Das Jahr 2011 wurde auf Beschluss des Europäischen Rates zum "Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit" ausgerufen. Das Jahr 2012 schloss als "Europäisches Jahr des aktiven Alterns und der generationenübergreifenden Solidarität" direkt an. Kaum etwas unterstreicht die politische Bedeutung der Stützung und Initiierung von Selbstorganisation, Selbsthilfe und freiwilligen Engagements – nicht zuletzt von älteren Menschen – deutlicher. Es entstanden eine Reihe von Studien – unter anderem der für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSF) verfasste "Bericht zur Lage und zu den Perspektiven des bürgerschaftlichen Engagements in Deutschland".
Diese Diskrepanzen werden zum einen mit den unterschiedlichen Stichproben und Erhebungsmethoden, zum anderen mit der Vielfalt der jeweils zugrunde gelegten Konzepte von "freiwilligem Engagement" und deren Operationalisierung erklärt. Dies gilt vor allem für die Gruppe der älteren Migrantinnen und Migranten sowie bestimmte Formen ihres Engagements, die bisher kaum erfasst wurden. So gesteht der Abschlussbericht mit Blick auf die Ergebnisse der zweiten Welle des Deutschen Alterssurveys (DEAS) (einer bundesweiten repräsentativen Befragung von Personen im Alter von 40 bis 85 Jahren) ein, dass – obwohl dort eine eigene "Ausländerstichprobe" gezogen wurde – es nicht nur durch Telefoninterviews zu einer Selektion hinsichtlich der Sprachkompetenz gekommen sei, sondern "das Erhebungsinstrument primär auf die Bedürfnisse der deutschen Bevölkerung zugeschnitten"
Vor diesem Hintergrund haben wir im Praxisforschungsprojekt "Ältere Migrant(inn)en im Quartier: Stützung und Initiierung von Selbsthilfe und Selbstorganisation"
Unterschiede in den Engagementformen
Um zu überprüfen, ob sich das Engagement von Menschen mit und ohne Migrationshintergrund unterscheidet, wurden beide Gruppen unter Berücksichtigung "sozialstrukturelle(r) Merkmale, zu denen das Bildungsniveau, das Haushaltseinkommen und der Tätigkeitsstatus der Befragten zählen"
Bei diesen Befunden spielen aber vermutlich Altersverschiebungen ebenfalls eine Rolle, sind doch in Deutschland geborene Menschen mit Migrationshintergrund in der Altersgruppe der Älteren zwischen 65 und 74 Jahren, erst Recht aber bei den über 75-jährigen Hochbetagten sehr selten vertreten. Zudem sinkt nach Daten des Freiwilligensurveys allgemein "das organisationsgebundene Engagement bei den Älteren und Hochbetagten im Vergleich zur Gesamtbevölkerung und zu den jungen Alten",
Keineswegs sind jedoch die von uns Befragten nur Empfänger oder Empfängerin solcher informeller Hilfen, sondern sind darin auch selbst engagiert. Dabei zeigt sich ihr nachbarschaftliches Engagement für die eigene ethnische Community mit 67 Prozent etwas deutlicher ausgeprägt als für "herkunftskulturell Andere" mit 61 Prozent. Ines Wickenheiser konstatiert mit zunehmendem Alter einen Rückgang informeller Hilfen von 28,1 Prozent bei 60- bis 70-Jährigen über 17,7 Prozent bei 70- bis 80-Jährigen bis schließlich 8,4 Prozent bei über 80-Jährigen.
