologe Barbu. Bislang konnte sich Băsescu auf die Unterstützung aus Brüssel und Berlin verlassen, wie zuletzt im Herbst 2012 auf dem Kongress der Europäischen Volkspartei (EVP) in Bukarest, bei dem er von Bundeskanzlerin Angela Merkel und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso für die Bekämpfung der Korruption und als Garant des radikalen Sparkurses gelobt wurde. Gleichzeitig wird das linke Lager für den rauen Umgang mit rechtsstaatlichen Institutionen kritisiert. Zwar empfinden viele Rumäninnen und Rumänen dies als Einmischung, "doch eine echte euroskeptische Stimmung wie in Großbritannien oder bei einem Teil der tschechischen oder polnischen Wählerschaft bleibt hier nach wie vor unvorstellbar", glaubt Barbu.

Ausweg Auswanderung

In Bulgarien, wo die Sparmaßnahmen weniger drastisch ausfielen, ist die konservativ-liberale Regierung bis heute im Amt. Ministerpräsident Bojko Borissow und sein Finanzminister Simeon Djankow genießen ein Image als Musterschüler in der Euro-Krise und dozieren in Interviews über die Vorteile ihrer Niedrigsteuerpolitik. Obwohl der Ertrags- und Einkommensteuersatz mit einheitlich zehn Prozent (flat tax) der niedrigste in der EU ist, hält sich das Land derzeit über Wasser und erfüllt die Maastricht-Verschuldungskriterien. Ähnlich wie Băsescu zeigt sich Borissow wenig kompromissbereit, wenn auf EU-Gipfeln das Thema Steuerunion angesprochen wird. Die Kehrseite der Medaille: Die Bulgarinnen und Bulgaren können von den Gehältern, die der Staat zahlt, nicht mehr leben, qualifizierte Arbeitskräfte, wie Ärzte und Pflegepersonal, verlassen massenweise das Land.

Rund eine halbe Million Menschen mit bulgarischem Pass arbeiten laut Statistiken in Westeuropa, davon knapp 15 Prozent in Deutschland. Bei einer Bevölkerungszahl von sieben Millionen macht diese innergemeinschaftliche Arbeitsmigration für Bulgarien einen erheblichen Unterschied. "Die Auswirkungen sind gemischt. Der Mangel an qualifiziertem Personal ist natürlich schlecht für die Wirtschaft, doch die Überweisungen der Migranten gleichen, genau wie die Warenexporte, das Handelsdefizit aus und bieten den Familienangehörigen in Bulgarien eine wichtige Einkommensquelle, die wiederum den Konsum ankurbelt", erklärt Politologe Marin Lessinski. Ähnlich wie in Rumänien, das Heimatland von zwei bis drei Millionen Arbeitskräften, die sich zurzeit in Westeuropa aufhalten, wäre auch Bulgarien ohne Auslandsüberweisungen in einer noch schlechteren Situation, zumal der staatlich garantierte Mindestlohn, den viele Bulgarinnen und Bulgaren bekommen, gerade einmal 160 Euro im Monat beträgt. Das sind, dank der Tatsache, dass sich Borissow im Sommer 2013 wiederwählen lassen will, immerhin zehn Euro mehr als im Vorjahr. Aber bei Konsumpreisen, die nicht viel niedriger liegen als in Deutschland, lässt sich davon kaum leben.

Hinzu kommt, dass weder Rumänien noch Bulgarien in der Lage wäre, für die Ausgewanderten Arbeitsplätze zu schaffen oder auch nur für ein paar Monate Arbeitslosengeld zu zahlen. "Stellen Sie sich vor, die zwei oder drei Millionen Bürger kommen zurück und beantragen Sozialleistungen. In dem Moment müssten wir gleich Zahlungsunfähigkeit erklären", erklärte Băsescu unlängst.