Sowohl die Ergebnisse des Alters- als auch des Freiwilligensurveys verweisen darauf, dass "höher Gebildete, die oft auch einen höheren Sozialstatus haben, (…) durch ihre (oft mehrfachen) Mitgliedschaften und ihre vielen Leitungsfunktionen (…) die Organisationslandschaft des dritten Sektors in besonderem Maße"
Dies betrifft aber nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch autochthone Deutsche, die aus diesen Milieus stammen. Darüber hinaus konnte auch die individuelle und familiäre Reproduktion in der ehemaligen DDR zu einem großen Teil nur über solche Netze wechselseitigen Austauschs von verschiedensten Arbeitsleistungen und Gütern in befriedigender Weise sichergestellt werden. Die auch 2009 noch deutlich hinter den westdeutschen Bundesländern zurückbleibende Engagementquote in den ostdeutschen Bundesländern
Wenn gefordert wird, dass "Engagementpolitik und Organisationen" sich "heute vermehrt darum bemühen (müssen), mehr Menschen aus einfachen Verhältnissen (…) für die Mitgliedschaft in gemeinnützigen Organisationen und für die Teilnahme am freiwilligen Engagement zu gewinnen",
Engagementbereitschaften
Die Angaben aus den drei Erhebungswellen des Freiwilligensurveys zeigen, dass zwar die Bereitschaft zur Ausdehnung des Engagements in allen Altersgruppen kontinuierlich gestiegen ist,
So signalisierten über 70 Prozent der im Rahmen des AMIQUS-Projekts Befragten ihre Bereitschaft, an einer "Vergemeinschaftung über nützliche Tätigkeiten an (halb-)öffentlichen Orten" mitzuwirken. Dieser Typus bündelt Interessen der älteren Befragten, die sich auf den Wunsch nach Orten beziehen, an denen man mit anderen zusammenarbeiten und reden kann, und konkretisierte sich in Ideen zu Werkstatt-, Garten-, Näh- und Kochprojekten. Im Unterschied zu den eher formalisierten Vereinsangeboten geht es hier um Orte als Gelegenheitsstrukturen, die über gemeinsames aktives Handeln von verschiedenen Bevölkerungsgruppen angeeignet werden können. Wie unsere Befragung zeigt, bildet sich in Untersuchungsquartieren, die solche halböffentlichen Orte bereits vorhalten, ein Typus von Netzwerken aus, den wir als "in spezieller peer-group und darüber vermittelt auch mit anderen vernetzt" bezeichnet haben. Fast die Hälfte der Befragten ist in diesen Quartieren in ein solches Netz eingebunden. Demzufolge eröffnet gerade das (gemeinsame) Engagement an solchen Orten den zunächst meist nach Geschlecht und Herkunftskultur recht homogenen Gruppen eine zwanglose Vernetzung mit anderen (Nutzer-)Gruppen.
Während im Freiwilligensurvey weit weniger als 20 Prozent angaben, sich sozial- und kulturell zu engagieren,
Mittlere Bildungsabschlüsse dominierten hingegen bei den Interessen für ein soziales Engagement und im Hinblick auf die Interessen von Zugewanderten ebenso wie beim politischen Engagement. Für Letzteres haben ein Viertel der Befragten Interesse gezeigt. Es findet sich vor allem bei denjenigen, die schon Erfahrungen mit politischem Engagement in ihren Communities oder im Ausländerbeirat gesammelt haben, gewerkschaftlich engagiert waren, aber auch bei solchen, die sich erst nachträglich politisierten. Hier zeigt sich auch einer der wenigen in unserer Untersuchung gefundenen Zusammenhänge zum Herkunftsland: Zugewanderte aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion sind vor dem Hintergrund ihrer politischen Erfahrung mit nur elf Prozent nicht einmal halb so oft zu einem politischen Engagement bereit wie der Durchschnitt. Obwohl in der Befragung ebenfalls nicht einmal halb so viele Frauen wie Männer eine politische Engagementbereitschaft bekundeten, ist als einzig dezidiert politische Initiative von türkischen Frauen aus einer Zukunftswerkstatt heraus ein Projekt zur doppelten Staatsbürgerschaft gestartet worden. Sie engagieren sich damit vor allem für die Interessen ihrer Kinder und Enkel und unterstreichen damit die Befunde von Dathe,
Nachhaltige Selbstorganisation
Wenn Dathe davon ausgeht, dass "neben der Initiative und der Motivation des Einzelnen das Vorhandensein materieller Ressourcen, verfügbare Zeit und eine Engagement fördernde soziale Infrastruktur"
So erscheint es nach unseren Erfahrungen wenig Erfolg versprechend, Menschen, die ihre alltägliche Reproduktion und die ihrer Familie bisher nur im Rahmen eines informellen Hilfsnetzwerkes auf Gegenseitigkeit gewährleisten konnten, für formellere Formen eines freiwilligen Engagements zu gewinnen. Hier kann es nur darum gehen, für diese bisher von Forschung und Politik übersehenen informellen Engagementformen eine Öffentlichkeit zu schaffen und sie zu unterstützen. Denn zumindest bei den von uns untersuchten älteren Zugewanderten sind diese Hilfsnetzwerke an ihre Grenzen gekommen, haben wir doch in dem Untersuchungsquartier mit der am stärksten ausgeprägten Nachbarschaftshilfe zugleich auch die höchsten Unterstützungsbedarfe vor allem bei der Pflege von Angehörigen festgestellt. Zudem fehlt gerade den älteren Zugewanderten der Zugang zu Ressourcen, die der öffentlichen Verwaltung unterliegen und deren Nutzung durch eine hohe Formalisierung der Verfahren behindert wird. Im Hinblick darauf werden allenfalls spezielle Beratungssysteme zu etablieren versucht (wie etwa Lotsensysteme, Hilfen bei Behördengängen und dem Ausfüllen von Formularen). Auch bei diesen Beratungsressourcen stellt sich allerdings das Problem, wie ältere Migrantinnen und Migranten zu diesen Angeboten Zugang finden, liegt es doch letztlich in ihrer Verantwortung, um solche Hilfen für die Hilfen zu ersuchen.
Statt entsprechende Orte als Gelegenheitsstrukturen, die über gemeinsames aktives Handeln von verschiedenen Bevölkerungsgruppen angeeignet werden können, als Infrastruktur öffentlich zur Verfügung zu stellen, erfolgt eine Finanzierung professioneller Engagementförderung sowie von Betätigungsangeboten aufgrund sinkender kommunaler Finanzmittel und zunehmend zentralistischer Steuerungsversuche heute stark über eine Projektförderung. Dies setzt die in solchen Projekten hauptamtlich Tätigen unter Legitimationszwang und führte teilweise soweit, dass Initiativen der älteren Migrantinnen und Migranten nicht nur so umdefiniert werden mussten, dass sie in die entsprechende Projektförderung passten, sondern dass sie gleich ganz als Leistung der Professionellen ausgegeben wurden.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die in professionellen Diskursen zumeist als Empowerment diskutierte Aufgabe, solche auf informellen Engagementformen basierende Unterstützungsnetzwerke mit dem professionellen Hilfesystem zu vermitteln, ohne dass die in den entsprechenden Netzwerken Engagierten ihrer Eigeninitiative und Selbstbestimmung in praktischer Solidarität enteignet werden. Auf der anderen Seite zeigen unsere Erfahrungen, dass gerade bei sozio-kulturell sehr heterogenen Gruppen eine professionelle Moderation notwendig ist, um spontane Selbsthilfen in Formen demokratischer Selbstorganisation zu überführen. Sie sollte zwar nicht die Spontaneität solcher Selbstregulierung durch allzu formalisierte Entscheidungsabläufe blockieren. Für den Umgang mit Konflikten gilt es jedoch, gemeinsame Regeln zu erarbeiten. Und ebenso sind misslingende Selbstregulierungen mithilfe einer angemessenen professionellen Unterstützung oder Mediation in einer Weise aufzuarbeiten, dass niemand ausgegrenzt wird.
Strukturell betrachtet scheint die Einrichtung kommunaler Ressourcen- oder Quartierfonds, über die jene Initiativen selbst verfügen können, die sich um solche Mittel bewerben, ein wichtiges Mittel zur demokratischen Engagementförderung. Denn wenn solche Initiativen selbst einen Modus der Verteilung finden müssen, können sie sich in der Diskussion nicht allein darauf beschränken, ihr spezifisches Eigeninteresse zu vertreten. Vielmehr müssen sie sich dabei auf ein "Gemeinwohl" beziehen, das durch diesen Prozess politisch an Konturen gewinnt.