Mühsamer Fortschritt

Wesselin Mitow vom bulgarischen Gewerkschaftsbund bezweifelt den Erfolg der Niedrigsteuerpolitik: "Die Flat-Steuer generiert in der Privatwirtschaft, entgegen der Rhetorik der Regierung, keine neuen Arbeitsplätze", stellt er fest und verweist auf die Verdoppelung der Arbeitslosenrate auf zwölf Prozent in den vergangenen vier Jahren. Und die Perspektiven sind alles andere als rosig: Gefangen in der simplen Haushaltsarithmetik der von der EU verlangten Schuldenbremse kann der Staat nur selten Ressourcen für neue Investitionen zur Verfügung stellen, um die dramatischen Auswirkungen der Kapitalflucht zu mindern.

Zugleich werden die Fördermöglichkeiten im Rahmen der EU-Fonds nur unzureichend ausgenutzt: In der laufenden Haushaltsperiode von 2007 bis Ende 2013 rief Bulgarien bislang lediglich ein Viertel der zur Verfügung gestellten Gelder ab; Rumänien gilt, was die Abrufquote angeht, gar als Schlusslicht unter den mittelosteuropäischen Staaten. Dass dies so ist, lässt sich teilweise auch dadurch erklären, dass die Regierungen beider Länder schlicht nicht über die nötigen Selbstbeteiligungsbeträge verfügen. Ein Beispielfall, über den in Sofia und Bukarest mittlerweile sarkastische Witze kursieren, ist die Unfähigkeit der Verwaltung, dringend benötige Autobahnen schneller zu bauen, obwohl entsprechende EU-Fonds verfügbar wären. Nachdem Unregelmäßigkeiten und Korruptionsfälle aufgedeckt wurden, hatte die EU-Kommission die Zahlungen für Rumänien vorübergehend eingefroren. "Dann mussten wir erneut feststellen, was wir eigentlich immer schon wussten: Mit der EU geht es langsam voran, ohne sie geht es überhaupt nicht", kommentiert Politologe Barbu. Auch fast vier Milliarden Euro, welche die EU für die Aus- und Weiterbildung von rumänischen Arbeitskräften vorgesehen hatte, blieben so monatelang blockiert. Über 700.000 Personen waren direkt betroffen – und die meisten halten die Ministerialbürokratie für verantwortlich: "Es ist sicherlich nicht die Schuld der EU", stellt Gewerkschafter Hossu fest.

Trotz der Wirtschaftskrise und der langsamen Entwicklung gibt es noch immer eine klare optimistische Einstellung gegenüber Europa und großes Vertrauen in seine Institutionen. Zwischen 50 und 60 Prozent der Rumäninnen und Rumänen haben Umfragen zufolge "viel und sehr viel Vertrauen" in die EU – ein Wert, von dem die eigene Regierung (unter der damaligen Mitte-Rechts-Regierung bei 10, aktuell bei 28 Prozent), oder das Parlament (20 Prozent) nur träumen können. In Bulgarien sieht es ähnlich aus: Über 60 Prozent der Befragten vertrauen der EU, nur die Hälfte davon der eigenen Regierung. Laut Eurobarometer, einer europaweiten Befragung, hält die rumänische und bulgarische Öffentlichkeit die Ziele der EU für wichtiger und realistischer, als dies im EU-weiten Durchschnitt der Fall ist.

"Die beste rumänische Partei ist die EU-Kommission", lautet ein selbstironischer Spruch, der in Bukarester Cafés kursiert. "Es ist mittlerweile lächerlich, zu glauben, dass kleine offene Länder wie Rumänien oder Bulgarien die gewaltigen Probleme von heute auf Nationalebene sinnvoll diskutieren können. Was wir brauchen, ist eine richtige EU-Regierung mit voller Haushalts- und Steuerkompetenz und einer besseren demokratischen Legitimität", kommentiert Politologe Daniel Barbu. "Das haben unsere Bürgerinnen und Bürger verstanden, aber in der EU sind wir nicht allein."

Geb. 1978; freier Journalist und Osteuropa-Korrespondent, Berlin. E-Mail Link: silviumihai@gmail.com
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